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"Die Arche" - Groddecks Baden-Badener Haus-Zeitschrift seines Sanatoriums stellte ihr Erscheinen mit der Nr. 13/14 des dritten Jahregangs 1927 ein. Seither war sie eine gesuchte Rarität, komplette Ausgaben waren im Antiquariat nie angeboten, selbst unvollständige Jahrgänge wurden hoch gehandelt. "Die Arche" war eine Legende, zu ihrem Mythos trugen eine nach ihr benannte italienische psychologische Zeitschrift und zahlreiche Auswahlbände bei. Hier liegt nur ein vollständiger photomechanischer Nachdruck der Zeitschrift von 1925 bis 1927 vor.

Produktbeschreibung
"Die Arche" - Groddecks Baden-Badener Haus-Zeitschrift seines Sanatoriums stellte ihr Erscheinen mit der Nr. 13/14 des dritten Jahregangs 1927 ein. Seither war sie eine gesuchte Rarität, komplette Ausgaben waren im Antiquariat nie angeboten, selbst unvollständige Jahrgänge wurden hoch gehandelt. "Die Arche" war eine Legende, zu ihrem Mythos trugen eine nach ihr benannte italienische psychologische Zeitschrift und zahlreiche Auswahlbände bei.
Hier liegt nur ein vollständiger photomechanischer Nachdruck der Zeitschrift von 1925 bis 1927 vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2002

Ein Schiff im Krankenstand
Zauberberg und Menschenzoo: Die Arche des Georg Groddeck

"Die Arche" war das Publikationsorgan des Psychoanalytikers Georg Groddeck. Die von ihm herausgegebenen und redigierten Hefte erschienen in vierzehntäglichem Rhythmus und umfaßten einen oder zwei Druckbögen. 1925 mit großem Elan begonnen, kam die Zeitschrift über eine Auflage von knapp 250 Exemplaren nicht hinaus und stellte nach ihrem dritten Jahr den Betrieb kommentarlos ein. Bis dahin hatte Groddeck seinem Fährschiff eine beachtliche Zahl von Aufsätzen, literarischen Erzählungen und Diskussionsbeiträgen anvertraut - versunkene Raritäten, die nun im Rahmen der Werkausgabe als Reprint greifbar sind. Die drei kardinalsroten Bände bieten mehr als ein Logbuch der Groddeckschen Lehranalysen. Mit ihren scheibchenweise portionierten Fallgeschichten bei offenem Ende machen sie die längst als historisch abgeheftete Gründerzeit der Psychoanalyse wieder zu einem work in progress.

Leben und Wirken Georg Groddecks (1866 bis 1934) fallen in eine dramatische Übergangsphase der diagnostischen und therapeutischen Praxis. Groddecks Vater, einst Kurarzt zu Bad Kösen, hatte 1873 bei einer fehlgeschlagenen Bauspekulation seine Existenz verloren und endete in den achtziger Jahren als einer der damals neuen, schlechtbezahlten Kassenärzte. In die beschauliche Exklusivität der Kurbäder zog nicht nur das schwindelerregende Finanzkapital ein, sondern auch das Gedankengut der Lebensreformer und Naturheilkundler, etwa die Hydrotherapie des Wörishofener Pfarrers Sebastian Kneipp. Weniger denn je konnte die Heilkunst im Zeitalter der Hochmoderne von den Lebensverhältnissen absehen, die in der Krankheit ihren Ausdruck fanden. Neue Wege der Medizin wurden zur kulturpolitischen Mission.

Ihren Heimathafen besaßen die "Arche" und ihr Herausgeber in dem Baden-Badener Sanatorium Marienhöhe. Groddeck hatte die Klinik um 1900 übernommen und im Lauf dreier Jahrzehnte zu einer führenden Einrichtung für psychosomatische Heilmethoden entwickelt. Auf diesen "Zauberberg im Schwarzwald" (Otto Jägersberg) begaben sich Kranke mit handfesten organischen Beschwerden wie Hautgeschwüren, Verdauungs- oder Menstruationsstörungen; chronische Krankheiten und selbst kriegsbedingte Verletzungen behandelte Groddeck durch Psychoanalyse. Manche Patienten hatten bereits jahrelange ergebnislose Therapien hinter sich, sahen in Groddeck ihre letzte Hoffnung. Viele waren mit kommoden Finanzmitteln gesegnet, gehörten zu den besseren Kreisen (die Mehrzahl der Patienten-Beiträge in der "Arche" ist mit Pseudonymen oder Initialen gezeichnet, die im Anhang der Neuausgabe teilweise entschlüsselt werden). Doch zählten zu Groddecks Anhängerschaft, wie der Meister stolz vermerkt, neben Universitätslehrern auch Arbeiter, neben Künstlern auch "vielbeschäftigte Kaufleute und Industrielle".

Soviel Muße wie zu einer Davoser Lungenkur brauchten diese tüchtigen Zeitgenossen für Baden-Baden nicht aufzuwenden. "Der Doktor" liebte es, seine wachsende Zuhörer- und Lesergemeinde mit Geschichten über rasche Genesungserfolge zu verblüffen. Bis dato galt die Psychoanalyse selbst in Fachkreisen für eine umständliche und nur langfristig wirksame Prozedur. Zwei bis drei Jahre Behandlungszeit mit mehreren wöchentlichen Terminen? Nicht bei Groddeck, dem oft schon ein kurzer Gesprächseindruck genügte, um tiefsitzende Verdrängungen aufzustechen. "Als Analytiker", so erinnert sich der befreundete Schriftsteller Hermann Graf Keyserling, war Groddeck "das unglaublichste an Katalysator, was ich auch nur für möglich hielt. Er sagte so gut wie gar nichts" - und brachte dadurch das jeweilige Gegenüber dazu, seine Beschwernisse auf die Zunge zu legen.

In der "Arche" besprach Groddeck methodische Probleme der Analyse, zunächst und immer wieder am eigenen Beispiel. Hatte das Schifflein erst einmal an Fahrt gewonnen, so der Appell an die Leserschaft, sollten eingesandte Erfahrungsberichte von Patienten, Freunden, Unterstützern und Kollegen den Hauptanteil bestreiten. Das redaktionelle Konzept klang denkbar einfach: "Die Arche will Gelegenheit zum Aussprechen der Verdrängungen geben. Jeder, der Mühsale hat, möge sie in der Arche abladen; die Form ist gleichgültig."

Freizügig äußerten sich Groddeck und seine Patienten über libidinöse und haßerfüllte Regungen, deren verdrängte Energien sich in somatischen Störungen Geltung verschafften. Doch lag es wohl nicht an ungebührlichen Auswüchsen von "Schmutz und Schund", wenn die Zeitschrift in den knapp drei Jahren ihres Bestehens die Anteilnahme eines größeren Publikums nicht erreichen konnte. Statt in offene Gewässer zu steuern, saß Groddecks "Arche" als etwas sektiererisch wirkende Hauszeitschrift auf der Marienhöhe fest. Wie das biblische Vorbild mußte sie mit einer stagnierenden Zahl von Passagieren vorliebnehmen.

Einer heutigen Lektüre gibt die Geschichte der "Arche" Einblick in die Dynamik der Gruppen- und Schulenbildung. "Wo bleibt die Stimme der Tiere?" fragte der Herausgeber nach einem knappen Jahr verärgert. "Soll ich immer alleine blöken?" Die vermeintliche Undankbarkeit seiner Schäfchen veranlaßte Groddeck zu diversen ärztlichen Hypothesen. Einmal führt er sie darauf zurück, "daß gerade bei meinen Patienten das Bedürfnis besteht, möglichst rasch zu verdrängen, was sie in Baden-Baden erlebt und gehört haben". Ein andermal sieht er sich als Mutterersatz, den die auf diese Weise Umhegten eifersüchtig für sich behalten wollten.

Tatsächlich trägt die Zeitschrift in ihrer Anlage stark narzißtische Züge, das Verfahren führt rasch zur Monotonie. Die Einsendungen greifen Groddecks Anregungen auf, bestätigen und illustrieren sie durch eigene Fallbeispiele. Sie berichten über rätselhafte Trauminhalte oder hartnäckige organische Leiden. Anschließend gibt der Meister seinen analytischen Kommentar, der im vorgelegten Material verborgene Hinweise auf die Ätiologie der geschilderten Störungen herausschält. Groddeck achtet dabei vor allem auf die Wiederkehr bestimmter Motive (etwa Farben, Redewendungen, Jahreszeiten und Daten), um sie auf ein zugrundeliegendes Muster beziehen zu können.

Als Analytiker machte sich Groddeck das Charisma suggestiver Gesprächsführung zunutze, die Schriftform dagegen erschwert solche Verblüffungseffekte. Oft wirken seine Deutungsvorschläge, da sie nicht wirklich am Einzelfall vorgehen, reflexhaft und vorhersehbar. Die Sprache des "Es", die sich in der Krankheit bekundet, versteht Groddeck als schlichte Metaphorik. Da ist das Beispiel des Unternehmers, der über Verstopfung klagt, weil seine Geschäfte ins Stocken gerieten. Wer chronischen Husten hat, signalisiert damit, daß er jemanden oder etwas von sich "weghusten" wolle. Die Neigung zum Erbrechen in der ersten Phase der Schwangerschaft ist ein versteckter Hinweis darauf, daß die Frauennatur mit der Mutternatur im Widerstreit liegt und die Leibesfrucht baldmöglichst wieder loswerden will.

Selbst wer im Weltkrieg Arm oder Bein verlor, gab damit ein Zeichen; er wollte insgeheim wieder in die embryonale Hilfsbedürftigkeit zurückkehren. Stets verfolgt das "Es" erkennbare Absichten, wenn es den Körper stört, peinigt oder gar abtötet. Nicht von ungefähr erlebt Groddecks Semantisierung der Krankheit ihre Konjunktur in einer Nachkriegsära. Der massenhafte Irrwitz der Kriegstoten und Verstümmelten schrie förmlich nach einem sinnstiftenden Erklärungsansatz. Den einen traf's, den andern nicht: Wo von Schuld oder Verantwortung nicht die Rede sein kann, müssen die Gründe in den Vorkehrungen des "Es" und seiner "Bereitschaft zur Krankheit" liegen.

Es ist die Philosophie Nietzsches und ihre postume Reduktion auf den Willen zur Macht, von der Groddeck zu solchen Spekulationen geführt wird. Grenzenlos scheint seine Verachtung für das humanistische Denken und das Prinzip der Solidarität, ebenso für das hypokratische Ethos des Arztes als Helfer der Menschheit. Richtiger wäre es, "dem Tüchtigen vorwärts zu helfen und den Untüchtigen aufzuhalten". Wahre Haßtiraden gelten dem "Erbfeind" Frankreich, die außenpolitische Diplomatie der Stresemann-Jahre lehnt Groddeck rundweg ab. Dann aber druckt er ein Loblied auf die in Skandinavien und der Schweiz so vorbildlichen Einkaufsgenossenschaften, setzt sich für die Entskandalisierung der Homosexualität ein oder lobt die antifamilialen Tendenzen der christlichen Botschaft - Ansichten eines modernen Schamanen, der sich kokett der "wilden Psychoanalyse" zurechnete.

Mit seinen Einsichten in die Ambivalenzen des Krankseins konnte der Analytiker von der bürgerlichen Ordnung keine hohe Meinung haben, auch nicht von der schwächelnden Demokratie. Kampfeswillen und Entschlossenheit zeigt Groddeck indes bei der Verteidigung von Baden-Baden. Dem gepflegten Kurstädtchen rückte die neue Zeit mit schändlichen Tennisklubs und Autorennen zu Leibe. Groddeck trauert um jeden gefällten Baum in seiner geliebten Lichtenthaler Allee. Für sie galt offenbar nicht, daß das "Es" keinen leiden und sterben läßt, der nicht bereit dafür ist.

ALEXANDER HONOLD

Georg Groddeck: "Die Arche". Vollständiger photomechanischer Nachdruck der Zeitschrift (1925-1927). Herausgegeben von Otto Jägersberg. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2001. 3 Bde., zus. 1400 S., geb., 126,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Logbuch der Lehranalysen des Psychoanalytikers Georg Groddeck entdeckt Alexander Honold in diesem Reprint. Die von Groddeck von 1925-1927 herausgegebene "Arche", "mit ihren scheibchenweise portionierten Fallgeschichten" macht, schreibt Honold, "die längst als historisch abgeheftete Gründerzeit der Psychoanalyse wieder zu einem work in progress". Dies geschehe anhand von methodischen Problemen, die der Herausgeber erörtere, und von Patientenplaudereien über Libidinöses oder Hasserfülltes, Trauminhalte oder handfeste organische Leiden. Dass sich die "Arche" dabei etwas sektiererisch ausnimmt (hier der Meister, dort die Schäfchen), hat nach Ansicht des Rezensenten den Vorteil, dass der Leser Einblick bekommt in die "Dynamik der Gruppen- und Schulbildung". Richtig öde findet Honold die Reflexhaftigkeit und Vorhersehbarkeit der Groddeckschen Deutungsvorschläge (Verstopfung als Anzeichen für stockende Geschäfte!); das Charisma suggestiver Gesprächsführung kann die Schriftform nicht vermitteln, meint er. Allerdings sind Thesen wie jene vom Zeichen "embryonaler Hilfsbedürftigkeit" bei einem, der im Krieg Arm oder Bein verlor ja schon wieder drollig. Und wenn Groddeck gesellschaftskritisch und politisch wird und den "Erbfeind" Frankreich beschimpft, für die Entskandalisierung der Homosexualität eintritt oder die antifamiliären Tendenzen der christlichen Botschaft lobt, dann immerhin zeigt sich für den Rezensenten der "moderne Schamane, der sich kokett der 'wilden Psychoanalyse' zurechnete".

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