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Produktdetails
  • Edition Text
  • Verlag: Stroemfeld
  • Seitenzahl: 263
  • Abmessung: 270mm
  • Gewicht: 1685g
  • ISBN-13: 9783878778714
  • ISBN-10: 3878778716
  • Artikelnr.: 10500436
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2002

Das teuflische Spiel
René Schickeles Tagebücher 1932/33 - der Elsässer Dichter sah das ganze Unheil voraus

So fing es an. Die Nationalsozialisten waren kaum drei Wochen an der Macht, da wurde Heinrich Mann bereits als Vorsitzender der Abteilung Dichtung in der Akademie der Künste abgelöst. Er hatte einen Aufruf von SPD und KPD gegen die neuen Machthaber mitunterzeichnet. Die meisten Akademiemitglieder schwiegen. Der Elsässer Journalist und Schriftsteller René Schickele nicht. Er forderte die Kollegen auf, sich solidarisch zu erklären und eine neue, unabhängige Akademie der Dichtkunst zu gründen.

Er schrieb in diesem Sinne an Thomas Mann und den Verleger Bermann-Fischer. Sie antworteten sofort. "Es ist meine entschiedene Meinung, daß sich die Akademie nicht selbst auflösen darf", antwortete Thomas Mann am 27. Februar 1933. "Wir müssen die Geschehnisse abwarten. Etwas anderes bleibt in diesem Augenblick nicht zu tun. Ich denke, Sie werden auch meiner Meinung sein." Und Bermann belehrte Schickele: "Alle sind sich darüber einig, daß diese Affäre nicht eindeutig und wichtig genug sei, um aus ihr die Konsequenzen zu ziehen. Sie würden mit einem freiwilligen Austritt genau das Gegenteil erreichen von dem, was Sie wollen."

Blindheitsmuster

René Schickele hat die beiden Antwortschreiben in sein Tagebuch aufgenommen. Darunter schrieb er: "Es ist hier im kleinen wie's im grossen war, der bestehende Zustand wird für das ,kleinere Übel' erklärt und der Widerstand erst für den Fall ins Auge gefasst, dass das ,grössere Übel' eintritt. Das ,kleinere Übel' ist immer das ,grössere Übel' von gestern. Und es geschieht nie etwas, aus dem einfachen Grund, weil es immer gefährlicher wird, etwas zu tun."

René Schickele war der hellsichtigste unter den deutschen Dichtern. Er wußte, was kam. Wenn er ein größerer Kämpfer gewesen wäre, ein größerer, ein stärkerer Vereiniger, hätte er für die deutsche Emigration vielleicht die führende, die zusammenführende Rolle spielen können, für die Heinrich Mann zu desillusioniert, Thomas Mann zu unentschlossen, menschenfern und majestätisch und Klaus Mann zu jung und unerfahren war. Und er hätte damit das klägliche Bild, das die deutsche Emigration in ihrer Tausendstimmigkeit abgab, in ihrer selbstverliebten Kleinkriegsbegeisterung, in der sie sich untereinander zermürbte, abwenden oder zumindest mildern können. Vielleicht.

In vier Tagebüchern, den sogenannten "Blauen Heften", die jetzt als aufwendige Faksimile-Ausgabe im Stroemfeld-Verlag erschienen sind, hat René Schickele das Jahr des großen Umbruchs, die Zeit zwischen Juni 1932 und Mai 1933, festgehalten und kommentiert. Hier stehen abgeschriebene Briefe von Kollegen neben ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, Fotos und Alltagsanekdoten, die alle zusammen das Bild eines Landes auf dem Weg zu ekstatischen nationalen Euphorien zeigen.

"Hitler ante portas" heißt die Überschrift eines Eintrags aus dem Juni 1932, unter der Schickele das Treffen mit einem "Marxisten reinster Observanz" schildert, der ihm gegenüber die Schönheiten des Nationalismus pries; es wird die wachsende Zahl von Hakenkreuzfähnchen in der Umgebung seines Wohnortes Badenweiler ebenso verzeichnet, wie die Bemerkung einer Frau Professor Petersen, die ihm, nach ihrer Meinung zum Nationalsozialismus befragt, antwortet: "Gott, man freut sich, daß wieder etwas wie Nationalgefühl aufkommt." Daneben stehen Zeitungsberichte über das Verbot des Nacktbadens in preußischen Schwimmanstalten, über die Verpflichtung, nur noch verheiratete Bademeister einzustellen, oder eine Sammlung von Überschriften aus dem "Völkischen Beobachter". Je weiter die Zeit und das Unglück voranschreiten, um so knapper werden die eigenen Alltagsbemerkungen, um so mehr wird einfach aufgeklebt, wortlos kartographiert: "Ich könnte die ganze Zeitung ausschneiden."

Schickele kann nicht glauben, daß nicht alle Welt erkennt, was er schon lange sieht. "Das teuflische Spiel kann nicht anders enden, als mit der Ausrottung der Juden oder dem Zusammenbruch des Hakenkreuzes", schreibt er im April 1933. Und weiter: "Wird es über kurz oder lang brenzlig, kommt der Polnische Krieg und ,schmilzt das Volk zu einem Block zusammen'. Endet der Krieg mit einer Niederlage, dann gibt es ein Ende mit beispiellosem Schrecken." Und er fragt sich, warum Juden drei Monate nach der Machtübernahme überhaupt noch in Deutschland leben können, wo ihnen "restlose Vernichtung droht". "Ich bin nicht Jude und könnte es nicht."

Seit September lebt der Elsässer Schickele, der mit der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und der Übergabe Elsaß-Lothringens an Frankreich französischer Staatsbürger geworden war, in Südfrankreich. Eigentlich nur für einen längeren Kuraufenthalt aufgebrochen, ahnte er schon damals, daß er nicht nach Deutschland zurückkehren sollte. Und ist schon an der Grenze entsetzt über die Ahnungslosigkeit der Franzosen im September 1932, als er sieht, wie sein Wagen mit deutschem Nummernschild freudig begrüßt wird: "Die wissen noch nichts", staunt Schickele, "es hat sich noch nicht herumgesprochen, was drüben vorgeht." Es ist das letzte Mal, daß er die Grenze passiert. Die Grenze, die René Schickeles Lebensthema war. Die Abschaffung der Grenze. Ihr Überflüssigwerden.

Der Ausgleich, die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich war immer das höchste Lebensziel des Elsässers gewesen. "Geistiges Elsässertum" war sein Programm, das er schon in frühesten Jahren entwarf, als er zusammen mit den elsässischen Freunden Ernst Stadler und Otto Flake 1902 den Straßburger Dichterkreis "Der Stürmer" gegründet und die gleichnamige Zeitung herausgegeben hatte. Das Elsaß, so das Programm des damals Neunzehnjährigen, der schon mit zwölf Jahren erste Feuilletons und mit fünfzehn erste Gedichte in Berliner Zeitungen veröffentlicht hatte, sollte das neue geistige Zentrum werden, welches das beste der beiden Pole Paris und Berlin friedlich miteinander vereine. Die Zeitschrift kam nur auf vier Ausgaben. Dann mußte sie wegen Zola-Verherrlichung eingestellt werden.

Die Elsaß-Mission

Die nächste Neugründung, "Der Merker", brachte es auf drei Nummern, bis ein Prozeß wegen Majestätsbeleidigung der Zeitschrift ein Ende machte, und auch die nächste Zeitung, die Schickele unter dem Namen "Das neue Magazin" in Berlin leitete, mußte schon mit der ersten Nummer vier Prozesse bestehen und wurde ebenfalls bald eingestellt. Von dieser großartigen Erfolglosigkeit seiner Projekte keineswegs entmutigt, wurde Schickele zu einem der Wortführer des Expressionismus und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs Exponent des kleinen pazifistischen Teils der Bewegung. Er übernahm, während seine Freunde, die Dichter Ernst Stadler und Charles Péguy, sich in den Schützengräben gegenseitig totschossen, die Leitung der pazifistischen Monatsschrift "Die Weissen Blätter", in der die führenden europäischen Kriegsgegner um Romain Rolland und Heinrich Mann ihre Friedensaufrufe veröffentlichten.

Schickele war auf seiner "elsässischen Mission", wie er sagte. Sein eigenes Antikriegsdrama "Hans im Schnakenloch", das zunächst in den ersten Kriegsmonaten noch in Frankreich und Deutschland uraufgeführt werden konnte, wurde schon bald auf beiden Seiten als Propaganda- und Wehrzersetzungsstück der jeweils anderen Kriegspartei verboten. Auch mit seinen späteren deutsch-französischen Romanen wie der großen Trilogie "Das Erbe vom Rhein" stieß er immer wieder auf Kritik auf beiden Seiten.

Das Elsaß war das Land zwischen den Ländern, und Schickele war sein Dichter. Nie war diese Position schwieriger als im Krieg. "Freunde, es war eine elende Zeit! Zum zweiten Mal überleb ich sie nicht", hatte er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erklärt. Bevor es zum zweiten Mal in seinem Leben zu einem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich kam, ist René Schickele im Januar 1940, vier Monate vor dem Angriff Deutschlands auf Frankreich, in Vence gestorben.

VOLKER WEIDERMANN

René Schickele: "Die blauen Hefte" Hrsg. von Annemarie Post-Martens; dies.: "PAN-Logismus. René Schickeles Poetik im Jahr der Wende 1933. Stroemfeld Verlag 2002. 518 Seiten. 48 [Euro]

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Jürgen Berger vermeldet eine Entdeckung: die politischen Tagebuchnotizen des Elsässer Schriftstellers René Schickele aus den Jahren 1932 und 1933, die jetzt in einer "doppelbändigen textkritischen Ausgabe" vorliegen. Schickele schrieb sie, so Berger, als aufmerksamer Chronist, der in seinem südbadischen Landhaus Zeitung las, Gerüchte reflektierte, Informationen sammelte - über Schriftstellerkollegen, die sich bei den Nazis anbiederten, über die Verfolgung von Linken und Juden. Zusammengefügt ergäben sie ein hellsichtiges Zeitzeugnis. Berger lobt den Kommentarteil der Herausgeberin Annemarie Post-Martens, der die Aufmerksamkeit - und zwar "alles andere als gespreizt-gelehrt" - auf die Person Schickeles lenke, beispielsweise auf seine besondere Beziehung zu den Mann-Brüdern: Mit Heinrich war er befreundet, dem wie er selbst exilierten Thomas war er im Sommer 1933 in Südfrankreich behilflich - und notierte dessen Unwillen, sich die Realitäten in Deutschland wirklich einzugestehen, im letzten seiner blauen Hefte.

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