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Ein Foto dokumentiert den Beginn der Unruhen an deutschen Hochschulen: Zwei Studenten tragen vor Professoren in vollem Ornat ein Plakat: "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren." Die Akteure dieser revolutionären Bewegung sind als 68er in lebhafter Erinnerung. Uwe Wesel, der als Vizepräsident der FU Berlin die Auseinandersetzungen an dieser Universität hautnah miterlebte, schildert mitreißend, aber auch mit ironischem Abstand das hektische Geschehen jener Jahre und analysiert, welche Auswirkungen diese Revolution auf die deutsche Politik bis heute hat. Es war was los an deutschen…mehr

Produktbeschreibung
Ein Foto dokumentiert den Beginn der Unruhen an deutschen Hochschulen: Zwei Studenten tragen vor Professoren in vollem Ornat ein Plakat: "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren." Die Akteure dieser revolutionären Bewegung sind als 68er in lebhafter Erinnerung. Uwe Wesel, der als Vizepräsident der FU Berlin die Auseinandersetzungen an dieser Universität hautnah miterlebte, schildert mitreißend, aber auch mit ironischem Abstand das hektische Geschehen jener Jahre und analysiert, welche Auswirkungen diese Revolution auf die deutsche Politik bis heute hat. Es war was los an deutschen Universitäten: Erst demonstrierten Studenten gegen den verkrusteten Verwaltungsapparat der Professorenschaft, erkämpften Mitspracherecht und grundlegende Änderungen im universitären Betrieb. Dann aber wurden die Demonstrationen politischer: Die Ausschreitungen der "Jubelperser" während des Schahbesuchs in Berlin, die Tötung von Benno Ohnesorg, das brutale Vorgehen der Polizei, unterstützt und gutgeheißen von der in Berlin dominierenden Springer-Presse, mobilisierten die Studentenschaft. Die Aufbruchsstimmung wurde gelenkt vom SDS, und als ihr bedeutendster Wortführer, Rudi Dutschke, von einem jungen Mann aus dem rechten Lager niedergeschossen wurde, zogen Tausende durch Berlin, Frankfurt und andere Universitätsstädte. Uwe Wesel lässt diese Jahre, die die Republik nachhaltig veränderten, Revue passieren. Er verknüpft historische Fakten mit eigenen Eindrücken von markanten Ereignissen und Personen und beschreibt genauso präzise wie amüsiert das ganze Umfeld dieser Zeit, in den Kommunen und Wohngemeinschaften, Kinderläden und antiautoritäre Erziehung zu heftigen Streitgesprächen führten. Er hat den Bogen seiner Betrachtung weit gespannt: Studentische Proteste in Deutschland und den USA, die Krawalle beim Pariser Mai, Notstandsgesetzgebung und Berufsverbot, Hausbesetzerszene und die RAF - vor unseren Augen entsteht das Panorama einer Zeit von explosiver Bedeutung.

Autorenporträt
Uwe Wesel, geboren 1933 in Hamburg, Studium der Klassischen Philologie und der Rechtswissenschaften. Von 1968 bis zu seiner Emeritierung im März 2001 Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht an der Freien Universität Berlin. Mitglied des P.E.N. Zahlreiche Publikationen und Mitarbeit bei Fachzeitschriften, der SDZ und der ZEIT. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Trau keinem
unter dreißig
Die Studentenrevolte hat sich
bis heute ihren Charme bewahrt
Weil dieser Tage so viel von Antiamerikanismus die Rede ist, sei hier an den Anfang ein Zitat aus Wesels Buch gesetzt, das zeigt, wie stark gerade die immer wieder des Antiamerikanismus verdächtigten 68er sich an den USA orientierten: „Das Ende der Weathermen (einer terroristischen Gruppierung in den USA; die Red.) war das Ende der amerikanischen Studentenrevolte. Diese Revolte hat in erstaunlicher Weise Vorbildcharakter für die europäische gehabt. Sit-ins und Teach-ins, Streiks und Besetzungen, antiautoritäre Basisdemokratie, kritische Universitäten, die Regel ‚Trau keinem über dreißig', der Kampf gegen den Vietnamkrieg, Maoismus, Marxismus-Leninismus, letztlich auch die Frauenbewegung und dann noch der Übergang in den Terrorismus. Alles hat dort angefangen.”
Diese Stelle befindet sich am Ende des informativen Kapitels über die Studentenrevolte in den Vereinigten Staaten, von der Uwe Wesel meint, dass sie im ganzen erfolgreicher war als ihr deutscher Ableger – ein Urteil, das angesichts der bis heute unge-brochenen Kraft des amerikanischen Kapitalismus und der zahlreichen Einschränkungen demokratischer Rechte in den USA nach dem 11. September 2001 nicht unbedingt einleuchtet.
Der Autor, selbst in den 60er und 70er Jahren zunächst in München, dann – als Hochschullehrer und stellvertretender Präsident der Freien Universität in Berlin – durchaus engagiert mitten in den Geschehnissen, blieb dennoch stets skeptisch auf Distanz zu den emphatischen Verkündern der Revolution. Das ermöglicht es ihm, einen durchaus mit persönlichen Erfahrungen unterlegten Bericht ohne peinliche Abschwör-Rituale, aber auch ohne nachträgliche Rechthaberei zu geben.
Entspannt und mit Sinn auch für die komischen Aspekte der Revolte, immer knapp und ohne die gerade bei diesem Thema so häufig anzutreffende Veteranengeschwätzigkeit schildert er ihren Verlauf, ihre Motive, ihre berechtigten Anliegen und ihre Torheiten, ihre Erfolge und Misserfolge. Am Ende steht dann das Fazit, dass der durch die Bewegung beförderte Modernisierungsschub trotz allem für die Bundesrepublik unter dem Strich durchaus vorteilhaft war.
Dass die Studentenrevolte wesentlich dazu beigetragen hat, aus der Bundesre-publik Deutschland eine – alles in allem – normale westliche Demokratie werden zu lassen, ist die eine Seite der Geschichte, die von ihren Gegnern allzu gern unterschlagen wird. Umso mehr Aufmerksamkeit widmen sie seit je der anderen Seite der Revolte, ihrem weltfernen Dogmatismus und dem Abgleiten in den Terrorismus.
Hasch und lange Haare
Bei Uwe Wesel kommen beide Seiten zur Sprache: die berechtigte Empörung über Bigotterie und obrigkeitsstaatliches Gehabe, die sich auch in der Reformpolitik der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt niederschlug, und die sektiererische Unduldsamkeit, die Jürgen Habermas einmal zu dem – später revidierten – Verdikt vom„linken Faschismus” veranlasste.
Wesel, als Jurist mit den strafrechtlichen Aspekten der damaligen Aktivitäten genauestens vertraut, zeichnet den Weg in die Gewalt von den ersten Flugblättern der Haschrebellen und der Roten Armee akribisch nach. Der leichtfertige Umgang mit dem Thema Gewalt, die bei vielen Gruppen übliche Übertragung der Konfliktmuster von Befreiungskämpfen in der Dritten Welt auf die Auseinandersetzungen in westlichen Demokratien, der Avantgardedünkel selbst ernannter Berufsrevolutionäre und die Verachtung liberaler Diskursregeln und demokratischer Umständlichkeiten – das alles hat nach Wesel den gewaltsamen Verirrungen den Weg geebnet.
Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, was gerade heute zu bedenken wäre, da die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus auch in Deutschland erneut übertriebene und rechtsstaatlich bedenkliche Reaktionen ausgelöst hat. Wesel belegt in seinem Buch sehr genau, dass es die mangelnde Souveränität des Staates im Umgang mit Kritik, vor allem aber polizeiliche und administrative Überreaktionen waren, die das Abgleiten eines Teils der Bewegung in den Terrorismus mitbefördert und ein breites Sympathieumfeld haben entstehen lassen: „27 Jahre Terrorismus in der Bundesrepublik. Das war 1970 völlig unvorstell-bar. Einer der Gründe, dass dieses damals Undenkbare möglich wurde, war ständiges staatliches Fehlverhalten, übermäßige Härte von Gerichten und in den Gefängnissen. Das Ergebnis waren 72 Tote, davon 29 Mitglieder der RAF, und eine zunehmende Verhärtung des innenpolitischen Klimas.”
Dass eine solche Aussage nicht bei allen Lesern auf Zustimmung stoßen wird, ist abzusehen. Aber auch, wer in einzelnen Einschätzungen dem Autor nicht folgt, wird dieses Buch mit Gewinn lesen können, weil es in verständlicher Sprache und mit sympathisierender Fairness ein Bild einer Epoche zeichnet, die wie kaum eine andere in der Geschichte der Bundesrepublik zum Gegenstand – nicht selten parteipolitisch geprägter – konkurrierender Deutungen geworden ist.
JOHANO STRASSER
UWE WESEL: Die verspielte Revolution. 1968 und die Folgen, Blessing Verlag, München 2002. 240 Seiten, 22,90 Euro.
Der Rezensent ist Schriftsteller und Präsident des Deutschen PEN-Clubs.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Ein Augenzeugenbericht
Uwe Wesel war, wie er selber schreibt, wohl etwas unbedarft, als er, frisch in Rechtswissenschaft habilitiert, aus München an die FU nach Berlin kam. Denn er hatte in einem "der besten Winkel der guten alten Ordinarienuniversität" studiert - weit ab vom "Hexenkessel der Studentenrevolte". Um so heftiger sollte er 1968 und die Folgen erleben, wie seinem Buch Die verspielte Revolution nun zu entnehmen ist.
Der Professor mag die APO
Als ehemaligem Augenzeugen gelingt es Wesel außerordentlich gut, die Anfänge der 68er-Bewegung nachzuzeichnen. Er lässt die Zeit des SDS, der Diskussionen im Audimax, der Kinderläden und der WGs noch einmal Revue passieren. Mit viel Humor reflektiert er dabei sein eigenes "Doppelleben": Als Professor sitzt er abends mit Kollegen im dunklen Anzug beim gepflegten Essen, aber viel wohler fühlt er sich am Stammtisch der APO in der Eckkneipe "Herta".
Von der APO zu Rot-Grün
Wesel erzählt die ganze Geschichte der 68er-Revolution: Aufstieg, Ausformung, Niedergang und Folgen. Er schildert die Sponti-Szene in Frankfurt um Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit genauso wie die Baader-Meinhoff-Gruppe, die Friedensbewegung, die Zeit der Hausbesetzungen in Berlin und schließlich auch die heutige Regierungskoalition, denn: "Ohne die APO würde es die Grünen nicht geben, und ohne Grün kein Rot-Grün". Abschließend versucht Wesel eine Bewertung, und schon der Titel seines Buches drückt aus, dass er der 68er-Bewegung mehr innovative Kraft zugetraut hätte. Aber, so Wesel auf der letzten Seite: "Der Kampf ist noch nicht zu Ende".
(Eva Hepper, literaturtest.de)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2002

Wanze in der WG!
1968 und danach: Emeritus Wesel rekonstruiert verständnisvoll die turbulenten Zeiten

Uwe Wesel: Die verspielte Revolution. 1968 und die Folgen. Karl Blessing Verlag, München 2002. 352 Seiten, 21,90 Euro.

Uwe Wesel, 1933 in Hamburg geboren, war von 1968 bis 2001 Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht an der Freien Universität Berlin. Eher zufällig gelangte er kurz nach seiner Ankunft an ihre Spitze. In den Wirren des universitären Umbruchs fragte ihn am Ende eines ergebnislosen Sitzungsmarathons ein studentisches Mitglied der "Roten Zelle Romanistik"/"Rotzrom", ob er nicht Erster Vizepräsident werden wolle. "Ich dachte nach, etwa 50 bis 60 Sekunden, über Vor- und Nachteile, wußte, daß nun die verdammten Abendeinladungen zu den Kollegen am Freitag sofort aufhören, ich aber auch nie wieder einen Ruf an eine andere Juristenfakultät erhalten würde, nahm beides in Kauf und sagte: ,Ja, wenn die Gruppe (linker Professoren) einverstanden ist, die mich hierhergeschickt hat.'" Sie war es, und so wurde er von 1969 bis 1973 der entscheidende Mann im FU-Präsidialamt, zuständig beispielsweise für Berufungen und Bleibeverhandlungen. Nach meinem damaligen Eindruck trug er sehr geschickt auf beiden Schultern. Den Professoren versicherte er, daß es nur ihm zu verdanken sei, wenn die Universität nicht im Chaos versinke (tatsächlich konnte ich mich nicht über ihn beklagen; denn obwohl wir hochschulpolitische Gegner waren, hat er mich fair behandelt). Gleichzeitig gab er linken Studentenkadern, die damals den Ton angaben, zu verstehen, nur mit ihm könne die Revolte zur Revolutionierung der Verhältnisse vorangetrieben werden.

"Die verspielte Revolution" ist jedoch nicht das Thema des Buches, sondern nur der Titel des nachdenklich abwägenden Schlußkapitels. Wesel hat nach der Emeritierung seine Rolle in jenen turbulenten Zeiten verständnisvoll rekonstruiert. Er versetzt den Leser in die damaligen absurden Verhältnisse, skizziert Hauptpersonen wie Rudi Dutschke, Hans-Jürgen Krahl oder Dieter Kunzelmann, beschreibt nachsichtig und distanziert die rohen und gleichzeitig unernsten Verhaltensweisen jener Tage. "In der ,Herta' habe ich den Stolz der Helden erlebt, die vormittags Sieger geworden waren gegen die Polizei . . . bei der ,Schlacht am Tegeler Weg', Montag, 4. November 1968. Die APO mit Blauhelmen, Pflastersteinen und verstärkt durch brutale Rocker aus dem Märkischen Viertel, die völlig überraschten Polizisten in normaler Dienstkleidung mit den alten Tschakos. Die Sieger kamen ins Lokal, wurden gefeiert, die Stimmung stieg, ich drückte auf der Musikbox den Knopf mit der ,Internationalen' und dachte, die haben einen Knall."

Nicht nur das. Einige haben ihr Leben verspielt, viele, viele haben unwiederbringliche Jugendjahre sinnlos, aber fröhlich vergeudet. Wesel berichtet aus seiner WG: "Sie lebten in den Tag hinein und gingen gern ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, die allgemein üblich war unter Revolutionären: . . . Sie klauten. Sie klauten in Buchläden, besonders gern Lebensmittel in Supermärkten und in den Kaufhäusern auch anderes, was nützlich war. Ich nahm das hin, denn es gab keine Pflicht zur Erstattung von Strafanzeigen wegen Diebstahls . . . Wenn ich morgens um halb neun zur U-Bahn ging, auf dem Weg in die Vorlesung, schliefen die Revolutionäre natürlich noch, und ich beneidete sie. Wenn ich gegen elf zurückkam, waren sie immer noch nicht aufgestanden, und selbst dienstags um halb zwei, ich wieder auf dem Weg in die Übung, waren sie noch in den Federn. Aber abends voll solidarisch mit der Arbeiterklasse und ab und zu versteckte Hinweise auf meine privilegierte Stellung als Hochschullehrer und Klassenfeind. Nun ja, das war zu ertragen. Sie waren lieb und nett. Ich räumte die Küche auf. Auch im Badezimmer versuchte ich es . . . Dann aber lief mir morgens ein kleines Tier auf den Fliesen entgegen. Eine Wanze? Schwarz, eklig und sehr langsam. Das war's. Ich suchte eine eigene kleine saubere Wohnung . . . und zog aus, obwohl es dort bei weitem nicht so malerisch war wie in dieser schönen WG."

ARNULF BARING

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Natürlich ist über 68 schon alles geschrieben, gesagt, gehört worden, meint Rezensent Stefan Reinecke. Bei allen im Moment aufflackernden Abrechnungsversuchen mit den Revolution spielenden Rebellen herrsche längst Common sense darüber, so Reinecke, dass mit 68 der "Geist des Egalitären und Liberalen" unwiderruflich in die deutsche Gesellschaft eingesickert ist. Grundlegend Neues oder extravagante Deutungen wird man daher vergebens in diesem Buch suchen, meint Reinecke, der dies aber auch gar nicht vermisst. Ihn hat die Perspektive beeindruckt, von der aus Wesel erzählt: die des interessierten Zuschauers, der mit der Bewegung sympathisiert, "ohne ihre Hybris zu teilen". Dabei mische sich den großen Erzählungen über die Revolte ein neuer "freundlicher" Ton bei, ironische Distanz und Sinn für Pointen. Mehr davon und mehr Leute wie Uwe Wesel, meint Reinecke, hätten vielleicht die eiserne Mechanik der damaligen Auseinandersetzungen durchbrechen können. So hat Wesel mit "Die verspielte Revolution" nicht unbedingt ein notwendiges Buch geschrieben, schließt Reinecke, aber doch ein lesenswertes.

© Perlentaucher Medien GmbH