Produktdetails
  • Verlag: Konkret Literatur Verlag
  • Seitenzahl: 157
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm x 135mm x 16mm
  • Gewicht: 255g
  • ISBN-13: 9783894581985
  • ISBN-10: 3894581980
  • Artikelnr.: 09544961
Autorenporträt
Peter Hacks, 1928 2003, Dramatiker, Lyriker, Essayist und Kinderbuchautor. Hacks erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Nationalpreis der DDR I. Klasse, den Heinrich-Mann-Preis und den Deutschen Jugendliteraturpreis für sein Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2001

Konterrevolution der Romantik
Ars non olet: Peter Hacks enthüllt, weshalb die DDR unterging

Kein kommunistischer Schriftsteller dürfte unter Linken so unbeliebt sein wie Peter Hacks. Schuld daran ist vor allem sein höhnischer Kommentar zur Ausbürgerung Biermanns und zu dessen Gastgeber Heinrich Böll, der sich mit den Augen eines Thurber-Hundes darüber verwundere, daß Konterrevolution in sozialistischen Ländern verboten sei. Das hat ihm die Linke bis heute nicht verziehen. In der Sottise kam ja eine Verachtung all dessen zum Ausdruck, was den Sozialismus für die westliche Mainstream-Linke attraktiv machte: der rebellische Geist, die humanitären Ideen, die irgendwie unklaren Verhältnisse.

Hacks schätzte dagegen am Kommunismus das glatte Gegenteil: den Staat. Ein sozialistischer Staat wie die DDR habe keinen Bedarf mehr an neuen Revolutionen und könne sich in aller Ruhe auf die Ausbildung einer postrevolutionären Klassik konzentrieren. Alles andere sei "Romantik" und mithin verächtlich.

Niemand, der mit Hacks' Werk vertraut ist, konnte annehmen, daß seine Haltung durch den Zusammenbruch jenes Staates, der den Unterbau seiner ästhetischen Ansichten bildete, eine wesentliche Revision erfahren würde. Und tatsächlich präsentiert Hacks nun unter dem unscheinbaren Titel "Zur Romantik" einen systematischen Überblick über seine Verschwörungstheorien, der an Bosheit, Aberwitz und logischer Stringenz alle früheren Einlassungen noch übertrifft. Kurz zusammengefaßt hält Hacks die "Konterrevolution von 1989" für das gemeinsame Werk zweier sowjetischer Geheimdienste und "auch wohl" des ihnen unterstellten Staatssicherheitsdienstes der DDR; vorbereitet und in Szene gesetzt worden aber sei sie durch romantisch infizierte Künstler. Die "Romantik" erscheint als der Inbegriff der Destruktion, des Furchtbarsten also, was der Kunst, dem Sozialismus oder einem Staat passieren kann: "Das erste Auftauchen der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobenhaken eines Vorzimmers. Ein von der Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen."

Es geht in diesem bemerkenswerten Essay also um den engen Zusammenhang von Romantik, Konterrevolution und Geheimdienst. Durchgeführt wird das Thema vor allem anhand der deutschen Romantiker zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, die Hacks allesamt im Dienst der antinapoleonischen Fronde und insbesondere des britischen Secret Service sieht. Nur jene Hypothesen erscheinen ihm dabei stichhaltig, die einen genügend großen Schuß Paranoia enthalten. Sehr plausibel kommt ihm zum Beispiel die Theorie des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Otto W. Johnston vor, der Kleists Selbstmord auf Mißverständnisse mit seinem Führungsoffizier Karl Justus Gruner zurückführt. Gruner habe Kleist weisgemacht, seine Geheimdiensttätigkeit für das Foreign Office werde vom preußischen Regierungschef, August von Hardenberg, gebilligt; als Kleist erkennen mußte, daß Hardenberg in Wirklichkeit auf der Gegenseite stand, er selber also "karrieretechnisch umsonst gedichtet" hatte, machte er Schluß. Ähnlich verstrickt in gegenbonapartistische Umtriebe und Geheimdienste wähnt Hacks Fichte, Schleiermacher und Arndt, geschart allesamt um die "Zahlstelle" des Freiherrn vom Stein; die deutschen Romantiker erscheinen ihm komplett als Einflußagenten der englischen Regierung.

Dabei weist Hacks das Mißverständnis weit von sich, Agententätigkeit allein könne die Literatur diskreditieren. Hier kommt ein Unterthema des Essays zum Tragen, der Komplex Literatur und Stasi. Laut Hacks wird alle Dichtkunst, die etwas wert ist, von Geheimdiensten bezahlt, ob vom französischen oder vom englischen, ob vom KGB oder vom CIA; umständlich, wenngleich nicht völlig stringent erläutert Hacks, weshalb man annehmen muß, daß Wieland und Goethe zum Beispiel auf der Gehaltsliste der französischen Dienste standen. Es kommt also nicht auf das Geld, sondern auf die Qualität an: "Ein Kunstwerk, wenn es nur schön ist, stinkt nicht."

Vor allem aber entscheidet sich das Urteil über die Romantik an den Inhalten. Daß die deutschen Romantiker von den Engländern abgeschrieben haben, daß sie allesamt opiumsüchtig, sexuell abhängig und gewohnheitsmäßig auf unbegründeten Reisen waren, all diese vom Autor mehr in kunstvollster Polemik behaupteten als bewiesenen Umstände sagten noch nichts, wenn nicht das Entscheidende hinzukäme: Sie stehen auf der Seite der "Unvernunft". Hacks macht sich vorbehaltlos Goethes Diktum zu eigen: "Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke". Romantik ist also krank, subjektiv, abstrakt; sie ist willkürlich, beliebig, formzertrümmernd, abweichlerisch ("alle Abweichungen sind grundsätzlich dümmer als die Regel"). Politisch, so kann Hacks anhand der Romantik-Kampagne Fühmanns in der DDR der siebziger Jahre zeigen, tendiert sie daher zum "Pluralismus", was den Autor nicht eben geneigter stimmt: "Das Trickwort Pluralismus hat einen genauen deutschen Sinn. Pluralismus, das bedeutet die Alleinherrschaft der schlechten Seite."

Unschwer zu erkennen, daß Romantik im Hacksschen Sinn ein anderes Wort für Moderne ist, sofern damit auch Zweifel, Unsicherheit, Anarchie, eben: Krankheit ausgedrückt ist. Nicht zufällig erscheinen nach einem Passus, der die Mittelmäßigkeit der Künstler mit der Mittelmäßigkeit der ihnen zujubelnden Menge in Beziehung setzt, kommentarlos in einer eigenen Zeile: "Beuys, Warhol, Beckett." Nach dem Vorangehenden weiß der Leser schon, was er von denen zu halten hat. Kein Wunder also, daß Hacks auch unter den nichtsozialistischen Moderne-Verächtern längst ein Geheimtip ist. Aber sie sollen sich nicht täuschen. Der typische Hacks-Sound, eine mit Goethe und Stalin gleichermaßen betriebene Hyper-Affirmation des Klassischen, ist selber viel zu grell, einem Warhol-Bild nicht unähnlich, um als klassisch durchgehen zu können. Hacks läßt sich zwar bei keiner offenkundigen Schwäche oder gar Ironie erwischen; aber die Souveränität, mit der er die entlegensten Standpunkte behauptet, kommt so forciert daher, daß sie schon wieder Verdacht erregt. Unwillkürlich vermutet man etwas Gefährdetes, ja fast, ohne dem Autor zu nahe treten zu wollen, Romantisches, um nicht zu sagen: Sympathisches dahinter.

MARK SIEMONS

Peter Hacks: "Zur Romantik". Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2001. 157 S., geb., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2001

Gegen den harten Kern der Richtung
Bereit, sich alle und jeden zum Feind zu machen, polemisiert Peter Hacks: „Zur Romantik”
Zum 200. Todestag von Novalis schrieb Karl Heinz Bohrer in der Neuen Zürcher Zeitung (24./25. März 2001), dass dieser romantische Dichter in
seinem Werk „nicht die logische Struktur des gedachten Begriffs” erfassen wollte, „sondern die Zustände eines noch nicht gedachten Seins”. Bis heute sei Novalis geblieben, „was sich in seinem Dichternamen verbirgt: zu erforschendes poetisches Neuland jenseits der einschlägigen Weltanschauungen und Ideologien”.
Das sind zwei ineinander verkeilte Aussagen, deren Nebelhaftigkeit sich auflöst, betrachtet man sie getrennt voneinander. Die eine macht das Eingeständnis, dass bis heute niemand recht verstanden hat, was die Poesie des Novalis auszeichnet, die andere will uns dessen ungeachtet versichern, dass Novalis auf keinen Fall ein Ideologe gewesen sei. Positiv gewendet: Er war ein Ideologe und nicht viel mehr. Das wussten die Fachleute seiner Zeit schon. Hegel sprach mit Blick auf diesen Fall „von der bloßen Sehnsüchtigen des Gemüts”, welche „zu dieser Schwindsucht gleichsam des Geistes hinaufgeschraubt wurde”. Immerhin verfasste Novalis unter dem Titel Die Christenheit oder Europa ein an Edmund Burke angelehntes Pamphlet gegen die Französische Revolution und für den christlichen Ständestaat.
Diese Vorbemerkung soll andeuten, dass nicht unbekannt ist, wovon Peter Hacks spricht, wenn er zum wiederholten Mal der Romantik einen literarisch niederen, politisch aber exponierten Platz zuweist, und dass es Karl Heinz Bohrer wie anderen heutigen Laudatoren des Novalis einige Mühe macht, die ihnen bekannten Tatsachen zu vernebeln.
Zum wiederholten Mal, das bezieht sich auf Hacks’ 1989 erschienenes Buch Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskreis, worin er, zu spät, der SED vorhielt, sich auf die national-revolutionäre Tradition der romantischen Freiheitskrieger à la Jahn und Arndt eingelassen zu haben, bezieht sich aber auch auf Schriften des Autors aus den früheren Zeiten der DDR, die er im vorliegenden Band mehrfach zitiert.
Zur Romantik ist eine Polemik ohne Rücksicht. Leicht ließe sich sagen, sie sei maßlos. Noch Stalins Agitation gegen Trotzki sucht Hacks für seine Sache zu reklamieren und zu dem Zweck, alle und jeden sich zum Feind zu machen. Wer sich in diese Front nicht stellen lässt, wird hier sein Vergnügen finden – Kant nennt es „das Gefühl der Beförderung des gesamten Lebens der Menschen”.
„Ganz alte Kamellen”
Die Literatur und ihre Autoren, die Hacks behandelt, bewegen sich im Zeitalter der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege, einer Epoche, deren Echo bis heute in den Debatten über die Staatsbürgerschaft zu vernehmen ist. Die Argumente wurden seinerzeit aufgebaut. Für Hacks gilt es als erwiesen, dass die Romantiker – er nennt sie eine „Fronde” und sieht in „der politischen Romantik” den „harten Kern der Richtung und des Begriffs” – für den nationalistischen Ton unserer Kultur stehen, wie Heine, er zitiert ihn, sagte: „Die romantische Schule ging damals Hand in Hand mit dem Streben der Regierungen und geheimen Gesellschaften...”
Einer von Hacks Gewährsleuten, Otto W. Johnston, schrieb in seinem 1990 erschienenen Buch über den deutschen Nationalmythos:
„In den Jahren zwischen 1807 und 1813/14 forderte eine durch Großbritannien finanziell unterstützte Fraktion der preußischen Staatsführung jene durch Schriftsteller ausgeschmückte und promulgierte mythopolitische Struktur..].Die politisch aktiven Schriftsteller im besetzten Preußen trugen zu der Gestaltung einer geradezu subversiven Sinnesart bei, indem sie den preußischen Untertan aufforderten, sowohl von der offiziellen Friedenspolitik des Königs als auch von einer naiv begeisterten oder indifferenten Haltung Frankreich gegenüber Abstand zu nehmen.”
Dass der englische Geheimdienst den einen oder anderen dafür bezahlte, hält Hacks für gesichert und verurteilt es nicht. Für erwiesen hält er auch, dass die deutsche Klassik „zur französischen Abwehr” in einem „engen Verhältnis” stand. Er verurteilt nicht das Geld, nicht die Führungsoffiziere welcher Dienste immer, nicht die Tatsachen. Er verurteilt die Richtung, die die Romantiker einschlugen. Es ist gewöhnlich, wenn in der Gegenwart – man denke an den Prenzlauer Berg – Schriftsteller gescholten werden, weil sie mit dem Staat gemein wurden, ungewöhnlich ist es, sich solche Einsichten im Blick auf vergangene Zeiten zu bewahren. Hacks’ Betrachtungen sind selbstverständlich aus gegenwärtigen Erfahrungen gespeist, andernfalls ließen sich vergleichbare Dokumente der Vergangenheit gar nicht lesen. Die Anatomie des Menschen erhellt uns die des Affen, nicht umgekehrt.
Karl Heinz Bohrer fand in Novalis’ Texten auch „die Urkunde des subjektorientierten Modernismus oder der modernen Subjektpriorität”. Andere nennen das Neoliberalismus, auf jeden Fall wird Hacks ihm zustimmen können, einschränkend mit der Bemerkung, „die Romantik im gegenwärtigen Weltaugenblick, das sind ganz alte Kamellen”, aber in der Einsicht, dass „ein von der Romantik befallenes Land die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen” sollte. Hacks argumentiert mit leichtem, Einschlag Nicolaiischer Aufklärungsprüderie, vor allem aber ist er Goetheaner und damit zurzeit etwas einsam, selbst wenn laut Umfrage der Bildzeitung die Deutschen für den Stolz auf sich selbst im dritten Grund nach den Alpen und der Verfassung Goethe nennen. Die subjektzentrierte Welt der Gegenwart ist romantisch. THOMASNEUMANN
PETER HACKS: Zur Romantik. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2001. 158 Seiten, 39Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Jochen Hörisch ist stocksauer über dieses Buch des 1977 in der DDR mit dem Nationalpreis I. Klasse ausgezeichneten Peter Hacks. Hörisch kann das Gelesene kaum fassen, noch schlechter verdauen. Damit der Leser seinen Verdruss nachvollziehen kann, reiht er, nach Vorwarnung, ein Zitat ans andere aus diesem "schockierenden Buch" über die Romantiker. Die waren nach Hacks, berichtet der sprachlose Rezensent, sämtlich opiumsüchtig und vom britischen Secret Service finanziert. Wenn sich da nicht eine unfreiwillige Komik einstellen würde, erzählt der Rezensent über sein Leseerlebnis, könnte man sich angesichts der "dummdreisten Brutalitäten" des Autors nur noch "erbrechen". Angefangen hatte alles, nach Hacks, bei Sokrates, der im Dienste der Perser gestanden habe. Abgesehen davon, dass Hörisch die hier vorgetragenen Thesen mehr als abenteuerlich findet, zeigt er sich zutiefst schockiert über Hacks Sprache, in der von "Auschwitzung" des romantischen Gifts die Rede sei, oder von der "Lagerhure" und dem "Judenmädchen" Rahel Varnhagen. Solcherart Entgleisungen sind für den Rezensenten denn nicht weniger als eine "widerliche" "faschistische Hetzschrift", an der allenfalls noch erstaune, wie "mutwillig direkt" sie sich "aus dem Stilreservoir des Stürmer" bediene.

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