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Produktdetails
  • Verlag: Verlag Antje Kunstmann
  • Originaltitel: Gents
  • Seitenzahl: 138
  • Abmessung: 15mm x 128mm x 194mm
  • Gewicht: 227g
  • ISBN-13: 9783888972591
  • ISBN-10: 3888972590
  • Artikelnr.: 09370726
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2001

Die Waschmaschine im WC
Republikanische Putztruppe: Warwick Collins' Roman "Herren"

Der Titel von Warwick Collins' kleinem Roman "Gents" deutet auf eine nicht nur im Vereinigten Königreich verbreitete Kulturpraxis: die "urinäre Segregation", wie Jacques Lacan das Phänomen bezeichnet hat. Vor der Toilettentür haben sich die Geschlechter ins Unvermeidliche ihrer Bestimmung zu schicken, wie quer auch immer sie sich sonst zu ihrer Anatomie stellen mögen. Damit die Unterwerfung nicht zu schwer fällt, folgt ihr die soziale Aufwertung auf dem Fuß. "Damen" und "Herren" sind wir, solange wir unserem Bedürfnis nachkommen, nicht nur "Männer" und "Frauen". Wo sie nach Geschlechtern trennt, führt die öffentliche Toilette die Klassen zusammen. Sie ist ein egalitärer Ort, obwohl oder weil Damen und Herren jeweils unter sich bleiben müssen. Und inmitten von alledem waltet die tüchtige Klofrau oder - wie im Falle von Warwick Collins' "Herren" - der Klomann.

Die "Herren"-Toilette in der Londoner City, in der Warwick Collins seinen Beobachtungsposten errichtet hat, entpuppt sich rasch als ein differenzierter Ort, an dem sich trefflich ein kleines Lehrstück in Szene setzen läßt. Wie gehen drei jamaikanische Klomänner mit dem Umstand um, daß ihr Arbeitsplatz regelmäßig zur Mittagszeit von Herren in Geschäftsanzügen frequentiert wird, die, zu zweit, zu dritt, sich in eine Kabine drängen und dort sanft die Wände zittern lassen, als habe jemand eine Waschmaschine in Betrieb gesetzt? Dürfen die "Reptilien", wie Reynolds, Jason und Ez diese Kundschaft getauft haben, dürfen die Reptilien das? Wer will es, einerseits, den Business-Männern mit ihren farblosen Lidern verübeln, daß sie sich diese und keine andere Anstalt zur "Klappe" erkoren haben? Wer will es aber auch Ezekiel Stanislaus Murphy, kurz Ez, aus West Kingston, Jamaika, und seinen Kollegen verdenken, daß sie keine Reptilien mögen, weiße Männer, die beim Kopulieren nicht mal Blicke, geschweige denn Worte wechseln? Oder sind vielleicht die Reptilien doch ganz liebenswerte Gäste, verglichen mit manchem aggressiven "Reptilienhasser", der mit der Waffe in der Hand auf ein Ende ihres Treibens pocht?

Und schließlich ist noch Mrs. Steerhouse zu gewärtigen, die Dame vom Ordnungsamt, die auf den Anstand ebenso streng bedacht ist wie auf die Rentabilität des Etablissements und damit ihre drei Statthalter in ein echtes Dilemma bringt. Erst ziehen die Jamaikaner noch mit Schlagstöcken gegen die Reptilien zu Felde, dann aber greifen die verbliebenen zwei - Jason, den Rastafari, hat es heimwärts in die Karibik gezogen - zur Selbsthilfe und finden für die bedrohte Einrichtung eine Lösung, die den Geboten der Betriebswirtschaft ebenso entspricht wie denen der christlichen Nächstenliebe.

Während die Reptilien im Halbdunkel ihrer Kabinengeschäfte verborgen bleiben, hegt der Autor für die drei Toilettenpfleger spürbare Sympathie, was in einer dichten Beschreibung ihrer Redensarten und Eßgewohnheiten ihren Niederschlag findet. "Sie", so heißt es über Reynolds, Jason und Ez, "bewohnten eine eigene Republik. Untereinander verfielen sie immer öfter in Patois. Jedoch nicht etwa, um sich besser verständigen zu können, sondern um die anderen auszuschließen." Leider fühlt man sich als deutscher Leser vom Patois der drei Jamaikaner ausgeschlossen, denn die Übersetzung kann, was ihr nicht anzulasten ist, diesen Zungenschlag nicht mit transportieren. Das ist um so mehr von Nachteil, als der Roman im Kern weniger ein Erzählwerk ist als ein szenischer Dia- oder Trialog, in dem sich die Protagonisten beim Verrichten ihrer Putzdienste spielerisch die Rede-Bälle zuwerfen. Manches Kapitel ist kaum eine Seite lang, aber mehr Platz hat Collins mit seiner knappen, trockenen Sprache gar nicht nötig.

Um aber richtig plausibel zu machen, was den Einbruch der Toleranz in Ez' festgefügtes Weltbild bewirkt hat, muß Collins doch einmal hinter die gekachelten Kulissen blicken. Er führt uns also zu Ez nach Hause, zu seiner verständnisvollen Frau und seinem ziemlich nichtsnutzigen Sohn, der zum Leidwesen des Vaters das Fußballspielen aufgegeben hat und nun den reichlich effeminierten Beruf des Friseurs ausübt. Eines Sonntags predigt Pfarrer Davies in der Kirche nach Matthäus 7 und läßt Ez an einem Satz ein Evidenzerlebnis zuteil werden. Der Satz heißt: "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?", und keiner ruft danach eifriger "Amen" als Ez. "Er mochte", heißt es, "die ungeschminkte Offenheit, die unverblümten Wahrheiten des Evangeliums." Nun ist es um ihn geschehen: Ez wird seinen Sohn lieben, obwohl er Friseur geworden ist, und er wird sogar noch die Reptilien liebenlernen. Ein wundersames kleines Versöhnungsmärchen ist es, was Collins uns da serviert hat, und bevor sich seine menschenfreundliche Botschaft allzu eindeutig entfaltet hätte, ist es auch schon zu Ende.

CHRISTOPH BARTMANN

Warwick Collins: "Herren". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Mohr. Verlag Antje Kunstmann, München 2001. 140 S., geb. , 28,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Stephan Maus ist richtig sauer. Obwohl er sich ganz wohlgesonnen an die Lektüre von Warwick Collins Roman über drei Toilettenherren inmitten von London begeben hat, war diese zunächst positive Grundhaltung nicht von langer Dauer. Sie währte genau zehn Seiten. Und dann ging der Ärger für den Rezensenten los. Idee, Stil und Setting des Romans landen bei Maus im Orkus. Denn er findet Collins' Ausarbeitung lieb- und phantasielos. Nicht nur, dass der Autor seine drei jamaikanischen Heiligen Ezekiel, Jason und Josiah zu schwulenhassenden Heteros stilisiert, deren Humor einfach nicht über der Gürtellinie landen will, sondern auch der Stil des Romans erregt beim Rezensenten höchsten Unmut. Maus' vernichtendes Urteil: "billige Teaser-Literatur", die er so gar niemandem empfehlen möchte. "Verglichen mit diesem pubertären Analgegibbel sind landläufige Pissoir-Graffiti noch von erlesener Feinsinnigkeit und sprühen vor Esprit", lautet das wahrlich gänzlich negative Resümee des Rezensenten.

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