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Die letzten MöglichkeitenEin Mann reift, rückt von weitem oder nahen an den Tod heran. Es scheint ihm schwer, dem Grab kampflos ein Wesen zu überlassen, das nichts begriffen hat, das die Erde durchwandert wie im Traum, wie eine sinnlose Phantasie, der es letztlich an Phantasie fehlt. Er kämpft verzweifelt in der Hoffnung, nicht zu erliegen. Angstvoll befragt er so die letzten Möglichkeiten: die Ekstase, die Chance, das Lachen. Mit Mühe und Not, erschöpft, erklimmt erschwindelerregende Abhänge. Auf dem Gipfel angelangt, bemerkt er, dass jene Möglichkeiten sind,was sie eben sind.

Produktbeschreibung
Die letzten MöglichkeitenEin Mann reift, rückt von weitem oder nahen an den Tod heran. Es scheint ihm schwer, dem Grab kampflos ein Wesen zu überlassen, das nichts begriffen hat, das die Erde durchwandert wie im Traum, wie eine sinnlose Phantasie, der es letztlich an Phantasie fehlt. Er kämpft verzweifelt in der Hoffnung, nicht zu erliegen. Angstvoll befragt er so die letzten Möglichkeiten: die Ekstase, die Chance, das Lachen. Mit Mühe und Not, erschöpft, erklimmt erschwindelerregende Abhänge. Auf dem Gipfel angelangt, bemerkt er, dass jene Möglichkeiten sind,was sie eben sind.
Autorenporträt
 Georges Bataille, 1897 in Billom, Puy-de-Dôme geboren, war von 1922 bis 1942 als Bibliothekar an der Bibliothèque nationale tätig, in der er Walter Benjamins Manuskripte versteckte und so vor der Vernichtung rettete. Von Nietzsche und Sade, aber auch von Kojèves Hegel beeinflusst, verfasste er ein in seiner Bandbreite einmaliges Werk. Er starb 1962 in Paris. Ein großer Teil seines Werks ist bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

In den Ängsten der Lust gib uns die Heiterkeit des Engels
Kleine Ökonomie des Unmöglichen: Georges Batailles Buch über die Freundschaft nutzt den ganzen Platz, den Gott beansprucht, ohne Gott Platz machen zu müssen / Von Christian Geyer

Wie schildern, was wirklich los ist im Menschen? Die beiden großen Versuche, dem Chaos im Innern die Ordnung der Begriffe überzustreifen, heißen Diskurs und Institution - einhegende Versuche, von denen sich kaum ein Philosoph so prononciert absetzte wie Georges Bataille, dessen zentrales Thema das dialektische Verhältnis von Tabu und Übertretung war, wobei am wenigsten er selbst dem von ihm forcierten Kult des Unmittelbaren über den Weg traute. Denn die Erkenntnis ist im Rausch (der Erotik, Gewalt, Religion) auch nur eine suggestive, allemal leistungsfähiger als die aus dem Stahlgehäuse unserer Rationalität, gewiß, aber was hilft es? Auch der Rausch ist in seinem konstruierten Charakter durchschaut und kann deshalb nur als "ironischer Rausch" ins Werk gesetzt werden, als ein Rausch, der nicht kleinlich die Vergeudung der Emotionen nachrechnet, sondern an der Illusion festhält, als sei es keine. Kommt auf diese Weise - im Sinne der nietzscheanischen "großen Philosophie des Leibes" - nicht immer noch mehr Gehaltvolles über den Menschen ans Tageslicht als in den Systemen, die zu seiner Einhegung erdacht wurden?

Und dennoch ist die Emphase, mit der Bataille dem Unmittelbaren huldigt, überhaupt erträglich nur als negative Erkenntniskritik, als ökonomischer, nicht etwa psychologischer oder theologischer Umgang mit der Angst. Die von Bataille selbst wegen ihrer häufigen "Dunkelheit, Umständlichkeit" gerügten Texte haben luzide Kritik auf sich gezogen; so schrieb Roland Barthes: "Bataille berührt mich alles in allem wenig. Was habe ich mit dem Lachen, der Unterwerfung, der Poesie, der Gewalt zu schaffen? Aber es genügt, daß ich diese (seltsame, fremdartige) Sprache mit einer Unruhe zusammenkommen lasse, die bei mir den Namen ,Angst' hat, und schon hat mich Bataille zurückerobert. Alles, was er schreibt, beschreibt dann mich."

Mich - oder besser: mich, wenn ich nicht so früh Unterschlupf gesucht hätte in Diskurs und Institution. Wie es zugegangen wäre, wenn ich gewollt hätte, "daß das Leben in mir sich entkleide", wenn ich mich derart souverän aufs Spiel gesetzt hätte - das ist jetzt in den großartigen Tagebuchaufzeichnungen dieses als Bibliothekar sozialisierten Philosophen erstmals in deutscher Sprache nachzulesen, im Gewand eines Erbauungstitels: "Die Freundschaft". Geschrieben zwischen September 1939 und März 1940, ist "Die Freundschaft" der Quellpunkt der "Atheologischen Summe", zu der auch die bereits auf deutsch vorliegende "Innere Erfahrung" gehört. Weder bei seinem ersten Erscheinen 1944 noch bei der Neuausgabe 1961 hat "Die Freundschaft" - so schreibt der Übersetzer Gerd Bergfleth im Nachwort - "bemerkenswerte Kommentare" ausgelöst. Das Buch sperre sich gegen jede einigermaßen konsistente Interpretation, nicht nur wegen seiner Disparatheit, die aus seinem Tagebuch-Charakter rührt, sondern auch wegen seiner engen Verflechtung mit den beiden anderen Büchern der "Atheologischen Summe".

Die Dimension der Freundschaft, die Bataille hier vor allem behandelt und die diesen Text zu einem als Schlüssel seiner Motivik weitgehend unbekannten Werk macht, ist die "Komplizenschaft mit dem Bösen". Statt im Banne der Moral in die schützende Höhle der Isolierung zu flüchten, sobald die Situation ihre Regelhaftigkeit verliert, erklärt Bataille die Freundschaft, soweit sie sich durch keinerlei moralische Zügel hemmen läßt, zum Ort der Offenbarung, welche den von Nietzsche eröffneten Raum zwischen Gott und seinem Fehlen besetzt. Die Moral, überhaupt jede Art von Zurichtung, hat vor dem Glück kein Stimmrecht mehr. Man muß in jedem Fall bis zum Ende gehen. "Wenn man aber bis zum Ende geht, lösen sich der Christ, der Intellektuelle und der Ästhet in Luft auf: Von ihnen ist keine Rede mehr."

Bedarf es da noch der Klärung, daß Freundschaft für Bataille stets die zum erotischen Exzeß befähigte ist? Da ist der Exzeß der Kommunikation: "Die Kommunikation erfordert einen Fehler, einen Riß; sie tritt, wie der Tod, durch einen Fehler in der Rüstung ein. Sie fordert eine Koinzidenz von zwei Rissen, in mir selbst und im anderen." Ohne diese sich entsprechenden Risse, diese Gucklöcher der fehlerhaften Herzen, bleibt die Kommunikation stumpf. Mit ihnen jedoch gibt es schon bald kein Halten mehr, wie es im mit einem liturgischen "Halleluja" betitelten Teilstück heißt. "Ein Mann und eine Frau, die voneinander angezogen sind, verbinden sich in der Fleischeslust. Die Kommunikation, die sie vereinigt, hängt von der Bloßlegung ihrer Risse ab. Ihre Liebe bedeutet, daß sie ineinander nicht ihr Sein sehen, sondern ihre Wunde und das Bedürfnis, verloren zu sein; es gibt kein größeres Verlangen als das eines Verwundeten nach einer anderen Wunde."

In der Batailleschen Theorie der Ekstase als Lebensform kommt alles darauf an, den Prozeß nicht mit dirgistischen Eingriffen zu stören, ihn weder zu verlangsamen noch zu beschleunigen, ihn nicht zu benennen, ihm keine Perspektive auszumalen, ihn - sehr chinesisch - als Blüte zu nehmen, an deren Blättern nicht zu zupfen ist, die in ihrer schmerzhaften Schönheit und unbedingten Gefährdetheit nur meditiert wird. Lediglich eine einzige Unmoral gilt es zu vermeiden: der Ekstase einen instrumentellen Charakter zu verpassen. "Der Gezeitenwechsel der Meditation gleicht der Verwandlung, die die Pflanze in dem Augenblick erfährt, in dem sich die Blüte bildet. Die Ekstase erklärt nichts, rechtfertigt nichts, erhellt nichts. Sie ist nichts weiter als die Blüte, da sie nicht weniger unvollendet, nicht weniger vergänglich ist. Der einzige Ausweg: eine Blume nehmen und sie bis zum Einklang betrachten, so daß sie erklärt, erhellt und rechtfertigt, weil sie unvollendet, weil sie vergänglich ist."

Hier erweist sich die Freundschaftslehre als Teil einer umfassenden Ökonomie des Handelns, wie sie dem aus der marxistischen Linken kommenden Bataille schon in seiner "Allgemeinen Ökonomie" vorschwebte, welche sich mit traditionellen ökonomischen Fragen freilich nie befaßte und statt dessen die Theorie einer Handlung vor Augen hatte, das seine Energie just aus der Stimulanz der Übertretung von Verboten und durch darauffolgende Verschwendung dieser neu gewonnenen Ressourcen bezieht.

Dabei geht es im Freundschaftsbuch nicht selten so technokratisch-umständlich zu wie in einem Handbuch der Betriebswirtschaftslehre, wie der folgende Absatz belegen mag: "Der Wechsel zwischen den sechs Stadien (die in zwei Abläufe gegliedert sind: Sorge, Handeln, Entspannung - Angst, Verlust, Entspannung) impliziert in beiden Abläufen einen Wechsel zwischen Aufladung und Entladung, zwischen Vermögen und Unvermögen. Während das Handeln und der Verlust, die leicht voneinander zu unterscheiden sind, in Gegensatz zueinander stehen, ist jedoch die Sorge oft mit der Angst vermischt. Infolgedessen muß man einfach sagen: Es ist notwendig, beim Abwechseln zuerst zu handeln, da der Verlust das vorgängige Handeln, die Aufladung voraussetzt - und dann zu verlieren. Das Handeln wäre ohne Sorge nicht denkbar. Der Verlust rührt von der unergründlichen Tiefe der Angst her. Es kann da keinen leichten Rhythmus geben. Die - niemals gewollte - Zerrüttung wird hineingebracht - von außen durch die Sorge, von innen durch die Angst -, trotz eines bewußten Willens, der nur eine Verarbeitung des Handelns ist." An Stellen wie diesen bleibt die Frage nicht aus: Wollte man es tatsächlich so genau wissen, was wirklich los ist im Menschen?

Bataille beschreibt das Leben als Wirkung der Instabilität, der Gleichgewichtsstörung, die es als Elixier zu kultivieren gilt. Demnach ist es nicht weniger kleinmütig, die grundlegende Stabilität zu fürchten, als zu zögern, sie zu durchbrechen. Wobei Bataille in einem radikal antipsychologischen Impuls Stabilität nur als funktionalen Wert anerkennt, als Übergang zur Instabilität nämlich, die durch ihre Kompensation wiederum zur Stabilität führt, und so fort. Der durchweg stabile Mensch, der sein Gleichgewicht nicht opfern kann, ist ein Toter unter den Lebenden.

Dabei wäre er zu Großem fähig: "Die Gleichgewichtsstörung, das Opfer ist um so größer, als ihr Gegenstand sich im Gleichgewicht befand, als er vollendet war. Diese Prinzipien stellen sich der notwendig nivellierenden Moral entgegen, der Feindin der Abwechslung. Sie ruinieren die romantische Moral der Unordnung ebensosehr wie die entgegengesetzte Moral." Was die Tradition Substanz nennt, ist in Wahrheit nur ein Zustand provisorischen Gleichgewichts zwischen dem Verlust der Kraft und ihrer Ansammlung. Das Leben als eine beständige Kompromittierung des Gleichgewichts, ohne das es nicht wäre. Das Universum ist nicht mehr auf diese prekäre Konzeption der Substanz zurückzuführen als auf Gelächter, auf Küsse.

Der grandiose Zug in Batailles exzessiver Handlungslehre ergibt sich aus ihren religiösen Proportionen. Er übernimmt nur die Proportionen der Religion, nicht die theologischen Inhalte, so daß er den ganzen Platz nutzt, den Gott beansprucht, ohne doch Gott Platz machen zu müssen. Bataille wählt nicht das dogmatisch-theologische, sondern das mystische Muster eines Meister Eckhart oder einer Theresa von Àvila, um deren Philosophie der Leere auf die Erfüllung im amour fou, den äußersten Vorposten des Lebens, zu übertragen. Wie nach einem schweren Arbeitsschritt schreibt Bataille in sein Tagebuch der Freundschaft: "Ich zweifle nicht mehr daran, daß die Ekstase die Vorstellung Gottes entbehren kann." Statt in Gott läßt es sich mit demselben Profit in "das, was da ist", versenken: "Mir von neuem das, was da ist, in Erinnerung rufend, habe ich diesmal plötzlich schluchzen müssen. Ich erhebe mich mit leerem Kopf, vor lauter Lieben und Entzücktsein."

Unter dieser Prämisse lesen sich die zelebralen Liebesregeln wie Paragraphen eines Katechismus, der zur "Heiligkeit" führt. Es geht um die Askese, unter keinen Umständen die Kosten der Begierde zu scheuen - obwohl es auch anders ginge, obwohl es vermutlich auch möglich wäre, mit entsprechender Mühe sich vom Joch der Freundschaft zu befreien. Aber die Heiligkeit, die Bataille predigt, erfordert eine Entscheidung, nicht Fügung in etwas Unvermeidliches: "Ohne eine Entscheidung von nicht zu rechtfertigender Kühnheit ertrügst du nicht das bittere Gefühl einer Lusthungrigen, ihrem Hunger zum Opfer zu fallen. Deine Einsicht würde dir raten, zu entsagen. Allein eine Anwandlung von Tollheit kann in dir das dunkle Feuer der Begierde unterhalten, die in jedem Betracht über den flüchtigen Schimmer der Orgie hinausgeht."

Wie ein Exerzitienmeister zeichnet Bataille den entsagungsreichen Kreuzweg der Ausschweifung, die Not, nicht anders zur Erlösung gelangen zu können, als zwischen zwei Übeln wählen zu müssen. Noch schlimmer, als dich jedesmal weggehen zu sehen, wäre, dich nicht mehr herannahen zu sehen - steht das Rendezvous inmitten der verkehrten Umstände nicht beständig unter diesem Satz? Also macht man weiter, im Zeichen jener unabweisbaren Heiligkeit, die angesichts der auch noch gangbaren Alternativen ein Wunder des Wichtignehmens ist. Kosten schlagen nicht zu Buche. "Die maßlose Anstrengung, die die Umstände dir abverlangen, ist natürlich erschöpfend, aber du hast keine Zeit, erschöpft zu sein."

Dem monastischen Selbstappell, inmitten der Widrigkeiten die Freude zu leben, entspricht bei Bataille die Spielregel, deren Beherzigung einen für den amour fou erst qualifiziert: "Eine einzigartige Heiterkeit, eine keineswegs geheuchelte, keineswegs falsche, die Heiterkeit eines Engels ist erforderlich in den Ängsten der Lust." Erst die Kunst, in allen Fährnissen der verkehrten Situation die Heiterkeit des Engels zu bewahren, verschafft einem auch das Recht, sein Gegenüber in die Pflicht zu nehmen: "Was man vom geliebten Wesen verlangen muß: die Beute des Unmöglichen zu sein." (Batailles vorsorglicher Zusatz an dieser Stelle: "Das Vorstehende wurde nicht kaltblütig geschrieben. Ich hatte getrunken.")

Nun kann man fragen, muß man fragen: Ist an dem Mann die gesamte Anthropologie des Mängelwesens vorbeigegangen? Ist er ein Unbelehrbarer, der nicht wahrhaben will, daß es dem Menschen nicht besser geht, wenn er anfängt, "authentisch" zu werden? Daß es der Humanität widerstreitet, ins Bodenlose führt, wenn einer sein Humanes auslebt, statt vorsichtig auf dem Firnis weiterzuwandeln, und zwar am allerbesten: ohne Aufhebens davon zu machen? Hat er nicht geahnt, daß auch der Existentialismus schon bald hinter uns liegen würde, daß wir einen Sartre - der im übrigen zu Batailles, des "Schwarmgeistes" dezidiertesten Kritikern zählte - doch auf der ganzen Linie für gescheitert halten?

Aber mit solchen Fragen ist Bataille nicht beizukommen. Er nimmt das Recht für sich in Anspruch, nicht aus zweiter Hand zu leben, weist gelassen darauf hin, daß sich jede historische Erfahrung in jedem Leben neu zu bewähren hat. Er ist bereit, sich die Blöße des Konvertiten zu geben, einer Figur, die es ja ebenfalls ablehnt, sich unter allen Umständen mit der historischen Konstellation zu beruhigen, in die sie hineingeboren ist. Batailles Hauptimpuls, so zu verfahren, ist von dem des Konvertiten denn auch nicht allzu weit entfernt. Das Christentum bleibt, beinahe obsessiv, in all seinen Tagebuchaufzeichnungen der negative Bezugspunkt, fast scheint es so, als erblicke er in ihm die einzig ernst zu nehmende Herausforderung für sein Programm der permanenten Selbstdestabilisierung. Bataille ahnt, daß das Wunder des Wichtignehmens, das ihn an der Freundschaft so fasziniert, ausgerechnet im Christentum seine Wurzel haben könnte - in dem überaus anstößigen Gedanken, Gottes Schwäche für den Schwachen sei so groß, daß Gott selbst ein Schwacher geworden wäre und damit Batailles Grundprämisse widerlegt hätte: "Die Autonomie - die Souveränität - des Menschen ist an den Befund gebunden, daß er eine Frage ohne Antwort ist." Wenn Gott wirklich Mensch wurde, dann ist die Souveränität der menschlichen Natur von innen her geklärt - ohne einem damit freilich die Verworrenheiten und Widersprüche zu ersparen, in denen sich diese Natur im Sinne Batailles als "permanente Infragestellung" kundtut und als solche auch weiterhin behandelt werden will.

Dann wäre plötzlich wieder in Frage gestellt, was Bataille aus erster Hand zu wissen meint: "Jede Antwort ist eine von außen kommende Anordnung, eine Moral, die das menschliche Wesen (wie ein Geschöpf) in die Natur eingliedert." Nicht von außen, von innen käme nun die Antwort, und niemand sieht das revolutionäre Potential dieser Antwort so genau wie Bataille. Die Tatsache, daß im Dogma natürlich nicht weniger Erkenntniskritik liegt als im Rausch, läßt ihn ahnen, daß man die Antworten des Christen nicht anders nehmen kann als die Antworten des Rausches: ironisch eben. Im Grunde müsse sich der christliche Theologe in einer atheologischen Summe besser aufgehoben fühlen als in einer theologischen, bemerkt Bataille an einer Stelle scharfsinnig und schreibt ihm damit eher widerwillig die Skepsis zugute, die eine von "Gnade" getragene Gewißheit freizusetzen vermag. Dann aber wüßte man den Christen zu nehmen. Man könnte annehmen, daß er sich gerade nicht in Luft auflöst, wenn man bis zum Ende geht, sondern im Gegenteil nicht die schlechteste Figur dabei macht, in den Ängsten der Lust die Heiterkeit des Engels zu bewahren, eine nun keinesfalls geheuchelte. Aber so weit wollte, so weit durfte Georges Bataille seinem inspirierenden Widerlager auf keinen Fall entgegenkommen.

Georges Bataille: "Die Freundschaft" und "Das Halleluja". (Atheologische Summe II). Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Gerd Bergfleth. Verlag Matthes & Seitz, München 2002. 302 S., geb., 34,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2002

Der Rausch im soliden Bauernschädel
Nur wer sich vor sich selbst entblößt, ist zur Freundschaft fähig: So sieht es Georges Bataille
Es wäre übertrieben, Georges Bataille, den Denker der Überschreitung, des Exzesses und der Gewalt, als Vernunftlogiker darzustellen. Doch je weiter der Verlag Matthes & Seitz mit seiner Ausgabe von Bataille- Schriften kommt, desto eher lassen sich in diesen auch Denkmuster feststellen, die dem Bild des ekstasetrunkenen de-Sade-Nachfolgers und Nietzsche-Adepten, das Bataille in Deutschland anhängt, widersprechen.
Ein weiterer Schritt in dieser Bataille-Archäologie ist jetzt mit der Herausgabe des zweiten Bands der „Atheologischen Summe”, dessen weniger pompöser Einzeltitel „Die Freundschaft” lautet, gemacht. Die Privatheit des Freundschafts-Begriffs trifft den Inhalt der versammelten Texte gut, handelt es sich doch, mehr noch als sonst in Batailles Universum, um gedanklich dichte, aber auch persönliche Aufzeichnungen mit großer Nähe zur Tagebuchform. Von der ursprünglichen Datierung der einzelnen Text-Abschnitte abgekommen, hat Bataille sie jeweils am Ende längerer Passagen chronologisch gekennzeichnet. Jetzt heißt es „September 1939 - März 1940” oder „1941”; genau genommen kann man, was die „Freundschaft” angeht, von Batailles Kriegstagebuch sprechen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Deutschland, nicht unverständlich, das Verbot jedes Denkens der Gewalt, das über ihr Verbot hinausging. Da musste ein internationales Denken, das sich bei „Gewalt” auch an die Niederlage des Faschismus erinnern durfte, fremd wirken. Und einer wie Bataille, der mit Gedanken zu Marter, Orgie und Verbrechen die Existenz verstehen wollte, war unheimlich, hätte zu sehr an dem gerührt, woran man gerade eben noch beteiligt war. War Bataille nicht etwa ein schlimmerer Ernst Jünger, Bürgersöhnchen, abenteuerlustig, champagnerbegeistert?
Bataille war ein Sohn wohlhabender Bauern aus der Auvergne, der in der „Freundschaft” einmal von seinem „soliden Bauernschädel” spricht. Bataille kam aus der marxistischen Linken und teilte die bürgerlichen Aversionen gegen den französischen Zwischenkriegsstaat, doch Begeisterung für die öffentliche Staatsgewalt des Krieges kannte er nicht. Er beginnt seine Tagebuchaufzeichnungen am 5. September 1939 „aufgrund der Ereignisse”, von denen er aber nicht sprechen möchte; zwei Seiten später jedoch ist es so weit: Bataille thematisiert seine Nähe zum Irrationalismus: „Ich werde nicht vom Krieg sprechen, sondern von mystischer Erfahrung. Ich stehe dem Krieg nicht gleichgültig gegenüber. Ich gäbe gern mein Blut, meine Mühen und, was mehr ist, jene Augenblicke der Wildheit, zu denen wir in der Nähe des Todes gelangen.” Bataille zitiert all das, was an Blut-Kriegswörtern in der Zeit präsent war. Und grenzt sich anschließend davon ab: „Aber wie sollte ich für einen Moment meine Unwissenheit vergessen und dass ich in einem Kellergang verloren bin? Diese Welt, der Planet und der gestirnte Himmel sind für mich nur ein Grab (wo ich nicht weiß, ob ich ersticke, ob ich weine oder ob ich mich in eine unbegreifliche Sonne verwandle). Ein Krieg kann eine so vollkommene Nacht nicht erhellen.”
Kindliche, verteufelte Lust
Bataille ist, in geläufigen Begriffen, Irrationalist, sieht sich in seinem Ziel der „mystischen Erfahrung” jedoch konsequent von der Tag- Wirklichkeit des Kriegs getrennt. „Seit der Kriegszustand besteht, schreibe ich dieses Buch, alles übrige ist leer in meinen Augen. Ich will nichts als leben.” Er bezeichnet den Krieg zwar als „göttlich”, doch heißt das bei ihm „weder gut noch schlecht”, nur eben „da”. Im „Mai-August 1940” notiert er: „Der Zug, in dem ich schreibe, gelangt in eine Region, die die Bomben am Mittag gestreift haben: belanglose, aber heimtückische Pusteln, erste Anzeichen der Pest.” Er reflektiert im Rückblick seinen „Hass” auf die, die den Krieg „um des Kampfes willen lieben”, „mich zog er an, weil er mir Angst bereitete.”
Die immer wieder aktuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg führt Bataille auch mitten in ein spannungsreiches Gespräch mit Hegel, dem Systembauer, dem Kontrahenten. Nichts enthülle die „Unvollendung der Geschichte” so sehr wie der Krieg; es wäre schockierend, „einige Tage vor dem Ende zu sterben.” Man wüsste das Ende der Geschichte nicht. Wenige könnten „Unvollendung” akzeptieren. „Nietzsche allein schrieb: ‚Ich liebe die Unwissenheit um die Zukunft.‘”
Doch Hegel, das ist interessant, wird in diesen Texten nicht so sehr zum Feind wie in anderen Büchern Batailles. Der hier abgedruckte, berühmte Brief an Kojève, in dem sich Bataille als „unbeschäftigte Negativität” bezeichnet, zeigt das. Und in der „Freundschaft” schreibt er zwar: „Die Anstrengung Hegels erscheint unselig und sogar hässlich, verglichen mit der Munterkeit und Ausgewogenheit Goethes”. Doch die überraschende Allianz mit dem traditionell strahlendsten Exemplar gelungenen bürgerlichen Lebens, wird abgelöst von einem Bekenntnis: „Ohne Hegel hätte ich zuerst Hegel sein müssen; und die Mittel dazu fehlen mir.” Hegel, der zerrissene Vollender, erweist sich letztlich Bataille näher als Goethe, der Harmoniker, mit seiner „Nekropolen- Schönheit”.
Was in der Umgebung der kritischen Theorie „Bruch” heißt, ist bei Bataille Anfang der vierziger Jahre der „Riss”, als Indikator von Offenheit: „Die Kommunikation erfordert einen Fehler, einen Riss, sie tritt, wie der Tod, durch einen Fehler in der Rüstung ein. Sie erfordert eine Koinzidenz von zwei Rissen, in mir selbst und im anderen.” Interessant allerdings: nicht jede Äußerung geht in die bei Bataille bekannte Richtung („Das Leben ist eine Wirkung der Instabilität, der Gleichgewichtsstörung.”); auch hier lässt er Gegengedanken zu: „Die pausenlose Instabilität ist fader als eine strenge Regel: wir können nur aus dem Gleichgewicht bringen (opfern), was ist.”
Was aber nun ist Freundschaft bei Bataille? Sie ist das Konzept, in dem sich unter anderem alles bisher Angesprochene trifft: die Regel, der Riss, der Krieg: „Ich schlage nicht die Gerechtigkeit vor. Ich bringe die komplizenhafte Freundschaft. Ein Gefühl von Festlichkeit, von Freizügigkeit, von kindlicher, verteufelter Lust.” Ja, der ungefährlichste aller diskutierten Begriffe wird für Bataille zum Komplizierten. Freundschaft bedeutet für ihn tiefe Kommunikation, Öffnung auch für Unangenehmes; nicht nur beim anderen. Nur der ist zur Freundschaft fähig, der „sich vor sich selbst entblößt”, der seine kleine „Partikularität” aufgeben kann. Und das geht selten ohne Schmerz.
HANS-PETER KUNISCH
GEORGES BATAILLE: Die Freundschaft und Das Halleluja. Atheologische Summe II. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Gerd Bergfleth. Verlag Matthes & Seitz, München 2002. 302 Seiten, 34 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Es handelt sich bei Batailles Philosophie, so der Rezensent Christian Geyer, um einen Gegenentwurf zur Ordnung der Gesellschaft. Dem "Diskurs" und der "Institution" stellt er schroff eine Ökonomie der Übertretung gegenüber, die er - in diesem Band nun - zur Handlungskunst entwickelt. Freundschaft ist ihm wichtig als möglicher Schauplatz der Übertretung - und natürlich geht es dabei um Freundschaft mit der Implikation des "erotischen Exzesses". Seltsam kippt, wie Geyer beobachtet, die Feier der Ekstase dabei immer wieder in ihr vermeintliches Gegenteil, wandelt die Verletzung des Tabus ihre Gestalt und erweist sich als "entsagungsreicher Kreuzweg". Überhaupt gelingt es Geyer, Schritt für Schritt, Bataille zur negativen Entsprechungsfigur des Denkens christlicher Theologie, insbesondere der Mystik, zu deuten. So schließt diese Auseinandersetzung mit der, wie jedenfalls der Rezensent findet: "ironischen" Volte mit und gegen Bataille, "dass im Dogma natürlich nicht weniger Erkenntniskritik liegt als im Rausch".

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