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Das Leben des Dichters Karl Wolfskehl (1869-1945) während des Exils wird hier erstmals umfassend dargestellt. Zugleich vermittelt das Buch einen Einblick in die Entstehung des Spätwerks.Die Flucht des vierundsechzigjährigen Karl Wolfskehl aus Deutschland am Tag nach dem Reichstagsbrand markiert eine Zäsur nicht nur in der Biographie, sondern auch im Schaffen des Dichters. Mit dem Beginn des Exils setzte eine neue schöpferische Phase ein, die bis zu seinem Tode im fernen Neuseeland anhalten sollte. Es sind die Gedichte und die Briefe des letzten Lebensabschnitts, die heute das Bild bestimmen,…mehr

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Produktbeschreibung
Das Leben des Dichters Karl Wolfskehl (1869-1945) während des Exils wird hier erstmals umfassend dargestellt. Zugleich vermittelt das Buch einen Einblick in die Entstehung des Spätwerks.Die Flucht des vierundsechzigjährigen Karl Wolfskehl aus Deutschland am Tag nach dem Reichstagsbrand markiert eine Zäsur nicht nur in der Biographie, sondern auch im Schaffen des Dichters. Mit dem Beginn des Exils setzte eine neue schöpferische Phase ein, die bis zu seinem Tode im fernen Neuseeland anhalten sollte. Es sind die Gedichte und die Briefe des letzten Lebensabschnitts, die heute das Bild bestimmen, mit dem er in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Wolfskehl floh zunächst in die Schweiz und nach Italien, und dann 1938 nach Neuseeland, als der deutsche Faschismus sich über ganz Europa auszubreiten drohte. Trotz des bisweilen fast überwältigenden Gefühls des Verlustes von Heimat, Familie und Freunden bewahrte sich Wolfskehl eine erstaunliche Vitalität. Es gelang dem Dichter noch im hohen Alter mit der jungen neuseeländischen Avantgarde und einigen Mitflüchtlingen aus Europa in einen wechselseitigen fruchtbaren Kontakt zu treten.Die wichtigsten Dichtungen dieser Jahre - Die Stimme spricht von 1934, das große Gedicht An die Deutschen (1934 und 1944 entstanden, 1947 erschienen), die Zyklen INRI oder die vier Tafeln (entstanden 1933-1947) und Hiob oder die vier Spiegel (entstanden 1944-1947) - sowie die umfangreichen Briefwechsel mit weltweit verstreuten Freunden und Bekannten kreisen um die Themen Exil und jüdische Identität. Mit seinem Spätwerk trat Wolfskehl endgültig aus dem Schatten Stefan Georges heraus und schuf einen gewichtigen und einzigartigen Beitrag zur deutschsprachigen Exilliteratur im 20. Jahrhundert.Im Wallstein Verlag lieferbarKarl Wolfskehl: »Du bist allein, entrückt, gemieden ...«. Briefwechsel aus Neuseeland 1938 - 1948, hg. von Cornelia Blasberg(1988/ISBN 3-89244-100-6)Karl Wolfskehl: »Jüdisch, römisch, deutsch zugleich ...«. Briefwechsel ausItalien 1933 - 1938, , hg. von Cornelia Blasberg(1993; ISBN 3-89244-101-4)
Autorenporträt
Friedrich Voit, geb. 1947, studierte Germanistik, Klassische Philologie und Archäologie an den Universitäten Mannheim, Saarbrücken und Bonn. Er lehrt seit 1978 am Department of German and Slavonic Studies der University of Auckland (Neuseeland). Er veröffentlicht zur neueren deutschen Literatur (Volksaufklärung, J.M.R. Lenz, Exilliteratur) und ist Herausgeber der Werke des deutsch-jüdischen Schriftstellers Gerson Stern (1874-1956).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2006

Riesenvogel am Rand der Welt
Hiobs Botschaft: Friedrich Voits große Biographie Karl Wolfskehls

Im Juli 1946, acht Jahre nach seiner Ankunft in Neuseeland, wurde dem deutschen Dichter Karl Wolfskehl (1869 bis 1948) die Staatsbürgerschaft seines Gastlands verliehen, und er vermerkte dies mit tiefer Dankbarkeit; an Abraham Scholem Yahuda schrieb er damals: "Außerdem bin ich jetzt Neuseeländer. Das Land war gastfrei zu mir und freundlich. Ich bin ihm Dank schuldig, und irgendwo muß man zuhaus sein. Selbst als Jude. Ich fühle mich fast geborgen seitdem. Mit Deutschland ist es auch für mich Ur-Rheinländer vorbei."

So faßte er noch in die Worte des Dankes für seine Einbürgerung nach langen Jahren der Staatenlosigkeit das ganze Leid des Exils: Neuseeland blieb ihm bis zuletzt ein Irgendwo, wo man zu Hause sein "muß", um sich "fast geborgen" fühlen zu können. Wir wissen nicht, mit welchen Empfindungen er das Datum seiner Einbürgerungsurkunde las: Es war der 12. Juli, der Geburtstag Stefan Georges, dessen treuester Weggefährte Wolfskehl jahrzehntelang gewesen war. Das Datum dürfte den Exilierten im Irgendwo seines Fastgeborgenseins schmerzlich daran erinnert haben, daß er wirklich zu Hause wohl doch nur noch im "Reich des Geistes" war: jenseits der Alternative Deutschland ("vorbei") oder Neuseeland ("fast").

Eines der letzten Fotos Karl Wolfskehls entstand im Dezember 1947, ein halbes Jahr vor seinem Tod; es zeigt den Dichter an seinem Schreibtisch in Auckland beim Diktat mit Margot Ruben, seiner langjährigen Lebensgefährtin im Exil. Die Köpfe der beiden bilden nahezu ein gleichschenkliges Dreieck mit einem Porträt, das über ihnen an der Wand hängt. Es ist dasjenige Stefan Georges.

Karl Wolfskehl hat die Erfahrung des Exils bewußt exemplarisch gelebt, und er hat ihr exemplarischen Ausdruck in seiner Dichtung des Exils verliehen. Auf seiner Grabplatte stehen unter seinem in lateinischen und in hebräischen Lettern geschriebenen Namen nur die Worte "Exul Poeta". Wenn wir heute die achthundert Seiten umfassende Biographie eines Dichters lesen, den selbst deren Verfasser "halbvergessen" nennt und dessen schmales Werk trotz des hohen Rangs mancher Gedichte schwerlich je eine größere Leserschaft gewinnen wird, so um der Verbindung dieser beiden Worte willen: als die repräsentative Biographie eines Dichters im Exil, dessen Kraft zum Widerstand und dessen Überlebenswille nicht zuletzt aus seiner emphatischen Teilhabe an der Poesie erwuchsen.

Es war deshalb eine kluge Entscheidung von Friedrich Voit, seine Biographie Karl Wolfskehls auf die Jahre des Exils zu konzentrieren. Vor 1933 war Wolfskehl gewiß ein in vielfacher Hinsicht interessanter Homme de lettres, dessen poetisches Werk freilich im pathetischen Tempelton der George-Zeloten einherprunkt und dessen publizistische Schriften allenfalls noch von kulturhistorischem Interesse sind; erst unter den Bedingungen des Exils aber - und das heißt zugleich: nach dem Tod Georges im Dezember 1933 - gewann seine Dichtung ihren eigenständigen Rang als Medium der geistigen Bewältigung einer existentiellen Erfahrung von überpersönlicher Bedeutung.

Eingangs erzählt Voit mit so knappen wie sicheren Strichen die Geschichte von Wolfskehls Leben bis zum Jahre 1933, als der Dreiundsechzigjährige Deutschland wenige Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler für immer verließ; so rundet sich sein Buch zur vollständigen Biographie des Dichters. Die Darmstädter Jugendjahre, das frühe Bekenntnis zu seinem Judentum, die Jahrzehnte im Zeichen Georges, mit dem gemeinsam er in strenger Demokratieverachtung vom "Geheimen Deutschland" einer zur Herrschaft gelangten Bildungselite träumte, das Leben als begüterter Privatier in der Münchner Boheme bis zum Verlust des Vermögens im Gefolge des Ersten Weltkriegs, der mit Leidenschaft betriebene Aufbau einer erlesenen Bibliothek, deren Verkauf an den Verleger Salman Schocken im Jahre 1937 Wolfskehl das Überleben im Exil auf schmalster ökonomischer Basis ermöglichen sollte, die Existenz als Publizist und Übersetzer in den Jahren der Weimarer Republik: all dies ergibt das farbige Bild eines Charakters, den komplex zu nennen eine Untertreibung wäre, dessen Faszination sich jedenfalls niemand entziehen konnte und dem es auch an faunischen Zügen nicht fehlte.

Man bedauert nur, daß das Bild von Wolfskehls Frau Hanna, die er 1898 geheiratet und mit der er zwei Töchter hatte, in diesem Buch insgesamt recht unscharf und unterbelichtet bleibt. Gewiß war "das eigentliche Zusammenleben" mit Hanna, wie Voit sagt, schon 1919 zu einem Ende gekommen, aber das Verhältnis der beiden blieb doch immer intensiv. Zwar hat Hanna die Lebenspartnerschaft Wolfskehls mit Margot Ruben akzeptiert, aber einer Scheidung nie zugestimmt.

Wolfskehl hatte schon vor 1933 des öfteren längere Zeit in Italien gelebt, und da er wie nicht wenige deutsche Intellektuelle zunächst "Sympathien für den italienischen Faschismus" hatte, verbrachte er die ersten Jahre des Exils in Italien. Das Schweigen seiner deutschen Freunde, nicht zuletzt auch aus dem George-Kreis, nach der Verkündigung der Nürnberger Rassegesetze im September 1935 hat er als "persönlichen Verrat" empfunden. Er wußte, daß "mit diesem Gesetz" "ein reichliches Jahrtausend jüdischen Daseins in deutschen Landen besiegelt und schändlich vernichtet" war: "diese Vernichtung ist endgültig". Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Wolfskehl klar, daß damit auch sein Exil endgültig war.

Von Anbeginn hatte er seine Vertreibung aus Deutschland als archetypisches jüdisches Schicksal aufgefaßt. In der Gedichtfolge "Die Stimme spricht" (1934) hat er dem wortmächtig Ausdruck verliehen: in entschiedener Rückbesinnung auf die jüdischen Glaubenstraditionen, im hilfesuchenden Anruf Gottes und in der poetischen Reflexion des Lebens im Exil. Seiner Vertreibung aus Deutschland stellte er sein "Lebenslied" "An die Deutschen" entgegen, dessen zehnjährige Ausformung Voit mit Hilfe des Marbacher Nachlasses sorgfältig rekonstruiert. Schon in der ersten abgeschlossenen Version des Gedichtes findet sich am Ende der ersten Strophe der stolze Satz: "Wo ich bin, ist deutscher Geist." Thomas Mann, der das Gedicht 1937 durch Erich von Kahler kennenlernte, hat sich diesen Kernsatz des Gedichts zu eigen und ihn in seiner Anverwandlung in einem New Yorker Interview vom Februar 1938 berühmt gemacht.

Die Annäherung zwischen Hitler und Mussolini im Herbst 1937 und der wachsende Antisemitismus auch in Italien zwangen Wolfskehl im Jahre 1938 zur Flucht aus dem Land, das er als seine zweite Heimat empfand. Bei der Wahl seines endgültigen Exillandes scheint er sich an einem Vers Georges orientiert zu haben: "Nur aus dem fernsten her kommt die erneuung." So fiel die Wahl auf Neuseeland, die "äußerste letzte Thule": so weit weg wie möglich vom politisch und moralisch kollabierenden Europa.

Bei der Schilderung dieses letzten Lebensjahrzehnts entfaltet Voits Monographie ihre größten Stärken. Denn tatsächlich wußten wir bisher über seine faktischen Lebensbedingungen unter den kulturellen Bedingungen dieses ihm in jeder Hinsicht fremden Landes nur wenig. Die grandiosen Briefe aus Neuseeland, die seit 1988 in einer großen Edition vorliegen, geben ein in vielfacher Hinsicht gefiltertes Bild, in dem von seinen sozialen Kontakten nur wenig zu erkennen ist und vor allem die wichtigste Bezugsperson fast ganz ausgespart erscheint: Margot Ruben, die fast vierzig Jahre jüngere Lebensgefährtin des Dichters, der der nahezu Blinde die Mehrzahl dieser Briefe diktiert hat. Es steckt in der traurigen Biographie des Poeta Exul eine weitere, noch ungeschriebene Biographie: diejenige der Frau, die seit dem November 1934 Wolfskehls Sekretärin, dann seine Geliebte war, ihm auf vielfache Weise im Exil das faktische Überleben, nach seinem Tod aber als Hüterin des Nachlasses auch das poetische Überleben ermöglicht hat. Für Margot Ruben bedeutete das Exil auch eine Zeit der vielfachen persönlichen Verletzungen und Enttäuschungen, denn offiziell galt sie immer nur als die "Nichte" und Sekretärin des Dichters. Als sie sich nach zehnjähriger Lebensgemeinschaft im Jahre 1943 dieser entwürdigenden Situation entzog und sich dazu entschloß, getrennt von Wolfskehl zu leben, stürzte dies den damals Vierundsiebzigjährigen in eine tiefe Krise.

Wolfskehl in Neuseeland: Die Situation des exilierten Dichters in einer ihm kulturell fremden Umgebung und unter eingeschränktesten ökonomischen Lebensbedingungen hat ihre emblematische Verdichtung in der Erinnerung eines jungen Mannes gefunden, der ihn in einer seiner viel zu kleinen Wohnungen besucht hat: "Es haftet der Eindruck eines Riesenvogels in einem Käfig." Dennoch gelingt es Voit, der selbst seit vielen Jahren in Auckland lehrt und über eine intime Kenntnis der schriftstellerischen und künstlerischen Szene Neuseelands in den dreißiger und vierziger Jahren verfügt, dieses Bild ein wenig aufzuhellen. Denn es gab in Auckland eine junge Schriftstellergeneration, die diesen exotischen Riesenvogel anstaunte, sich von seiner Gelehrsamkeit und Redegewalt überwältigen ließ und in ihm den Zeugen der fernen kulturellen Größe Europas bewunderte. Erzähler und Lyriker wie Frank Sargeson und Rex Fairburn besuchten ihn, lasen ihm vor und suchten seinen Rat.

Aber die Faszination Wolfskehls beinhaltete für diese jungen Autoren, die ihren eigenen, nichteuropäischen Weg suchten, Anziehung und Abstoßung zugleich, und so entzogen sie sich der vereinnahmenden Attraktion des Einsamen auch wieder. Wo er war, fühlten sie sich, wie Frank Sargeson noch spät in seiner Autobiographie bekannt hat, "overpowered by Europe". Mit Bewunderung liest man, mit welcher Offenheit und Neugier Wolfskehl sich die zeitgenössische Kultur und Literatur seines Gastlandes zu erschließen suchte; in dieser Hinsicht war er viel aufgeschlossener als manche Schicksalsgenossen im fernen Los Angeles.

Voit zeichnet in souveräner Kenntnis des Nachlasses und vieler anderer archivalischer Quellen ein reiches und differenziertes Bild von Wolfskehls Exil in Neuseeland. Es bleibt freilich bei aller Anreicherung durch dem deutschen Leser bisher unbekannte Gestalten und aller Aufhellung durch viele Gesten der Menschlichkeit das tief bedrückende Bild einer lebensgeschichtlichen Engführung. Seitdem er Europa hatte verlassen müssen, stand Wolfskehls dichterische Existenz im Zeichen Hiobs: "seitdem bin ich, leb ich, erfahr ich Hiob. Alles, was seitdem entstand, führte diesen Namen." Daß die europäischen Freunde ihn nach dem Krieg nicht zurückriefen, die deutschsprachigen Leser ihn vergessen hatten und Verleger für sein Exilwerk kaum zu gewinnen waren, daß Krankheit und finanzielle Not eine Rückkehr nach Europa (diejenige nach Deutschland hatte er ohnehin ausgeschlossen) verhinderten, gehört zu den bittersten Erfahrungen seiner letzten Jahre. Margot Ruben hat die letzten Worte des Sterbenden aufgezeichnet: "Rauch und Asche - Rauch und Asche. - Nichts bleibt - ein Dreckhaufen."

ERNST OSTERKAMP

Friedrich Voit: "Karl Wolfskehl". Leben und Werk im Exil. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 816 S., geb., 42,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2006

Hiob im Bastrock
Das geheime Deutschland, vertrieben: Karl Wolfskehl im Exil
„Es war Rosenmontag, . . . und die Nacht trank sich aus wie ein Glas voll Champagner. Am nächsten Morgen um zwölf saß ich im Zug nach Basel. Ich hatte eigentlich erst am Samstag weggewollt, aber der in jener Faschingsnacht als scheußlichster Spuk heraufbeschworene sog. Reichstagsbrand beschleunigte meinen Wegzug.” Mit diesen Worten beschreibt der Dichter Karl Wolfskehl, ehedem der „Zeus von Schwabing” genannt, seine Flucht aus Nazideutschland im Jahr 1933. Ernüchtert tut er die ersten Schritte auf einem Weg, der ihn über Italien schließlich ans andere Ende des Globus führen sollte, nach Neuseeland, das er als „Anti-Thule” bezeichnete und das er um seiner äußersten Ferne von Deutschland willen als Ort des Exils gewählt hatte.
Aber so sehr dies auch ein Weg in die Einsamkeit, die soziale und kulturelle Deprivation, ja schließlich die schiere Armut war, ein Hauch des alten Schwabing und seiner vormaligen Jovialität umwehte Karl Wolfskehl bis in seine letzten Tage und bis in die letzten Weltwinkel. Auch als längst kein Champagner mehr floss, blieb Wolfskehl, Verfasser eines „Buchs vom Wein”, dem Geist des dionysischen Gelages treu: Bei der Äquatorparty auf dem Auswandererschiff führt der Neunundsechzigjährige in Tigerfell und Bastrock den Tanz an. Auf derselben Schiffsreise freilich tritt auch zum ersten Mal die Leidensgestalt des Hiob vor sein geistiges Auge und wird zur Identifikationsfigur - neben den bisherigen Lieblingen Dionysos, Odysseus und Homer. Sodass er jetzt gelegentlich als „hiobitisch angehauchter Ulyss” unterzeichnet, sofern er es nicht vorzieht, sich mit Dante als „Exul immeritus” zu sehen, als widerrechtlich ins Exil getriebener Dichter.
Treue zum Meister
Das an den späten Nietzsche (Christus/Dionysos) erinnernde Spiel mit den Doppelprojektionen hat für Wolfskehl einen ernsten Sinn. Anders als manch andere national gesinnte deutsche Juden brauchte Wolfskehl nach der „Machtergreifung” nur eine Sekunde, um zu begreifen, was ihm als Juden drohte - und dass es ihm nicht helfen würde, seine Identität als deutscher Dichter und Angehöriger von Stefan Georges „Geheimem Deutschland” (dem er immerhin 1910 zu seinem Namen verholfen hatte) zu beschwören. Wolfskehl hatte, wie sein Biograf richtig bemerkt, „sein Judentum nie verleugnet, es war Zentrum seines Lebens und Wirkens”. Dreißig Jahre früher hatte es ihn zur Zielscheibe des Antisemitismus von Ludwig Klages und Alfred Schuler gemacht; daran war schließlich 1904 die Runde der Schwabinger „Kosmiker” zerbrochen. Selbstbewusst wählt der Dichter jetzt das Exil und sieht sich als „verleibtes jüdisches Schicksal”; seine wieder einsetzende lyrische Produktivität schlägt sich in einem schmalen Band nieder, der unter dem Titel „Die Stimme spricht” im Oktober 1934 im jüdischen Schocken Verlag erscheint.
Aber Wolfskehl, der zu den Quellen des Judentums und des Messianismus Zurückkehrende, bleibt auch ein deutscher Dichter. Wie wenige andere der Freunde und Jünger Georges bewahrt er dem „Meister” über dessen Tod im Dezember 1933 hinaus und bis zum letzten eigenen Atemzug die Treue. George war Deutschland gewesen, ein anderes, geistiges, geheimes Deutschland, und als George nicht mehr war und seine Jünger vertrieben oder dem Ungeist verfallen, da wollte er, Karl Wolfskehl, der älteste der jüdischen Freunde, die Flamme weiter tragen: „Wo ich bin ist Deutscher Geist.” So lautet die Schlusszeile der ersten Strophe des Gedichts „An die Deutschen”, das 1934 entsteht, und an dessen verschiedenen Versionen im Lauf einer zehnjährigen Bearbeitungszeit sich Wolfskehls innerer Kampf mit seiner anderen, seiner deutschen Identität ablesen lässt.
Zu den spannendsten Passagen in der Teilbiographie von Friedrich Voit, die sich den letzten anderthalb Jahrzehnten von Wolfskehls Leben, dem „Leben und Werk im Exil”, widmet, gehören die Seiten über den Konflikt, der zwischen Wolfskehl und seinem engsten Vertrauten aus dem ehemaligen Kreis, dem Basler Ökonomen und Philosophen Edgar Salin, aufbricht, nachdem der Dichter im Herbst 1934 sein Gedicht überarbeitet hat. Wolfskehl wird jetzt deutlicher, nennt die Vertreibung beim Namen und greift, seine Bindung an George wahrend, die Deutschen seiner Gegenwart an. Salin ist entsetzt, mäkelt an Form und Wortwahl des veränderten Gedichts herum, kritisiert, „dass hier Vorgänge in die Gedichtebene gehoben sind, die dort nichts, aber auch gar nichts zu suchen haben”, und fordert expressis verbis, dass die neue Version vernichtet und den Flammen übergeben werde.
Wolfskehl entschärft sein Gedicht, lehnt es durch Anspielungen und indirekte Zitate noch stärker an George-Verse an und sendet neue Abschriften an die alten Kreis-Freunde, auch an Robert Boehringer, den Erben und Testamentsvollstrecker Georges. Über diesen gelangt eine Abschrift auch an den Bildhauer und George-Freund Frank Mehnert, der, davon bewegt und unter dem Eindruck der „Reichskristallnacht” des Jahres 1938 stehend, eines seiner Hitler-Porträts mit der Axt zertrümmert haben soll. Ob Wolfskehl von diesem symbolischen Akt erfahren hat, ist nicht überliefert. Er hätte ihn mit tiefer Genugtuung erfüllt: Dies war die Art von Wirkung, die er sich erhoffte. Von dem „Winzigpunkt Ich” aus sprechend, wollte er sein Wort an die Deutschen sagen - wer immer ihn hören mochte. Die aktuelle, mediale Breitenwirkung Thomas Manns (den er schätzte, und der diese Schätzung erwiderte) zu suchen, war seine Sache nicht. Als „An die Deutschen” endlich gedruckt und vertrieben wurde, 1947, stand das Gedicht als Spätkömmling groß und sperrig in einer Zeit, die sich längst anderen Horizonten zugewandt hatte.
Zu einem neuerlichen Konflikt mit den alten Kreis-Freunden kam es anlässlich des Erscheinens des Gedichts „Der Tod des Meisters” von Alexander von Stauffenberg. In diesen Versen, die 1945, nach dem Holocaust, erschienen, wurde der vertriebenen und ermordeten Juden in einer Weise gedacht - sie seien durch einen tausendjährigen Fluch ihres Blutes wie der verdammte Tantalos „von frucht und trank der scholle” geschieden -, die Wolfskehls - und nicht nur seinen - Zorn erregte. Polemisch rechnete der Emigrant in seinem Gedicht „Zu Schand und Ehr” mit denen ab, die, ob ehemalige Georgeaner oder willige Germanisten (Ernst Bertram, Karl Obenauer, Hans Naumann), sich den Nazis angedient hatten. Ungewiss bleibt, wen über die alten Konfidenten hinaus seine Verse noch erreichten. Sein Tod am 30. Juni 1948 bewahrte Wolfskehl vor der Einsicht in die Wirkungslosigkeit des „Exul poeta” in seiner antipodischen Abgeschiedenheit.
Vergessener Jahrhundertautor
Eine der Stärken der Voitschen Biografie liegt darin, den Fehler zu vermeiden, den diese Rezension begeht: Sie unterlässt es, Wolfskehls Exiljahre als Extrapolation seiner deutschen Jahre und als Fußnote zum Nachleben Georges zu behandeln. Stattdessen zeigt die sorgfältig recherchierte und gut geschriebene Studie den Emigranten im neuen Kontext. Zwar bleibt der deutsche Dichter in Neuseeland ein Fremder unter Fremden, verwandt dem „Feigenbaum vom azurnen Mittelmeer”, den er pathetisch zum Schicksalsgefährten erhebt. Zugleich aber wird in der Biografie des Auckländer Literaturwissenschaftlers ein anderer, neugieriger, lernwilliger und freundschaftsfähiger Mann sichtbar, der sich, ein Siebzigjähriger!, rasch in die zeitgenössische englischsprachige Literatur einliest und mit den jungen Autoren seines Gastlandes ins asymmetrische, aber immer angeregte Gespräch tritt.
Sympathisierend, aber ohne Anleihen beim heute gefürchteten Wolfskehlschen Pathos leistet Friedrich Voit seinen Beitrag zur Wiederentdeckung eines halb vergessenen Autors. Karl Wolfskehl war, wie sein seit kurzem komplett in Marbach versammelter Nachlass erweist, ein Jahrhundertautor der Moderne: unersättlich in der Fülle weit ausgreifender Bezüge, unfähig zum großen, geschlossenen Werk, begabt mit dem Talent des Menschenfischers und gesegnet mit den paar Versen, in denen Unsterblichkeit nistet. „Mein Ruhm endet im Hafen von Auckland, aber er beginnt auch im Hafen von Auckland”, schrieb er ein Jahr vor seinem Tod in ein Notizheft. Er war eben doch ein Seher. ULRICH RAULFF
FRIEDRICH VOIT: Karl Wolfskehl. Leben und Werk im Exil. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 816 Seiten, 42 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Großen Eindruck hat Friedrich Voits erhellende wie traurige Wolfskehl-Biografie auf Rezensent Ernst Osterkamp gemacht. Mit "souveräner Kenntnis" des Nachlasses und anderer Quellen fand er darin das "tief bedrückende Bild" dieses Schriftstellers und seines durch das von den Nazis erzwungene Exil geprägten Lebens nachgezeichnet. Voit beginne zunächst, Karl Wolfskehls Leben bis 1933 zu skizzieren. Allerdings bedauert Osterkamp, dass das Bild von Wolfskehls Ehefrau Hanna dabei so blass geblieben ist. Klug findet der Rezensent die Entscheidung, Wolfskehls Leben auf das neuseeländische Exil hin zu konzentrieren, weil erst hier sein Werk zu existenzieller Tiefe finde. In der Schilderung seiner letzten Lebensjahre entfaltet das Buch aus Osterkamps Sicht dann seine größten Stärken, was seiner Einschätzung zufolge auch auf intime Kenntnisse des in Neuseeland lehrenden Voits von der dortigen Schriftstellerszene in den dreißiger und vierziger Jahren zu verdanken ist.

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