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Hindenburg - eine deutsche Karriere
Paul von Hindenburg ist eine der zentralen Figuren in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der als Held verehrte "Sieger von Tannenberg" war maßgeblich an entscheidenden historischen Wendepunkten beteiligt. Mit Wolfram Pytas Buch liegt nun endlich die erste umfassende Biographie Hindenburgs vor.
Als politischer Akteur wirkte Hindenburg (1847-1934) zu einer Zeit, in der sich die Ereignisse in Deutschland und in Europa überschlugen: Kriegsniederlage und Revolution führten das Reich in eine tiefe Krise, Inflation und Weltwirtschaftskrise
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Produktbeschreibung
Hindenburg - eine deutsche Karriere

Paul von Hindenburg ist eine der zentralen Figuren in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der als Held verehrte "Sieger von Tannenberg" war maßgeblich an entscheidenden historischen Wendepunkten beteiligt. Mit Wolfram Pytas Buch liegt nun endlich die erste umfassende Biographie Hindenburgs vor.

Als politischer Akteur wirkte Hindenburg (1847-1934) zu einer Zeit, in der sich die Ereignisse in Deutschland und in Europa überschlugen: Kriegsniederlage und Revolution führten das Reich in eine tiefe Krise, Inflation und Weltwirtschaftskrise stürzten die Weimarer Republik in heftige Turbulenzen. Die Welt war aus den Fugen, und Hindenburg bestimmte an entscheidender Stelle die Geschicke Deutschlands mit, so etwa beim Sturz der Monarchie im November 1918, oder im Januar 1933, als er Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Hindenburg war eine Herrscherpersönlichkeit, die in drei politischen Systemen Entscheidungen von welthistorischer Dimension traf.

Wolfram Pyta, der beste Kenner Hindenburgs, erzählt in seinem Buch die Geschichte einer atemberaubenden politischen Karriere, die im Kaiserreich begann, die Republik überdauerte und während der Diktatur endete. Thesenfreudig und umfassend, originell und anschaulich: Eine historische Biographie, die Standards setzt; ein Muss für jeden historisch interessierten Leser.
Autorenporträt
Wolfram Pyta, 1960 in Dortmund geboren, studierte in Bonn und Köln und habilitierte an der Universität Köln. Seit 1999 ist er Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der Weimarer Republik und die europäischen Mächtebeziehungen 1815-1848. Wolfram Pyta leitet außerdem die Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Wer so träge ist, dem gebührt das Vertrauen
Nicht Akteur, sondern Regisseur des Untergangs: In seiner gründlichen Biographie reinigt Wolfram Pyta den Feldmarschell Paul von Hindenburg von aller patriotischen Patina. Plötzlich steht der Mann nackt da – und seine verhängnisvolle Rolle wird um so plastischer Von Johannes Willms
Nachträglich kann man sich nur wundern, dass eine Schlüsselfigur für den zweimaligen Untergang des Deutschen Reiches und die unauslöschliche Schande, die seither auf diesem Land lastet, so lange hinter den dichten Schleiern einer Legende verborgen war, die zu weben deren erfolgreichste Leistung war. In einer sehr umfangreichen und sorgfältig dokumentierten Biographie, hat der Historiker Wolfram Pyta die bislang gescheute Kärrnerarbeit auf sich genommen, die Figur des Paul von Hindenburg von der dicken Schicht patriotischer Patina zu reinigen. Jetzt steht der preußische Recke, der höchstdekorierte Feldmarschall, dessen Nimbus auf dem falschen Ruhm gründete, der „Sieger von Tannenberg” zu sein, mit einem Mal nackt da und macht eine recht erbärmliche Figur.
Die Leistung von Pyta ist es, dass er Hindenburg, der in der Fatalität seiner Wirkung auf die deutsche Geschichte bislang nur als Schattenriss bemerkbar war und dessen persönlich zurechenbare Verantwortung für die Katastrophe Deutschlands immer von der anderer Akteure mildtätig verdeckt wurde, in voller Größe und Plastizität darstellt. Dass erst jetzt ein Historiker diese längst fällige Aufgabe umfassender Entzauberung auf sich nahm, ist allerdings erstaunlich, denn Hindenburg hatte wenigstens zweimal ganz entscheidende und unübersehbare Positionen im deutschen Schicksalsdrama inne: Am zweiten Jahrestag des siegreichen Endes der Schlacht von Tannenberg, am 29. August 1916, wurde er zum Chef der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) ernannt, ein Amt, das er bis zum Ende des von Deutschland verlorenen Kriegs im November 1918 ausübte. Am 26. April 1925 wurde er als erster und letzter in freier und direkter Volkswahl zum Staatspräsidenten der Weimarer Republik gekürt und trat damit die Nachfolge des Ende Februar 1925 verstorbenen Sozialdemokraten Friedrich Ebert an, der im Februar 1919 von der in Weimar tagenden Nationalversammlung in das höchste Staatsamt gewählt worden war.
In beiden Funktionen war Hindenburg unmittelbar an zwei zentralen Entscheidungen beteiligt, die sich fraglos als Peripetien im Drama der jüngeren deutschen Geschichte identifizieren lassen: Am 9. November 1918 war er maßgeblicher Akteur beim Sturz der Monarchie und der Flucht Kaiser Wilhelms II. in die neutralen Niederlande beteiligt und am 30. Januar 1933 ernannte er Adolf Hitler zum Reichskanzler.
Dass der als Kommandierender General des IV. Armeekorps 1911 in den Ruhestand verabschiedete Berufssoldat Hindenburg erst kurz vor Vollendung seines 67. Lebensjahrs seine erstaunliche Karriere begann, war einer Reihe von Zufällen zuzuschreiben, die er rasch und mit großem Geschick als eigenes Verdienst ausmünzte. Das verschaffte ihm ein Kapital, mit dem er bis zu seinem Tod Anfang August 1934 überaus erfolgreich wucherte. Hindenburgs Stunde schlug am 22. August 1914. An diesem Tag erhielt er den Bescheid seiner Reaktivierung verbunden mit der Beförderung zum Generaloberst. Bekleidet mit diesem Rang wurde er zum Oberkommandierenden der 8. Armee bestellt, die allein seit Kriegsbeginn die östliche Flanke des Reichs gegen den Ansturm von zwei russischen Armeen verteidigen sollte. Angesichts der feindlichen Übermacht und einer drohenden Einkesselung ging diese Armee schon drei Wochen nach Kriegsbeginn bis hinter die Weichsel zurück.
Damit drohte nicht nur der deutsche Angriffsplan Makulatur zu werden. Der sah vor, das Gros der eigenen Kräfte im Westen, gegen Frankreich vorstürmen zu lassen, das man so rasch zu überwältigen hoffte. Im Osten, so war man sich sicher, ließe sich das mit Frankreich verbündete Russland wegen der langsam in Gang kommenden Mobilisierung seiner Kriegsmaschine mit schwachen Kräften aufhalten. Die Katastrophe, die sich hier anbahnte – Ostpreußen war bereits von russischen Truppen erobert und Westpreußen unmittelbar bedroht – galt es, mit dem in diesem Raum vorhandenen Kräften zu bannen. Angesichts der verzweifelten Lage entschied sich die Reichsführung die Leitung des Kriegs im Osten einem Mann zu übertragen, der unmittelbar zuvor die als uneinnehmbar geltende Festung Lüttich im kühnen Handstreich erobert hatte: General Erich Ludendorff.
Da Ludendorffs Dienstalter und Rang es aber nicht erlaubte, ihm förmlich das Oberkommando über die 8. Armee zu geben, musste ein Vorgesetzter für ihn gefunden werden, der bereit war, unter ihm zu dienen. Das war der pensionierte General Paul von Hindenburg, von dem man völlig zu Recht vermutete, er besäße genug Phlegma und zu wenig eigenen Ehrgeiz, um das schwierige Naturell des strategisch als brillant geltenden Ludendorff zu ertragen.
Dieses Kalkül erfüllte sich glänzend, denn ohne eigene strategische Ideen trug Hindenburg allein durch sein unerschütterliches Phlegma zum Erfolg Ludendorffs bei: Diesem gelang das hochriskante Manöver, die Armee Samsonow einzukesseln und zu vernichten, ohne dass er seinerseits von der unweit entfernt operierenden 1. russischen Armee unter Rennenkampf in die Zange genommen wurde. Am Abend des 29. August 1914 war das Cannae bei Tannenberg in Ostpreußen vollendet: Während die 8. Armee nur rund 5000 Gefallene hatte, büßten die Russen über 140 000 Mann an Gefangenen und Toten ein, den Mannschaftsbestand der 2., der Narewarmee. Einige Tage später wurde auch die 1. russische Armee unter Rennenkampf geschlagen, der sich einer ebenfalls geplanten Umfassung durch schnellen Rückzug, aber um den Preis von 40 000 Toten entzog.
Beide Siege, mit denen die Gefahr im Osten abgewendet wurde, erschienen den Zeitgenossen wie eine Heldensage, die, je länger der Krieg im Westen zum unentschiedenen Blutbad in den „Stahlgewittern” der Materialschlachten buchstäblich verschlammte, sich ins Riesenhafte auswuchs. Der Nutznießer dieses Schlachtenruhms war allein Hindenburg, der es nicht nur verstand, alle Lorbeeren für sich zu kapern, sondern auch durch eine von ihm geschickt inszenierte und gesteuerte Propaganda zu einer kritiklos bewunderten Symbolfigur zu werden, die in sich alle enttäuschten Hoffnungen konzentrierte.
Dieser Mechanismus, mit dem sich Hindenburg als Mann der Vorsehung und charismatischer Führer erfand, dem Millionen später blindlings vertrauten, als sie ihn zweimal, 1925 und 1932 zum Reichspräsidenten wählten, der dank der Weimarer Verfassung über einen großen politischen Entscheidungsspielraum gebot, wird von Wolfram Pyta mit bewundernswerter Detailgenauigkeit geschildert. Pyta zeigt, wie es Hindenburg gelang, dem fälschlicherweise ihm und nicht Ludendorff zugewiesenen „Tannenberg-Mythos” nicht nur über die Tätigkeit als Chef der OHL zu retten, mit der er zum Hauptverantwortlichen auf deutscher Seite für die katastrophale militärische und politische Führung des Weltkriegs in dessen zweiter Phase wurde, sondern diesen auch zum Ausbau seiner eigenen unangreifbaren Stellung zu instrumentalisieren. Im Schutz dieses Mythos gelang es ihm auch, völlig unbeschädigt den Untergang des Kaiserreichs zu überdauern, den er selbst ganz entscheidend mitzuverantworten hatte.
Das Geheimnis von Hindenburgs sehr persönlichem Erfolg war, wie Wolfram Pyta anschaulich darlegt, neben der Inszenierung seines Charismas vor allem die für ihn charakteristische sachliche Kälte, die er hinter phlegmatischer Bonhomie zu verbergen verstand. Diese Kälte setzte ihn instand, alle diejenigen, die seinen Nimbus durch ihr Scheitern zu beschädigen drohten, treu- und mitleidlos zu verraten und fallen zu lassen. Der erste, den es traf, war sein Untergebener Ludendorff, der eigentliche Chef der OHL. Der nächste war Kaiser Wilhelm II., den er zur Abdankung und Flucht in die Niederlande drängte. Diesen folgten, in der Reihenfolge ihres Abgangs, die führenden Köpfe der Weimarer Republik Erzberger, Ebert, General Groener sowie die Reichskanzler Brüning, Franz von Papen und General von Schleicher.
Neben einer ausgeprägten Eitelkeit gab dafür vor allem eine politische Rationale den Ausschlag. In völliger Selbstüberschätzung wähnte sich Hindenburg vor allem zeit seiner Reichspräsidentschaft dazu berufen, die bloß „äußerliche Reichseinigung” Bismarcks durch die bitter vermisste „innere Reichseinigung” zu vollenden. Deren objektiv mangelhafter Zustand galt Hindenburg als die Hauptursache für die Kriegsniederlage des Deutschen Reiches. Eben das behauptete auch die „Dolchstoßlegende”, zu deren Miterfindern der Chef der OHL gehörte.
Die Verwandlung des Feldmarschalls und Chef des angeblich „im Felde unbesiegten Heeres” zum Politiker und Staatsmann vollzog sich parallel zum Trauma der Niederlage, die Deutschland dem Willen der Siegermächte auslieferte.
Im Unterschied zu anderen führenden Militärs – die Seekriegsleitung beispielsweise reichte im November 1918 nach dem Sturz der Monarchie geschlossen ihren Rücktritt ein – blieb Hindenburg auf seinem Posten und arrangierte sich mit der neuen politischen Führung. Das schützte ihn umso besser davor, für den verlorenen Krieg verantwortlich gemacht zu werden; diese Schuldzuweisung hatte so gut wie ausschließlich Ludendorff zu tragen. Außerdem verstand sich Hindenburg unentbehrlich zu machen, indem er als Chef der OHL die reibungslose und geordnete Rückführung der Fronttruppen in die Heimat gewährleistete. Das war mit Abstand die bedeutendste Leistung, für die man die Verantwortung Hindenburg zurechnen kann.
Hindenburg wurde so, wie Pyta schreibt, „zu einer Integrationsklammer zwischen Alt und Neu, die den für viele schmerzhaften Übergang vom Kaiserreich zur Republik erträglich machte. (...) Indem Hindenburg diesen scheinbaren Opfergang auf sich nahm und – wie er später selbst stilisierte – in reiner Pflichterfüllung selbst nach dem Abgang des Kaisers auf seinem Posten ausharrte, machte er sich als Inkarnation der auch den politischen Fährnissen trotzenden Nation symbolisch konkurrenzlos und legte damit den Grundstein für seine atemberaubende zweite politische Karriere”.
Im Unterschied zu vielen anderen naiven Gemütern unter den hohen Militärs war für Hindenburg die Entscheidung zwischen Monarchie und Republik keine Prinzipienfrage. Seine Loyalität zu Preußen und zur Monarchie endete da, wo seinem Nimbus Schaden drohte. Außerdem wusste er, dass spätestens mit der feigen Flucht Wilhelms II., zu der er selbst geraten hatte, die Monarchie für die meisten Deutschen heillos kompromittiert war. Eben darin erkannte er die Chance, in der unvermeidlich von vielen Geburtsfehlern gezeichneten Republik als väterliche Führungsfigur, als eine Art Ersatz-Kaiser, wenn nicht gar als ein zweiter Bismarck reüssieren zu können.
In seiner fraglos bedeutenden Biographie Hindenburgs versagt sich Wolfram Pyta aber die letzte, entscheidende Schlussfolgerung, die im Untertitel seines Werks „Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler” provokativ anklingt. Vermutlich aus zünftiger Befangenheit –trotz glänzender Beispiele gilt der akademischen Geschichtsschreibung die Biographie hierzulande noch immer als ein mehr literarisches Genre, das den strengen philologischen Anforderungen der Fachgenossen eo ipso nicht genügen kann – verzichtet Pyta leider darauf, die Figur Hindenburg als Phänotyp zu fixieren. Die aus mancherlei Rücksichtnahmen noch immer gern beschwiegenen Unzulänglichkeiten, to say the least, der Bismarckschen Reichsgründung kommen in Person und Wirkung Hindenburgs indes geradezu idealtypisch zum Vorschein. Wie sehr der mit den preußische Sekundärtugenden getränkte Berufsoffizier Hindenburg auch sozio-kulturell dem Bismarckreich verhaftet war, illustriert der Umstand, dass er schon als junger Leutnant an der Schlacht von Königgrätz 1866 teilnahm. Im Januar 1871 war er bei der Proklamation des zweiten Deutschen Kaiserreichs in Versailles zugegen.
Wie mancher andere der preußischen Funktionseliten verkörperte Hindenburg damit allein durch seine Biographie wie dank der dabei empfangenen Erfahrungen und Prägungen eine Kontinuität, die alle Brüche überdauerte. Keineswegs ein Zufall war es, dass ausgerechnet dieser Mann die Hebammendienste leistete bei der schauderhaften Nachgeburt, die auf den Untergang des Bismarckreichs und auf das Zwischenspiel der „ungeliebten Republik” folgte, als im „Dritten Reich” alle vom Zweiten Reich von 1871 enttäuschten Träume der Deutschen und ihrer staatlich geeinten Nation fratzenhafte Wirklichkeit wurden.
Wolfram Pyta
Hindenburg
Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. Siedler Verlag, München 2007. 1117 Seiten, 49,95 Euro.
Er besaß genug Phlegma, um den brillanten Ludendorff zu ertragen
Seine Kälte befähigte ihn, jene, die ihm zu schaden drohten, treu- und mitleidlos zu verraten
Hindenburg, der als Leutnant in Königgrätz dabei war, verkörperte Kontinuität
Paul von Hindenburg im Garten des Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße, Berlin, 1925. Die Aufnahme entstand nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten. Foto: Scherl
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2015

Redekünstler und Kartenleser
Als "Genie" konnte Hitler bis zuletzt auf umfassende Gefolgschaftstreue bauen

Noch ein Buch über Hitler - aber ein sehr originelles! Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes möchte Wolfram Pyta die Wirkung der nationalsozialistischen Herrschaft damit erklären, dass sich Hitler schon zur Wiener Aquarellmaler-Zeit am Wagnerschen Gesamtkunstwerk berauschte und daraus später ein "ästhetisches Konzept" entwickelte, um als Politiker und schließlich auch als Feldherr seine Gefolgschaft weder überzeugen noch überreden, sondern überwältigen zu wollen. Die meisten Deutschen fielen demnach auf "Bühnenrezepte" herein, die der aus Braunau am Inn stammende Gefreite und Meldegänger systematisch für den Aufstieg vom Redekünstler nach dem Ersten Weltkrieg zum "Architekten der Festung Europa" im Zweiten Weltkrieg einsetzte.

Die Hitler-Getreuen und -Gläubigen irritierte nicht einmal das Stalingrad-Desaster 1943: Der sich in der Öffentlichkeit rar machende oberste Befehlshaber konnte darauf bauen, "dass sich das Volk auf die unermessliche Schöpferkraft des ,Führers' verließ, der schon Mittel und Wege finden würde, den Gegner zu besiegen. Zumindest eine Zeitlang immunisierte der Genieanspruch gegen nüchterne militärische Einsichten." Daher lautet der zentrale Satz in der Studie des Stuttgarter Kulturgeschichtlers: "Die hingebungsvolle Unterwerfung unter das Genie ist kein serviler Akt erzwungener Untertänigkeit, sondern die extremste Form selbstgewählter Entmündigung."

Wie konnte Hitler in die Genie-Sphäre vorstoßen? Diese Frage behandelt der erste Teil des Buches. Für Pyta war Richard Wagner "zwar nicht der antisemitische Stichwortgeber Hitlers", wohl "aber jener Großmeister der Kunst, der mit seinem Programm einer Ton-Bild-Wort-Raum-Interaktion auf der Bühne das für politische Performanzkünstler attraktivste Angebot offerierte". Durch massentaugliche Aufführungen vermochte Hitler das Publikum in seinen Bann zu schlagen - mit der eigenen Stimme als "kostbarstes politisches Gut". Der Künstler-Charismatiker habe "ästhetische Leitvorstellungen zur Legitimation seiner Herrschaft" genutzt, sich danach vom ständigen Bewährungszwang der charismatischen Herrschaft abgekoppelt und schließlich selbst zum Genie stilisiert - ausgestattet "mit einer schier unbegrenzten politischen Generalermächtigung". Bei einem "Genie der Tat" nehme die Gefolgschaft Terror und Massenmorde als "politischen und moralischen Regelbruch" hin.

Pyta beschreibt im zweiten Teil, wie der Diktator seit 1938 in die Funktion als Inhaber der obersten militärischen Kommandogewalt hineinwuchs. Nach Kriegsbeginn 1939 habe er sich nicht mit der Rolle des Schlachtenbummlers begnügen sowie keine zweiten Hindenburgs und Ludendorffs (wie in der Kaiserzeit 1916) hochkommen lassen wollen. Hitler habe die Professionalität der generalstabsmäßig geschulten Oberbefehlshaber verachtet und darauf vertraut, dass er als Feldherr "die militärische Lage mit einem Blick räumlich erfasste und daraus die richtigen militärischen Lehren zog", zumal es sich im Kern um eine ästhetische Begabung handeln würde, "die vom Feldherrn wie vom Künstler verlangt wurde: die Einnahme einer Perspektive, aus der die Gesamtheit des Geschehens erfasst und damit eingeordnet werden konnte".

Hitler bildete sich ein, "den Raum mit Hilfe exakten Kartenmaterials beherrschen zu können". Weil er nicht in konventionellen Vorstellungen befangen war, ließ er sich während des Frankreich-Feldzuges "von überrumpelnden Kriegslisten" inspirieren: "Als Generalfeldmarschall Göring als ranghöchster Militär am 20. Mai 1940 der Weltöffentlichkeit verkündete, dass Hitler persönlich den genialen Angriffsplan entwickelt habe und auch die militärischen Operationen in diesem Geiste persönlich befehligte, stieß die Ausrufung zum militärischen Genie auf erheblichen Widerhall in Kreisen des Militärs wie der Bevölkerung."

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 herrschte Hitler unumschränkt als Außenpolitiker, operativer Führer und "Weltanschauungstäter, der mit dem Ostkrieg daranging, seine ideologischen Kernziele - Vernichtung der europäischen Juden sowie des Kommunismus - zu verwirklichen". Pyta rekonstruiert einige militärische Fehlentscheidungen Hitlers, der Ende 1941 zusätzlich den Oberbefehl über das Heer übernommen hatte, um anschließend das Stalingrad-Problem zu beleuchten, als Hitler "vom Kartentisch aus bis auf die Bataillons-Ebene hinunter Anweisungen" erteilte.

Sogar nach dem Untergang der 6. Armee gelang es Hitler, seinen Genialitätsanspruch gegenüber dem Generalstabswissen durchzusetzen - nach dem Motto: risikoreiche Operationen wagen, die nicht im Lehrbuch standen, mit der Hoffnung auf den Zufall als einzig verbliebenen Bundesgenossen. Ausgerechnet das Attentat vom 20. Juli 1944 hob Hitlers ramponiertes Ansehen: "Eine Aktion, die im Kern eine Absage an Hitlers militärischen Genieanspruch war, erwies sich nach ihrem Misserfolg als lebensverlängernde Maßnahme für dessen Feldherrnmonopol." Der körperlich immer hinfälligere Hitler hielt um jeden Preis an seiner "Haltedoktrin" fest und setzte auf "Wunderwaffen". Bis zum 27. April 1945 hoffte er, dass Wehrmachttruppen die Festung Berlin von außen entsetzen würden.

Seit 1923 hielt sich Hitler an seine Devise: "Nicht die Zahl gibt den Ausschlag, sondern der Wille." Seine "Entwurfsfreiheit" wollte er nicht durch militärisches Zahlenwerk einschränken lassen - bis er der "Flucht in die Simulation" am 30. April 1945 selbst ein Ende setzte. Bis zuletzt begleitete ihn stets ein Porträt Friedrichs des Großen, der sich ihm "als historische Berufungsinstanz gerade in Kriegszeiten anbot". Dabei blendete er aus, dass zwischen dem Siebenjährigen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg Welten lagen. Dennoch eiferte der verhinderte Theaterarchitekt aus Braunau dem Flötenspieler von Sanssouci in der Art der Kriegführung nach. Hitler konnte "den Charismaverlust durch die Mobilisierung eines Geniekults" kompensieren, resümiert Pyta: "So blieb selbst ein Hitler, der kommunikative Abstinenz praktizierte und eine Kette militärischer Niederlagen zu verantworten hatte, bis in seine letzten Monate hinein ein Herrscher, der auf umfassende Gefolgschaftstreue bauen konnte." Den großen Manipulator überwältigte aber wohl auch die Faszination der eigenen Kulissen.

RAINER BLASIUS

Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler Verlag, München 2015. 846 S., 39,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Zweiflern an Pytas Hindenburg Biographie sei gesagt, dass der Autor seine 870 Textseiten auf die Arbeit in 96 Nachlässen und 42 Archiven von Harvard bis Moskau stützt und auf 185 Anmerkungsseiten präzise über seine Quellengrundlage Auskunft gibt. Seine Stärke liegt aber nicht allein in der mustergültigen empirischen Fundierung, sondern vor allem in der analytischen Durchdringung eines biografischen Themas, in der fern jeder Dogmatik ausgeführten Analyse von Entscheidungsprozessen, in der scharf konturierten Herausarbeitung der Symbolpolitik und der charismatischen Züge von Hindenburgs Herrschaft und in der konsequent durchgehaltenen Kritik am Nationalsozialismus als handlungsleitendem Weltbild. Das Ergebnis ist ein großartiges Beispiel moderner Zeitgeschichte, deren Reflexionsniveau sich auf der Höhe der gegenwärtigen Diskussion bewegt. Es verdient nicht nur zahlreiche Leser, die auf eine menschenfreundliche und dennoch begriffsscharfe Prosa stoßen, sondern auch eine engagierte Debatte, da nicht wenige Positionen der zeithistorischen Geschichtswissenschaft überzeugend infrage gestellt werden." 'Die Zeit

"Thesenfreudig und umfassend, originell und anschaulich: Eine historische Biographie, die Standards setzt. Ein Muss für jeden Leser." Literatur Report

"Hindenburgs Name lebt weiter - wenn auch in einem ganz anderen Sinne als von diesem erwartet. Als Totengräber der ersten deutschen Republik. Dieses Schlagwort ebenso zu hinterfragen wie jenes vom strahlenden Sieger der Schlacht von Tannenberg ist das Verdienst von Wolfram Pytas monumentaler Biographie." Hartmut Schade auf mdr figaro

"Dem selbstformulierten Anspruch, Politik- und Kulturgeschichte fruchtbar zu verbinden, ist Pyta merklich besser gerecht geworden als kulturalistische Brauseköpfe vor ihm. Mit seiner höchst lesenswerten Studie trägt Pyta dazu bei, neues Interesse auf die nach wie vor "bohrende Frage" nach dem Ende der ersten deutschen Demokratie zu lenken und das alte Desiderat einer großen, quellengestützten Hindenburg-Biographie zu erfüllen." Manfred Kittel in der FAZ

"Nicht Akteur, sondern Regisseur des Untergangs: In seiner gründlichen Biographie reinigt Wolfram Pyta den Feldmarschall Paul von Hindenburg von aller patriotischen Patina. Plötzlich steht der Mann nackt da - und seine verhängnisvolle Rede wird um so plastischer...Die Leistung von Pyta ist es, dass er Hindenburg, der in der Fatalität seiner Wirkung auf die deutsche Geschichte bislang nur als Schattenriss bemerkbar war und dessen persönlich zurechenbare Verantwortung für die Katastrophe Deutschlands immer von der anderer Akteure mildtätig verdeckt wurde, in voller Größe und Plastizität darstellt." Süddeutsche Zeitung

"Der Dortmunder Historiker Wolfram Pyta hat die Herkulesarbeit auf sich genommen, die erste wissenschaftlich fundierte Biografie über Hindenburg zu schreiben." Mitteldeutsche Zeitung

"Wolfram Pyta, der beste Kenner Hindenburgs, erzählt in seinem Buch die Geschichte einer atemberaubenden politischen Karriere, die im Kaiserreich begann, die Republik überdauerte und während der Diktatur endete. Thesenfreudig und umfassend, originell und anschaulich: Eine historische Biographie, die Standards setzt; ein Muss für jeden historisch interessierten Leser." Nürtinger Echo
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Johannes Willms begrüßt Wolfram Pytas Biografie Hindenburgs. Überfällig erschien ihm dieses Werk. Umso mehr zeigt er sich erfreut darüber, dass es rundum gelungen ist. Ausführlich schildert er die Karriere des Generalfeldmarschalls und Politikers, der zweiter Reichspräsident der Weimarer Republik war und 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Pytas Darstellung von Hindenburgs Leben würdigt er als überaus präzise, gut dokumentiert, anschaulich und detailreich. Sein großes Verdienst sieht Willms darin, Hindenburgs fatale politische Rolle und seine persönliche Verantwortung für die Katastrophe Deutschlands sichtbar zu machen. Zudem bescheinigt er dem Autor, die zahlreichen Legenden, die diese Figur lange umrankten, gründlich zu zerstören. Deutlich wird für ihn unter anderen, wie es Hindenburg gelang den Tannenberg-Mythos für seine Zwecke zu instrumentalisieren und so den Untergang des Kaiserreichs zu überleben.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Gut lesbar und für die politische Geschichte der Weimarer Republik unverzichtbar." Auskunft, Nr.29/09
»Ein großartiges Beispiel moderner Zeitgeschichte.« Hans-Ulrich Wehler