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Die Entbindungshospitäler spielten eine zentrale Rolle beim Wandel der Geburt von einer reinen Frauensache zu einem klinischen Ereignis. Lange war die Geburt ein Ereignis, für das nur Frauen zuständig waren. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Geburtshilfe allmählich zu einer Wissenschaft, die von Ärzten, also Männern betrieben wurde. Bei diesem Wandel spielten in Deutschland die Entbindungshospitäler eine entscheidende Rolle. Am Beispiel des Göttinger »Accouchierhauses«, das 1751 als weltweit erste Universitäts-Geburtsklinik gegründet wurde, sowie der Entbindungsspitäler in Kassel und…mehr

Produktbeschreibung
Die Entbindungshospitäler spielten eine zentrale Rolle beim Wandel der Geburt von einer reinen Frauensache zu einem klinischen Ereignis. Lange war die Geburt ein Ereignis, für das nur Frauen zuständig waren. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Geburtshilfe allmählich zu einer Wissenschaft, die von Ärzten, also Männern betrieben wurde. Bei diesem Wandel spielten in Deutschland die Entbindungshospitäler eine entscheidende Rolle. Am Beispiel des Göttinger »Accouchierhauses«, das 1751 als weltweit erste Universitäts-Geburtsklinik gegründet wurde, sowie der Entbindungsspitäler in Kassel und Braunschweig stellt der Band die Praxis dieser Institutionen dar. In welcher Weise nutzten Professoren, Ärzte, Medizinstudenten und Hebammen die Entbindungshospitäler? Was bedeuteten sie für die schwangeren Frauen dieser Zeit? Angesichts der aktuellen Debatten um Klinik- oder Hausgeburt, natürliche oder High-Tech-Entbindung lohnt der Blick zurück in die Geschichte auf eine Zeit des Umbruchs im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt.
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Autorenporträt
Jürgen Schlumbohm, geb. 1942, ist Historiker und war u.a. am Max-Planck-Institut für Geschichte, den Universitäten Oldenburg und Göttingen sowie an der University of California und der Sorbonne tätig. Veröffentlichungen u.a.: Lebendige Phantome. Ein Entbindungshospital und seine Patientinnen 1751-1830 (2012).

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2004

Die gute Hoffnung in der Zange
Studien über die Entstehung der Geburtsklinik und der männlichen Geburtshelfer in Deutschland

Die Geburt des Geburtshelfers, einmal eingeleitet, ging zügig voran. In Göttingen wurde 1751 die weltweit erste an eine Universität gebundene Entbindungsklinik gegründet. Brachte das den Frauen Glück und langes Leben?

Der erste Direktor hieß Johann Georg Roederer. Die traditionellen Hebammen hielt er für unwissende Frauen aus den unteren Schichten. Er bot deshalb auch Kurse für künftige Hebammen an. Roederers ganze Hoffnung aber richtete sich auf die Männer. Auch in Göttingen wurde die Geburtshilfe zu einer wissenschaftlichen Disziplin der Männer. Gab es keine Alternative? Die Geburtsklinik von Port-Royal wurde von einer Hebamme geleitet, und hier wurden nur Hebammen ausgebildet.

In der Göttinger Entbindungsklinik kamen am Anfang zwanzig bis dreißig Kinder im Jahr auf die Welt, schließlich waren es einhundert. Ein kleiner Segen im Vergleich mit den Raten in den Gebärhäusern in Paris, Wien oder Dublin, wo eintausend Niederkünfte im Jahr verzeichnet wurden.

Fast alle Patientinnen der Göttinger Gebärklinik waren nicht verheiratet, über die Hälfte waren Dienstmädchen oder Mägde, die meisten kamen aus einem Elternhaus der niederen Schichten. Die Patientinnen blieben durchschnittlich sechsundvierzig Tage in der Klinik - doppelt so lang wie in Port-Royal. Die Klinik war kein Findelhaus, die Frauen nahmen ihre Kinder mit. Dennoch: Nur ein kleiner Teil der unverheirateten schwangeren Frauen Göttingens ging zur Geburt in die Klinik. Die verheirateten Frauen gebaren sowieso lieber daheim, wo Hebammen, Verwandte und Nachbarinnen halfen.

Nach Direktor Roederer kam Direktor Friedrich Benjamin Osiander. Er unterrichtete dreißig bis sechzig Studenten der Medizin. Zweimal in der Woche machte er sich mit einer Gruppe von acht Studenten auf in die Praxis: Er postierte sich vor einer Gebärenden und übte mit den Studenten Handgriffe. Die Gebärende saß auf einem Geburtsstuhl, Gesicht und Oberkörper von einem Vorhang verdeckt. Osiander schreibt dazu: Die "Geburtsteile" waren entblößt, damit "alle Zuschauer den Hergang und die Art der Hülfe sehen" konnten. Er entschied, ob er die Geburt der Natur überlassen oder mit der Zange nachhelfen sollte. Der Direktor, der ja auch etwas tun wollte, war der Ansicht, daß der Geburtshelfer bei der Geburt nicht "mit animalischer Ergebenheit auf die Hülfe der Natur" warten sollte. Deswegen legte er oft die Zange an, drehte und zog und führte auch schon mal die Hand in den Uterus und "klopfte innen an, dass die Studierenden von außen fühlen konnten, wie hoch ich im Uterus heraufgekommen war". Unter Osiander wurden vierzig Prozent aller Geburten mit der Zange vorgenommen. Roederer warf er vor, 88 Prozent der Geburten der Natur überlassen zu haben.

Nur sehr wenige Frauen flohen vor der Niederkunft aus der Klinik. Wurden sie erwischt, mußten sie Geld für die dort verlebten Tage zahlen. Andere Frauen in der Klinik brachten ihr Kind lieber heimlich auf die Welt, statt sich auf den Gebärstuhl zu setzen.

Es ging aufwärts: Die wissenschaftlichen Geburtshelfer gewannen bei den Regierungen und der männlichen Öffentlichkeit stetig an Ansehen, während in Europa die Müttersterblichkeit in den Geburtskliniken höher lag als bei den Geburten daheim, die von Hebammen betreut wurden. Warum das so war - das ist noch nicht erforscht.

EBERHARD RATHGEB

Jürgen Schlumbohm/Claudia Wiesemann: "Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751-1850. Göttingen, Kassel, Braunschweig". Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 144 S., br., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit einem gewissen Schaudern referiert Eberhard Rathgeb aus dem Buch über die Geschichte der Geburtskliniken in Deutschland, deren erste 1751 in Göttingen eröffnet wurde. Wie der Rezensent hervorhebt, waren Zangengeburten und andere Eingriffe durch die zumeist männlichen Geburtshelfer an der Tagesordnung, wenn es auch ein "kleiner Segen" gewesen sein mag, dass in dieser Entbindungsklinik statt wie in den Gebärhäusern in Paris oder Wien, in denen 1.000 Geburten jährlich verzeichnet wurden, zu Beginn nur 20 bis 60 Kinder pro Jahr auf die Welt kamen, so der Rezensent. Rathgeb weist darauf hin, dass die "Müttersterblichkeit" in den Geburtskliniken höher lag als bei den von Hebammen begleiteten Hausgeburten und dennoch das "Ansehen" der "wissenschaftlichen Geburtshelfer" in den Kliniken vor allem in der "männlichen Öffentlichkeit" stetig stieg.

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