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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Stroemfeld
  • Seitenzahl: 143
  • Deutsch
  • Abmessung: 315mm
  • Gewicht: 2790g
  • ISBN-13: 9783878778189
  • ISBN-10: 387877818X
  • Artikelnr.: 10914805
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2004

Es rät herum und kombiniert die aufgeregte Seele zwischen den Trümmern
Durch die Zeitalter der Versunkenheit hindurch: Martin Stritts glänzende Studie über Maarten van Heemskercks Panoramabild "Die schöne Helena in den Romruinen"

Eines der reizvollsten kunsthistorischen Genres ist die erschöpfende Analyse eines Einzelwerkes im Kontext seiner Entstehung und Wirkungsgeschichte. Um so mehr ist zu bedauern, daß der S. Fischer Verlag vor einiger Zeit das Erscheinen seiner beliebten, von Michael Diers herausgegebenen Reihe "fischer kunststück" einstellen mußte. Bei Stroemfeld ist ein "Kunststück" erschienen, das aufgrund seiner opulenten Ausstattung und seines brillant geschriebenen Textes zu den erfreulichsten und schönstgestalteten Publikationen des diesjährigen Bücherherbstes gezählt werden darf.

Martin Stritts Untersuchungsgegenstand ist das 1535/36 in Rom entstandene Bild des Niederländers Maarten van Heemskerck, das auf seinem panoramatischen Ausmaß von fast vier Metern Breite einen Personenzug vor einer phantastischen Ruinen- und Stadtlandschaft zeigt. Das Bild, das heute im Walters Art Museum in Baltimore zu bewundern ist, hieß zeitweilig "Die Sieben Wunder der Alten Welt", momentan trägt es den Titel "Landschaft mit Entführung der Helena". Die changierenden Bildtitel verweisen bereits darauf, daß es sich hier um ein vielschichtiges Rätselbild handelt, an dem sich die kunsthistorische Forschung seit längerem die Zähne ausbeißt. Irregeleitet durch den früheren Titel, versuchte sie, sämtliche sieben Weltwunder in der von phantasievollen Details überquellenden Landschaft zu identifizieren - jedoch ohne durchschlagenden Erfolg.

Stritt schlägt in seinen "Überlegungen zu einem Gemälde Maarten van Heemskercks" einen anderen, dem manieristischen Habitus des Bildes angemesseneren Weg ein. In erster Annäherung entdeckt er nur den goldenen Koloß von Rhodos im Bildhintergrund. Er nehme dort eine Schlüsselstellung ein, denn "unzweifelhaft ist er es, der unser Vorstellungsvermögen zu solcher Kühnheit zu entflammen vermag, daß wir geneigt sind, in den kleinen, geradezu megalophoben Pyramiden am Meer ... die bewunderten ägyptischen Riesenbauwerke zu sehen, oder in einer basilikalen Architekturphantasie im Hintergrund der linken Bildhälfte das sagenhaft schöne ephesische Artemision zu erkennen wünschen".

Heemskercks Bild ist für Stritt keine akribische Inventarisierung der Weltwunder, es verfüge vielmehr über eine besondere, phantasiebeflügelnde Komponente, durch die der Künstler "mit malerischen Mitteln die zahlenmagische Siebenfaltigkeit sämtlicher Weltwunder so eindringlich in den Sinn" bringt, "daß wir sie gerne vollständig zu Gesicht bekämen". Damit werden sie als das gezeigt, was sie eigentlich immer waren, nämlich "ästhetische Wunschträume" - der Koloß hätte aus statischen Gründen nie mit so gespreizten Beinen über einer Hafeneinfahrt stehen können, dennoch hat sich diese Bildformel unverrückbar verfestigt.

Stritts Ausgangsevidenz für die These, daß es sich bei der grandiosen Stadtlandschaft im Bildhintergrund um eine römische Topographie handeln muß, gründet auf der spezifischen Faktur des römischen Stadtraums in der Frühen Neuzeit, wie sie Heemskerck während seines Romaufenthaltes erfahren hat: Keine marmorfunkelnde, dichtbevölkerte, prosperierende Stadt war das Rom der Renaissance, es erinnerte eher an eine Art zeitentrückten Landschaftsgarten, in dem zwischen kleinen bewohnten Inseln die antiken, von der Vegetation halb zurückeroberten Ruinen wie vergessene Solitäre aufragten und wo die Grünflächen des Forums den Ziegen als Weideplatz dienten.

Zugleich kann Stritt überzeugend darlegen, daß und wie Heemskerck - wie jeder Reisende - in Rom genau das sah und wiederfand, worauf ihn frühe prägende Bild- und Seheindrücke in seiner niederländischen Heimat vorbereitet hatten: dünenartige, vegetativ überwucherte Schichten; metamorphotische Symbiosen von Natur und Kultur, die sich wechselseitig hervorbringen und aus der sich traumgleich Zeugnisse der Vergangenheit erheben. Als eine Pointe für diese These zieht Stritt das legendäre Auftauchen der sogenannten "Brittenburg" bei Katwijk heran: In den Weihnachtstagen des Jahres 1520 tauchten plötzlich am Nordseestrand die Ruinen eines antiken römischen Seehafens auf, um nach nur zwei Tagen auf ebenso mysteriöse Weise wieder im Sand zu versinken. Diese Erscheinung wiederholte sich noch mehrfach im sechzehnten Jahrhundert, eine archäologische Untersuchung im Jahr 1960 blieb allerdings ohne Ergebnis.

Freilich beschränkt sich Stritt nicht auf solch anekdotische Stützungen seines Arguments. Er kann präzise anhand der Analyse von frühen Rom-Darstellungen und -Plänen, die er mit Heemskercks eigenen Rom-Zeichnungen vergleicht, zeigen, daß der Maler - als niederländischer Flachländler - besonders von der gebirgsartigen Präsenz der römischen Antiken und ihrer botanisch-antiquarischen Durchdringbarkeit fasziniert gewesen sein muß. Den Topos, die Ewige Stadt als vielschichtigen natürlichen Organismus zu betrachten, verfolgt Stritt von Cassiodor im sechsten nachchristlichen Jahrhundert bis zu Jacob Burckhardt, der in seinem allerersten Brief aus Rom vom 21. April 1846 schrieb: "Der Genuß Roms ist ein beständiges Errathen und Combiniren; die Trümmer der Zeiten liegen in gar räthselhaften Schichten übereinander. Zwar fehlt mir hier ein vollendet schöner Bau, zu dessen Thürmen und Nischen die aufgeregte Seele flüchten könnte ...; aber Alles zusammengenommen ist es eben doch noch die Königin der Welt und giebt einen aus Erinnerung und Genuß so wundersam zusammengesetzten Eindruck wie keine andere Stadt."

Die "stofflich präsente Erinnerung einer epochalen Distanz" ist das, was jede Romerfahrung seit Petrarca auszeichnet, und genau diese raumzeitliche Erfahrung - die in ihrer Vielschichtigkeit so nur in Rom leibhaftig gemacht werden kann - läßt Heemskercks Bild in Stritts Deutung vor der Einbildungskraft des Betrachters plastisch werden. Daher ist es nur konsequent, daß das Gemälde nur formale Abbreviaturen und Resümees römischer Monumente darbietet und sich so der platten Abbildhaftigkeit entzieht. So sieht beispielsweise ein rundes Gebäude in der Bildmitte aus, als habe Bramante einen zweiten Tempietto auf dem Grundriß von S. Stefano Rotondo errichtet und das Portal mit den salomonischen Säulen aus Alt-St. Peter geschmückt. Die beiden Flußgötter wiederum, die das Portal flankieren, sind ingeniöse Einzelteilkombinationen mit Formabwandlungen der Nil- und Tiberstatuen im Vatikan und auf dem Kapitol.

Die Ruinenlandschaft im Mittelgrund von Heemskercks Bild wird durch solche Romzitate zu einem Erinnerungsmonument, die Ruinen selbst sind "Memo-Mirabilien". Die auch farblich ins Rosig-Unwirkliche entrückte Stadt im Hintergrund mit ihren antiken Pferdestatuen ohne zügelnde Dioskuren und ihren Monumentalsäulen und Obelisken aber wäre dann die vormals intakte Vergangenheit dieser römischen Ruinen. Das Bild veranschaulicht in Stritts überzeugender Deutung "die leibhaftige Gegenwart einer urbanen Vergangenheit durch die Zeitalter der Versunkenheit hindurch".

Kaum mag man glauben, daß es sich bei diesem gelehrten Buch ursprünglich um eine Dissertation gehandelt haben soll, zeichnet sich diese Textsorte doch selten durch übertriebene Lesbarkeit aus. Stritt ist ein Sprachkünstler bildhafter Evokationen, sein Darstellungsduktus ist somit dem Gegenstand in idealer Weise angemessen. Leserfreundlich ist auch die verlegerische Trennung von Text- und Bildband, die es ermöglicht, sich gleichzeitig an der ekphratischen Sprachkunst des Autors wie an Heemskercks "Schilderkunst" zu erfreuen.

Daß Stritt den akademischen Gepflogenheiten trotz seiner Erzählfreude mühelos genügen kann, zeigen die souveränen Herleitungen der Bildmotive aus der zeitgenössischen Landschaftsmalerei oder seine kurze Geschichte der realen und phantastischen Romveduten. Selbst den so sprachgewandt vorgetragenen Digressionen des Autors folgt man gerne, führen sie doch immer tiefer in die Archäologie der Bedeutungsschichten dieses labyrinthischen Bildes hinein. So wird der berühmteste Liebestraum der Frührenaissance, die Hypnerotomachia Poliphili, als Paralleltext zu Heemskercks Bild interpretiert, weil dort zum ersten Mal erfundene Romruinen eine zentrale Rolle spielen und unter anderem auch das Innere einer Kolossalstatue besichtigt wird. Daß Luther in seiner Genesisübersetzung die Antlitz-Metapher, die im hebräischen Bibeltext die Erdoberfläche bezeichnete, im Sinne eines "reformatorischen faceliftings des Heilsgeschehens" tilgte, weiß Stritt ebenfalls im Detail zu belegen. Auch dieser etymologische Umweg ist für seine Interpretation des Gemäldes bedeutsam, weil Heemskercks gemaltes "Gezicht" der Stadtlandschaft das sprachliche Antlitz der Erde substituiert.

Im Schlußkapitel gerät endlich die merkwürdige Reisegesellschaft des unmittelbaren Bildvordergrunds in den Blick des Interpreten. Daß es sich bei den dargestellten Personen um Paris und die (weniger entführte als liebesentflammte) Helena handelt, verrät das Parisurteil, welches das Großsegel des angesteuerten Fluchtschiffes schmückt. Der Figurenzug bildet mit seinen heftig bewegten und - wie die Landschaft im Hintergrund - ondulierenden Teilnehmern eine Art "schwungvolle stilistische Avantgarde", einen manieristischen Trupp, der alles mitnimmt, was er an Kunstvorbildern selbst künstlerisch zu überbieten gedenkt: Die goldene Frauenstatue auf den Schultern des herkulisch-nackten Kunsträubers in vorderster Front spielt auf Michelangelos berühmte Skulpturen in der Neuen Sakristei an. Ihr wird der Torso vom Belvedere sinnfällig vorweggetragen.

Von der abschließenden Gesamtdeutung des Bildes hätte man sich nach dem fulminanten interpretatorischen Vorlauf mehr versprochen. Das Fazit, daß Heemskerck in seiner "weltuntergangsskeptischen Liebeslandschaft" all die bekannten zivilisationsbedrohenden zerstörerischen Elemente der Liaison Helena-Paris aufhebe, damit sich wahre Liebe gegen alle Fährnisse durchsetzen könne, macht den Eindruck, als habe der Autor im letzten Moment seine analytische Denkanstrengung zugunsten harmonistisch-märchenhafter Glückshoffnungen aufgegeben. Oder wollte er sich in einer ironisch-manieristischen Volte nur einen leichtfüßigen Abgang verschaffen?

CHRISTINE TAUBER

Martin Stritt: "Die schöne Helena in den Romruinen". Überlegungen zu einem Gemälde Maarten van Heemskercks. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main, Basel 2004. 2 Bände im Schuber. Textband 146 S., Abbildungsband mit 175 Farb- und S/W-Abb., geb., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Begeistert zeigt sich Rezensentin Christine Tauber von Martin Stritts erschöpfender Analyse des 1535/36 in Rom entstandenen Panoramabilds "Die schöne Helena in den Romruinen" des Niederländers Maarten van Heemskerck. Tauber beschreibt das Bild, das zeitweilig den Titel "Die Sieben Wunder der Alten Welt" trug, als "vielschichtiges Rätselbild", an dem sich die kunsthistorische Forschung seit längerem die Zähne ausbeiße. Irregeleitet durch den früheren Titel, habe sie versucht, sämtliche sieben Weltwunder in der von phantasievollen Details überquellenden Landschaft zu identifizieren - jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Stritts Herangehensweise hält sie für angemessener. Er verstehe das Gemälde nicht als "akribische Inventarisierung der Weltwunder", sondern hebe dessen "besondere, phantasiebeflügelnde Komponente" hervor. Er zeige, dass es sich bei der grandiosen Stadtlandschaft um eine römische Topographie handle. "Überzeugend" findet Tauber die Deutung Stritts, das Bild veranschauliche "die leibhaftige Gegenwart einer urbanen Vergangenheit durch die Zeitalter der Versunkenheit hindurch" (Stritt). Besonders würdigt sie auch Stritts sprachliche Fertigkeiten. Sie lobt ihn als einen "Sprachkünstler bildhafter Evokationen", dessen Darstellungsduktus dem Gegenstand in idealer Weise angemessen sei. Insgesamt gehört Stritts Buch mit seiner "opulenten Ausstattung" und seinem "brillant geschriebenen Text" für die Rezensentin zu den "erfreulichsten und schönstgestalteten Publikationen des diesjährigen Bücherherbstes".

© Perlentaucher Medien GmbH
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