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Die Gewalt, die die Geschichte der Beziehungen Europas zu Afrika von Beginn an prägt, spiegelt sich im Denken insbesondere der abendländischen Philosophie wider.
Im westlichen Diskurs ist Afrika Stellvertreter einer radikalen Differenz, des ganz Anderen. Es symbolisiert in seiner "abnormalen Differenz die Identität des Eigenen" (V.Y.Mudimbe).
Wie reagiert die Philosophie in Afrika auf ein Denken, das die eigene Wahrnehmung so nachhaltig beeinflusst hat? Welche unterschiedlichen Perspektiven auf die europäische Geistesgeschichte wurden entwickelt und welche Auswege aus der damit
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Produktbeschreibung
Die Gewalt, die die Geschichte der Beziehungen Europas zu Afrika von Beginn an prägt, spiegelt sich im Denken insbesondere der abendländischen Philosophie wider.

Im westlichen Diskurs ist Afrika Stellvertreter einer radikalen Differenz, des ganz Anderen. Es symbolisiert in seiner "abnormalen Differenz die Identität des Eigenen" (V.Y.Mudimbe).

Wie reagiert die Philosophie in Afrika auf ein Denken, das die eigene Wahrnehmung so nachhaltig beeinflusst hat? Welche unterschiedlichen Perspektiven auf die europäische Geistesgeschichte wurden entwickelt und welche Auswege aus der damit verbundenen epistemologischen Falle gefunden? Mit welchen Mitteln lässt sich die für die afrikanische Entwicklung so fatale Dichotomie von Tradition und Moderne auflösen?

Von diesen Fragestellungen geleitet, erarbeitet der Autor Ansätze zu einem afrikanisch-europäischen Dialog, der Philosophie als eine internationale Debatte versteht und darum bemüht ist, die Selbstbeschränkung der abendländischen Selbstreferentialität zu überwinden.

Aus dem Inhalt:
Danksagung
Einleitung

Erzählen - Verstehen - Interpretieren: zur Komplementarität magischer und wissenschaftlicher Systeme
- Hexen, Orakel, Fernsehen
- Magie als Herausforderung der Wissenschaften

Présence Africaine
- Négritude: Von der Protestliteratur zur Ideologie
- Négritude zwischen Idealismus und Marxismus

Verkapselungen des Eigenen
- Zur Kritik der Ethno-Philosophie und der Négritude Senghors

Strategien der Aneignung des Sprechens
- Übergänge
- Zur "Afrikanität" einer Philosophie

Holzwege und verlassene Traditionen
- Schwierigkeiten des dialogischen Prinzips

Implizite Reflexivität. Kritische Traditionen
- Begriff und Bedeutung von Tradition
- Ansätze zu einer Theorie der Tradition
- Vom autoritären zum reflexiven Traditionsbegriff
- Postkoloniale Traditionen
Literatur
Autorenporträt
Ulrich Lölke, Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Theologie in Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg und New Jersey/USA; Promotion in Düsseldorf; Forschungsaufenthalt u.a. an der University of Ghana/Legon; Forschungsschwerpunkte: Ethik, globale Gerechtigkeit, postkoloniale Philosophie und Dekolonisation sowie Wissenschaft und lokales Wissen in der Dritten Welt; derzeit Lehrtätigkeit Philosophie am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg.

Aus der wissenschaftlichen Reihe
"Denktraditionen im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität:
(weitere aktuelle Neuerscheinungen laufend unter www.iko-verlag.de)

Band 4
Raúl Fornet-Betancourt (Hg.)
Unterwegs zur interkulturellen Philosophie
Dokumentation des II. Internationalen Kongresses für Interkulturelle Philosophie
1998, 218 S., DM 39,80, ISBN 3-88939-447-7

Band 5
Josef Estermann
Andine Philosophie
Eine interkulturelle Studie zur autochthonen andinen Weisheit
1999, 354 S., 12 Abb., DM 49,80, ISBN 3-88939-509-0

Band 6
Raúl Fornet-Betancourt (Hg.)
Menschenrechte im Streit zwischen Kulturpluralismus und Universalität
Dokumentation des VII. Internationalen Seminars des philosophischen Dialogprogramms Nord-Süd
Beiträge in Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch
2000, 206 S., DM 34,80, ISBN 3-88939-518-X

Band 8
Raúl Fornet-Betancourt
Interculturalidad y globalización
Ejercicios de crítica filosófica intercultural en el contexto de la globalización neoliberal
2000, 160 S., Spanisch, DM 29,80, ISBN 3-88939-541-4
In Koproduktion mit: Editorial DEI, San José/Costa Rica, ISBN 9977-83-124-6

Preisänderungen und Irrtümer vorbehalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2001

Vernunft im Abendwind
Ulrich Lölke siebt Goldkörner aus afrikanischer Philosophie

Hier werden die Leitlinien und Irrwege der postkolonialen Philosophie in Afrika nachgezeichnet. "Der Kolonialismus", schreibt Ulrich Lölke, "ist ein System, das nicht mit seinem politischen Ende aufgehört hat zu existieren, sondern offensichtlich die Fähigkeit besitzt, sich zu transformieren." Herausforderung für die afrikanische und Hausaufgabe der europäischen Philosophie sieht der Autor in der Dekolonisierung des Bewußtseins von der "dominanten westlichen Erzählung". Unter Rückgriff auf orale Traditionen und magische Praktiken führt er den Ort der Erkenntnis nach Afrika zurück und wirkt so dem Trugschluß entgegen, daß der afrikanische Diskurs ein bloßer Anhang des westlichen sei.

Die "Suche der Subalternen nach Sprache" vollzieht sich auf einem schmalen Grat. Er verläuft "zwischen Konstruktion und Dekonstruktion, zwischen Ablehnung und Annahme der herrschenden Begriffe". So gebiert die literarisch-politische Bewegung der Négritude eine ästhetische Revolte im Paris der dreißiger Jahre. Afroamerikanische und afrikanische Intellektuelle wie Aimé Césaire oder der Schriftsteller und spätere Präsident Senegals Léopold Sédar Senghor formulieren aus der Diaspora Afrikas Wesen und Werte. Surrealistische und dadaistische Einflüsse spielen eine wichtige Rolle. "Vernunft, ich opfere Dich dem Abendwind, Du nennst Dich Sprache der Ordnung?" dichtet der kämpferische Aimé Césaire. Und fährt programmatisch fort: "Wir berufen uns auf die Dementia praecox, den blühenden Unsinn, den hartnäckigen Kannibalismus."

Der eher gestalterisch und konstruktiv denkende Senghor stellte Europas diskursiv-augenhafter Vernunft einen intuitiv-umarmenden Vernunftbegriff gegenüber. Durch die Förderung von Jean-Paul Sartre erhält die Denkströmung einen marxistischen Anstrich. Mit seiner Analyse der Poesie der Négritude im "Schwarzen Orpheus" gibt er ihr, wie Lölke boshaft bemerkt, die Weihe, Teil des Weltgeistes zu sein. Doch die Empörungen über die Konstruktionen einer schwarzen Volksseele waren zu groß, zu deutlich wiederholten sich im Kulturbiologismus der Négritude die rassistischen Vorurteile Europas.

Zeitgleich zur Négritude entwickelt sich die später sogenannte "Ethno-Philosophie", die philosophische Denkstrukturen direkt im Fundus originaler afrikanischer Traditionen vermutet. Der Begriff bezieht sich auf die Ethnologie und ihre Methoden, aber auch auf die Gedankenwelt ethnischer Gruppen oder Stämme im Sinne einer "unbewußten Philosophie".

Im Zentrum der ethnophilosophischen Debatten steht die "Philosophie bantoue", die der flämische Missionar Placide Frans Tempels 1945 in Lubumbashi veröffentlichte. Die Bantu-Philosophie ist eine dynamische Konzeption des Seins, die der Jesuit aus seiner Feldarbeit mit den Bantu rund um das Prinzip der "Lebenskraft" (muntu) entwickelte. Allein die Versuche des Paters, Volksglauben zu systematisieren, schlugen fehl. Das "janusköpfige Sprechen", das die zivilisatorische Mission und die "schöne Spiritualität der primitiven Bantu" zum Thema nimmt, richtet sich nicht an die, deren unterdrückte Stimme es vorgibt zu vertreten. Afrikas Kulturen werden hier vielmehr als historische Kuriosität der europäischen Moderne zeitlich untergeordnet und somit sprachlos gemacht.

Gibt es einen Zugang zu den Traditionen "vorbei an den Fallen des kolonialen Blicks"? Der Autor sieht einen Lösungsansatz in der Überwindung des linearen Geschichtsbegriffs und eingefahrener Dichotomien. Lölke rekonstruiert sehr detailliert die Kritik an der Négritude und Ethno-Philosophie, die sich alsbald in eigenständige philosophische Richtungen kanalisierte. Einen ersten Schritt in Richtung philosophischer Dekolonisation sieht Lölke in den sogenannten "Sage-Projekten" der siebziger Jahre: Kwame Gyekye und Henry Odera Oruka dokumentierten in Interviews für die Universitäten von Ghana und Nairobi unabhängig voneinander das zeitgenössische Wissen der Weisen. In ländlichen Gemeinden fragten sie die Chiefs oder Ältesten nach Personen, die in der Lage seien, "schwierige Fragen" zu beantworten.

Anders als die "Philosophien ohne Philosophen" wie die Bantu-Philosophie, die ja nur in der Systematisierung existierte, handelt es sich hier um identifizierbare Individuen, die ihre eigenen Kulturen kritisch begleiten. In einer Situation extremer Knappheit diene ein praxisbezogenes postkoloniales Projekt von Philosophie auf dem afrikanischen Kontinent in erster Linie dazu, die emanzipatorischen Kräfte, deren Teil sie ist, wiederzuerwecken. Dabei müsse die Auseinandersetzung mit den technologischen Standards der westlichen Welt nicht einer kulturellen Autonomie entgegenstehen.

STEFFEN GNAM

Ulrich Lölke: "Kritische Traditionen". Afrika. Philosophie als Ort der Dekolonisation. IKO Verlag, Frankfurt 2001. 258 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Abschied vom kolonialen Erbe kann auch auf dem Gebiet der Philosophie kein einfacher sein, so die Grundvoraussetzung von Ulrich Lölkes Untersuchung postkolonialer Philosophie in Afrika. Die "Suche der Subalternen nach Sprache" gestaltet sich schwierig. Senghors emphatische Affirmation der "négritude" erweist sich in Teilen als Wiederholung der "rassistischen Vorurteile Europas", referiert Steffen Gnam. Gleichfalls problematisch sei die Konstruktion einer "Philosophie bantoue" durch den jesuitischen Missionar Placide Frans Tempels: hier, so der Rezensent, werden Afrikas Kulturen zur "historischen Kuriosität". Gnam scheint dem Autor zuzustimmen, dass erstmals in den "Sage-Projekten" in den 70er Jahren, in denen die Weisen ländlicher Gemeinden selbst befragt wurden, Schritte in Richtung wirklicher Eigenständigkeit unternommen wurden.

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