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Die Stadt Berlin plant gravierende Neugestaltungen ihrer Mitte. Deren enorme Freiflächen und Autostraßen suggerieren problemlose Baufreiheit. Doch will man - was dringend geboten ist! - diese Pläne fundiert diskutieren, muss man um das bauliche Schicksal des historischen Zentrums wissen: Es scheint weithin vergessen. Dabei ist der Ort hochgradig mit Bedeutung aufgeladen. Auf einer Fläche, die heute im Osten und Norden durch die Stadtbahn und im Süden und Westen durch den Spreekanal begrenzt wird, finden sich unter Rasen und Asphalt die Kellermauern aus achthundert Jahren Stadtgeschichte.…mehr

Produktbeschreibung
Die Stadt Berlin plant gravierende Neugestaltungen ihrer Mitte. Deren enorme Freiflächen und Autostraßen suggerieren problemlose Baufreiheit. Doch will man - was dringend geboten ist! - diese Pläne fundiert diskutieren, muss man um das bauliche Schicksal des historischen Zentrums wissen: Es scheint weithin vergessen. Dabei ist der Ort hochgradig mit Bedeutung aufgeladen. Auf einer Fläche, die heute im Osten und Norden durch die Stadtbahn und im Süden und Westen durch den Spreekanal begrenzt wird, finden sich unter Rasen und Asphalt die Kellermauern aus achthundert Jahren Stadtgeschichte. Nirgends sonst besitzt Berlin weiter zurückreichende urbane Spuren. Doch der heutige Zustand verrät fast nichts davon. Er ist das Ergebnis nicht allein des Bombenhagels in den 1940er Jahren, sondern mehr noch einer im europäischen Maßstab extremen Modernisierung nach den Prinzipien des modernen Städtebaus - vor allem zugunsten des Autoverkehrs. Dieses Buch bringt erstmals die wesentlichen Informationen und Abbildungen zur Planungs-, Bau- und Besitzgeschichte des historischen Zentrums im 19. und 20. Jahrhundert, auch der DDR-Zeit, in bündiger Form zusammen. Es führt vor Augen, wie der Berliner Stadtkern zu dem wurde, was er heute ist: die geschichtsentleerte Mitte einer geschichtsträchtigen Stadt.
Autorenporträt
Benedikt Goebel wurde 1968 in Münster in Westfalen geboren. Er studierte Geschichte und Philosophie in Münster, Wien und Berlin und promovierte 2003 an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema »Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum«. Von 2004 bis 2010 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Museums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, des Architekturmuseums der TU Berlin sowie der Staatsbibliothek zu Berlin. 2011 gründete er das Büro stadtforschung (www.stadtforschung.berlin). Seit 2015 lehrt er Architekturgeschichte an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Benedikt Goebel ist Kurator zahlreicher Ausstellungen, darunter »Berlins vergessene Mitte« und »Geraubte Mitte« für die Stiftung Stadtmuseum Berlin, Sprecher der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin, Mitglied der Historischen Kommission zu Berlin und Vorstandsmitglied des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin (AIV). Von 2014 bis 2017 war er Mitglied des Kuratoriums für die Berliner Mitte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2018

Abbruch-Fanatismus
Benedikt Goebel dokumentiert knapp, klar und mit einer überwältigenden Fülle selten
gesehener Fotografien die Baugeschichte des Berliner Stadtkerns
VON JENS BISKY
Hat die Mitte Berlins, jene viel beschworene Gegend zwischen Fernsehturm und Humboldt-Forums-Schloss, zwischen Jannowitzbrücke und Museumsinsel, vom Aufschwung der Stadt in den vergangenen dreißig Jahren profitiert? Die Frage kann jede Hauptstadtabendgeselligkeit sprengen, bösen Streit provozieren. Sie führt viele Folgefragen im Schlepptau. Ist es urbaner geworden, nachdem das DDR-Außenministerium, der Alextreff, das Palasthotel und das Ahornblatt abgerissen worden sind? Mussten die Parkhäuser am Roten Rathaus sein? Weiß jemand, wie der Schlossneubau in die Stadtlandschaft eingefügt werden könnte?
Fein raus ist jeder, der in solchen Diskussionen mit den Schultern zuckt, Berlin habe zum Glück mehr als ein Zentrum, mehr als eine City. Freunde der Debatte werden zugeben müssen, dass all das Gezänk um Abriss, Rekonstruktion, Reparatur und Wiederherstellung die Wirklichkeit nicht wirklich gebessert hat. Die Gegend wirkt oft öde, Baustelle folgt auf Baustelle, das Leben entfaltet sich am Rand des Stadtkerns, auf dem Alexanderplatz, am Hackeschen Markt, in der Friedrichstadt, in der Dorotheenstadt.
Viel Geld hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor einigen Jahren für den „Dialogprozess Berliner Mitte“ ausgegeben. Herausgekommen sind Leitlinien von erschlagender Allgemeinheit. Das Besondere des Ortes spielt dabei kaum eine Rolle, seine Geschichte taugt nur zum Stoff für „abwechslungsreiche Erinnerungselemente“.
„Fragmentierte Mitte“ nennt der Architekturhistoriker Benedikt Goebel den nach der Vereinigung entstandenen Zustand. Das trifft es. Wer nicht nur dahermeinen, sondern mit Kenntnissen streiten will, der findet in Goebels Buch über die „Modernisierung und Zerstörung des Berliner Stadtkerns von 1850 bis in die Gegenwart“ das Nötige. So klar und knapp ist die Baugeschichte der Berliner Mitte bislang nicht dargestellt worden. Im Jahr 1850 zählte man im Stadtkern etwa 1600 Gebäude. Kaum eines hat überlebt. Die meisten fielen den verschiedenen Neugestaltungen – im Kaiserreich, im Dritten Reich, in der DDR – oder dem Krieg zum Opfer. Lediglich fünfundzwanzig vormoderne Bauten sind in der Mitte heute noch zu finden. Ein großer Verlust.
Schaut man sich einige der erhaltenen Gebäude an, scheint die Situation noch dramatischer. Die Marienkirche, einst vom Neuen Markt umgeben, steht verloren zwischen viel befahrener Straße und Freifläche. Die Nikolaikirche ist von Neubauten in historisierendem Stil umgeben, Teil einer „Traditionsinsel“, abgeschnitten vom städtischen Alltag. Die Friedrichswerdersche Kirche wurde im Zuge der Bauarbeiten für hässliche Protzhäuschen nebenan demoliert, wofür – wir sind in Berlin – politisch selbstredend niemand verantwortlich war oder ist. Von den sechzehn erhaltenen Bürgerhäusern wirken die meisten wie Spolien in einer Umgebung, die mit ihnen wie mit anderen Geschichtsresten nichts anzufangen weiß.
Selbst Alteingesessene müssen einige Mühe und Fantasie aufwenden, um heute den Stadtkern auszumachen, jenes Gelände, auf dem die mittelalterlichen Handelsstädte Cölln und Berlin entstanden, weil der Übergang über die Spree hier leichtfiel. Die vielspurige Grunerstraße hat weite Teile des alten Stadtgrundrisses zerstört. Im Zuge der sozialistischen Zentrumsplanungen wurde vieles abgebrochen, was den Krieg halbwegs überdauert hatte. Zwischen Fernsehturm und Palast der Republik schuf man eine Freifläche, gerahmt von zwei langen Häuserriegeln, den Rathauspassagen sowie dem Wohn- und Geschäftshaus Karl-Liebknecht-Straße. In der Hauptstadt der DDR war diese Freifläche allerdings gestaltet, in sich differenziert. Nach 1989 ist davon viel vernachlässigt oder kaputt gemacht worden, ohne dass dem Riesenareal neues Leben eingehaucht worden wäre.
Die stadtplanerischen Entscheidungen der Sechziger- und Siebzigerjahre standen im Einklang mit dem Zeitüblichen und der Berliner Tradition. Der Verkehrsplaner Ernst Bruch befand schon 1886, das „altmodische Kleid“ der alten Stadt sei dem „großgewordenen Kinde zu eng geworden“. James Hobrecht, der den Grundplan des modernen Berlin entwarf, konstatierte 1890 einen gewissen „Abbruchs-Fanatismus“ und eine Geringschätzung des Bestehenden.
Benedikt Goebel hat für das Stadtmuseum Ausstellungen kuratiert, die für Furore sorgten. In „Berlins vergessene Mitte“ konnte 2010 jeder sehen, was verloren gegangen war. 2013 erinnerte die Ausstellung „Geraubte Mitte“ an die Enteignung der jüdischen Grundstücksbesitzer. Mindestens 225 der 1200 Grundstücke im Berliner Kern wurden „arisiert“, nach 1990 hat man davon nur fünfzehn rückübertragen.
Das Buch profitiert von der Erfahrung des Kurators. Pläne und Skizzen erleichtern die Orientierung, eine Fülle seltener oder bisher unbekannter Fotografien veranschaulicht die dramatische Entwicklung von der Enge um 1850 über die Monumentalisierung, die Großstadtplanungen und die Zerstörung bis zum autogerechten Zentrum. Dass dies nicht das letzte Wort sein soll, lässt sich leichter schreiben als sich sagen lässt, was nun folgen müsste.
Bedeutung über Brandenburg hinaus gewann Berlin erst nach 1650. Der Aufstieg in die erste Liga der europäischen Städte ging mit einer Abkehr von der mittelalterlichen Stadt einher. Die Neustädte, Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstadt lagen im Westen und Südwesten. Deren Straßengrundrisse sind im Großen und Ganzen bis heute erhalten. Wie wenig Wert man auf die ältere Geschichte legte, zeigt schlagend das Schicksal der Gerichtslaube. Als die Stadt sich ein neues, das Rote Rathaus baute, ließ sie das Monument einstiger städtebürgerlicher Macht abtragen und schenkte es dem Monarchen. Seitdem steht die Gerichtslaube wie ein romantischer Pavillon im Park von Babelsberg. Der Vorgang sorgte für Empörung, das Interesse am Alten erhielt neuen Schwung. Seitdem herrscht eine Doppelbewegung: Modernisierung ohne Rücksicht auf Verluste geht einher mit kleinteiliger Konservierung von Überbleibseln. So wurde in der DDR das Ermelerhaus in der Breiten Straße abgetragen und später an anderer Stelle, am Märkischen Ufer, wieder aufgebaut.
Benedikt Goebel hofft auf Planungen, die sich dem Erbe der bald achthundertjährigen Stadtgeschichte stellen und es integrieren. Darüber zu streiten, wie das gehen könne, ohne weitere „Traditionsinseln“ zu schaffen, würde sich lohnen. Derzeit scheinen freilich weder der Senat noch die Stadtöffentlichkeit besonders interessiert daran. Sollte sich das eines Tages ändern, wird dieses Buch gute Dienste leisten.
Benedikt Goebel: Mitte! Modernisierung und Zerstörung des Berliner Stadtkerns von 1850 bis zur Gegenwart. Lukas Verlag, Berlin 2018. 157 Seiten, 190 Abbildungen, 19,80 Euro.
Die Gerichtslaube, Zeugnis der
mittelalterlichen Stadt, steht
längst im Park von Babelsberg
Kann man dem Erbe von fast 800
Jahren gerecht werden?
Kann man es ignorieren?
Zwischen 1965 und 1975 wurde die Mitte der Hauptstadt der DDR zum autogerechten Stadtzentrum umgebaut. Lothar Willmann: Schrägluftbild des Alexanderplatzes vor dem Umbau Januar 1965 (links). Vera und Dieter Breitenborn: Sprengung der letzten Häuser im Fischerkiez, hier Friedrichsgracht 17, September 1971 (rechts).
Foto: Archiv Lothar Willmann, Schorfheide; Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-02-23, Nr. 74
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2018

Die Altstadt als Kampfplatz

Modernisierung durch Zerstörung: Benedikt Goebel erkundet das Schicksal von Berlin Mitte und schärft dabei den Blick für Tendenzen der Stadtentwicklung.

Was eigentlich umfasst unser kulturelles Erbe, wie es etwa die Unesco in ihren Listen führt - und was nicht? Der Publizist und Historiker Benedikt Goebel will diese Frage mit seinem Schlaglicht auf das Zentrum der deutschen Hauptstadt beantworten. Er ist entschieden der Auffassung, dass hier eine Kulturtechnik angewandt wurde, die da lautet: Modernisieren durch Zerstören. Sein Buch erzählt, wie der Berliner Stadtkern zu dem wurde, was er heute ist. Irgendwie eindrucksvoll, gewiss. Aber diese Mitte stellt auch keine frisch gekürte Miss Germany dar.

Was freilich heißt "Mitte", wenn von Berlin die Rede ist? Der Begriff ist, angesichts einer polyzentralen Stadtstruktur, alles andere als eindeutig. Entsprechend versteht jeder etwas anderes darunter. Üblicherweise unterscheidet man folgende Teilzentren: Die "City", die sich seit des Kaisers Zeit im Bereich der Dorotheen- und Friedrichstadt konzentrierte, mit dem Schwerpunkt auf dem prägenden H, das von Unter den Linden, Frieddrichstraße und Leipziger Straße gebildet wird. Dann der "neue Westen" rund um die Gedächtniskirche sowie die Spandauer Vorstadt. Goebel indes widmet seine Aufmerksamkeit voll und ganz der "Altstadt": dem Siedlungszwilling Berlin/Cölln, also den Bereich um Spreeinsel mit dem Friedrichswerder bis hin zum Alexanderplatz.

Noch ein Band über Berlin? Weiß heute nicht jeder, dass es die Bühne harter Konflikte und Experimente in der Weimarer Republik war, vor allem aber Brennspiegel zweier Diktaturen, die eine vielfach gebrochene Stadt hinterlassen haben? Sind nicht alle Schlachten längst geschlagen? Goebel meint: nein. Zugleich macht er deutlich: Einen Sieger gibt es nicht. Den Truppen ist weniger die Munition ausgegangen als der Nachschub. Der Kampfplatz blieb zwar nicht, wie er war; die Stadt wurde aber auch nicht, was die Investoren auf der einen und die Verwaltung auf der anderen Seite jeweils aus ihr machen wollten.

Die elf Kapitel sind in ein klares semantisches Schema gepresst: "Enge Mitte", "Verplante Mitte", "Entleerte Mitte", "Rekonstruierte Mitte" und so fort. Der jeweils einleitende Text ist knapp gehalten, Erläuterung und Beweisführung erfolgen dann anhand von Beispielen, die mit Plänen und Fotos dokumentiert sind. Gleichwohl stößt man mitunter auf hübsche Sätze wie diesen: "Berlin gleicht einem Patienten, dessen Ärzte sich im 19. und 20. Jahrhundert in fliegender Hast abwechselten, fortlaufend Gliedmaßen amputierten und solche Feinheiten wie Straßen und Häuserreihen gerne mit dem Raupenbagger abrasierten. Seit den 1980er-Jahren gibt es eine Gegenbewegung, nun werden Häuser wie Porzellankronen in Berlins zahnlose Kiefer geschraubt und Gliedmaßen angenäht - ohne dass Berlin heil oder gar schön genannt werden könnte."

Eine historische Besonderheit Berlins ist das spät einsetzende enorme Wachstum von einer im mitteleuropäischen Vergleich eher durchschnittlichen Residenzstadt zur drittgrößten Stadt der Welt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Schon vor 180 Jahren führte das Ungenügen der bürgerlichen Berliner an den bescheidenen eigenen Ursprüngen zu dem Wunsch, das gesamte Stadtzentrum abzureißen und gleichförmig - repräsentativ - neu zu bebauen. Fast hundert Jahre lang, von 1840 bis 1935, blieb dies Vorhaben trotz mancher Neubauten ein Wunschbild.

Doch in den nachfolgenden vier Jahrzehnten wurde das Berliner Stadtzentrum unter wechselnden politischen und wirtschaftlichen Umständen tatsächlich weitgehend abgerissen und neu gestaltet. Heute stehen von den knapp 1100 Gebäuden des Jahres 1840 noch acht. Die Hauptschuld dafür liegt keineswegs im Bombenhagel des Krieges, denn zwei Drittel der fehlenden Gebäude wurden zu Friedenszeiten abgerissen.

Berlins Mitte sei das städtebauliche Ergebnis des rabiaten Umgangs mit ihr, was freilich keineswegs bedeuten dürfe, sich bedingungslos der Macht des Faktischen zu beugen. Goebel kämpft gegen die Verdrängungslust, die dafür sorgte, dass nach 1945 in Ost wie West radikal enttrümmert wurde. Und hält es für dürftig, wenn sich die Stadt aus Mangel und zur Mahnung ein paar Relikte bewahrt. Freilich hat ein solches Anliegen seine Tücken: Der Blick auf den aufgelösten Ort der Mitte mag weich gezeichnete Bilder produzieren. Das Zentrum als Hort stillgestellter Dinge und stehengebliebener Zeit wäre das Refugium des Heimatlichen - Ort des Konservierens, der Kultur- und Traditionspflege. Doch in diese Falle tappt Goebel nicht. Statt an der Vergangenheit festzuhalten, sinnt er auf Neues. Und zwar als Kontrafaktur zum gegenwärtigen Stadtdiskurs. "Mitte" verweist bei ihm auf eine ein- und zugleich ausgrenzende Sonderzone, die als historisch gegründete Utopie reüssiert.

Sein Buch ist eine Kampfschrift, aber ohne die Plattheiten, die solche Pamphlete sonst oft enthalten. Manche Aussagen mögen pauschal daherkommen ("Die amtliche Stadt- und Verkehrsplanung der Jahre 1910 bis 1975 war gleichermaßen in Ost- wie Westdeutschland ein Motor der Stadtzerstörung"), sie sind aber kaum zu entkräften. Und es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass dieses retroaktive Manifest nur die Berlin-Fans anspricht. Denn was hier aufbereitet wird, gilt in ähnlicher Weise auch für Köln, Hannover oder Frankfurt. Goebel macht aufmerksam auf grundsätzliche Entwicklungen. Denn es steht zu befürchten, dass der Blick für die großen Transformationen der heutigen Stadtstruktur nachlässt, dass er sich verschiebt in Richtung "Smart City": Jenem Versuch der Wirtschaft, sich die Städte als neuen globalen Megamarkt zu erschließen - als ob die Digitalisierung und das ständig wachsenden Datenmaterial die urbane Formgebung obsolet werden ließen. Und wenn das Urbane als räumlich gebautes Werk und konkrete Lebenswelt in den Hintergrund gerät, dann verlieren wir auch die Fähigkeit, mit der Entwicklung der Stadt die Form der Gesellschaft zu beeinflussen.

ROBERT KALTENBRUNNER

Benedikt Goebel: "Mitte!" Modernisierung und Zerstörung des Berliner Stadtkerns von 1850 bis zur Gegenwart.

Lukas Verlag, Berlin 2018. 157 S., Abb., br., 19,80 [Euro].

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