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Studie zur Bedeutung der Geschlechterverhältnisse in Heideggers 'Sein und Zeit'
Das Werk Heideggers nimmt in der Philosophie des 20. Jahrhunderts eine Schlüsselstellung ein. Bisher wurde jedoch die Frage, wie Geschlechterverhältnisse von Heidegger philosophisch verarbeitet werden, kaum gestellt, geschweige denn systematisch bearbeitet. Feministische Heidegger-Lektüren versuchen zumeist, Heidegger feministisch zu deuten und an ihn anzuknüpfen, da hier ein Bündnispartner gegen die begrifflichen Trennungen der Bewußtseinsphilosophie vermutet wird. Dagegen zeigt die vorliegende Untersuchung von…mehr

Produktbeschreibung
Studie zur Bedeutung der Geschlechterverhältnisse in Heideggers 'Sein und Zeit'
Das Werk Heideggers nimmt in der Philosophie des 20. Jahrhunderts eine Schlüsselstellung ein. Bisher wurde jedoch die Frage, wie Geschlechterverhältnisse von Heidegger philosophisch verarbeitet werden, kaum gestellt, geschweige denn systematisch bearbeitet. Feministische Heidegger-Lektüren versuchen zumeist, Heidegger feministisch zu deuten und an ihn anzuknüpfen, da hier ein Bündnispartner gegen die begrifflichen Trennungen der Bewußtseinsphilosophie vermutet wird. Dagegen zeigt die vorliegende Untersuchung von "Sein und Zeit", inwiefern die neue Subjektkonstruktion Heideggers als ein - im Diskurs der "Konservativen Revolution" situierter - philosophischer Entwurf hegemonialer Männlichkeit zu verstehen ist.
Ausgehend von der römischen Cura-Fabel, die Heidegger als vorontologisches Zeugnis für seine Sorge-Konzeption anführt, rekonstruiert die Autorin den systematischen Stellenwert der weiblichen Ursprungsmacht "Sorge" in "Sein und Zeit" und weist auf, daß Heideggers philosop hische Konstruktion von einer ursprungsmythischen Erzählung organisiert ist. In der imaginären Rückkehr zum weiblich artikulierten Ursprung konstituiert sich das soldatische Züge tragende Subjekt der Eigentlichkeit. Nur im Bruch mit diesem Ursprungsmythos ist eine feministisch-materialistische Aneigung Heideggers, die die von ihm eröffneten Problematiken aus ihrer patriarchalen Anordnung löst, möglich.

Autorenporträt
Autor(en)/Herausgeber; Author(s)/Editor(s): Susanne Lettow, Dr. phil., Studium der Philosophie, Politologie und Soziologie, z. Zt. Lehrbeauftragte an der FU Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2001

Wie man seiner Sorge Herr wird
Im Mutterwal: Susanne Lettow klopft Heidegger feministisch ab

Was ist feministische Philosophie? Zunächst einmal ein Oxymoron. Denn der Feminismus gründet sich nicht auf einem Erkenntnisinteresse, sondern auf einem politischen Interesse. Und so hat er sich lange Zeit, um nicht Gefahr zu laufen, über der Theoriebildung den Anschluß an die politische Praxis zu verlieren, freiwillig aus der Philosophie ausgegrenzt. Das änderte sich, als Frau erkannte, daß das Sein einer männlich codierten Gesellschaftsordnung unter anderem auch vom Bewußtsein bestimmt ist, genauer: von einer Bewußtseinsphilosophie, die mit ihren binären Begriffspaaren wie Subjekt-Objekt, Natur-Kultur und Verstand-Gefühl die strukturelle Basis zu jenem Herr-Knechtin-Verhältnis geschaffen hat, das der Feminismus überwinden will. Nach dem Vorbild der Kritischen Theorie und der Philosophie engagée des französischen Poststrukturalismus galt es nun, eine feministische Philosophie herauszubilden, die auch und gerade als Erkenntnistheorie sollte auftreten können.

Als Vorkämpfer einer feministisch revidierten Epistemologie ist neuerdings Martin Heidegger im Gespräch. Werden doch die genannten Binär-Begriffe, zumal die Subjekt-Objekt-Dichotomie, in seiner Philosophie in den einen Horizont des "In-der-Welt-Seins" zusammengeschmolzen, wie Heidegger überhaupt die traditionelle Bewußtseinsphilosophie in eine Ontologie der Offenheit umwandelt. Susanne Lettow freilich hält Heidegger keineswegs für den heiligen Martin des Feminismus. In Anknüpfung an Jacques Derridas Studien zu Heideggers "Geschlecht" (1988) hat sie eine Dekonstruktion der "Geschlechterverhältnisse in ,Sein und Zeit'" vorgelegt und mit einer scharfsichtigen Analyse des ideologischen Spannungsfeldes der Weimarer Republik verbunden.

Die Zukunft an der Brust

Lettows Studie liegt ein feministisch gewendeter Anti-Essentialismus zugrunde, der sich gegen die falschen Universalien einer philosophischen Tradition richtet, die "man" sagt und "Mann" meint. Nun stellt sich der Fall bei Heidegger insofern anders dar, als seine Konzeption des "Man" deutlich negativ besetzt ist. Auch scheint die Gegenfigur des "Man", das auf sein "eigentliches Ganzseinkönnen" entworfene "Selbst", geschlechtlich neutral, wo nicht gar, worauf das "Ganzsein" deutet, androgyn gedacht zu sein. Indessen weiß der Dekonstruktivist: Der Teufel steckt im Ungesagten. Folgerichtig behandelt Susanne Lettow nicht, wie der Untertitel ihrer Studie behauptet, die "philosophische Artikulation von Geschlechterverhältnissen in ,Sein und Zeit'", sondern vielmehr deren "Desartikulation" oder "Entnennung".

Lettow folgt darin Derrida, der die ontologische Differenz Sein-Seiendes als ein Verschweigen der sexuellen Differenz zu Gehör brachte. Sie spezifiziert seinen Ansatz jedoch, indem sie das verdrängte sexuelle Andere ("Other") in der Mutter ("Mother") verortet. Genauer gesagt: in der Heideggerschen "Sorge" als einer "mütterlichen Ursprungsmacht". Noch genauer gesagt: in der "ursprungsmythischen Erzählung" von der Sorge, die den heimlichen Schlüssel zu "Sein und Zeit" enthalte.

Gemeint ist die von Herder überlieferte und von Goethe in seinen "Faust II" eingearbeitete Cura-Fabel des Hyginus, die Heidegger im Kapitel "Die Sorge als Sein des Daseins" als Beleg für die "vorontologische Selbstauslegung des Daseins" anführt. In dieser Fabel streiten Cura, Jupiter und Tellus über das Urheberrecht auf den Menschen, den die Sorge aus Erde gebildet und der von Jupiter seinen Geist erhalten hatte. Es ist Saturn, die "Zeit", die entscheidet, worin das ursprüngliche "Sein" des Gebildes der Sorge zu sehen ist, nämlich in einem immer schon sich selbst vorausliegenden, in die Welt verstrickten Sein. Dies, so Heidegger, ist der eigentliche Modus des Seinkönnens und der ontologische Sinn des menschlichen Daseins. Man könnte es den existentialistischen Imperativ nennen: "Lebe so, daß die Maxime deines Wollens in einem jeden Augenblick auf Erfüllung deines eigentlichen Selbstseinkönnens ausgerichtet ist." Oder kürzer, mit einem von Heidegger übernommenen Nietzsche-Wort: "Werde, was du bist!"

Was ist daran nun so ursprungsmythisch? Ist die Sorge nicht vielmehr ein explizit zukünftig orientiertes Denkmotiv? Im Sinne von Heideggers "Ekstasen der Zeitlichkeit" ist das eine freilich vom anderen gar nicht zu trennen. Anschaulich findet sich dieser Sachverhalt bei Oswald Spengler illustriert, der in "Der Untergang des Abendlandes" die Sorge als Mutter symbolisiert, "welche das Kind - die Zukunft - an der Brust trägt". Zu Recht wertet Lettow die Symbiose von mütterlichem Ursprung und werdender Zukunft als eine List der Vernunft, den Zweifel, ob ein vollkommenes, nur sich selbst geschuldetes Sein für ein nicht-göttliches Subjekt überhaupt möglich ist, mit einem Machtspruch, das heißt mit dem Macht-Anspruch Heideggerscher Diktion, auszuräumen. An die Stelle der Einsicht in die Unverfügbarkeit von Geburt und Tod tritt so der Sprung in den Ursprung - eine progressive Regression, die dem Subjekt die symbiotische Illusion sichert, eins mit seinem Ursprung: "causa sui" zu sein.

Lettow gelingt es nun, diese Ursprungsillusion als wesentliches Moment der konservativen Kulturkritik um 1920 kenntlich zu machen. Die Denunziation des Dekadenten als eines vom mütterlichen Ursprung Abgefallenen, Entwurzelten, ja "Entarteten" gewinnt aus dieser Sicht eine interessante Schattierung. Auch bezüglich der Heideggerschen Konzeption des "Man" wird eine neue Perspektive eröffnet, wenn man sie im Licht der solchermaßen verankerten konservativen Kritik am Konformismus des bürgerlichen Kapitalismus, an der Anonymität der modernen Öffentlichkeit, am aufkommenden Fordismus und an der Herausbildung der Konsum- und Mediengesellschaft betrachtet.

Vielleicht aber hätten diese von Lettow äußerst differenziert dargestellten sozialgeschichtlichen Hintergründe einer biographischen Kontrastierung bedurft. So wäre zu fragen gewesen, ob jene Massenbetriebe des Arbeiter- und Angestelltenmilieus, in denen das Individuum sich als "Masse Mensch" (Ernst Toller) wiederfand, überhaupt zu Heideggers primärem Erfahrungsbereich gehörten - zumal an anderer Stelle die sozialpolitische Indifferenz des Geistesaristokraten betont wird. In erster Linie interessierte sich Heidegger wohl doch nur für das Monokollektiv "Wissensgesellschaft", genauer für den in verschiedenen Briefen so genannten Universitäts-"Betrieb". Im Rahmen einer ideologiekritischen Untersuchung, der es um die Aufdeckung der materiell-empirischen Bedingtheiten einer Ontologie zu tun ist, hätten sich das "Man" und die "Öffentlichkeit" von "Sein und Zeit" durchaus im muffigen Marburg verorten lassen: "An der Universität nichts los, verschlafen, mäßigster Durchschnitt, keine Aufregung, kein Stimulus"; "der einzige Mensch": Rudolf Bultmann - so Heidegger brieflich.

Den "unecht", in der Terminologie von "Sein und Zeit" "uneigentlich" daher "quatschenden" Studenten "und gar Studentinnen", dem "Man" des Mittelmaßes steht das sich auf sein eigentliches Selbstseinkönnen entwerfende Vollwert-Subjekt gegenüber, das Lettow als Konstruktion "hegemonialer Männlichkeit" entlarvt. Dieses Vollwert-Subjekt wird von Heidegger zwar - dies die wesentliche Neuerung gegenüber Descartes - in die Relation des "In-der-Welt-Seins" versetzt. Indessen demaskiert Lettow das "In-der-Welt-Sein" als eine inhaltsleere Formel, in der sich Heideggers Weltentrücktheit und Pseudo-Sozialität verrate. Jedes politische und sozialkritische Bewußtsein gehe ihm ab; an deren Stelle träten der regressus ad uterum und das Jona-Symptom: Heidegger weigere sich, seine staatsbürgerliche Verantwortung wahrzunehmen, und verkröche sich statt dessen im Mutterwal der "Sorge". Ebenso wie Jona verharrt Heidegger nun aber nicht im Bann der Großen Mutter, sondern er ermannt sich und wird seiner Sorge Herr.

Wie das geht, lehrt er in "Sein und Zeit": "Herr werden wir einer Stimmung nie stimmungslos, sondern je aus der Gegenstimmung." Die Gegenstimmung zur Sorge ist der Mut, genauer: der kontraphobische Mut des Dezisionisten. Denn sofern Angst und Sorge kontraphobisch gewendet werden, machen sie nicht ohnmächtig, sondern mächtig: Dies ist der Sinn des einleuchtenden Titels von Lettows Studie. Überhaupt gehört die Analyse des Wechselverhältnisses von "Entschlossenheit" und "Sorge" zu den stärksten Partien des Buches. Aus feministischer Sicht ist der Vergleich mit den ähnlich kontraphobisch angelegten Ideologien der "Konservativen Revolution" von besonderem Interesse. Scheint dieser Vergleich doch die Lettowsche These zu belegen, daß die Entwürfe der "Konservativen Revolution" zu einer "neuen Form hegemonialer Männlichkeit" implizit auch in der Subjektkonstruktion Martin Heideggers enthalten sind.

Ruf als militärischer Appell

Ein weiteres Motiv dafür, das Denken von "Sein und Zeit" mit Pierre Bourdieu als "konservative Revolution in der Philosophie" zu bewerten, sieht Lettow in der Spengler, Jünger und Heidegger gemeinsamen Haltung eines fatalistischen Aktionismus, der des ekstatischen Augenblicks als Stimulans bedürfe, um seine Hemmung durch die Schicksals-Macht "Sorge" zu überwinden. Daß der durch Todesgefahr gesteigerte Augenblick aus der Helden-Ideologie des Ersten Weltkrieges herrührt, sieht Lettow auch in der Heideggerschen Konzeption des "Rufs" bestätigt. Sie interpretiert den "Ruf als militärischen Appell", der das gehorsamhörige Subjekt zwinge, wie ein Soldat im Stellungskrieg in den Tod "vorzulaufen".

Gewiß ist Heidegger dafür zu kritisieren, daß er existentialistische Strukturformeln wie das "Sich-vorweg" nicht gegen die "Erfüllung" durch derartige Inhalte abgesichert hat. Wer indes die Konzeption des "Rufs" als totalitaristisch brandmarkt, der unterschlägt ein wesentliches Moment der Heideggerschen Philosophie: die hermeneutische Freiheit. Denn dem "Ruf der Sorge", der sich im "Gewissen" Gehör verschafft, ist bei Heidegger das "Anrufverstehen" zugeordnet. Das Verstehen aber, selbst noch das Verstehen von Befehlen, ist in seinem Entwurfcharakter analog zum existentialen Entwurf des Daseins in das "ihm selbst überantwortete Möglichsein". Der gäbe einen schlechten - oder vielmehr einen guten - Soldaten ab, der darauf beharrte, daß das Dasein "die Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen", nicht jedoch die Notwendigkeit der Fremdbestimmung sei. Das Verdienst, einen wichtigen Beitrag zu einer derartigen Revision des soldatischen Bewußtseins geleistet zu haben, ist Susanne Lettow vorbehaltlos zuzusprechen.

SANDRA KLUWE

Susanne Lettow: "Die Macht der Sorge". Die philosophische Artikulation von Geschlechterverhältnissen in Heideggers "Sein und Zeit". edition diskord, Tübingen 2001. 224 S., br., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Äußerst scharfsichtig soll Susanne Lettows Dekonstruktion des "Herr-Knechtin-Verhältnisses" bei Heidegger sein. Offensichtlich muss man allerdings eine gewaltige Dröhnung Heidegger zu sich genommen haben, bevor man zu solcher Scharfsicht gelangt - Sandra Kluwes Rezension des Buchs schwelgt jedenfalls derart im Jargon, dass ein gewöhnlich denkender Mensch am Ende der Rezension die "Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen" dankbar realisiert. Immerhin lernt man soviel, dass Heidegger der üblichen Subjekt-Objekt-Dichotomie der abendländischen Philosophie den Begriff des "In-der-Welt"-Seins entgegensetzt, auch dass er gegen die Figur des "Man" ein androgyn gedachtes "Selbst" entwirft - aber das macht ihn noch nicht zum "heiligen Martin des Feminismus". Denn "hegemoniale Männlichkeit" gilt es auch bei Heidegger zu entlarven. Als besonders interessant würdigt Kluwe auch jene Passagen des Buchs, in denen Lettow sozial- und ideengeschichtliche Horizonte für Heideggers wabernde Existenzialbegrifflichkeit ausmacht. Eine "Sorge" weniger!

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