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Eine junge Frau will Schriftstellerin werden. Auf der Flucht vor ihrer ländlichen Einöde zieht sie in die glitzernde Großstadt Vilnius, wo sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie bald mehr und mehr verwischen: Die Gesellschaft feiert sich selbst in einem absurden Karneval, der die neue Eiszeit nicht zu vertreiben vermag. Orientierungs- und bindungslos treiben die Menschen in eine ungewisse Zukunft - in der höchstens der Glaube an die Poesie Halt zu geben verspricht.
Ein Mädchen wächst auf dem Land heran, voller Sehnsucht nach Schönheit und Poesie inmitten eines eintönigen
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Produktbeschreibung
Eine junge Frau will Schriftstellerin werden. Auf der Flucht vor ihrer ländlichen Einöde zieht sie in die glitzernde Großstadt Vilnius, wo sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie bald mehr und mehr verwischen: Die Gesellschaft feiert sich selbst in einem absurden Karneval, der die neue Eiszeit nicht zu vertreiben vermag. Orientierungs- und bindungslos treiben die Menschen in eine ungewisse Zukunft - in der höchstens der Glaube an die Poesie Halt zu geben verspricht.
Ein Mädchen wächst auf dem Land heran, voller Sehnsucht nach Schönheit und Poesie inmitten eines eintönigen Lebens. Früh schult sie ihre Phantasie und Beobachtungsgabe, bis sie als Erwachsene in die Hauptstadt Vilnius fliehen kann. Eigentlich möchte sie Schriftstellerin werden, doch ihr Geld muß die junge Frau in der Redaktion einer populären Zeitung verdienen. Als ihr eines Tages der Chefredakteur eine dicke Mappe überreicht, nimmt der Alltag eine überraschende Wendung: Sie soll aus den literarischen Versuchen eines finanzkräftigen Sponsors ein paar Texte zur Veröffentlichung auswählen - und vertieft sich immer mehr in die schaurigen Geschichten. Die Mappe beginnt, sich buchstäblich in ihr Leben einzumischen. Überall, im Café, im Büro oder daheim, findet die junge Frau plötzlich Zettel vor, die einen Dialog mit ihr zu führen scheinen, ihr muntere Ratschläge oder düstere Warnungen erteilen. Eines Tages ist die vormals so prall gefüllte Mappe leer ... Renata Serelytes vielschichtiger Roman handelt von den tragikomischen Abenteuern einer Dichterin in prosaischen Zeiten - und erzählt zugleich vom raschen Wandel Litauens, eines kleinen Landes, das uns viel näher ist, als wir glauben.
Autorenporträt
Renata Serelyte wurde 1970 in einer litauischen Kleinstadt geboren und lebt in Vilnius. Ihre Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Neben wichtigen Romanen veröffentlichte sie auch Gedichte, Essays und Kinderbücher und hatte als Autorin von Theaterstücken Erfolg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Metapher, bei Fuß!
Renata Serelyte begegnet einem Engel / Von Reinhard Veser

In der litauischen Kleinstadt lebt ein eigenartiges Volk. Da sind die Trinker, die Tag für Tag von morgens bis abends in der Bar sitzen oder besinnungslos davor liegen, böse alte Weiber, die keinem ein gutes Wort gönnen, der glatzköpfige, dickbäuchige Agronom mit seinem unendlichen Verlangen nach Frauen und die Lehrerin, die mit den rauhen Gewohnheiten auf dem Land nicht klarkommt. Außerdem sind da die drei Mädchen, die irgendwie dem Jungvieh im Stall ähneln und deren Mutter (ist sie wirklich ihre Mutter?) der Venus von Willendorf gleicht, der eigenbrötlerische Künstler Saviciunas, dessen Hütte am Ortsrand lebendiger ist als ihr Bewohner, sowie Pan und das Böcklein, deren Reich die Wiese hinter der Hütte des Künstlers ist.

In dieser Welt wächst die namenlose Erzählerin von Renata Serelytes Roman "Sterne der Eiszeit" auf. In ihrer Wahrnehmung verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Phantasie; sie lebt in der dahindämmernden Kleinstadt ebenso wie in einer Traum- und Zauberwelt, die von Wesen aus der antiken Mythologie, Schriftstellern aller europäischen Literaturen und seltsamen Fremdwörtern bevölkert wird.

Der quälenden Bewegungslosigkeit des Landlebens entflieht die Erzählerin in die Hauptstadt Vilnius. Die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, nach einer Ordnung im Chaos treibt sie um. Halt und Heimat bietet ihr einzig der Engel, der in ihrem Zimmer bei einer Bildhauerswitwe in einer Schachtel mit Baumwollsocken lebt. Doch der Engel entflieht ihr am Ende und hinterläßt einen Abschiedsbrief: "Ich bin keine literarische Fiktion und auch kein Meerschweinchen, dem Du einfach ein Stück Käse hinwerfen kannst. Mir sagen Dein literarischer Geschmack und Deine Manieren überhaupt nicht mehr zu, so daß ich nicht länger mit dir zusammensein will!"

Vertrieben wurde der Engel indes nicht nur von den Manieren der Erzählerin, sondern auch von einer orangenen Mappe mit Manuskripten eines "Sponsors" der Zeitschrift, bei der sie arbeitet. Diese Mappe hat ein diabolisches Eigenleben und treibt die Erzählerin in Erlebnisse, die irgendwo zwischen Fiebertraum und Alkoholdelirium liegen. Nach dem Verlust des Engels wird die Journalistin von einem vegetarischen Dämon geplagt, dessen Herr ein Dresseur ist, der Menschen wie Hunde über das Stöckchen zu springen heißt. Bei Gehorsam gibt es Chappi, sonst eine Rute "so hoch wie der Mount Everest".

Serelyte beschreibt einen Weg vom Land in die Stadt, der prägend ist für mehrere Generationen litauischer Intellektueller. Doch anders als in vielen Werken der traditionellen litauischen Literatur ist das Dorf bei ihr keine Quelle ästhetischer und sittlicher Kraft, kein Ort, an den man zurückkehren kann. Nicht nur, daß der Abschied unwiderruflich ist - das Dorf und die Kleinstadt versinken im Alkohol und sind verkommen, vielleicht sogar verkommener als die Stadt. "Slavikas war einer der Männer meiner Mutter", lautet der erste Satz des Romans, und nur wenige Seiten später wird in einem Nebensatz berichtet, daß ein Vater seinen Sohn "schließlich doch noch zu Tode knüppelte". Als die Erzählerin nach dem frühen Tod der Mutter zu Vater und Großmutter kommt, wird sie von der Großmutter (die dann doch einer der wenigen guten Menschen ist) mit einem einzigen auf sie gemünzten Wort begrüßt: "Häßlich". Die Einsamkeit der Menschen ist auf dem Land nicht geringer als in der Stadt, nur leben sie enger beieinander. "Das Dorf ähnelt von oben einem Geflecht geometrischer Figuren. Und wenn ich ein Gott wäre oder wenigstens ein Mensch im reifen Alter, würde ich vielleicht wollen, daß die Trapeze und Kreise weit voneinander abrücken, sich an den Rändern nicht mehr berühren", heißt es im Prolog des Romans.

Serelyte trifft mit ihrer lyrischen Prosa an manchen Stellen einen überzeugend ins Magische spielenden Ton. Dann gelingt es ihr, das von ihr beschworene Medium in Bildern und Stimmungen zu fassen. Doch oft entgleitet ihr die Kontrolle über Metaphern und Bilder: Unter der Last ihres Übermaßes bricht der Spannungsbogen zwischen realer und jenseitiger Welt. Auf dem Papier bleiben die Bruchstücke ungeordnet nebeneinanderliegen.

Renata Serelyte: "Sterne der Eiszeit". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2002. 352 S., geb., 21,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als "postsowjetischen Herzensbildungsroman" bezeichnet Petra Kohse diesen Roman der jungen Litauerin Renata Serelyte, was allerdings bei weitem nicht so negativ gemeint ist, wie es sich zunächst anhört. Allerlei Merkwürdigkeiten fänden sich in der Lebensgeschichte der Protagonistin, von ihrer trübseligen Kindheit auf dem Lande über ihre Entwicklung zur intellektuellen Sowjetbürgerin bis zu ihrer Arbeit als Redakteurin im unabhängigen Litauen. Diese eigentlich handfeste Handlung lese sich zum Teil "wie ein Traumbuch oder die Notizen einer der Welt Entrückten", so die Rezensentin, dies alles gespickt mit deutlich surrealistischen Einschlägen. Dies sei manchmal fast ein bisschen viel und manchmal fast ein bisschen albern. Dennoch vermöge dies dem Leser ein Gefühl des Luxus durch den Überfluss zu vermitteln, so dass das Buch durchaus ein sehr lohnenswertes sei.

© Perlentaucher Medien GmbH
Renata Serelyte ist eine Entdeckung. Die Zeit