Produktdetails
  • Verlag: Steidl
  • Originaltitel: Heimsljos, 1937-40
  • 2000.
  • Seitenzahl: 664
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 584g
  • ISBN-13: 9783882437188
  • ISBN-10: 3882437189
  • Artikelnr.: 08916893
Autorenporträt
Halldór Kiljan Laxness, am 23. April 1902 in Reykjavik geboren, erhielt 1955 den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 9. Februar 1998.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2000

Den Blutadler ritzen
Ein Schein aus sagendunkler Zeit: Halldór Laxness' "Weltlicht"

Wer als Reisender Island nur als eine Insel der Fjorde und Geysire, der Elfen oder der Trolle, die den deutschen Gartenzwergen so ähnlich sehen, wahrnimmt, der hat vom Lande wenig begriffen. Wenn ein Volk mit Recht ein "Volk der Dichter" genannt wird - die Deutschen sind es gewiß nicht (mehr) -, dann die Isländer. Jeder zehnte habe schon einmal ein Buch veröffentlicht, so heißt es, jede größere Familie könne einen Schriftsteller vorweisen. Und noch unvergessen ist Hans Magnus Enzensbergers Staunen darüber, daß unter der Viertelmillion isländischer Einwohner ebenso viele Leser und Käufer von Lyrikbänden sind wie unter achtzig Millionen Deutschen.

Im Land von Halldór Laxness (1902 bis 1998) hat die Dichtung noch nicht aufgehört, Sache aller zu sein, der Bauern und der Fischer, der Arbeiter und der Intellektuellen, der Land- wie der Hauptstadtbewohner. Die neuisländische Literatur brodelt noch auf den Feuern der altisländischen Literatur, der eddischen und der Skaldendichtung, der Sagas. Und selbstverständlich ist die im vierzehnten Jahrhundert sich durchsetzende neue Form der "rima", des Reim- und epischen Strophengedichts, auch dem Dichter in Laxness' "Weltlicht" ("Heimsljös") vertraut.

In seiner verdienstvollen Werkausgabe des Nobelpreisträgers von 1955 hat nun der Steidl Verlag nach den bisher veröffentlichten elf Bänden die zwischen 1937 und 1940 erschienene Romantetralogie vorgelegt, in einer neuen Übersetzung von Hubert Seelow. In keinem seiner Romane umkreist Laxness einen Typ des isländischen Dichters so beharrlich wie in "Weltlicht". Alle vier Teile der Tetralogie ("Der Klang der Offenbarung des Göttlichen", "Das Schloß des Sommerlandes", "Das Haus des Dichters" und "Die Schönheit des Himmels") bleiben auf der Lebensspur des Dichters Olafur Karason. Olafur ist "Volksdichter" auch in dem Sinne, daß er ganz in den Lebensrhythmus des Volkes eingebunden ist, als Verfasser von lauter Gelegenheitsgedichten, von Liebesgedichten und Hochzeitsanträgen in Versen, von Antwort- und Jawortgedichten, von Glückwunsch-, Geburtstags- und Hochzeitsgedichten und von Nachrufen. Er kleidet die Boten zwischen den Menschen in Poesie. Zugleich ist er trunken von den Herrlichkeiten der Natur und von seinen Visionen, ist ein durch die Natur "schlafwandelnder" Prophet einer Schönheit jenseits der allgemeinen Wahrnehmung.

Als seinen großen Ahnen, dessen Grab in Reykjavik er gegen Ende der Romanhandlung besucht, verehrt er Sigurdur Breidfjörd. Das ist ein Dichter, der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts jene "rimur"-Dichtung erneuerte, in der durch Jahrhunderte hindurch Stoffe isländischer Sagas weitergetragen wurden. Mit diesem "größten aller armen Volksdichter in Island", der straffällig wurde und "verhungerte in einem kalten Stall", fühlt sich Olafur auch durch die Ähnlichkeit der Leiden verbunden. Elternlos als Gemeindepflegling aufgewachsen, wird Olafur durch eine wahre Stationenfolge der Demütigungen getrieben und gegen Ende, wegen Verführung seiner minderjährigen Religionsschülerin, zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.

Den heutigen Leser erwarten zunächst auch Mühen. In die Darstellung der immer neuen Erniedrigungen des Dichters, der Gemeinschaft mit einer treuen, aber bigotten Frau, der Armuts- und der Hungerperioden und des allmählichen Hinsterbens seiner Kinder schleichen sich Längen und Wiederholungen ein. Es fehlt manchmal die Ökonomie in der Vergegenwärtigung des Elends. Gewiß, in ihren besten Teilen erinnert sie an die Graphiken, an die hohlen Mutter- und-Kind-Gesichter von Käthe Kollwitz. Aber wie leicht soziale Mitleidsdichtung über die Schwelle des Kitsches stolpern kann, zeigt Gerhart Hauptmanns dramatische Traumdichtung "Hanneles Himmelfahrt". Allerdings spannt Laxness gegen solchen Fall das Netz eines sachlichen Stils, selbst in der rührenden Geschichte des lebenslang kranken Mädchens, das von seinem Lager aus den geliebten Gletscher immer nur im Spiegel sehen kann.

Vor der Ermüdung des Lesers schützt die Vielfalt der Stilebenen. Wo nicht der preisende, auch schwärmerische Dichter Olafur das Wort nimmt, sondern der Erzähler seinen Helden in die Landschaft begleitet, gewinnen imposante Bilder der Fjorde, Gebirge und Gletscher, der Sonnenaufgänge und -untergänge, der Schneefelder und des Frühlingserwachens Gestalt, da inszeniert Laxness ein mitreißendes Schauspiel isländischer Natur, in dem auch die Elfen, also die Mythen, ein Daseinsrecht behaupten.

Obwohl die mythische Welt in der modernen noch aufbewahrt bleibt und sogar okkulte Erscheinungen ihre Nische behalten (Olafur wird von schleichender Krankheit durch eine Wunderheilerin errettet, die als spirituelles Medium in England ihr Glück versucht), gibt Laxness der isländischen Gesellschaft im Zeitalter der Lohnkämpfe scharfe Konturen. Schauplatz des Umbruchsprozesses ist ein Fischerdorf, in dem ein Geschäftsführer der "Aufbaugesellschaft" regiert, der Olafur als Dichter aushält.

Die sozialen Verhältnisse dieses Ortes Svidinsvik erinnern stark an die der Fischersiedlung im Roman "Salka Valka" (1931/32). Übereifriger Spürsinn für den postmodernen Roman könnte hier leicht ein Selbstzitat des Autors wittern. Wie in "Salka Valka" kommt es in "Weltlicht" zum Zusammenstoß der Fischer und Arbeiter mit dem Ortsdiktator. Der "Arbeitsverband Svidinsvik", ein gewerkschaftlicher Zusammenschluß, wird gegründet und führt die Verhandlungen mit der unternehmerischen Gesellschaft. Laxness' Gesellschaftskritik wechselt zwischen ironischer Infragestellung und satirischer Herabsetzung. Ganz eingeschwärzt von der Satire sind die Figuren des Arztes, eines brutalen Saufboldes, und des Pfarrers, eines erbarmungslosen Vertreters der Barmherzigkeitsreligion. Sie kommen satirischen Schablonen in der Sowjetkunst nahe.

Tatsächlich hatte Laxness den zweiten Teil der Tetralogie während seines Aufenthalts in Moskau im Winter 1937/38 geschrieben, und wie ein Echo dieser Zeit liest sich manches im dritten Teil, in der Darstellung der Lohnkämpfe. Die protestierenden, zum Kampf entschlossenen Lohnempfänger versammeln sich unter der roten Fahne, "die das Herzblut der Menschheit symbolisierte". Und der Dichterfreund und -widersacher Olafsurs, Örn Ulfar, hält die flammende Rede. Der Gegensatz zwischen beiden steht für die Polarität der Dichterentwürfe überhaupt. Örn Ulfar greift in den politischen Kampf unmittelbar ein, Olafur Karason sieht seinen Platz nicht inmitten, sondern jenseits des Streits; "Gerechtigkeit" lautet die Kampfparole Ulfars, "Mitleid" die Devise Karasons. Und der Leser ist gefaßt auf die Erfüllung eines Musters im Sinne des "sozialistischen Realismus", auf die Bekehrung des abseits Stehenden zum parteiischen Handeln.

Aber der Autor aus dem Lande der Fischer denkt nicht daran, sich vom Literaturdogma ins Schlepptau nehmen zu lassen. Laxness hat die knorrige Selbständigkeit, die Unabhängigkeit von den Verwaltern der Idee, der er nahestand, immer durchgehalten, auch in der Zeit des Kalten Krieges. Im Roman "Atomstation" (1948) gerät die Sympathie des Autors mit der Protestbewegung gegen die Errichtung des Atomkraftwerks nicht in Zweifel, dennoch wird nicht aus der Perspektive des Ideologen und Führers der Gruppe, sondern aus der Sicht und mit der sinnlich-bildkräftigen Sprache eines unverbogenen Mädchens aus dem Norden Islands erzählt.

Nicht nur als Chronist der gesellschaftlichen Entwicklung, auch als Porträtist der Volksgestalten hat sich Laxness nicht für die versöhnliche Beschönigung hergegeben. Längst vor der (zumal österreichischen) antiidyllischen Provinzliteratur hat er den scharfen Blick für die Bösartigkeit von Menschen besessen. Was in "Weltlicht" dem Gemeindepflegling und dem Außenseiter Olafur angetan wird, ist aus der allgemeinen Armutssituation und aus Umweltzwängen nur zum Teil erklärbar. Eine archaische Unerbittlichkeit des Lebenskampfes, das "Du oder Ich", kann die zwischenmenschlichen Beziehungen vereisen. Auch in den Visionen des Dichters Karason fehlt nicht das Abgründige. Eine seiner Geschichten der "Seltsamen Menschen" handelt von einem Dichter, der unter der Last einer unmäßigen Liebe seiner Frau zusammenbricht, das Messer gegen sich selbst richtet und sich kastriert.

Als der Vater des verführten Mädchens, der Bauer und Leuchtturmwärter Jason, den beschuldigten Olafur trifft, sagt er ihm: "Diese Schande soll gerächt werden . . . Ich und meine Familie, das ist ein Königsgeschlecht, mein Stammbaum beginnt mit Sigurdur Fafnisbani . . . Es ist hart, in Zeiten leben zu müssen, in denen man den Ehrenschänder seines Geschlechts nicht zum Zweikampf herausfordern und ihm einen Blutadler ritzen darf." Hier spricht eine Ehrauffassung, die sich ihren Blutzoll nicht mehr holen darf, aber durch Jahrhunderte nicht aus dem Bewußtsein hat getilgt werden können.

Laxness hat Elemente aus Tagebüchern und Aufzeichnungen des isländischen Volksdichters Magnus Hjatason für den Roman verwendet und zugleich in der Handlung verschwinden lassen. Der Erzähler der über vier Romane sich spannenden isländischen Saga "Weltlicht" hat eine epische Ausdauer, für die der Leser einen weiten Atem braucht. Entschiedener als E. Hartherns Übersetzung von 1955 bringt die von Hubert Seelow dem deutschen Leser das Werk entgegen - die Begegnung mit ihm ereignet sich als zunehmende Faszination. Ein kleines Vor- oder Geleitwort wäre unvorbereiteten Lesern sicherlich willkommen gewesen.

WALTER HINCK

Halldór Laxness: "Weltlicht". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Hubert Seelow. Steidl Verlag, Göttingen 2000. 664 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In keinem seiner Bücher, findet Walter Hinck, umkreist der isländische Nobelpreisträger den Typ des isländischen Dichters "so beharrlich" wie hier. Aber: den heutigen Leser erwarten zunächst auch Mühen und für eine über vier Romane sich spannende Saga brauche er einen langen Atem. Doch es scheint sich zu lohnen. Manchmal schwingt der Kritiker sich fast zu euphorischem Jubel auf über das vom Dichter inszenierte "mitreißende Schauspiel isländischer Natur, in dem auch die Elfen, also die Mythen ihr Daseinsrecht behaupten". Trotzdem gebe Laxness "der isländischen Gesellschaft im Zeitalter der Lohnkämpfe scharfe Konturen". Der Autor gewinnt den Respekt des Rezensenten erneut, als er die Klippen sowjetkunsthafter Schablonen bravourös umschifft, obwohl er Ende der Dreißiger Jahre seinen Roman in Moskau weiterschrieb. Und auch "als Porträtist der Volksgestalten" ohne Beschönigung hat Laxness auf den Rezensenten Eindruck gemacht. Im Roman, erfährt man auch, sind Elemente aus Tagebüchern und Aufzeichnungen des isländischen Volksdichters Magnus Hjatason verwendet worden. Die neue Übersetzung zieht Hinck der alten deutlich vor, ein Geleit- oder Nachwort vermisst er aber.

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