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Im April 1975 ist Hannah Ahrendt aus New York zu Besuch bei Elfride und Martin Heidegger in Freiburg. Während der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts im Nebenzimmer vor sich hin dämmert und für die Lösung der Daseinsfragen nicht mehr zur Verfügung steht, rechnen die beiden Frauen seines Lebens am Küchentisch miteinander ab. Die lebenslänglichen Rivalinnen kämpfen um die Wahrheit und versöhnen sich zu guter Letzt. Mit unverhohlenem Vergnügen - und auf der Basis solider Recherche - inszeniert Catherine Clément die erotisch-ideologischen Verstrickungen als philosophische "Sitcom". In kurzen…mehr

Produktbeschreibung
Im April 1975 ist Hannah Ahrendt aus New York zu Besuch bei Elfride und Martin Heidegger in Freiburg. Während der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts im Nebenzimmer vor sich hin dämmert und für die Lösung der Daseinsfragen nicht mehr zur Verfügung steht, rechnen die beiden Frauen seines Lebens am Küchentisch miteinander ab. Die lebenslänglichen Rivalinnen kämpfen um die Wahrheit und versöhnen sich zu guter Letzt. Mit unverhohlenem Vergnügen - und auf der Basis solider Recherche - inszeniert Catherine Clément die erotisch-ideologischen Verstrickungen als philosophische "Sitcom". In kurzen Szenen entfalten sich drei Biographien, die von den Katastrophen des Jahrhunderts geprägt sind.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2000

Hannah
und Elfride
Catherine Clément schreibt über
Heidegger & Arendt keinen Roman
Er lädt sie zum Tête-à-tête ein: „Willst Du diesen Sonntag Abend zu mir kommen? Ich lebe in der Freude dieser Stunden. Komm gegen 9 Uhr! Wenn freilich die Lampe in meinem Zimmer brennt, dann bin ich durch eine Besprechung abgehalten. In diesem . . . Fall komme am Mittwoch um dieselbe Zeit. Ich bin mehr Beamter als Mensch. Umsomehr freue ich mich auf ein Ausruhen mit Dir. ”
Ein halbes Jahr später – es ist Winter 1926 – wird das gegensätzliche Signal verabredet: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Du heute (Samstag) Abend 3/49 zu mir kämst. Wenn das Licht in meinem Zimmer brennt, bin ich zu Hause. ”
Wer da sein Liebeslicht mal leuchten, mal nicht leuchten ließ in der Finsternis, ward bald ein weltberühmter Philosoph. Der Ort der erotischen Konspiration: Marburg, wo er seine erste Professur innehatte. Sein Name: Martin Heidegger. Er war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre, verheiratet, Vater von zwei Söhnen.
Die Geliebte, der die Lichtsignale galten, war eine erst 18-jährige jüdische Studentin, drei Jahrzehnte später nicht weniger berühmt als ihr Lehrer und Liebhaber. Ihr Name: Hannah Arendt. Folgt man einem ihrer Briefe aus dem Anfang der fünfziger Jahre, so war sie für Heidegger die Passion seines Lebens.
Eine Art Liebesverrat?
Als 1998 der Briefwechsel zwischen den beiden erstmals im Zusammenhang publiziert wurde, da war das Interesse der Öffentlichkeit riesengroß – verständlicherweise. Die außereheliche Liaison zwischen zwei großen Gestalten der Philosophie des 20. Jahrhunderts befriedigte nicht nur sensationalistische Bedürfnisse. Auf Heideggers nationalsozialistische Vergangenheit fiel durch die leidenschaftliche Liebe zu einer politisch ganz anders orientierten Jüdin ein neues, eigentümliches Licht. War Heideggers Sündenfall, sein verhängnisvolles Rektorat im Zuge der als „Selbstbehauptung” annoncierten Selbstgleichschaltung der deutschen Universität am Ende auch eine Art Liebesverrat – der Verrat an der Liebe zu einer deutschen Jüdin?
Auf der anderen Seite konnte man sich, nicht ohne eine gewisse Rührung, von der glücklichen Transformation der Leidenschaft in eine trotz vieljähriger Unterbrechung ein ganzes Leben lang haftende Verbindung überzeugen. Das unselige 20. Jahrhundert – in der Geschichte einer Liebe erfasst.
Der Briefwechsel war überaus spannend zu lesen. Dafür sorgte nicht zuletzt die Tatsache, dass man es nach Heideggers Beichte gegenüber seiner Frau Elfride – der überzeugten Nationalsozialistin – mit einer dramaturgisch höchst ergiebigen Dreierkonstellation zu tun hatte, ganz abgesehen von den direkt oder indirekt Mitbeteiligten, Karl Jaspers, Hannah Arendts zweitem Ehemann Heinrich Blücher, davor ihrem ersten Gatten Günther Anders . . . Und auch der poetische Wert des Bandes war nicht unbeträchtlich, wie schon die eingangs zitierten Marburger Lichtsignale zeigen. Ja, im Briefwechsel selber wurde, zumal von Heidegger, gedichtet, lyrisch ausgiebig gedichtet. Kurzum: Für schriftstellerische Sekundärverwerter allem Anschein nach ein idealer Stoff. – Das muss sich jedenfalls die französische Romanautorin Catherine Clément gedacht haben. Nur ein Jahr nach der Publikation des Briefwechsels, von dem allerdings Teile schon vorher bekannt waren, erschien ihr Roman Martin et Hannah.
Karger Zugewinn
Der letzte Besuch Hannah Arendts im Haus der Heideggers im August 1975, kurz vor dem Tod erst Hannahs, dann Martins, wird zum Ausgangspunkt, die Geschichte der beiden, ihre individuelle wie ihre Paargeschichte, in kurzen, spotlightartigen Rückblenden zu vergegenwärtigen.
„Martin”, senil, ist dabei zwar noch das Gravitationszentrum der beiden Frauen, im Vordergrund steht aber deren konfliktreiche Beziehung. Martin und Hannah, der Titel, von dem die verlegerische Kalkulation wohl nicht lassen konnte, entpuppt sich recht besehen als ein Roman über „Hannah und Elfride”, eine Unterhaltung im Hause Heidegger über den mehr oder minder abwesenden Herrn von Meßkirch.
Der Roman erwirbt ein gewisses Verdienst damit, dass Elfride, die sonst durch die biografische Literatur nur als eine Art von „arischer Xanthippe” geistert, differenziertere menschliche Konturen gewinnt. So überrascht es nicht, dass sogar ihr Name – im Gegensatz zur langjährigen Falschschreibung bei Hannah Arendt – richtig geschrieben wird, mit einfachem „i”, nicht mit„ie” und schon gar nicht wie Heideggers „Seyn” mit „y”. Aber darauf beschränkt sich denn auch der Zugewinn. Der Roman ist wahrhaft dürftig erzählt. Irgendein literarisches Eigengewicht hat er nicht; ebenso wenig ein philosophisches: In dieser Hinsicht betet er wie der senil gewordene Sankt Martin unverstandene philosophische Großbuchstaben nach. Er lebt allein von der Aura der Namen und Figuren, die er mit der peinlichen Verbiederung der Vornamen auf Schlüssellochformat herunter bringt. Die Geschichte von Martin und Elfride Heidegger und Hannah Arendt ist weit spannender, poetischer, lyrischer, ja auch „romanhafter” als bei Clément im Briefwechsel selber nachzulesen.
LUDGER LÜTKEHAUS
CATHERINE CLÉMENT: Martin und Hannah. Roman. Aus dem Französischen von Doris Heinemann. Verlag Rowohlt-Berlin, 2000. 380 S. , 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Nachmittags wieder die Weinheimers
Catherine Clément bringt Martin und Hannah zusammen / Von Julia Encke

Elfride! Elfride! Ich bin da!" Die alte Dame kämpft mit ihrem Regenschirm. Schauerböen peitschen ihre runzeligen Wangen, schlagen ihr den Rock um die Beine und verwüsten die Löwenmäulchen im Garten. Elfride indessen steht unbeweglich in der Tür. Ihr Blick wandert über den aufgeweichten Rasen, die durchnässten Blumen und die alte Frau mit der Adlernase, den schlammigen Schuhen, den Tränensäcken und diesem immer gleichen Gesichtsausdruck einer eigensinnigen Ziege. "Hannah Arendt, die arrogante Jüdin, die Amerikanerin", denkt Elfride. - "Elfride Heidegger, die Deutsche, die Rechtmäßige", denkt Hannah Arendt. Und dann geben sich beide die Hand. "Martin und Hannah" heißt der Roman der französischen Schriftstellerin Catherine Clément - ein beispielloses Werk des literarischen Voyeurismus.

Man schreibt das Jahr 1975. Arendt ist zu Besuch bei Elfride und Martin Heidegger in Freiburg. Während die lebenslänglichen Rivalinnen in der Küche, Fillibachstraße 25, miteinander abrechnen, dämmert "der größte Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts" im Nebenzimmer vor sich hin. "Vielleicht sehen wir uns zum letzten Mal", brüllt ihm Hannah ins Ohr, als Elfride ihr für kurze Momente gewährt, das geweihte Zimmer zu betreten. "Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, hörst du, Martin? Nie seit 1924 in Marburg. Erst als du Nazi wurdest, glaubte ich mich von dir geheilt, bis Kriegsende habe ich durchgehalten, und dann bin ich zu dir zurückgekommen und komme immer wieder zu dir zurück." Der Kopf des Alten fällt langsam nach vorn. Sinnlos sei es, mit einem regungslosen Greis über Liebe zu reden, denkt sich Hannah und begibt sich wieder in die Küche zu Elfride.

Jetzt aber, da alle Türen geschlossen sind, kann bei Catherine Clément der innere Monolog des alten Heidegger beginnen, ein "stream-of-consciousness" ohne Beispiel, zusammengekleistert aus philosophischen Peinlichkeiten und biographischen Versatzstücken: "Liebe mich, je ich, je ich . . .", heißt es da. "Versuch es! Sag es! Müde, erschöpft. Passion? Nazi, Nazismus, je ich, sie vergessen? Harnische, Angriffe, Pfeile. Ziellos. Und dann? Totpunkt. Wurzeln, Eintauchen, Vergangenheit, Seufzer . . ." Armer Martin.

Natürlich hat Catherine Clément alles genau nachgelesen. In der Arendt-Biografie von Young-Bruehl fand sie einige Zeilen über die letzte Begegnung in Freiburg, Elzbieta Ettingers Monografie erzählte die Liebesgeschichte von Anfang bis Ende, und als vor zwei Jahren auch der Briefwechsel erschien, mag dies die Autorin nicht kalt gelassen haben, konnte sie ihn doch ausweiden für ihre grelle Fiktion. Dass damit aber ausgerechnet jene Briefwechsel-Edition als eine der Romanquellen angenommen werden kann, die dem "Erdichteten, Sensationslüsternen und Dilettantischen" erklärtermaßen Einhalt gebieten, das Geschwätz eindämmen und Gerüchte mundtot machen wollte, mag das ironische Schicksal eines vielleicht allzu sterilen und apologetischen Editionsunternehmens sein. Die "Grenze des Schmerzhaft-Peinlichen", so die Brief-Herausgeberin Ursula Ludz, solle nicht überschritten werden. Clément antwortet mit einer schäbigen Bettgeschichte.

"Liebes Fräulein Arendt", hatte Heidegger am 10. Februar 1925 an seine achtzehnjährige Studentin geschrieben, deren Blick ihn am Katheder traf wie ein Blitz. Nur elf Tage später klingt sein Ton schon ganz vertraulich: "Liebe Hannah", heißt es da, "warum ist die Liebe über alle Ausmaße reich und den Betroffenen eine süße Last?" Die Botschaften der Liebenden gleichen fortan einem konspirativen Roman, einem raffinierten System geheimer Anspielungen und verdeckter Zeichen. Wie alle Liebesbriefe gehorchen auch die ihren einem eigenen Code. Heimlich verabreden sich beide am Abend vor der Universität, an Bänken, Bahnhöfen und Bäumen, gelegentlich auch zu Hause. Mit Lichtsignalen und Klingelzeichen ist dabei alle Vorsicht geboten: "Willst Du morgen um R 9 zu mir kommen", fragt Heidegger die Geliebte im Brief vom 31. Juli 1925, "wenn kein Licht in meinem Zimmer brennt, dann läute."

Ihre Liebesgeschichte ist die Geschichte einer Verfehlung, eines "Schritts vom Wege", der Betrug im Leben eines verheirateten Mannes. Sie ist Verfehlung aber auch im buchstäblichen Sinn: Er werde - schreibt Heidegger - am Mittwoch, den vierten mit einem D-Zug fahren, der ungefähr um drei Uhr nachmittags in Freiburg ankomme. Sie könnten sich zum Beispiel in Weinheim treffen, signalisiert er ihr. Allerdings sei er nicht ganz sicher, ob der Zug überhaupt in Weinheim halte. Er erwarte sie deshalb entweder in Weinheim, Mannheim oder Heidelberg. Im Schienennetz der Deutschen Reichsbahn verlieren sich hier die Spuren. "Und wenn wir uns verfehlen", schließt der Brief, "schreibe ich Dir aus dem Engadin nach Königsberg."

Die Herausgeberin der Briefe im Klostermann-Verlag liest all diese Dokumente buchstäblich. Zwar merkt sie an, dass die vorhandenen Bruchstücke hohe Anforderungen an den Interpreten stellen und erst verständlich werden, wenn sie "nicht nur auf ihren Sinn, sondern auch auf ihren Hintersinn hin" gelesen werden ("wie sollte es bei Heidegger auch anders sein?"); als Chiffrenschrift exponiert sie die Liebesbriefe jedoch nicht. Ihre Anmerkungen bleiben auf diese Weise arglos. Wenn Heidegger etwa unter seine erhitzten Zeilen vom 27. Februar 1925 das - im Liebeskontext doch recht merkwürdig anmutende - Postskriptum "Ich freu mich so auf Deine Mutter -" setzt und sich diese Nachschrift in den folgenden Monaten auffallend häufig wiederholt, bemerkt Ludz lediglich, Heidegger habe Hannah Arendts Mutter wahrscheinlich persönlich kennen gelernt, Genaueres aber könne nicht herausgefunden werden. Dass die "Mutter" hier eine Chiffre sein könnte, ein Geheimzeichen im Code der Liebenden, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. "Elfride lässt Dich von Herzen grüßen", steht ab 1950 an genau derselben Stelle im Postskriptum. Eine wissende Ehefrau zensiert von nun an ihre Zeilen.

Der Blick" und "Der Wieder-Blick" heißen die beiden großen Kapitel im Briefwechsel Arendt/Heidegger. Clément dagegen liebt vor allem den Rückblick. Noch einmal beschwört sie die Szenen der Vergangenheit und macht den Leser zum heimlichen Auge, zum Voyeur am Schlüsselloch im Hause Heidegger. Müde und angeschlagen sitzen hier drei alte Leute und geben sich die Stichworte für ihre Erinnerungen. Heiß geht es dabei allein im Philosophenzimmer zu. "Trunken vor Lust stürzt sich Martin auf das Mädchen und liebt es in der Scheune. Sie heißt Hannah, er will es. Sie schließt die Augen. Er stößt und stößt, im Takt der singenden Vögel, tief dringt er ein, da, wo sie ist."

Mit "Martin und Hannah" begibt sich Catherine Clément in die Horizontale. Ihre fiktive Erotik ist die Nacht- und Schattenseite jener Brief-Edition, die ein für alle Mal Licht ins Dunkel des Geheimnisses bringen wollte. Jenseits dieser Licht- und Schattenspiele allerdings ist der konspirative Roman noch lange nicht am Ende. Was 1926 im Schienennetz der Deutschen Reichsbahn für einen kurzen Moment aus dem Blick zu geraten drohte, wirft immer neue Fragen auf. Die Operation Weinheim ist noch nicht abgeschlossen.

Catherine Clément: "Martin und Hannah". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Doris Heinemann. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2000. 380 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nicht viel Gutes lässt Susanne Katzorke an Cathérine Cléments romanhafter Ausgestaltung des Dreiecksverhältnisses von Martin Heidegger und seiner Frau Elfride sowie seiner jüdischen Geliebten, der Philosophin Hannah Arendt. Das Buch berichtet aus der Schlüssellochperspektive, aus dessen beschränkter Sicht sich die Autorin, wie Katzorke meint, nicht zu lösen weiß. Heideggers Anbiederung an den Nationalsozialismus werde von Clément zur "Eskapade" geschönt und der xanthippenhaft daherkommenden arischen Ehefrau schuldhaft zugeschriebenen. Aber wie, fragt sich Katzorke, kann eine Frau soviel Einfluss auf ihren Mann ausüben und sich ihm andererseits ständig unterwerfen? Diese Analyse scheint der Rezensentin nicht schlüssig, das verordnete Happy End - eine Aussöhnung der drei Hauptdarsteller - kommt ihr wie Schmierentheater vor.

© Perlentaucher Medien GmbH