Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 3,29 €
  • Gebundenes Buch

Erich Mühsams "Unpolitische Erinnerungen", die als Feuilletonserie erstmalig 1927-1929 in der Berliner Vossischen Zeitung erschienen, sind ein Panorama des literarischen Lebens während der vorigen Jahrhundertwende. In Anspielung auf Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen handelt es sich hier um unpolitische Erinnerungen eines Politischen. Mühsam, selbst der "Prototyp des Caféhausliteraten", zeichnet mit liebevoller Ironie und freundschaftlicher Zuneigung ein Bild der Boheme als "Brutstätte" kultureller Innovation.
In lockeren Bildern, Szenen und Rückblenden zeigt Erich Mühsam, neben
…mehr

Produktbeschreibung
Erich Mühsams "Unpolitische Erinnerungen", die als Feuilletonserie erstmalig 1927-1929 in der Berliner Vossischen Zeitung erschienen, sind ein Panorama des literarischen Lebens während der vorigen Jahrhundertwende. In Anspielung auf Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen handelt es sich hier um unpolitische Erinnerungen eines Politischen. Mühsam, selbst der "Prototyp des Caféhausliteraten", zeichnet mit liebevoller Ironie und freundschaftlicher Zuneigung ein Bild der Boheme als "Brutstätte" kultureller Innovation.

In lockeren Bildern, Szenen und Rückblenden zeigt Erich Mühsam, neben dem eigenen, den Lebensweg einer ganzen Generation von Literaten und Künstlern in ihrer gemeinsamen Suche nach neuen Ausdrucks- und Lebensformen. Mühsam führt den Leser in die Ballungszentren der Boheme nach Schwabing, Berlin, Wien, Paris und Ascona, in Kaffeehäuser und Kabaretts, in Kegelclubs und Ateliers; erzählt, wer mit wem verkehrte, wer zu welchem Kreis gehörte, wer an welchem Stammtisch saß, wer sich an welchen festlichen Veranstaltungen beteiligte und wer von wem vor die Tür gewiesen wurde oder diese erbost laut zuknallen ließ. Mühsam kannte sie alle: Franziska zu Reventlow, Peter Altenberg, Roda Roda, Ferdinand Hardekopf, Karl Kraus, Emmy Hennings, Otto Gross, Stefan George, Frank Wedekind, Egon Friedell, Wilhelm Bölsche, Peter Hille, Edvard Munch, Else Lasker-Schüler, Paul Scheerbart ...
Die Unpolitischen Erinnerungen sind ein lebendiges Zeugnis für "eine der interessantesten Epochen unserer Literatur", sie sind ein Vademekum durch das kulturelle Leben um 1900.

Erich Mühsam, geb. 1878 als Sohn eines Apothekers in Berlin. Übersiedlung der Familie nach Lübeck, dort Apothekerlehre. 1898 erste literarische Veröffentlichung. Als kämpferischer Anarchist beteiligte er sich aktiv an der sozialen Bewegung. Wegen seiner Beteiligung an der bayerischen Räterepublik Verurteilung zu fünfzehn Jahren Festung und nach der Begnadigung 1924 Ausweisung aus Bayern. Mühsam wird nach dem Reichstagsbrand verhaftet und im Juli 1934 im KZ Oranienburg von der SS ermordet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2001

Kein Wort über die Schule!
Erich Mühsam und die Unbefangenheit des Genießens

Den kleineren Verlagen ist zu danken. Gottlob erinnern sie sich immer mal wieder auch an Erich Mühsam, an einem Autor, der zeitlebens die anderen Zirkel suchte, beheimatet war bei den Anarchisten und der Boheme, bei einer Boheme freilich, die dem Klischee nicht so ohne weiteres entsprechen wollte. Denn das "entscheidende Kriterium" ist "weder Armut noch Unstetigkeit", nicht das Vagabundieren, sondern der "Freiheitsdrang, der den Mut findet, gesellschaftliche Bindungen zu durchbrechen und sich die Lebensformen zu schaffen, die der eigenen inneren Entwicklung die geringsten Widerstände entgegensetzen".

Wie er das selbst versuchte, hat der Künstler, der "Prototyp des Caféhausliteraten", in den "Unpolitischen Erinnerungen" erzählt, die Fritz Adolf Hünich, der Lektor des Leipziger Insel-Verlags, 1949 erstmals gesammelt herausbrachte. Entstanden waren die locker verbundenen Texte bereits Ende der zwanziger Jahre. Die Vossische Zeitung hatte damals, von 1927 bis 1929, in Abständen gedruckt, was Erich Mühsam, kaum fünfzig Jahre alt, von seinem Leben mitteilen wollte.

Es sollten, wie es einleitend hieß, nur diejenigen Erlebnisse sein, die nicht seine "allein" waren, "sondern in irgendwelcher Beziehung zur Zeitgeschichte, zur Kultur und zur Kennzeichnung der Gegenwart" standen. Übergangen wurde aber zugleich, was jeder andere genauso hätte mitteilen können. Kein Wort mochte der Autor über seine Lübecker Kindheit und Jugend verlieren, über die Schule, an der auch Thomas Mann gewesen war. Die Selbstbespiegelung verlockte den Intellektuellen sowenig wie der Klatsch, der ihn verfolgte. Nur von dem, was hinter ihm lag, was ihn "freigegeben" hatte, glaubte er einigermaßen zuverlässig, mit epischer Distanz berichten zu können. Von vornherein ausgeschieden waren die politischen Verstrickungen, in denen er nach wie vor steckte. Nichts wollte er mitteilen über die Festungshaft, die er bis 1924 hatte verbüßen müssen, zu der er verurteilt wurde wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik.

Viel, sehr viel sollte der Leser dagegen über die weiteren Hintergründe erfahren, über "das Verhalten künstlerischer Menschen im Wechselspiel ihrer Beziehungen zueinander und zu ihrer Zeit". Wie in den Friedrichshagener Kreis der Naturalisten, so kommt man mit dem Erzähler zu den Elf Scharfrichtern nach München, nach Ascona zum Monte Verità und dann wieder zurück nach Schwabing, überall dahin, wo sich das Politische, der Ausbruch aus den Verhältnissen, im Privaten und künstlerisch bisweilen vorbereitete, bei den Auftritten von Karl Kraus nicht anders als im Schicksal der Gräfin Reventlow oder bei den Caféhaussitzungen mit Peter Altenberg.

Und es tut der Spannung gewiß keinen Abbruch, daß das alles heute eher historisches Interesse weckt denn voyeuristische Neugier, wie sie noch die Leser der zwanziger Jahre empfunden haben mögen. Vielmehr öffnet sich im Abstand der Blick für die weiteren Perspektiven. Wo man nicht mehr fixiert bleibt auf das intime Detail, die Mitteilung über den einzelnen, erkennt man in der Zusammenschau eine Lebensform, die mehr als ästhetische Inszenierung sein sollte, der es noch um "Gesinnung, Fleiß und das Streben nach einem Weltbild ging". Mit der "Dekadenz" und Stefan George wußte Erich Mühsam nie viel anzufangen. Zu sehr war der Anarchist im Geist des Aufbruchs befangen, in dem Glauben, daß sich der gesellschaftliche Protest auch in der Lebensfreude, im Dasein der Boheme offenbaren mußte, jedenfalls bis 1914. Was danach kam, hätte er "unpolitisch" nicht mehr erinnern können, verloren war "die freie Unbefangenheit des Genießens". Daß sie wenigstens literarisch bewahrt blieb, ist nicht zuletzt ein Verdienst der kleineren Verlage, die sich ab und an auch noch an Erich Mühsam erinnern.

THOMAS RIETZSCHEL

Erich Mühsam: "Unpolitische Erinnerungen". Edition Nautilus, Hamburg 2000. 222 S., 40 Abb., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Heinz Hug lobt die Neuauflage des Buches, das Mühsam als Auftragsarbeit für die "Vossische Zeitung" verfasst hat, als "glänzend geschriebenes, vorurteils- und ideologiefreies Bild" seiner Zeit von 1900 bis zum ersten Weltkrieg. Ohne Intimes preiszugeben oder die Analyse einzelner Werke anzustreben, biete Mühsam einen interessanten Überblick über das Kulturleben und seine Protagonisten vor allem in Berlin und München, so der Rezensent begeistert. Dass es zusätzlich noch ein "exzellentes Nachwort" vom "ausgewiesenen Mühsam-Kenner" van den Berg gibt, freut den Rezensenten um so mehr.

© Perlentaucher Medien GmbH