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Das Buch nähert sich den Bildern in vier Schritten.Der erste geht gleich auf s Ganze und fragt nach der Wahrheit im Bild heute, da wir das fotografische Zeitalter überschritten haben. Als wahre Spur des Wirklichen schien das fotomechanische Lichtbild den Gegenstand als Lichtschatten zu bannen und damit zu bezeugen: `Dieses da ist da gewesen!`Im Zeitalter des digitalen Bildes ist dieser Anspruch brüchig geworden. Das erste Kapitel handelt davon, dass Wahrheit nicht mehr im Bild steckt, sondern in der Glaubwürdigkeit seiner Agenten. Die Autorität von visuellen `Tatsachenbeweisen` tritt damit…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch nähert sich den Bildern in vier Schritten.Der erste geht gleich auf s Ganze und fragt nach der Wahrheit im Bild heute, da wir das fotografische Zeitalter überschritten haben. Als wahre Spur des Wirklichen schien das fotomechanische Lichtbild den Gegenstand als Lichtschatten zu bannen und damit zu bezeugen: `Dieses da ist da gewesen!`Im Zeitalter des digitalen Bildes ist dieser Anspruch brüchig geworden. Das erste Kapitel handelt davon, dass Wahrheit nicht mehr im Bild steckt, sondern in der Glaubwürdigkeit seiner Agenten. Die Autorität von visuellen `Tatsachenbeweisen` tritt damit außer Kraft, und es gelten wieder die Regeln der Rhetorik.Für seine Geschichte der Bilder, hin zum Bild als autonomen Kunstwerk in der Moderne, legt Beat Wyss drei Erklärungsmodelle für Sinnentstehung übereinander: Charles S. Peirces Semiotik, Sigmund Freuds Psychoanalyse und Niklas Luhmanns Systemtheorie. Auf diese Weise kommen die Bilder in ihrer Geschichtlichkeit, in ihrer zeitlich begrenzten Gültigkeit als Medium zu ihrem Recht, die Welt glaubhaft zu zeigen. Trotzdem bleibt die Wahrheit in den Bildern Verhandlungssache. Das Bild ist Partitur für gemeinsame Deutungsarbeit.Der zweite Band, als reiner Tafelband, macht diese Geschichte augenfällig.
Autorenporträt
Beat Wyss, geboren 1947 geboren in Basel. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und deutscher Literatur in Zürich. Seit Oktober 2004 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie and der HfG Karlsruhe. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Mit den Pathosformeln kommen wir nicht weiter
Luhmann im Gepäck: Vom Bild zum System will Beat Wyss die Kunstgeschichte treiben / Von Niklas Maak

Neue Blicke auf die Welt verdanken sich oft den seltsamsten Quellen. Der Historiker Marc Bloch und der Künstler Oskar Schlemmer waren im Ersten Weltkrieg als Feldvermesser tätig und werteten in dieser Funktion die Fotografien der Aufklärungsflugzeuge aus. Der Effekt dieser Luftaufnahmen auf das Auge des Künstlers ist nicht zu überschätzen. Aus der Luft sahen die wirklichen nordostfranzösischen Felder aus wie Wiedergänger der abstrakten Farbfelder Kandinskys oder Mondrians. "Die Aufklärungsfotografie zeigte Bilder, die an abstrakte Kompositionen erinnerten. In ihnen war die Zentralperspektive aus dem Raum verbannt", schreibt Beat Wyss. Das Luftbild veränderte auch das Schreiben. Was der Historiker "aus der Schrift der Landschaft lesen konnte, eröffnete neue Gebiete der Geschichte, die nicht vom Schwert des Siegers und dem Griffel seiner Chronisten, sondern vom Flug der Bauern geschrieben waren".

Bekannt wurde Beat Wyss 1985 mit der Schrift "Trauer der Vollendung", in der der Schweizer Kunsthistoriker einen Bogen von der Ästhetik des deutschen Idealismus zur Kulturkritik der Moderne spannte. Die fast schon verdächtige Eleganz, mit der Wyss in "Der Wille zur Kunst" und in seinem Essayband "Die Welt als T-Shirt" die komplizierstesten Denkbewegungen zu Papier brachte, hat ihn weit außerhalb seines Faches als glänzenden Stilisten und als Autor an der Grenze von Kunsttheorie und literarischem Essay bekannt gemacht. Mit seinem neuen Buch "Vom Bild zum Kunstsystem" setzt Beat Wyss nun seinen Lesern etwas vor, das manchen zunächst verschrecken könnte: Er versucht nicht weniger, als Semiotik, Systemtheorie und das Begriffsarsenal der klassischen Psychoanalyse zu einem neuen Erklärungsmodell für Sinnkonstruktion in der Kunst zu verschränken.

"Man nehme die drei Zeichenklassen nach Peirce, mische sie mit Niklas Luhmanns ,Kunst der Gesellschaft' und schaue, was dabei herauskommt . . . so lautet die experimentelle Denkanordnung", schreibt Wyss im Vorwort, und dieses als heiterer Gruß aus der Theorieküche formulierte Ansinnen klingt erst einmal so, als ob das Ergebnis durchaus schwer verdaulich sein könnte. Peirce und Luhmann liefern für sich genommen schon sperriges Material genug, und anfangs droht man in dem Denkgebäude, das Wyss aufstapelt, hin und wieder den Überblick zu verlieren; auf welcher Etage befinden wir uns denn jetzt, möchte man dem Autor, der mit schnellen Denkschritten seinen Bau durcheilt, zurufen, würde man nicht ahnen, daß es in diesem Bau gar keine starren Etagen, sondern nur palimpsestöse Spiralen gibt - von denen aus sich dann allerdings ganz erstaunliche Blicke in den Talkessel der Bildgeschichte eröffnen.

Zuvor hat man sich allerdings durch das dicht formulierte Kapitel zu arbeiten, in dem Wyss, aufbauend auf den drei Klassen von Zeichen nach Peirce - Ikon, Index und Symbol -, den "Wandel der Bildbegriffe im historischen Dreieck der Zeichen" beschreibt und, Yves-Alain Bois' Essay zur "Semiologie des Kubismus" weiterdenkend, "kultische", "rhetorische" und "mechanische" Bilder als Kateogorien einer historischen Entwicklung in das semiologisches Geflecht einblendet. Wyss versucht, Peirce' Zeichensystem zu historisieren und "die synchrone Perspektive mit einem Erklärungsmodell diachroner Evolution" zu verbinden sowie zu fragen, was in der Geschichte der Kunst zu Verschiebungen in diesem System führte.

An zahlreichen Beispielen aus der Kunstgeschichte erörtert Wyss, wie historische Wissens- und Kommunikationsformen Bildstrukturen und Bildauffassungen verändern - und wie Kunstgeschichte mit Hilfe soziologischer und sprachanalaytischer Instrumentarien ihre eigenen blinden Flecke bekämpfen kann. Was Wyss schreibt, ist eine unkonventionelle und gerade in ihrer zwischen Theorie, Kunst- und Betrachterbetrachtung mäandrierenden Methodik packende Geschichte der Kunstautonomie: Wie wurde zu Kunst, was wir Kunst nennen? Was sieht man, wenn man Kunst anschaut? Wird ein Bild erlebt oder gelesen? "Beides geht", schreibt Wyss. "Es kommt nur darauf an, was ich vom Bild erfahren will. Den einen bringt die pragmatische Semiotik weiter, den anderen ein hermeneutisches Befragen im Sinne der Phänomenologie."

Wyss beginnt mit einem Blick auf die Krise der Fotografie: Galt das fotomechanisch erstellte Bild einst als "wahre Spur des Wirklichen", so stecke im Zeitalter des digitalen Bildes, das sich beliebig manipulieren läßt und kein Original, keinen vorzeigbaren Ursprung, kein Negativ mehr kennt, sein Weltbeschreibungswert nicht mehr im "Bild, sondern in der Glaubwürdigkeit seiner Agenten". Fotografisch anmutende Bilder zeigen Oberflächen, die man nicht sehen kann - computergenerierte Tomographien des Körpers etwa sind Zwitter aus aufgezeichneten Spuren des Wirklichen, wissenschaftlicher Hypothese und künstlerischer Vorstellung. "Nicht Konzeption, sondern Konstruktion von Wirklichkeit" sei das Ziel digitaler Bilder; spätestens für die "Wahr-Nehmung" von fotografischen Bildern im Zeitalter ihrer technischen Produzierbarkeit gelten, so Wyss, "wieder die Regeln der Rhetorik". Von dort ist es nicht weit zur Einführung der Semiotik in die Methodik der Bildbetrachtung.

Die Semiotik galt lange als moderne Abstraktionsleistung, welche die Welt der Körper von der Welt der Zeichen trennt, ein Grund, warum viele Kunsthistoriker sie als rationalistische Einschränkung des Bildbegriffs mit Mißtrauen betrachten. Wyss möchte sie von diesem Stigma befreien: "Semiotische Methoden können die konventionelle Oberflächlichkeit des Umgangs mit visuellen Signalen besser beschreiben als etwa die gelehrsame Ikonologie, die ein Werk in kontextuelle Verästelungen verfolgt, wie sie weder vom Künstler noch vom Auftraggeber, geschweige denn vom gewöhnlichen Betrachter je so umfassend verstanden worden sind."

Wyss' Buch ist wie eine Grundlagen-Vorlesung zu Bildformeln, Kunsttheorie und kunsthistorischen Methodenstreitigkeiten aufgebaut, und oft werden elementare Diskussionen des Fachs referiert, wobei Wyss sein Netz aus Semiologie, Systemtheorie und dem Begriffsarsenal der Psychoanalyse so geschickt über die Debatten wirft, daß die Diskutierenden sich darin noch postum verheddern wie späte Verwandte des Lakoon. Besonders Panofsky geht es an den Kragen: Gegen seine Ikonologie spielt Wyss die Vorzüge eines semiotischen Kommunikationsmodells aus; inwieweit das auch im Falle der Interpretation von Poussins "Et in Arcadia Ego" greift und mehr bringt als die Erkenntnis, daß es sich bei dem gemalten Wort "Ego" um ein eindringliches "Tua res agitur" an die Adresse verschiedenster Bildbetrachter handelt, wird diskutiert werden müssen.

Ausgehend von "kultischen Bildern" wie der aus einer Reliquie und einem Fragment einer alten, heidnischen Skuptur zusamengesetzten Figur der "heiligen Fides von Conques", dekonstruiert Wyss das Objekt der Kunstbetrachtung als System von verschachtelten Realitätskonstrukten, Spuren und Verweisen. Beim Bild als "Ikon" gehe es um dessen "Selbstähnlichkeit" - darum, daß hier eine "visuelle Formel" für ein "bestimmtes semantisches Feld" zu Anwendung komme, was eine Differenzierung von Warburgs Idee der "Pathosformel" ist. Die mittelalterliche Fides-Statue, so Wyss, sei "kultureller Kannibalismus", weil sie sich das heidnische Bild - und mit ihm eine wiedererkennbare Tradition von Bildverehrung - zu ihren Zwecken einverleibt. Hier wird das Feld der "Appropriation Art" mit Freud kurzgeschlossen; das bedrohliche Fremde, die antike, heidnische Statue, wird durch ihre Einbettung verfremdet, in ihrer Bedeutung verschoben und so gezähmt. Andererseits wird das so Kannibalisierte durch diesen Akt erst sichtbar: Die christliche Ikone muß anknüpfen an frühere Bilder, die auf diese Weise "nachträglich" zu Bewußtsein kommen und in der ständigen Wiederholung als Tradition verewigt werden.

Für die Moderne hat Hal Foster Freuds Begriff der "Nachträglichkeit" mit der modernen Kunstgeschichte in Verbindung gebracht. Duchamps Ready-mades werden durch ihre Wiederholung in der Popart zu immer neu aufladbaren Deckbildern, zu Kunstgeschichte gemacht und als solche erst sichtbar. "Wie die Traumbotschaft, so ist die Bedeutung wandernder Bildformulare ambivalent und kann, im Sinne von Darwins Bedeutungsinversion, das Gegenteil meinen von dem, was sie ausdrücken. Wie bei der Traumarbeit sind die Bilder Gegenstand steter Verschiebung, einer Umschrift im Sinne der Freudschen Nachträglichkeit", schreibt Wyss. Seine semiotisch-systemtheoretisch aufgeladene Theorie vom Wandel der Bildelemente wendet sich nicht nur gegen eine inhaltlich fixierte Ikonographie, sondern gegen den Versuch, mit dem Verweis auf angebliche anthropologische oder indexikalische Konstanten Pathosformeln als Ausdruck und Auslöser überzeitlich gültiger Emotionen oder "psychischer Energien" mißzuverstehen.

Wahrheit und Wirkung von Bildern sind zu jedem Zeitpunkt Verhandlungssache und werden im Rahmen eines Systems bestimmt und umkodifiziert, das es zu entschlüsseln gilt. Wyss nennt dieses System in seinem Schwenk durch die Kunstgeschichte das "Stammsystem Herrschaft", das sich zu den "Anlehnungskontexten" Wissenschaft und Ökonomie verhält, bevor sich "Kunst" als autopoietisches System herausbildet.

Beat Wyss: "Vom Bild zum Kunstsystem". 2 Bände. Verlagsbuchhandlung Walther König, Köln 2006. Textband 317 S., Tafelband 188 S. mit 214 Abb., br., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2006

Theorieumschalten
Beat Wyss erzählt Geschichten aus der Kunstgeschichte
Kleine, puppenhafte und in ihrer Darstellung heute kindlich unbeholfen wirkende Statuetten waren es, die einmal unsere Vorfahren in ihren Bann zogen. Man pilgerte zu wundertätigen Kultbildern, um Hilfe zu erbitten. In aufwendigen Prozessionen trafen sich diese Kultbilder auch zu Versammlungen. Merkwürdige Konferenzen müssen das gewesen sein, und es ist kaum nachvollziehbar, über was sich die Bilder dabei ausgetauscht haben. Es war aber nicht das „finstere” Mittelalter, auf das wir heute herabschauen könnten. Es war eine Zeit, die unter Bildern etwas anderes verstand als wir heute, eine Zeit vor der Kunstgeschichte in unserem Sinne. Unser heutiger Umgang mit Bildern aber, der sogar Kriege legitimieren kann, ist nicht weniger irrational.
Wir wissen, dass Bilder keine Wahrheit enthalten, und vertrauen ihnen trotzdem noch. Ein ganzer Bereich der Kunstwissenschaft hat sich daher der Erforschung von Wirkung und Verwendung der Bilder verschrieben. Doch diese Bildwissenschaft will Beat Wyss nicht betreiben. Er will eine Geschichte der Bilder schreiben, die herausarbeitet, dass ihr Anspruch, Medien zu sein, die Welt glaubhaft zeigen, nur zeitlich begrenzte Gültigkeit haben kann. In den letzten Jahrzehnten hat die Kunstwissenschaft unter den verschiedensten Perspektiven diese zeitbedingten Voraussetzungen für den Umgang mit Bildern rekonstruiert. Zielfragen des Buches sind darüber hinaus, wie Kunst wurde, was wir Kunst nennen, und was es mit der Autonomie der Kunst auf sich hat.
In vier Kapiteln nähert sich der in Karlruhe lehrende Wyss diesen Fragen aus unterschiedlichen Richtungen. So untersucht er zuerst die wahre Spur des Wirklichen, die der Fotografie angedichtet wurde. Die Frage, ob Fotografie nur abbilden könne, was ist, musste längst verneint werden. Ihr Wirklichkeitspotential wurde dennoch lange nicht angezweifelt. Die in den letzten Jahren wiederholt konstatierte Krise der Fotografie ist aber doch eher eine Krise unserer Wahrnehmung der Fotografie. Im zweiten Teil wird das Bild anhand dreier Beispiele als Zeichen gelesen. Ein mittelalterliches Kultbild, Nicolas Poussins Gemälde „Et in arcadia ego”, das seit der ikonografischen Untersuchung Erwin Panofkys berühmte Bild der Hirten an einem Grabstein, und ein „Merzbild” von Kurt Schwitters werden besprochen.
Dann kommt Siegmund Freuds Begriff der Nachträglichkeit ins Spiel, mit dem dieser die zeitliche Überlagerung seelischer Eindrücke beschrieben hat, und der für Wyss in Aby Warburgs Analyse des kollektiven Bildgedächtnisses eine Entsprechung hat. Drei Erklärungsmodelle für Sinnkonstruktion legt Wyss also versuchsweise übereinander: Die Semiotik, wie sie von Charles S. Peirce geprägt wurde, die Psychoanalyse Freuds und Niklas Luhmanns Systemtheorie.
„Man nehme die drei Zeichenklassen nach Peirce, mische sie mit Niklas Luhmanns ‚Kunst der Gesellschaft‘ und beobachte, was dabei herauskommt.” So charakterisiert Wyss die „Denkanordnung” des letzten, ausführlichsten Teils. Er beschreibt „den Weg des Kunstsystems”, also die Entstehung des Kunstbegriffs und eines Marktes autonomer Kunstwerke, die soziale Stellung der Kunst und des Künstlers. Vom Import byzantinischer Ikonen im mittelalterlichen Italien über die Königsgalerien französischer Kathedralen und die Baugeschichte von St. Peter in Rom bis hin zur Selbstinszenierung Rembrandts und zum Bildersturm der Avantgarden des 20. Jahrhunderts reichen die Themenfelder.
Der Theorienmix ist Programm, und den einzelnen Schritten der Argumentation sind konkrete Bildbeispiele der Kunstgeschichte zugeordnet. Da Wyss jedoch nicht die Bildbeispiele streng semiotisch analysieren will, bleiben semiotischer Anspruch und Erzählung der Bild- und Rezeptionsgeschichten unverbunden nebeneinander stehen. Auch wenn der Tafelband mit seinen kleinen Schwarz-Weiß-Abbildungen die Assoziation nahe legt, macht er anders als Aby Warburgs „Mnemosyne-Atlas” nichts sichtbar, er hinterlässt nur den Eindruck einer ausufernden und ziellos mäandrierenden Vorlesung, deren vier Anläufe unvermittelt nebeneinander stehen. Der Grat zwischen Claude Levi-Strauss’ „wildem Denken” und willkürlichem Vagabundieren ist schmal. Man möchte Wyss immer wieder zurufen, das Basteln, die Bricolage doch den Künstlern zu überlassen.
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Die wichtigen kunstwissenschaftlichen Bücher der letzten 20 Jahre passieren Revue. Georges Didi-Hubermans Überlegungen zur Fotografie, Hans Beltings Geschichte des Kultbildes als einer „Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst”, Stefan Germers systemtheoretische Analyse der französischen Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts, die soziologischen Studien zur Stellung des Künstlers von Francis Haskell und Martin Warnke, um nur einige der Studien zu nennen, die der Kunstwissenschaft neue Horizonte geöffnet haben.
Demgegenüber wirkt „Vom Bild zum Kunstsystem” wie die Sammlung einiger Lektüreseminare und Vorlesungen, die mit Hilfe des Prinzips „cut and paste” Bausteine zu einem Text verschweißen will. Meist bleibt Wyss in der referierenden Nacherzählung stecken. Wäre es da für den Leser nicht sinnvoller gewesen, die Originaltexte noch einmal zur Hand zu nehmen? Das Buch bietet nicht die versprochene neue Perspektive, und die Geschichtlichkeit der Kunstautonomie ist schon oft befragt worden. Flotte Formulierungen oder scheinbar schlagkräftige Kapitelüberschriften können darüber nicht hinwegtäuschen. So bleiben zwar die nacherzählten Geschichten aus der Kunstgeschichte als ein kurzweiliger Parcours in Erinnerung, aber man hat wie nach einem durchzappten Fernsehabend keinen volleren, sondern nur einen dicken Kopf.
ANDREAS STROBL
BEAT WYSS: Vom Bild zum Kunstsystem. Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Band 32. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2006. Textband und Tafelband, 319 und 188 Seiten, 48 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Keine leichte Kost findet Niklas Maak in dieser Arbeit des Kunsthistorikers Beat Wyss, der Peirces Semiotik, Freuds Psychoanalyse und Luhmanns Systemtheorie zu einem neuen Erklärungsmodell für Sinnkonstruktion in der Kunst verschränken will. Doch die Mühe der Lektüre lohnt sich, versichert der Rezensent. Er jedenfalls zeigt sich begeistert über die "erstaunlichen Blicke in den Talkessel der Bildgeschichte", die das Buch ihm bietet. Er erweist sich als kunsthistorisch versierter Rezensent, der die nicht ganz leicht zu fassenden Theorien von Wyss detailliert nachzeichnet. Das Werk im Ganzen betrachtet er als aufregende Geschichte der Kunstautonomie, die zum Beispiel Fragen wie diesen nachgeht: Wie wurde zu Kunst, was wir Kunst nennen? Was sieht man, wenn man Kunst anschaut? Wird ein Bild erlebt oder gelesen? Maak hält fest, dass das Buch wie eine Grundlagenvorlesung zu Bildformeln, Kunsttheorie und Methodenstreitigkeiten aufgebaut ist und gelehrt Auskunft über elementare Diskussionen des Fachs gibt.

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