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Die Autoren des viel beachteten Wellness-Syndroms stürzen sich kopfüber in die Welt der Selbstoptimierer, eine boomende Bewegung, die die Grenzen zu überschreiten sucht, die uns durch unseren Körper oder unsere mentale Unzulänglichkeit auferlegt sind.

Produktbeschreibung
Die Autoren des viel beachteten Wellness-Syndroms stürzen sich kopfüber in die Welt der Selbstoptimierer, eine boomende Bewegung, die die Grenzen zu überschreiten sucht, die uns durch unseren Körper oder unsere mentale Unzulänglichkeit auferlegt sind.
Autorenporträt
Carl Cederström ist Dozent für Human Resource Management an der Cardiff Business School. Peter Fleming hat eine Professur für Arbeit und Organisation am Queen Mary College (University of London).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2018

Befreit euch von Mama und Papa

Die Vorstellung eines leistungsfähigeren, klügeren Ichs ist verführerisch: Carl Cederström und André Spicer haben sich ein Jahr lang in die Fänge der Optimierungsindustrie begeben - ein Versuch mit wenig schmeichelhaften Folgen.

Der Juni ist der Sexmonat. Warum nicht der Januar oder der April? Weil die beiden Autoren des Buchs "Auf der Suche nach dem perfekten Ich", Carl Cederström und André Spicer, vermutlich zuerst ihre Produktivität, Spiritualität, ihren Körper und ihre Beziehungen optimieren mussten - gnadenlos radikal gegen sich selbst und andere -, bevor sie sich an ihr Sexleben wagten. In einem Buch offenherzig zuzugeben, dass die körperliche Fitness auf den Hund gekommen ist und man beim hochintensiven Intervalltraining erschöpft auf den Boden fällt, ist erst einmal keine große Sache.

Mutiger allerdings sind Bekenntnisse wie die von André Spicer, der eines Abends mit einer Ausgabe des Kamasutra nach Hause kommt und seiner Frau, was den Sex betrifft, eröffnet: ",Ich denke, ich sollte lernen, darüber zu sprechen.' ,Nun, ich vermute, das fällt dir leichter, als es tatsächlich zu machen', sagte sie. Ich blieb stumm, fühlte mich unbehaglich. ,Wir haben Sex nur etwa einmal im Monat', sagte sie, ,und dann auch nur, wenn ich dich zwinge.' Ich sagte nichts. ,Nimm nur die letzten drei Mal, da wir Sex hatten. Zweimal versuchten wir, ein Kind zu zeugen, und das andere Mal habe ich angefangen', sagt sie."

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Das Kapitel über Sex ist nur eines von zwölf Kapiteln, aber es ist das amüsanteste in diesem überhaupt erstaunlich unterhaltsamen Buch, in dem zwei Soziologen - Cederström lehrt an der Stockholm Business School, Spicer an der City University London - ein Jahr lang die akademische Distanz aufgeben und sich mit Haut und Haar der Selbstoptimierungsindustrie ausliefern. Sie sind dabei freilich nur winzige Rädchen in einem gigantischen Getriebe.

Millionen von Menschen jagen weltweit nach einem besseren Ich. Die Selbstoptimierung ist inzwischen derart in unsere Gesellschaft integriert, dass es schwerfällt, zu sagen, wo sie beginnt und wo sie aufhört. Yoga wird in Grundschulen unterrichtet, Achtsamkeitstraining in Gefängnissen eingesetzt. Bis ins Weiße Haus hat es die Selbsthilfe geschafft, schreiben die Autoren: "Donald Trumps erste Ehe wurde von Norman Vincent Peal geschlossen, dem Vater des Positiven Denkens."

Die Idee eines optimierten, leistungsfähigeren, klügeren Ichs ist verführerisch, seit je. Der moderne Mensch aber lebt in einer gigantischen Möglichkeitswelt aus Apps, Fitnessarmbändern, Sportstudios, Ernährungsstilen, Schönheitssalons, Wellness-Tempeln. Ihm wird ständig suggeriert, der Weg zum Glück bedeute, das Maximum aus sich selbst herauszuholen, es geradezu herausholen zu müssen. Geist und Körper mutieren so zu Spielplätzen für die Selbstverwirklichung.

Dass dieses Hamsterrad-Dasein mitnichten Spaß bedeutet, versteht sich. Spaß ist aber auch nicht das Ziel. Es geht darum, als Lohn harter Arbeit irgendwann im Spiegel die Luxusausgabe seiner selbst betrachten zu können. Cederström und Spicer stehen während ihres zwölfmonatigen, bisweilen selbstentblößenden Versuchs etliche Höhen und Tiefen durch, sie zweifeln und verzweifeln, jubeln und grübeln, kämpfen und kapitulieren. Es werden Haare gefärbt, hautaufpolsternde Substanzen gespritzt, Gewichte gestemmt, der Stuhlgang untersucht (mit der App "Poo Keeper"), Produktivitätsdrogen geschluckt, professionelle Umarmerinnen in rosafarbenen Tierkostümen geherzt, die ersten 1000 Dezimalzahlen von Pi auswendig gelernt, Diäten getestet und absurde Meditationskurse besucht. Die Autoren nehmen ihre Sache zwar ernst, sich selbst jedoch nicht immer allzu sehr. An keiner Stelle beschleicht einen jedenfalls das Gefühl, einer der beiden behielte die Wahrheit lieber für sich und tauche die eigenen Performance in ein schmeichelhafteres Licht. Schönredner, Abwiegler, Angsthasen - das sind Cederström und Spicer gewiss nicht.

Glücklicherweise tappen die Autoren nicht in die naheliegende Falle, einen übertrieben kultur- und gesellschaftskritischen Grundton anzuschlagen, was nicht heißt, das ihr Ausflug in die Optimierungsindustrie unkritisch wäre, im Gegenteil. Der Irrsinn des Selbstoptimierungswahns erschließt sich in jedem einzelnen Kapitel.

Einmal beauftragt André Spicer das amerikanische Unternehmen 23andme, seine DNA zu analysieren, wofür er eine Speichelprobe an ein niederländisches Labor schickt. Kein unerheblicher Schritt, weil man mit dem Ergebnis der Analyse den Rest seines Lebens zurechtkommen muss. Als der fertige Bericht endlich vorliegt, klickt Spicer auf Gesundheitsstatus, und eine lange Liste schrecklicher Krankheiten erscheint: "Brust- und Eierstockkrebs, Alzheimer, Parkinson, Herzerkrankungen. Jede war mit Sternchen gekennzeichnet. O Gott! Hatte ich eine genetische Prädisposition für Alzheimer? Herzkrankheiten? Parkinson? Ich fühlte mich, als hätte ich gerade mein Todesurteil gelesen." Nein, das hatte Spicer natürlich nicht. Die vermeintlichen Prädispositionen für ein Sammelsurium furchtbarer Krankheiten entpuppten sich als Fehlinterpretation der Ergebnisse.

Und Carl Cederström, der von sich selbst behauptet, so spirituell wie ein Toaster zu sein? Bucht zum Beispiel einen dreitägigen New Age Retreat und besucht zur Stimulierung seines Energiesystems ein Spiritualitätszentrum, das Tanzmeditation anbietet. Der Lehrer, der eine ausgebeulte Jogginghose und ein T-Shirt mit der Aufschrift "Stay True" trug, sagte: "Es geht einzig und allein um Mama und Papa. Von ihnen müsst ihr euch befreien." Eine Botschaft, die Cederström verwirrt. "Ich hatte gerade am Meer ein angenehmes Wochenende mit meinen Eltern verbracht, entspannt und mit gutem Essen."

Dem eigenen, unerreichbaren Ideal hinterherzuhecheln mag auf Dauer krank und unzufrieden machen, gleichzeitig, auch diese Wahrheit gehört dazu, ist das kurze, bei einem Erfolgserlebnis aufflackernde Glück unwiderstehlich. Cederström und Spicer verschweigen das nicht. Aber sie wissen um die Gefahr der Selbstauslöschung durch extreme Selbstbesessenheit. Die Frage bleibt: Wie viel wahres Ich bleibt nach dem Optimierungsmarathon noch übrig?

MELANIE MÜHL

Carl Cederström und André Spicer: "Auf der Suche nach dem perfekten Ich". Ein Jahr in der Optimierungsindustrie.

Aus dem Englischen von Norbert Hofmann. Edition Tiamat, Berlin 2018.

400 S., br., S., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Man kann für die beiden Autoren nur hoffen, dass sich das Buch gut verkauft, denn sie haben für ihre Selbstoptimierungsversuche 25.000 Dollar ausgegeben, erzählt Rezensentin Nina Apin. Die beiden Carl Cederström und Andre Spicer haben ein Jahr getestet, was die Selbshilfeindustrie für Körper, Geist und Sexualität so anbietet: von leistungssteigernden Drogen bis zu Tantra. Apin hat das mal witzige, mal alberne Erfahrungsbuch recht amüsiert gelesen: Es ist in erster Linie ein Dokument des Scheiterns meint sie. Aber wie alle Selbstoptimierer wissen: Genug ist nie genug.

© Perlentaucher Medien GmbH