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Als am 1. Oktober 1938 Wehrmachtssoldaten die deutsch-tschechoslowakische Grenze überschritten, bejubelte die Mehrheit der Sudetendeutschen ihre Ankunft als Befreiung von tschechoslowakischer Herrschaft. Aus dem größten Teil ihres Siedlungsgebietes wurde der Reichsgau Sudetenland gebildet, der bis zum Jahre 1945 Bestandteil des NS-Staates blieb. Wie die nationalsozialistische Herrschaft im einzelnen aussah und ob der Jubel der Menschen mit der Zeit einer differenzierteren Sichtweise wich, war lange Zeit unbekannt. Das Buch schließt diese Lücke und analysiert Politik und Stimmung der…mehr

Produktbeschreibung
Als am 1. Oktober 1938 Wehrmachtssoldaten die deutsch-tschechoslowakische Grenze überschritten, bejubelte die Mehrheit der Sudetendeutschen ihre Ankunft als Befreiung von tschechoslowakischer Herrschaft. Aus dem größten Teil ihres Siedlungsgebietes wurde der Reichsgau Sudetenland gebildet, der bis zum Jahre 1945 Bestandteil des NS-Staates blieb. Wie die nationalsozialistische Herrschaft im einzelnen aussah und ob der Jubel der Menschen mit der Zeit einer differenzierteren Sichtweise wich, war lange Zeit unbekannt. Das Buch schließt diese Lücke und analysiert Politik und Stimmung der Bevölkerung in dieser Region auf der Grundlage von Quellenmaterial aus tschechischen und deutschen Archiven. Anhand verschiedener Themenbereiche wie zum Beispiel Gleichschaltung, Wirtschaft, Behandlung der tschechischen Minderheit und Widerstand wird ein Gesamtbild zusammengefügt, das die NS-Herrschaft über die böhmisch-mährischen Randgebiete umfassend darstellt. Dabei werden Spannungen zwischen einheimischen NS-Funktionären und dem Sicherheitsdienst der SS ebenso untersucht wie soziale und wirtschaftliche Folgen der Eingliederung, Kompetenzen und personelle Besetzung verschiedener Behörden und die Auswirkung des Kriegsverlaufs auf die Stimmung der Bevölkerung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2000

In guten und in bösen Tagen verpflichtet
Die Sudetendeutschen im "Dritten Reich": Starke Ernüchterung folgte auf die Euphorie des Jahres 1938

Volker Zimmermann: Die Sudetendeutschen im NS-Staat. Politik und Stimmung der Bevölkerung im Reichsgau Sudetenland (1938-1945). Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, Band 9. Zugleich Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Band 16. Klartext Verlag, Essen 1999. 515 Seiten, 48,- Mark.

Um es gleich vorwegzunehmen: Sich mit diesem Buch eingehend zu beschäftigen erfordert eine mühevolle, meist triste Lektüre. Dennoch bringt es wichtige Ergebnisse, die das bislang vorherrschende Schwarzweißbild sudetendeutscher Existenz unter dem Hakenkreuz in sachlicher Weise und gründlich belegt differenzieren. Es trifft sich gut, daß 1999 auch Ralf Gebel seine gründliche Studie über Konrad Henlein und den "Reichsgau Sudetenland" vorgelegt hat, so daß jetzt zwei wichtige Werke vorliegen, die sich unter verschiedenen Aspekten mit demselben Thema befassen.

Ungeachtet mancher unvermeidbarer Überschneidungen bietet Zimmermann - grosso modo - den differenzierten "Unterbau" zum Thema, während sich Gebel mehr dem politischen "Überbau", das heißt den konkreten Regierungsmaßnahmen, gewidmet hat. Beiden Büchern darf man solide Quellennähe bescheinigen. Mit Recht weist Zimmermann darauf hin, daß nach der kurzen Euphorie der "Befreiung" der Sudetendeutschen im Jahr 1938, die zum Eintritt von mehr als 500 000 Personen in die NSDAP führte, relativ rasch eine starke Ernüchterung über die Realität des NS-Regimes eintrat.

Der in den Polizeiberichten immer wieder konstatierte Unmut weiter Bevölkerungskreise führte aber keineswegs zu einem effektiven Widerstand, denn er speiste sich aus sehr verschiedenen Ursachen. Zum einen war es die hohe Zahl und ebenso die durch die Herrenmenschen-Ideologie verstärkte Arroganz der reichsdeutschen Beamten, die nun, unter teilweiser Ausschlachtung einheimischer Kräfte, an die Stelle der höheren tschechischen Bürokratie getreten waren. Dies ging so weit, daß Konrad Henlein in öffentlichen Reden auf dieses Problem beschwichtigend eingehen mußte, obwohl er selbst und seine Parteifreunde von dieser Invasion aus dem "Altreich" betroffen waren. Ebenso wurde die Auflösung traditionsreicher Vereine oder ihre Zwangsintegration in NS-Organisationen mißbilligt, da es sich oft um wichtige kulturelle Einrichtungen handelte. Unterschwellig spielte dabei wohl auch das anders geartete Kulturverständnis aus altösterreichischer Tradition eine Rolle, das die Sudetendeutschen bis 1918 nachhaltig geprägt hatte.

Wichtiger noch war allerdings der soziale Aspekt der neuen Herrschaftsverhältnisse. Zwar kam es erwartungsgemäß aufgrund der Aufrüstung Deutschlands zu einem starken Rückgang der hohen Arbeitslosigkeit in den sudetendeutschen Gebieten, aber hohe Preise und vergleichsweise niedrige Löhne sowie schlechte Wohnverhältnisse führten zu einem merklichen Stimmungstief. Darauf mußte die Parteiführung in öffentlichen Reden ebenfalls reagieren. Mit Recht weist der Autor darauf hin, daß solche Mißstimmungen keineswegs zu einem wirklichen Widerstand führten. Konrad Henlein und die Partei suchten solchen negativen Meinungstrends mit dem propagandistischen Argument entgegenzuwirken, daß die Sudetendeutschen dem "Führer" "in guten und in bösen Tagen" verpflichtet seien; wobei Letzteres nur allzu rasch eintreten sollte.

Sicherlich trifft es zu, daß sich die nationale Motivation beim Großteil der sudetendeutschen Bevölkerung - ein Erbe des vorausgegangenen "Volkstumskampfes"- auch unter den immer schwieriger werdenden Bedingungen des Krieges "systemstabilisierend" auswirkte, was verständlicherweise bei den Tschechen nicht der Fall sein konnte. Ob dies allerdings ausreicht, für die letzteren einen stärkeren Widerstandswillen zu postulieren, wie dies der Verfasser tut, muß bezweifelt werden. Das wenige, was er am Schluß eher pauschal vorbringt, vermag jedenfalls kaum zu überzeugen. Auch spricht die Lage im sogenannten "Protektorat Böhmen und Mähren", die weitgehend von einem vorsichtigen "Attentismus" des Großteils der Tschechen bestimmt war, gegen diese These. Aber dies gehört als Gegenstand genauerer Untersuchung zu einer noch zu schreibenden sachlichen, alle ideologischen Tabus mißachtenden Geschichte der Protektoratszeit jenseits von fixer Verharmlosung wie pathetischen Ressentiments.

Überhaupt sollte man bei Vergleichen nicht die beträchtlichen Zahlen von sudetendeutschen Sozialdemokraten und Kommunisten außer Acht lassen, die in deutschen KZs schmachteten oder zu vielen Tausenden ins Exil fliehen mußten. Dadurch war, von der Kirche abgesehen, das wichtigste Widerstandspotential vor Ort nur noch rudimentär vorhanden. Zweifellos war es aber so, daß die aus dem alten Volkstumskampf vor 1938 resultierende Gegnerschaft zwischen Tschechen und Sudetendeutschen dazu beitrug, die Loyalität zum NS-Regime zu stärken, obwohl es andererseits - wie der Verfasser mit Recht bemerkt - sehr unwahrscheinlich ist, "daß die Überzahl der Sudetendeutschen überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus waren". Der Krieg brachte es mit sich, daß sich die mentalen Unterschiede in den Reaktionen der Bevölkerung gegenüber dem "Altreich" unter dem Druck der Verhältnisse weitgehend verwischten; das legt der Verfasser überzeugend dar.

Das Sudetengebiet galt als "Luftschutzkeller des Reiches". Dennoch machte sich nach den Lageberichten des Regierungspräsidenten in Karlsbad und anderer Behörden der Stimmungsumschwung nach der Katastrophe von Stalingrad im "Reichsgau" in gleicher Weise wie überall im Reichsgebiet bemerkbar. Unsicherheit und Furcht vor tschechischer Rache griffen um sich. Dies eskalierte in den letzten Kriegsmonaten, als der Terror des Regimes sich zunehmend gegen die eigene Bevölkerung richtete. Hier erreicht die Darstellung des Autors aufgrund der erstaunlich reichen Quellenlage einen Höhepunkt und ein erschreckendes Finale. Weniger eindrucksvoll sind hingegen jene Partien, die sich mit den internen Auseinandersetzungen der Gauleitung mit den Reichsbehörden, mit der SS und mit dem SD beschäftigen. Hier ist - vom Thema her verständlich - die subtile Darstellung derselben Sachverhalte bei Gebel genauer, vor allem, was die Ausschaltung der ehemaligen Mitglieder des "Kameradschaftsbundes" anbetrifft.

Insgesamt jedoch liegt ein wichtiges Buch vor, an dessen Ergebnissen keine Forschung über böhmische oder sudetendeutsche Geschichte vorbeigehen kann. Außerdem bietet Zimmermann eine materialreiche Fallstudie zu den Machtstrukturen und den inneren Widersprüchen der NS-Diktatur. Nur am Schluss des Buches berichtet er eher pauschal und kaum überzeugend über den tschechischen Widerstand im Sudetenland.

FRIEDRICH PRINZ

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zur sudetendeutschen Geschichte bespricht Alena Wagnerova die Neuerscheinung "Die Sudetendeutschen im NS-Staat 1938-1945" von Volker Zimmermann. Diese Monografie, die bereits ins Tschechische übersetzt worden sei, leistet ein Stück "Versöhnungsarbeit", lobt Wagnerova. Erstmals sei hier umfassend die Geschichte der nach dem Münchner Abkommen ans Dritte Reich abgetretenen tschechoslowakischen Grenzgebiete behandelt. Zimmermann habe damit "Neuland" erschlossen, denn bisher pflegte die sudetendeutsche Historiographie diesen Teil der Geschichte zu überspringen und sich statt dessen der Vertreibung zu widmen. Die wesentlichen Fragen, die im Untertitel anklingen, seien die nach der in dieser Region praktizierten NS-Politik und der Stimmung der Bevölkerung während des Krieges. In mehreren Kapiteln widme Zimmermann sich unter anderem der politischen Gleichschaltung, der wirtschaftlichen und sozialen Folgen, den Konflikten zwischen Sudeten- und Reichsdeutschen, der Situation der tschechischen Minderheit sowie dem sudetendeutschen und tschechischen Widerstand.

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