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Eine Riege junger Männer gelangte nach dem Zerfall der Sowjetunion aus dem Stand heraus zu fabelhaftem Reichtum: die »Oligarchen«. Allesamt einst Günstlinge Boris Jelzins, sind einige unter Putin inzwischen in Ungnade gefallen, der prominenteste von ihnen ist Michail Chodorkowski. Im eigenen Land fristen sie daher zumeist ein äußerst prekäres Dasein, im Westen aber dürfen sie sich als Märtyrer feiern lassen. Nicht nur der zweifelhafte Ursprung seines Aufstiegs und die ostentative Zurschaustellung und beinharte Verteidigung seines Vermögens zeichnen den Oligarchen aus, sondern vor allem der…mehr

Produktbeschreibung
Eine Riege junger Männer gelangte nach dem Zerfall der Sowjetunion aus dem Stand heraus zu fabelhaftem Reichtum: die »Oligarchen«. Allesamt einst Günstlinge Boris Jelzins, sind einige unter Putin inzwischen in Ungnade gefallen, der prominenteste von ihnen ist Michail Chodorkowski. Im eigenen Land fristen sie daher zumeist ein äußerst prekäres Dasein, im Westen aber dürfen sie sich als Märtyrer feiern lassen. Nicht nur der zweifelhafte Ursprung seines Aufstiegs und die ostentative Zurschaustellung und beinharte Verteidigung seines Vermögens zeichnen den Oligarchen aus, sondern vor allem der »Wille zur Yacht«, die als unabdingbarer Ausweis seiner ökonomischen Potenz gilt.Um global agieren zu können, muss der Oligarch seinen Einfluss auf der internationalen politischen Bühne geltend machen, sein Sozialprestige aufbessern. Welche Mittel er dafür einsetzt, davon berichtet Wolfgang Kemp, der die glamourösen wie auch klandestinen Auftritte des Oligarchen-Jetsets seit Jahren verfolgt. Er kennt die wechselnden Standorte ihrer Yachten, weiß über die Ausrüstung ihrer privaten Sicherheitsdienste Bescheid, gibt Einblick in ihre finanziellen Machenschaften, die nicht selten auch von westlichen Politikern gedeckt werden.
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Autorenporträt
Wolfgang Kemp, Jahrgang 1946, war Professor für Kunstgeschichte in Kassel, Marburg und Hamburg. Seit seiner Emeritierung lehrt er an der Leuphana Universität Lüneburg. Zahlreiche Gastprofessuren führten ihn u. a. an die Harvard University, ans Wissenschaftskolleg Berlin und ans Getty Research Center in Los Angeles.Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen zur Kunstgeschichte, Architektur und Fotografie, schreibt er regelmäßig für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, die »Süddeutsche Zeitung«, die »Zeit« und den »Merkur«. Zuletzt sind von ihm erschienen »Foreign affairs. Die Abenteuer einiger Engländer in Deutschland 1900-1947« (2010) und »Der explizite Betrachter: zur Rezeption zeitgenössischer Kunst« (2015).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Die öffentliche Hand muss auf jeden Fall leer ausgehen

Der Wille zur Yacht allein genügt nicht, meist kommen auch ein paar Morde hinzu: Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp hat sich Gedanken gemacht, wie man es zum Oligarchen bringt - und was es bedeutet, einer zu bleiben.

Von Kerstin Holm

Ein sozialer Typus prägt die Gesellschaften in Eurasien und Osteuropa, die Figur des Oligarchen. Seine wirtschaftliche Existenzgrundlage ist die Rohstoffwirtschaft, seinen Reichtum sichert er durch Offshore-Konten und die eigene Person durch den Pass eines Landes, das sich von Strafanzeigen aus seiner Heimat nicht beeindrucken lässt, der Schweiz, Zyperns, Israels. Ob Russland, die Ukraine oder Kasachstan, das Modell ist das gleiche: Schätze, die dem Bauch der Erde entrissen werden - Öl, Gas, Aluminium, Titan - haben eine kleine Elite sagenhaft reich gemacht.

Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp, dem wir brillante Analysen unterschiedlichster Bilderzählungsformen, aber auch des modernen Kunstbetrachters verdanken, erklärt in seinem jüngsten Essay über das Phänomen des Oligarchen die Yacht zum Sinnbild für dessen Lebensform. Alle Oligarchen besitzen mindestens eine Nobelyacht, die ihnen - wie einem Wiedergänger von Jules Vernes Kapitän Nemo - Mobilität, ein schützendes Versteck und die Souveränität eines Mini-Staatsschiffs garantiert. Die elitäre Unsichtbarkeit an Bord einer Yacht ist das luxuriöse Gegenstück zum erzwungenen Versteckspiel eines Whistleblowers wie Edward Snowden oder des Mafia-Enttarners Roberto Saviano.

Kemps Text imponiert durch die Breite seiner Lektüren und die bildkräftigen Formulierungen. Anhand einiger Biographien skizziert er mit virtuosen breiten Pinselstrichen die primäre beziehungsweise kleptokratische Akkumulation und den rasanten Aufstieg der neuen Klasse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Manchmal nimmt sich die geradezu klassisch aus wie beim Gründer des Moskauer Alpha-Bank-Imperiums, Michail Fridman, der sich die kaufmännischen Sporen als Organisator eines Theaterkarten-Schwarzhandelsrings verdiente, bevor er als Fensterreinigungsunternehmer mit dem ur-russischen Rohstoff Dreck die Grundlagen seines Vermögens legte.

Michail Chodorkowski hingegen ist ein innovatives Genie. Während der Perestroika nutzte er die Sonderförderung wissenschaftlichen Jungunternehmertums im Parteijugendverband Komsomol, um mit einem "Wissenschaftlichen Zentrum" Computer und Cognac zu vertreiben sowie Schönheitswettbewerbe zu veranstalten, die dem Prostitutionsmarkt neue Angebote zuführten. Chodorkowskis Menatep-Bank, die, wie fast alle Banken späterer Oligarchen, Verrechnungsbüro zwischen Unternehmen und Behörden war, diente zudem als Geldwaschanlage, wo dank personeller Drähte zu IWF und zur Bank of New York fünfzehn Milliarden Dollar legalisiert worden sein sollen. Was Chodorkowski instand setzte, den Ölkonzern Jukos zu erwerben, den er in ein kleinteiliges Netz von Firmen in diversen Steueroasen verwandelte.

Kemp fasst die Weltsicht seiner Helden in griffige Formeln wie vom "Willen zur Yacht" oder "Deregulierung durch Morde", er listet die Todesfälle auf, die die Karrieren Chodorkowskis und vieler anderer säumen. Über strittige Details und Hintergründe schwebt er hinweg und verweist den Leser auf spezielle Studien.

Der Aufstieg der ukrainischen Oligarchen war weniger blutreich und dramatisch, dafür wurden sie nicht, wie ihre russischen Kollegen, von einem Präsidenten aus dem Geheimdienst politisch kastriert, eingesperrt oder in die Emigration getrieben. Kemp findet es symptomatisch, dass mit Petro Poroschenko ein Oligarch - nicht aus der Rohstoffbranche, dafür Schokoladenproduzent in Russland - Präsident der Ukraine wurde, sein Versprechen, er werde nach der Wahl seinen Konzern verkaufen, aber nicht hielt.

Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, der über ein Bergbau-, Telekommunikations-, Handels- und Investitionsimperium gebietet, gibt sich seit dem Sturz seines Protegés Viktor Janukowitsch als patriotischer Wohltäter, beliefert aber weiter Russland. Achmetow besitzt neben seinem Palast in der Rebellenstadt Donezk auch in London die teuerste Wohnanlage, die einem bei der sogenannten "Kleptokratie-Stadtführung" gezeigt wird. Der ebenfalls einst prorussische Dmytro Firtasch mit seinen Gas-, Titan- und Chemiewerken wurde auf Verlangen der Vereinigten Staaten in Wien krimineller Wirtschaftsmethoden angeklagt, aufgrund der - womöglich absichtlich? - schlampig formulierten Anklage dann aber freigesprochen.

Kemps Buch empfiehlt seinen Autor als einen jener seltenen Geisteswissenschaftler, die sozialökonomische Prozesse undogmatisch und mit Esprit unter die Lupe nehmen können. Wunderbar symptomatisch ist die Geschichte der Londoner Anwaltskanzlei, die Netzinformationen über einen mit Putin befreundeten Oligarchen wegsäuberte: Oligarchen sind eine Spezies, wie Kemp weiß, die stark ist im Erfinden von Fiktion, aber schwach im Fach Erklärung oder Entlastung. Als Filmsujet taugt die Polizeioperation gegen die kasachischen Oligarchen Alexander Maschkewitsch und Taufik Arif auf einer Yacht vor der türkischen Küste 2010. Türkische Spezialeinheiten kaperten das Schiff, weil sich dort auch eine Schar teils minderjähriger Mädchen aufhielt, angesichts der illustren Gäste wurden die Ermittlungen aber sogleich eingestellt.

Den Leser mag die Flüchtigkeit frustrieren, mit der Kemp seine Gegenstände berührt. Doch sein diskursiver Vogelflug verdeutlicht pointiert und witzig, dass die eurasischen Oligarchen die neoliberalen Lektionen ihrer vor allem angelsächsischen Lehrmeister gelernt haben, wonach gutes Wirtschaften, grob gesagt, die öffentliche Hand leer ausgehen lässt - wobei sie durch ihre Karriere in prekären Staaten zu verräterischen Karikaturen ihrer Vorbilder geraten sind.

Wolfgang Kemp: "Der Oligarch".

Zu Klampen Verlag, Springe 2016. 176 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Die Männer von
der Tankstelle
Wolfgang Kemps Typologie
der russischen Oligarchen
Keiner will Oligarch sein, jeder der es ist, schielt insgeheim auf andere Begriffe: „Tycoon? – Das verstehen nur Leute, die alte Hollywood-Filme sehen. Plutokrat ist was für Micky-Maus-Leser. Mogul, da denkt man schon wieder an die große Zeit von Hollywood. Magnat? Geht schon eher, aber es bietet dem Oligarchen keine Perspektive.“ Von Anfang an, schon wenn er die Alternativen für den Begriff durchspielt, lässt der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp Ironie anklingen – zweimal über das Hollywood-Studiosystem! – in seiner Typologie des modernen Oligarchen, jenes Großkapitalisten russischer oder ukrainischer Provenienz, der beim Zerfall der Sowjetunion sich entwickelt hat als ein neuer mehr oder weniger potenter global player der Finanz- und der politischen Welt.
  Seine Schokoladenseite hatte der Künstler Oleg Nazarow in einer Ausstellung zum fünften Jahr, nachdem das Wort in der russischen Sprache sich eingebürgert hatte in der russischen Sprache, präsentiert: „In der Ausstellung zeigte der Künstler Porträts anerkannter Oligarchen aus Schokolade. Das sollte wohl zweierlei besagen: Ihr habt ein süßes Leben. Und: In jedem Moment könnt ihr aufgegessen werden. Die Show eröffnete im Dezember 2003. Da saß der reichste der Oligarchen Russlands, Michail Chodorkowski, seit etwas über einem Monat in Untersuchungshaft.“
  Top-Oligarchen sind neben Chodorkowski die Herren Deripaska, Achmetow, Wekselberg und viele andere. Sie sind – und wollen es doch gar nicht sein – die Neu-Reichen. Die wilde Phase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 haben sie zu Coups genutzt, die an die Frühzeit des Kapitalismus erinnern, mit einer Fülle von bilanztechnischen Tricks und der Nolens-volens-Unterstützung des maroden Staates. Heute haben sie ihr Geld offshore deponiert, in den Steuerparadiesen, die alle Welt nutzt. In Putin haben sie einen sehr mächtigen, nicht minder gewitzten Gegenspieler.
  Im Augustheft des Merkur hatte Wolfgang Kemp eine Skizze seines „Oligarchen“ vorgestellt, das Buchformat nutzt er nun, um seinen Helden immer neue Geschichten hinzuzuerzählen – bewusst und lustvoll bewegt er sich damit im Gegensatz zum Rest der Historiker, die sich lieber den Strukturen statt den Personen widmen – Wirtschaftseliten, Elitekartellen, Allokatoren, Korruptionsnetzwerken.
  Der Oligarch ist stärker in der Materie geerdet als die amerikanischen globalen Milliardäre – Soros, Zuckerberg, Bezos –, die ihr Geld mit Digitalprodukten und -systemen machen, mit Investment, Einzelhandel, Medien. Der Oligarch arbeitet mit Rohstoffen, das begrenzt seinen Aktionsradius, so rangiert er auf der Forbes-Liste der reichsten Männer nicht in der ersten Hälfte. Vor der Wende, in den Jahren der Stagnation und Richtungslosigkeit, waren sie Männer des Laisser-faire, juvenil bohèmehaft, dann mussten sie plötzlich erwachsen werden. Nun haben sie alle hochkarätige Frauen – und teure Scheidungen von ihnen –, eine Super-Yacht, ein Apartment in London. Setzt Theresa May ihre Hoffnungen für das Nach-Brexit-Großbritannien auf die Oligarchen?
  Die Yachten bilden den running gag des Buches und die Obsession seines Verfassers, die Oligarchen brauchen sie wie High-class-Müßiggänger und Filmstars, Kemp nennt sie gern mit Länge, Betriebskosten, Besatzung. Die längste ist die Eclipse, 162 Meter lang, sie gehört Roman Abramowitsch. Die von Wladimir Potanin, dem augenblicklich reichsten Mann Russlands, heißen Anastasia (76 Meter lang, benannt nach der Tochter) und Nirvana (88 Meter lang, benannt nach Nirvana). Die von Oleg Deripaska heißt Queen K, 72 Meter lang. Dort hat auch schon der Amerikaner John McCain gefeiert, seinen 70. Geburtstag, und vor seiner Amtszeit der spätere britische Wirtschaftsminister George Osborne. „Der Oligarch besitzt eine Yacht, aber er ist auch von ihr besessen . . ., ein Requisit, das den tendenziell oder partiell unsichtbaren Status des Oligarchen auf eigenartige Weise widerlegt und bestätigt“.
  In der modernen kapitalistischen Welt sind die Oligarchen aus dem wilden Osten immer vom Stigma der Lächerlichkeit bedroht – Russland, spottete John McCain, ist eine Tankstelle, die sich als Staat kostümiert. Aus Gründen der Seriosität hat deshalb Wiktor Wekselberg – Öl, Gas, Energie, seine Yacht heißt Tango, 77 Meter lang – das Fabergé-Museum gestiftet, das unter anderem neun der berühmten Fabergé-Eier enthält. Er hatte sie für hundert Millionen Dollar gekauft. Von der amerikanischen Verlegerfamilie Forbes.
FRITZ GÖTTLER
Jeder Oligarch besitzt
natürlich eine Yacht.
Und wird von ihr besessen
        
  
  
  
    
    
Wolfgang Kemp: Der
Oligarch. Zu Klampen Verlag, Springe 2016. 176 Seiten,
18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Was einen Oligarchen ausmacht, das erfährt Hanno Rauterberg aus Wolfgang Kemps Essay: maßlose Gier natürlich, Skrupellosigkeit ebenso, eine Vorliebe für prunkvoll verschnörkelten Kitsch und nicht zuletzt eine Jacht. Im "lakonischen Plauderton" und mit "gesteigerter Freude an absurden Zahlen und surreal anmutenden Begebenheiten" legt der als Kunsthistoriker bekannte Kemp seine Beobachtungen dar und öffnet damit dem Rezensenten ein ums andere Mal die Augen - nicht zuletzt in der Einschätzung Donald Trumps (dem es für einen richtigen Oligarchen an einer Jacht mangelt).

© Perlentaucher Medien GmbH
»Dieser Essay zeichnet das Profil dieser neuen Klasse der Superreichen zusammen.« Ralf Stiftel in: Westfälischer Anzeiger, 22. Oktober