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Nach dem krankheitsbedingten Teilrückzug von Fidel Castro ist in Kuba die Macht auf seinen jüngeren Bruder Raúl übergegangen. Er bewegt sich in einem schwierigen Umfeld. Einerseits blockiert der alte Machtapparat längst überfällige Reformen in diesem letzten sozialistischen Land der westlichen Hemisphäre, andererseits braucht die Wirtschaft dringend marktwirtschaftliche Impulse. Bernd Wulffen, der von 2001 bis 2005 deutscher Botschafter in Havanna war und 2006 mit seinem Buch 'Eiszeit in den Tropen' eine brillante Analyse der internen Machtverhältnisse Kubas vorgelegt hat, beschreibt den…mehr

Produktbeschreibung
Nach dem krankheitsbedingten Teilrückzug von Fidel Castro ist in Kuba die Macht auf seinen jüngeren Bruder Raúl übergegangen. Er bewegt sich in einem schwierigen Umfeld. Einerseits blockiert der alte Machtapparat längst überfällige Reformen in diesem letzten sozialistischen Land der westlichen Hemisphäre, andererseits braucht die Wirtschaft dringend marktwirtschaftliche Impulse. Bernd Wulffen, der von 2001 bis 2005 deutscher Botschafter in Havanna war und 2006 mit seinem Buch 'Eiszeit in den Tropen' eine brillante Analyse der internen Machtverhältnisse Kubas vorgelegt hat, beschreibt den Lebensweg Raúl Castros und seiner unmittelbaren Mitstreiter aus intimer Kenntnis des Landes. Er analysiert die ersten vorsichtigen Reformschritte und verweist zugleich auf die weitergehenden Vorstellungen der verschiedenen Oppositionsgruppen.
Autorenporträt
Wulffen, BerndJahrgang 1940; aufgewachsen im Sudetenland und in Thüringen, 1948 Flucht der Familie in die Bundesrepublik; 1959-63 Studium der Rechtswissenschaften, Romanistik und Politologie in Frankfurt a.M., West-Berlin und Marburg; 1965 Stipendium in Pisa, 1967 Promotion, 1968 Assessorexamen, danach Anwaltstätigkeit; 1969 Eintritt in den höheren auswärtigen Dienst, Attaché in Madrid, 1970-91 Kulturattaché und Konsul an der Botschaft in Buenos Aires, Presseattaché in Mexiko, Wirtschafts- und Wissenschaftsattaché in Jakarta und Peking, Botschafter in Kuwait und Bahrein, 1992 Koordinator des Weltwirtschaftsgipfels in München, 1993-99 Tätigkeit im Auswärtigen Amt, 1999-2000 Ziviler Koordinator für den Kosovo, 2001-05 Botschafter in Kuba; lebt seit Juli 2005 in Berlin und Tucuman, Argentinien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.09.2008

Tot auf dem Pferd
Ein Steinbruch für Historiker: Ignacio Ramonets monumentales Castro-Interview
Fidel Castro hat neun US-Präsidenten ausgesessen, er hat länger amtiert als jeder andere Staatschef der modernen Welt, hat unnachgiebig an seinen Ideen festgehalten und zieht todkrank im Hintergrund immer noch die Fäden auf Kuba. Soviel weiß man. Was bisher nicht jeder wusste: Der Comandante hat als Staatschef umgerechnet 30 Dollar Gehalt im Monat bezogen, sich dafür um jede Einzelheit gekümmert und sogar geklautem Baumaterial nachgespürt. Er schätzt an John F. Kennedy, mit dem er fast Krieg führte, rückblickend den „Enthusiasmus”, er bewundert de Gaulle, rauchte Zigarren mit Willy Brandt, Don Quijote ist seine Lieblingsfigur in der Literatur. Bei bislang verborgen gebliebenen Auftritten in der Weltpolitik versuchte er 1990 Iraks Machthaber Saddam Hussein zu überreden, sich aus Kuwait zurückzuziehen – ohne Erfolg. 2002 redete er Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez gut zu, den Putschisten zu trotzen, die ihn stürzen wollten – mit Erfolg.
Nachruf in der ersten Person
Tausende solcher Details hat Kubas Staatschef in hundert Stunden Interview vor dem Journalisten Ignacio Ramonet ausgebreitet. Sie sind nun auf mehr als 700 Seiten in Interviewform auf Deutsch erschienen. Bei der Lektüre kann man sich ein wenig vorstellen, wie sich die Massen auf Kuba fühlen mussten, wenn sie einer der mehrstündigen Ansprachen des Comandante lauschen mussten. Nach Erscheinen der spanischen und englischen Ausgaben sprachen Kritiker von einem „Nachruf in der ersten Person”, von einem „endgültigen Monolog”. Vor allem aber ist das Buch ein Steinbruch für Historiker und andere Exegeten.
Die Erstausgabe wurde vom Büro für Veröffentlichungen des kubanischen Staatsrates verlegt und von der Parteizeitung Granma empfohlen. Daraus kann man schon schließen, was das Buch nicht ist: eine kritische Auseinandersetzung. Wie auch? Fidel hat seit langem nur Leuten Interviews gegeben, deren Sympathie er sich sicher sein konnte. Autor Ramonet ist Direktor von Le Monde Diplomatique und Attac-Ehrenpräsident, also einer der führenden Globalisierungskritiker und erklärter Fidelista. Schon im Vorwort hebt er den Sinn des Comandante für Strategie und Analyse heraus und überschüttet ihn mit lobenden Adjektiven. Er nennt ihn den Letzten „aus der Generation der mythischen Aufständischen”. Castro glaube „leidenschaftlich an das, was er tut, und sein Enthusiasmus treibt die anderen an”. Das zieht sich durch bis zum finalen „Danke, Comandante!”
Und doch erfährt man hier Interessantes über Castros Wesen. Fast schüchtern habe er ihn erlebt, schreibt Ramonet, er spreche ohne Getue, die Bezeichnung „Letzter spanischer Kavalier” habe ihre Berechtigung. Die Atmosphäre im Gespräch ist erkennbar gut, sie erinnert an den Film von Oliver Stone. Mit barscher Männerzärtlichkeit wird der Interviewer beim Nachnamen genannt („ohne Kultur gibt es keine Freiheit, Ramonet!”), was unter Machos auf besondere Vertrautheit schließen lässt. So ersteht das Bild eines zähen, akribisch arbeitenden Staatsmanns, der Ehrenbezeichnungen ablehnt und stolz ist, dass seine Untertanen ihn Fidel nennen. Andererseits: Ramonet bringt den alten Mann zum Reden und rettet historische Details für die Nachwelt. Dass der Comandante das Manuskript am Krankenbett redigierte, ist auch keine stärkere Zensur als die deutsche Sitte, Politikern Interviews vor dem Veröffentlichen zum Gegenlesen zu geben.
Viel ändern musste Castro sicher nicht, denn Ramonet spielt Castro die Bälle zu, was mitunter schon ärgerlich wird. Ob er es nicht als Last empfinde, „erster Oppositioneller” Kubas zu sein? Die Antwort: „Es besorgt mich, wenn unter Millionen Landsleuten nur einige Tausend nicht einverstanden sind.” Besorgt sein dürften aber vor allem die, die Laster oder Bulldozer mangels funktionierenden öffentlichen Nahverkehrs hin und wieder für eine private Spritztour nutzen und künftig mit GPS überwacht werden sollen, wie Castro ankündigt. Der Erste Oppositionelle ist in Wahrheit der Erste Controller Kubas, der bis auf die Kilowattstunde genau ausrechnen kann, was es den kubanischen Staat kostet, wenn der subventionierte Strom die mit Dollars gekauften Kühlschränke betreibt, die Kubaner mit Geld aus dem Ausland bezahlen.
Castro habe nie abgelehnt, über ein bestimmtes Thema zu sprechen, schreibt Ramonet, manche Fragen, wie etwa nach Privatem hat er aber auch gar nicht gestellt. Dabei hätte darauf die Welt eher gewartet als auf Elogen über die Revolution. Der private Teil bricht nach der Kindheit ab, immerhin erzählt Castro von seinem Vater, der als Soldat aus Spanien nach Kuba kam. Fidel wuchs in einem Pfahlhaus nach galicischer Bauart auf und litt unter dem „spanischen Autoritismus”. Oft erbt man ja, was man am wenigsten mag, und so spricht der Comandante patriarchalisch über die Kubaner wie ein enttäuschter Vater über seine ungezogenen Kinder. Wie viele Großväter hält er mehr von den Enkeln als von den Söhnen und macht sich über sein Wirken über den Tod hinaus wenig Sorgen. „Ich könnte es wie El Cid Campeador machen, den sie tot auf dem Pferd mit sich führten und so Schlachten gewannen.”
Wie es weitergehen könnte, zeigt ein weiteres Kuba-Buch auf. Bernd Wulffen, früherer deutscher Botschafter, kommentiert kenntnisreich die Phase des Übergangs. Er betrachtet die Insel mit distanzierter Sympathie. Auch er ist Fidel begegnet, ihm aber nicht erlegen wie Ramonet. In Raúl Castro sieht er einen Pragmatiker, der dem chinesischen und vietnamesischen Modell der behutsamen Öffnung folgt. Wulffens Ausführungen sind die ideale Ergänzung zu den in Stein gemeißelten letzten Worten des Comandante.
SEBASTIAN SCHOEPP
FIDEL CASTRO (mit IGNACIO RAMONET): Mein Leben. Übersetzung: Barbara Köhler. Rotbuch-Verlag Berlin. 784 Seiten, 29,90 Euro.
BERND WULFFEN: Kuba im Umbruch. Ch. Links Verlag, Berlin. 200 Seiten, 16,90 Euro.
Ein Hauch von brasilianischem Karneval wurde den Kubanern Mitte August im Viertel Guanabacoa der Hauptstadt Havanna beschert, als eine Tanzgruppe den 82. Geburtstag Fidel Castros auf der Straße feierte. Foto: AFP
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