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Am 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin, und seither ist die Kontroverse um die Urheberschaft des Brandes nie mehr abgebrochen. Dabei stehen sich seit den sechziger Jahren zwei Meinungen gegenüber: die maßgeblich von Hans Mommsen gestützte "Alleintäterthese" (Marinus van der Lubbe) versus der von Walther Hofer u. a. verfochtenen These, die Nazis hätten den Brand gelegt und aus politischem Kalkül den Kommunisten in die Schuhe geschoben.
Unter erstmaliger Auswertung der bis 1990 unter Verschluss in Ost-Berlin aufbewahrten 50.000 Seiten Originalakten legen die Autoren die
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Produktbeschreibung
Am 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin, und seither ist die Kontroverse um die Urheberschaft des Brandes nie mehr abgebrochen. Dabei stehen sich seit den sechziger Jahren zwei Meinungen gegenüber: die maßgeblich von Hans Mommsen gestützte "Alleintäterthese" (Marinus van der Lubbe) versus der von Walther Hofer u. a. verfochtenen These, die Nazis hätten den Brand gelegt und aus politischem Kalkül den Kommunisten in die Schuhe geschoben.

Unter erstmaliger Auswertung der bis 1990 unter Verschluss in Ost-Berlin aufbewahrten 50.000 Seiten Originalakten legen die Autoren die bisher detaillierteste Untersuchung zum Thema vor. Eindeutiges - durch viele, teils überraschende Fakten belegtes - Fazit: Die Nazis waren die Urheber des Brandes.

Rezension:
- "Am Reichstagsbrand von 1933 sollen doch Nazi-Hintermänner beteiligt gewesen sein ... Diese Tatversion kann einen neuen Historikerstreit auslösen." (Focus, 4.12.2000)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2001

Bis sich die Balken biegen
Ein gescheiterter Versuch, die Schuld der Nationalsozialisten am Reichstagsbrand nachzuweisen

Alexander Bahar / Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. Edition q, Berlin 2000. 400 Seiten, 58,- Mark.

Eine Kontroverse im wissenschaftlichen Sinne hat es im Falle des Reichstagsbrandes nie gegeben - nur erbitterte Auseinandersetzungen um den oder die Brandstifter. Die sofort nach dem Brand aufkommende Vermutung, die Nationalsozialisten seien die Urheber, wurde nach 1945 zur Selbstverständlichkeit, denn die späteren NS-Verbrechen ließen den Brand nur als deren spektakulären Auftakt erscheinen, zumal die virtuose politische Ausnutzung des Brandes in Form der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" eine wesentliche Grundlage für die Errichtung der NS-Diktatur darstellte.

Mit der Einigkeit war es jedoch schlagartig vorbei, als Fritz Tobias 1959 zuerst im "Spiegel", dann 1962 in Buchform durch die Auswertung neuer Quellenbestände den Nachweis führte, daß der Holländer van der Lubbe den Reichstag allein angesteckt hatte. Damit war die "Alleintäterthese" geboren. Tobias stützte sich bei seinem Vorgehen vor allem auf die polizeilichen Vernehmungen und Ermittlungen in den Tagen unmittelbar nach der Tat, die die Beamten zu dem Ergebnis führten, daß der Holländer die Tat allein begangen habe.

Die Publikation dieser Forschungen traf auf verbreiteten Widerspruch - zum einen von akademischen Größen, die sich von einem Außenseiter in Frage gestellt sahen, zum andern von Leuten, die die Tat dem Holländer nicht zutrauten oder darin einen Versuch zur Verharmlosung der NS-Verbrechen sahen. Wirksame Unterstützung fand Tobias 1964 durch den Historiker Hans Mommsen.

Mit dem "Luxemburger Komitee", dessen Aktivitäten untrennbar mit dem Berner Historiker Walther Hofer und dem zwielichtigen Eduard Calic verbunden sind, änderten sich Ton und Stil der Auseinandersetzung. Stand an deren Anfang 1969 die Ankündigung, aus den Quellen ließe sich die NS-Täterschaft eindeutig nachweisen, so steigerte sich vorerst nur die Intensität der Verunglimpfungen, bis dann 1978 eine "Dokumentation" erschien, die (wie eine Publikation aus dem Jahre 1986 nachwies) nur aus eindeutigen Fälschungen bestand.

1988 zog der Historiker Ulrich von Hehl ein Fazit. Deutlich um Äquidistanz zu den streitenden Parteien bemüht, kam er zu dem Ergebnis, daß die Alleintäterschaft "(sehr) wahrscheinlich" sei, während er die Brandstiftung durch die Nazis "als vage (Denk-)Möglichkeit" bezeichnete. Dieses Urteil, so konnte man meinen, zog einen Schlußstrich.

Das galt jedoch nicht für den Hofer-Anhang. 1992 erschien eine sehr aufwendige Neuauflage der "Dokumentation", die von dem Politologen Alexander Bahar besorgt und als Ausdruck der "Resistenz gegenüber faschistischen Tendenzen" gerechtfertigt wurde. Auf der Impressumseite fand sich ein seltsamer Hinweis: Wenn eine Buch-Bestellung nicht bedient würde, sei der Grund klar: "Nichtantwort bedeutet Postzensur". Um die Kontinuität zu den Praktiken Calics zu unterstreichen, druckte Bahar im Anhang noch eine Fälschung ab.

So viel zur Vorgeschichte. Sie ist insofern wichtig, um nicht dem Irrtum zu erliegen, als handele es sich hier bei den Autoren von "Der Reichstagsbrand" um junge Leute, die zwar fleißig geforscht, aber das Material nicht beherrscht haben, Unmengen von Details aneinandergereiht und sich in den vielen Widersprüchen schließlich selbst nicht mehr ausgekannt haben. Davon kann keine Rede sein.

Die Kernthese ist ebenso deutlich wie grotesk: Goebbels, Göring und die SA waren es, die Vorbereitungen waren bereits "längerfristig" angelegt, als ob die Brandstifter schon im voraus wußten, daß es am 30. Januar 1933 mit der "Machtergreifung" klappen würde. Daß man sich dabei aber doch nicht so sicher ist, zeigt auf der Einbandseite eine Art Inhaltsangabe, wo es überraschend vorsichtig heißt: "Die Reichstagsbrandstiftung kann nach den vorliegenden Fakten - allerdings nur unter allen Vorbehalten eines Indizienbeweises - folgendermaßen rekonstruiert werden . . ." Dann folgen Tatsachenbehauptungen von der Art, daß sich die Balken biegen. Aufschlußreich bleibt jedoch dieser Versuch, mögliche Prozesse durch eine Vorbemerkung abzuwehren.

Den Aufhänger für die Publikation des Bandes bietet die Behauptung, daß erstmals alle Prozeßakten hier ausgewertet werden. Das ist sachlich schief und zugleich irreführend, denn auf Grund dieses breiten Materials wird das Wissen keineswegs erweitert. Die Art des Vorgehens ist durchsichtig. Da werden angebliche Widersprüche in den Prozeßakten aufgespürt, daß sich etwa van der Lubbe im Laufe der zahlreichen Vernehmungen widersprochen habe, daß die eine oder andere Tür des unterirdischen Ganges in irgendeiner Aussage als offen bezeichnet wurde, daß das Personal angeblich vorzeitig Dienstschluß gehabt habe, und ähnliche Quisquilien, um an diesen breit ausgewalzten, letztlich aber belanglosen Einzelheiten den Eindruck gezielter Planung zu erwecken.

Die längst widerlegten Behauptungen und Legenden tauchen wieder auf; die Phantasieprodukte und Fälschungen der "Braunbücher" ebenso wie die Klitterungen von Hans-Bernd Gisevius, der von einem milden Kritiker einmal als "Karl May des deutschen Widerstandes" bezeichnet worden ist. Hermann Göring spielt naturgemäß eine wichtige Rolle. Seitenlang wird berechnet und dargelegt, wann und wo er den Reichstag erreicht habe, um dann zu dem Ergebnis zu gelangen, daß ein "unbekannter Anrufer" ihn schon informiert haben muß, bevor die Brandmeldung bei der Polizei überhaupt eingegangen war. Von daher ist es nicht mehr weit zu der Überlegung, ob das von Göring phantasievoll ausgeschmückte Kommuniqué über das Brandgeschehen im "Morphiumrausch fabuliert" wurde oder "Täterwissen" darstellte.

Als "technischer Leiter" wird - den Spuren von Gisevius folgend - der damalige SA-Sturmführer Hans Georg Gewehr präsentiert, der 1931 ein Verfahren praktiziert hatte, mit einer Phosphorlösung gegnerische Plakate in Brand zu stecken. Der SA-Offizier wird nun zum Lieferanten der "selbstentzündlichen Flüssigkeit" befördert, die im Plenarsaal von einem SA-Trupp verteilt worden sein soll, während van der Lubbe abseits im Restaurant des Reichstags kokelte.

Es ist nur seltsam: Sorgfältig wird die Karriere Gewehrs bis zum Kriegsende durchleuchtet, aber nicht das geringste Indiz entdeckt, das ihn mit dem Brand in Verbindung bringt. Für die SA-Männer war der SA-Gruppenführer Karl Ernst zuständig. Als Beweis seines Tuns dient sein "Geständnis", das nach seiner Ermordung 1934 in einem "Weißbuch" in Paris erscheinen und im Kern für echt befunden wird!

Den Höhepunkt kritikloser Übernahme von Fälschungen und Phantasien stellt der Bericht über eine Séance des Hellsehers Hanussen dar, dem Graf Helldorf in der Nacht vor dem Brand die Frage gestellt habe: "Wird unser großer Plan zur Machtbefestigung gelingen?" Da konnte die Antwort nur positiv ausfallen, aber die Frage bleibt: Kann man sich noch Dümmeres ausdenken?

Das Fazit über das Buch lautet: Es ist der erneute Versuch, die Schuld der Nazis nachzuweisen, aber er ist trotz des erheblichen Umfangs wieder schmählich gescheitert. Die Methode, nach der das Machwerk verfertigt wurde, ähnelt dem der Holocaustleugner; man biegt und dreht und fälscht ein Konstrukt zusammen, von dem man hofft, daß es die von der Schuld der Nazis Überzeugten neu motivieren wird. Aber deren Zahl wird immer geringer.

HENNING KÖHLER

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Geteilter Meinung zeigt sich Holger Gumprecht über diesen Band. So lobt er zwar den "bemerkenswert lesbaren Stil" und die vielen Hintergrundinformationen. Auch Spannung bescheinigt er dem Band. Doch was die These betrifft, nicht in erster Linie Marinus von der Lübbe, sondern die Nazis selbst steckten hinter dem Reichstagsbrand, so diagnostiziert der Rezensent einige Schwächen in der Beweisführung. Gumprecht hat sich von der Tatsache, dass die Autoren bei der Recherche Zugang zu bisher verschlossenen Dokumenten der Gestapo, Polizei und der Oberreichsstaatsanwaltschaft hatten (Akten, die im SED-Archiv lagerten und erst nach der Wende für die Forschung zugänglich gemacht wurden) offensichtlich mehr versprochen. "Hieb- und stichfeste Beweise" für die These der Autoren, die Nazis hätten den Reichstagsbrand als Vorwand gebraucht, um missliebige Gegner auszuschalten, konnten die Autoren hier nicht erbringen, bedauert der Rezensent. Und so listet Gumprecht mehrere Unstimmigkeiten und fragwürdige Argumentationen der Autoren auf, woraus er am Ende schließt, dass die Akten "schlicht nichts wirklich Sensationelles hergegeben" hätten.

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