Produktdetails
  • ISBN-13: 9783899401813
  • Artikelnr.: 12008865
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Tobias Lehmkuhl staunt über das Kunststück, das Valerie Stiegele und Norbert Schaeffer bei der Adaptation von Phillip Roths 400 Seiten Roman gelungen ist. Obwohl sie die Geschichte auf zwei Stunden gekürzt haben, besitzt ihre Hörspielvariante alles, was man sich nur wünschen kann. Den Machern sei "ein Kunststück von seltener Geschlossenheit" gelungen: "Der Text wurde überaus klug gekürzt und arrangiert, die Stimmen wurden wunderbar stimmig orchestriert und die Geräuschkulissen so dezent wie eindringlich ein- und aufgebaut". Auch mit der Leistung der Sprecher ist der Rezensent richtig zufrieden. Ihnen gelingt es, die "Vielschichtigkeit der Charaktere" treffend darzustellen. Sie engen ihre Figuren nicht ein, indem sie sich festlegen, "sondern bringen deren Zwiespältigkeit zum Ausdruck". Nach Ansicht des Rezensenten sind diese zwei Stunden jedenfalls richtig großes Kopfkino.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.11.2003

DAS HÖRBUCH
Makellos
Philip Roth’ großer Roman als großes Hörspiel
Daraus kann man kein Hörspiel machen! Oder doch? Valerie Stiegele hat sich Philip Roth’ episches Erzählwerk „Der Menschliche Makel” vorgenommen und aus dem im vergangenen Jahr erschienenen 400seitigen Roman ein kaum mehr als zweistündiges Hörspiel komponiert. „Hörspielbearbeitung” heißt es sachlich auf dem Titel, aber wie viel Arbeit dahinter steckt, ahnt man, sobald sich das Kopfkino unaufhaltsam in Gang gesetzt hat.
Valerie Stiegele und Regisseur Norbert Schaeffer haben ein Kunststück von seltener Geschlossenheit geschaffen: Der Text wurde überaus klug gekürzt und arrangiert, die Stimmen wurden wunderbar stimmig orchestriert und die Geräuschkulissen so dezent wie eindringlich ein- und aufgebaut. Man höre nur, wie das Schließen der Schiebetür eines Van durch die Lautsprecher rauscht – ein Lob der Stereophonie! Oder wie das Klingeln des Telefons Nathans Erzählung zuweilen interpunktiert, die Musik, zu der Faunia ihren zauberischen Tanz aufführt, das Klappern der Teller, das Klackern der Eiswürfel, das Knattern des Rasensprengers!
Von den fast zwei Dutzend Sprechern, die zum Einsatz kommen, und von denen nicht ein einziger unglücklich gewählt ist, seien nur jene erwähnt, die den vier Hauptpersonen ihre Stimme leihen. In einem Punkt, und da liegt auch das Geheimnis ihres Erfolgs, agieren sie vollkommen übereinstimmend: Der Vielschichtigkeit der Charaktere bewusst, engen sie ihre Figuren nicht auf ein Merkmal ein, sondern bringen deren Zwiespältigkeit zum Ausdruck. Am deutlichsten wird das bei Les, der von Peter Dirschauer gesprochen wird. Die von Angst flankierte Kaltblütigkeit, wie Dirschauer sie meisterhaft zur Geltung bringt, macht es unmöglich, ein klares Urteil über den Psychopaten und Kriegsveteranen zu fällen. Die Ambivalenz seiner Person hält den Hörer ständig in Atem.
Ein ebensolcher Spagat gelingt Michael Mendl, der den Protagonisten des Romans gibt, den in sich vielfach gebrochenen Coleman Silk. Auch auf dessen Seite mag man sich nicht bedingungslos schlagen. Colemans Geliebte Faunia, die sich als Analphabetin ausgibt, obwohl sie keine ist, wird von Sophie Rois gesprochen. Und dieser Stimme nimmt man alles ab, alles Leid, alle Träume; zart und herb zugleich ist ihr Vortrag.
Schließlich ist da noch der Erzähler Nathan, wie immer bei Philip Roth eine nicht unbedingt vertrauenswürdige Person. Jürgen Hentsch gelingt es, dem, der eigentlich nur Berichterstatter sein will, mit einer zugleich rätselhaften und fremdartigen Tonfärbung, eine eigene, ganz besondere Kontur zu verleihen. Und so behauptet sich das Hörbuch erfolgreich gegen die nur scheinbar übermächtige Vorlage.
TOBIAS LEHMKUHL
PHILIP ROTH: Der Menschliche Makel. Bearbeitung: Valerie Stiegele. Regie: Norbert Schaeffer. Mit Jürgen Hentsch, Michael Mendl, Sophie Rois, Peter Dirschauer u.v.a. Der Hörverlag, München 2003. 2 CD, 145 Minuten, 19,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2002

Die erlösende Verschmutzung
Rhapsodie des Lebens, Schule des Möglichkeitsdenkens: "Der menschliche Makel", Philip Roths großer amerikanischer Roman

Geheimnis" ist das Zauberwort. Es ist das Schibboleth der Kriminalgeschichten und der Psychoanalyse; es bezeichnet den Urgrund der Verbrechen, der Neurosen und der Mythen. Und es ist der Treibstoff der großen Geschichten, die von alldem erzählen. Philip Roths jüngster Roman ist eine große Geschichte. Das "Geheimnis" ist ihr Leitmotiv, und je häufiger das Wort erscheint, desto größer wird der Zauber.

Dabei scheint auf den ersten Blick noch alles taghell und klar. Der Held, der die Tragödie in Gang setzt, ist Professor für klassische Sprachen und Literatur an der neuenglischen Universität von (Nomen ist hier wie immer bei Roth überdeutlich Omen) Athena. Eine winzige sprachliche Fehlleistung, böswillig mißverstanden, kostet ihn die Stellung und den Ruf, läßt seinen perfekten Lebenslauf jählings abbrechen und führt, davon ist er überzeugt, sogar den Tod seiner Ehefrau herbei. Die Fehlleistung bestand in nur einem Wort: dem zwischen "Gespenst" und "Nigger" changierenden spooks, das in der deutschen Übersetzung wortreich, aber elegant umschrieben wird als "dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen". Daß der Universitätslehrer die Hautfarbe der vermeintlich verspotteten Studenten gar nicht kennen kann, nützt ihm zu seiner Verteidigung nichts mehr. Zu plausibel scheint das Bild vom jüdischen Intellektuellen, der die Schwarzen verhöhnt, zu unglaubwürdig dann die Litanei des zum Rücktritt Gezwungenen, der sich fortan von "schwarzem Antisemitismus" verfolgt fühlt. Einmal in Verdacht geraten, erscheint der weiße Rassist schließlich auch noch als sexueller Ausbeuter. Die Liebesbeziehung zwischen dem einundsiebzigjährigen Professor und der halb so alten Putzfrau seines Colleges nimmt eine junge, ehrgeizige und verbissene Kollegin zum Anlaß für anonyme Drohungen; die Denunziationen ziehen immer weitere Kreise, und bald ist Coleman Silk von Kollegen, Freunden und Kindern verlassen.

Nur Nathan Zuckerman steht ihm bei, der fiktionale Doppelgänger des Philip Roth und Erzähler auch dieses Romans, und die Geliebte selbst. Faunia ist die analphabetische Exfrau eines Vietnam-Veteranen, der sie mit Morddrohungen verfolgt, seit ihre während eines Liebesakts mit einem anderen Mann unbeaufsichtigten Kinder in der Wohnung verbrannt sind. Und da dieser Wahnsinnige überdies nicht nur "Schlitzaugen", sondern auch Juden verabscheut, richtet sich sein Vernichtungswillen bald auch auf Coleman Silk.

So weit die wilde Farce aus Sex, Mord und Totschlag und der political correctness, die in diesem Sommer des Jahres 1998 auch sonst explodiert, in dem sich ein puritanischer Lynchmob unter der Führung des Sonderermittlers Starr zum Angriff auf das liberale Amerika aufmacht. In der bizarren Parallelaktion um Coleman und Faunia, Monica und Bill ist jede Geschichte ein Zerrspiegel der anderen; aber Gut und Böse sind doch ebenso leicht faßlich wie, nun ja, Schwarz und Weiß. Was aber, wenn der weiße Rassist selber ein Schwarzer wäre und der Jude gar kein Jude?

Nach ziemlich genau hundert Seiten beginnen die Fronten und die Identitäten zu bröckeln, und am Ende wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Denn Coleman ist "einer der schlauesten Selbsterfinder, die es je gab". Weil er als ein Schwarzer mit nahezu weißer Pigmentierung zur Welt gekommen ist und weil der Heranwachsende "nicht schwarz, nicht weiß, sondern einfach frei und er selbst" sein wollte, hat er seine Familie verraten und sich bei der Navy als Jude ausgegeben, hat als Jude eine Jüdin geheiratet, ist der erste jüdische Professor auf seinem Lehrstuhl geworden. Daß er als jüdischer Rassist attackiert und am Ende als Jude getötet wird, ist die zynische Konsequenz einer Biographie, deren erstaunlichster Zug darin besteht, daß ihr Grundzug gar nicht erfunden ist. Den Rassenwechsel von Schwarz zu Weiß hat Roth dem Vorbild Anatole Boyards nachgestaltet, jenes Starkritikers der "New York Times", dessen erst postum gelüftetes Lebensgeheimnis die physisch nicht mehr wahrnehmbare "schwarze" Abkunft gewesen ist.

Nicht nur der allgegenwärtige Rassendiskurs, der unermüdlich Pigmente zählt und Haarkrausen deutet, muß sich vor diesen Kapriolen im Gestrüpp des eigenen Wahns verfangen, sondern überhaupt die Eindeutigkeit der Identitäten und Beziehungen. Wie sich herausstellt, ist Coleman keineswegs der einzige Selbsterfinder in dieser Geschichte. Seine Geliebte, für Freund und Feind Inbegriff der durch keine Schriftkultur verdorbenen Unschuld vom Lande, wird, was für eine Analphabetin immerhin erstaunlich ist, ein umfangreiches Tagebuch hinterlassen; Ursprung ihres Rollenwechsels ist kein rassisches, sondern ein sexuelles Stigma gewesen, der Mißbrauch durch den protestantischen Vater. Auch Colemans intrigante Feindin ist bei näherem Hinsehen weder seine Feindin noch intrigant; und der Vietnam-Veteran, der rassistische Mörder, den Roth uns mit unbarmherzigem und ebendeshalb barmherzigem Detailrealismus in der Höllenangst seiner Wachträume sehen läßt, erregt nicht nur Furcht und Schaudern, sondern Mitleid. So waghalsig Roth seine Figuren am Rande der Kolportage balancieren läßt, so triumphal verwandelt er vor unseren Augen Chargen in Charaktere.

Weil es in Colemans Drama keine Nebenfiguren gibt, ist es bald nicht mehr nur Colemans Drama. Die fünfaktige Tragödie vom Sturz eines Königs, der schon im vierten Akt stirbt, weitet sich aus zu jener Comédie humaine, auf die einmal beiläufig angespielt wird. Dabei schillert das antikisierende Gewand, das Roth ihr übergeworfen hat, in grellbunten Farben. Zotenreißende Studenten erscheinen als "Chor" des Lewinsky-Dramas und rächende Feministinnen als kollektive Klytämnestra. Coleman, dessen zweiter Vorname "Brutus" lautet, findet sich am Ende so folgerichtig in der Rolle des sterbenden Julius Cäsar wieder, wie er sich vom zürnenden Achill des Anfangs in einen todgeweihten Ödipus verwandelt hat. Er ist Pan und Dionysos; den Vergleich mit Zeus weist er nur zurück, weil dieser Ehrenname nach seiner bescheidenen Meinung eher dem wundertätigen Viagra gebührte. Aber auch wenn der schlaue Selbsterfinder noch häufiger in mythischen Spuren geht, als er selber ahnen mag, so regiert hier doch kein antikes Fatum mehr, sondern die Anarchie der Fortuna. "Welcher Wahnsinnige", fragt Zuckerman einmal, "hat sich das ausgedacht?"

Es ist seine Version der Theodizeefrage, und der Roman bildet den eigenwilligen Versuch einer Antwort. Seit jener traumatischen Nacht, in der eine weiße Prostituierte den weißen Navysoldaten als "echten schwarzen Nigger" hinausgeworfen und dann die Militärpolizei dem auf der Straße Liegenden die Worte "U.S. Navy" in den Oberarm tätowiert hat, trägt Coleman dieses Zeichen "seines Heldentums und seiner Schande" als Inschrift am eigenen Leib, Auszeichnung und Stigma zugleich. Seither plagt ihn "die Angst, demaskiert zu werden, und die Sehnsucht, erkannt zu werden: ein echtes Dilemma". Das Dilemma aufzulösen, zu erkennen, ohne zu demaskieren: davon handelt dieses Buch.

Indem die Tiefenschärfe dieser Porträts keine Ab- und Untergründe verborgen läßt, zeigen sie, wo die Dämmerungszone der letzten Geheimnisse beginnt. Roth folgt dem Modell des analytischen Dramas, aber in Schraubendrehungen, die in unauslotbare Vorgeschichten zurückführen: Es könnte immer noch einmal anders gewesen sein. Weil die Identitäten so brüchig sind, zögert der Erzähler die Identifikation seiner Figuren immer wieder irritierend hinaus. Seitenweise hören wir jemanden reden oder denken und sind gezwungen, uns irgendwie einen Reim auf diese "er" und "sie" zu machen; wenn wir dann zum Pronomen einen Namen erfahren, ist er nicht mehr nur des Rätsels Lösung, sondern zugleich sein Anfang. Dieser Roman ist eine Schule im Möglichkeitsdenken.

Leider, leider verliert Roth gegen Ende etwas von der Beherrschung, mit der er bis dahin Realismus und Parabel in schöner Balance gehalten hat, und zerredet seine Geschichte. Wenn die in ihr Stigma eingesperrte Faunia einen Monolog an eine eingesperrte Krähe richtet und mit den Worten "Du bist mein Schicksal" auch kurzsichtigste Leser auf das Gleichnis hinweist, wenn sie schließlich diesem verwunschenen Prinzen auch noch einen Heiratsantrag zuflüstert, dann ist mit dem bis dahin so sicheren Taktgefühl auch die Wirkung der Szene dahin. Zwar ist es wunderbar, daß ein Zuckerman mit amerikanischer Grandezza von der "Rhapsodie des Lebens" reden kann. Wie jede Unschuld, so nutzt sich auch diese bei zu häufigem Gebrauch ab. Daß "das Herz der menschlichen Finsternis unerklärlich" und "die Wahrheit über uns unendlich" sei, wird Lesern mitgeteilt, die ebendies doch längst als Bauprinzip dieser unendlichen Geschichte begriffen haben.

Auch die Zwillinge Anapher und Epipher, die in einem unbeachteten Moment aus dem Lehrbuch der Rhetorik in Roths Prosa gesprungen sein müssen, treiben ein manchmal ermüdendes Spiel. Es ist dieses Spiel mit der monotonen Wiederholung eines Wortes, dieses Spiel mit dem immer wiederholten Einsatz, dieses entnervende Spiel mit der variierenden Umschreibung, das auch als Spiel mit immer denselben Schlußworten auftauchen kann, als wiederholtes Echo auftauchen kann, bis zum Überdruß wieder auftauchen kann. Daß fast alle Figuren früher oder später in diesem Ton denken, beschädigt ihre Glaubwürdigkeit stärker als jede biographische Volte.

Das sind Schönheitsflecken, nicht mehr. Mit diesem Buch hat Roth endgültig The Great American Novel geschrieben, die Tragikomödie seines Landes im späten zwanzigsten Jahrhundert. Da darf Zuckermans Satz, Sex sei "die erlösende Verschmutzung", die "uns immer wieder daran erinnert, aus welchem Stoff wir gemacht sind", auch für den Roman gelten, in dem er steht. Dies ist ein großes Kunstwerk noch mit seinen Flecken und Rissen. Daß es selbst nicht unbefleckt ist vom menschlichen Makel, gehört zur Comédie humaine.

Philip Roth: "Der menschliche Makel". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2001. 400 S., geb., 24,90 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr