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Der sehr zurückhaltend lebende Anton Blanc, der pünktlich zur Arbeit erscheint, bis ins mittlere Alter alleine lebt und sich regelmässig bei seiner Mutter zum Essen einfindet, hält es für normal, das Leben von sich fernzuhalten und seine Überzeugungen nur in Gedanken zu formulieren. Sich gegen alles vorzusehen, gelingt ihm bestens. Wenn nur diese Erinnerung nicht wäre: Heike. Mit ihr in Cambridge war das Leben fast ein wenig gefährlich. Doch das ist vorbei, wenn auch nicht vergessen und Herr Blanc mit Vreni verheiratet. Als sich Herr Blanc gegen Ende des Romans in seiner Alterswohnung auf den…mehr

Produktbeschreibung
Der sehr zurückhaltend lebende Anton Blanc, der pünktlich zur Arbeit erscheint, bis ins mittlere Alter alleine lebt und sich regelmässig bei seiner Mutter zum Essen einfindet, hält es für normal, das Leben von sich fernzuhalten und seine Überzeugungen nur in Gedanken zu formulieren.
Sich gegen alles vorzusehen, gelingt ihm bestens. Wenn nur diese Erinnerung nicht wäre: Heike. Mit ihr in Cambridge war das Leben fast ein wenig gefährlich. Doch das ist vorbei, wenn auch nicht vergessen und Herr Blanc mit Vreni verheiratet.
Als sich Herr Blanc gegen Ende des Romans in seiner Alterswohnung auf den (letzten?) Gang zum Abstimmungslokal und zum Friedhof vorbereitet, legt er eine beeindruckende Radikalität an den Tag.
Mit grossem Können gelingt Roman Graf dieses Psychogramm eines Sonderlings aus der gemässigten Zone des Wohlstands, der uns mit all seinem Versagen vor dem Leben ans Herz wächst.
Autorenporträt
Roman Graf, 1978 in Winterthur geboren. Nach einer Lehre als Forstwart und der Tätigkeit als Behindertenbetreuer studierte er Publizistik an der Schule für Angewandte Linguistik in Zürich und absolvierte das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, das er mit dem Diplom abschloss. 2007 Artist in Residence in der Villa Decius, Krakau, Aufenthaltsstipendium im Edith-Stein-Haus, Breslau. Verschiedene Publikationen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Roman Graf lebt als Autor in Winterthur und Leipzig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Mama, ihm schmeckt's doch

Das Leben in der Reserve: Ein Schweizer Nationalheld ohne Affekte, dafür mit viel schlechtem Gewissen - Roman Grafs Debüt "Herr Blanc".

Von Edo Reents

Anton Blanc, Angestellter der Verkehrsbetriebe einer Schweizer Kleinstadt, will nicht in Cambridge studieren, obwohl es der Vater in seinem Testament so verfügt hatte; "die Mutter jedoch war stärker und setzte den Willen des Verstorbenen durch". In Cambridge lernt er Heike kennen, die in ihrer direkten, eleganten Art eigentlich die ideale Frau für ihn wäre; aber weil er voraussieht, dass sie nie und nimmer mit ihm in die Heimat ziehen würde, wird aus der Sache nichts. Stattdessen heiratet er die phlegmatische Vreni, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, um ihren ersten Mann zu trauern, und darüber die Bedürfnisse ihres zweiten aus den Augen verliert.

Roman Graf, 1978 in Winterthur geboren, widmet seinen ersten, bereits mit dem Studer/Ganz-Preis ausgezeichneten Roman "Herr Blanc" einem Mann, dem nicht geholfen werden kann. Anton Blanc ist nicht etwa selber hilflos - die Welt ist es vielmehr ihm gegenüber, sie kommt an ihn nicht heran, außer Heike, aber die wird auf Distanz gehalten von Blancs Heimatliebe, die vielmehr eine zwanghafte Fixierung auf die komfortable, saubere Schweiz ist.

Das Scheitern im kleinen Stil ist nervlich manchmal schwerer zu ertragen als das im großen: Eines heißen Sommertages sitzt Herr Blanc, der allergiebedingt Asthmatiker ist, im Wohnzimmer und wartet darauf, dass Vreni ihm endlich und wie versprochen den Eistee bringt - eine Szene fast wie bei Loriot, die hier aber aufgrund der absolut realistischen Erzählweise, der Graf sich verpflichtet fühlt, und dank dem Verzicht auf jede komisch gemeinte Übertreibung einen abgründigeren Zug bekommt. Mit der Pedanterie dessen, der Leidenschaften nur ungern aufkommen lässt, beharrt er darauf, dass auch die Ehe nur eine Form von gegenseitigen Vertragserfüllungen ist. Dieses Gleichgewicht der Indifferenz ist deswegen so störanfällig, weil Herr Blanc Versäumnisse genau registriert und daraus seine einsamen, nicht mitteilbaren Schlüsse zieht: "Situationen wie diese waren für Herrn Blanc Anlass, sich über Grundsätzliches Gedanken zu machen, schließlich ging es um seine Gesundheit, die offenbar nur ihm, nicht aber Vreni wichtig war."

In diesem hinreichend allgemein gehaltenen, aber sehr präzisen Buchhalterton wird ein Einzelgängerschicksal abgewickelt, über dem von Anfang an ein Schleier von Vergeblichkeit liegt, das aber zu keiner Zeit etwas Beunruhigendes hat, weil man sowieso nicht damit rechnet, dass sich noch eine Wendung zum Besseren ergeben könnte. In dieser Hinsicht und in dem streng melancholischen Duktus, der genug Raum für Komik lässt und einen zuweilen fast befreit auflachen lässt, ist Herr Blanc den Figuren Wilhelm Genazinos verwandt. Damit ist das Buch keineswegs zu hoch gehängt. Ihm ist etwas streng Wissendes eingeschrieben, dem Ausflüge ins handelsüblich Kauzige vermutlich zu bequem, zu billig erschienen. Das ist bei Schriftstellern dieses Alters selten. Graf aber scheint daran gelegen, einen in seinen Gewohnheiten festgefahrenen, aber davon auch beschützten Menschen, über dessen intellektuellen Zuschnitt wir im Unklaren gelassen werden, weder bloßzustellen noch besser zu machen, als er tatsächlich ist. Das schlechte Gewissen, das Herr Blanc empfindet, weil seine Mutter sich für ihn aufgeopfert hat oder weil er Arbeitslosengeld bezieht, nachdem seine Firma ihn an die Luft gesetzt hat, ist sein stärkster Affekt.

Das meiste wird in Rückblenden erzählt. Am Anfang sehen wir den zirka Vierzigjährigen, der die Ehe noch vor sich hat und sich von seiner Mutter bekochen lässt: "Er würde ihr einfach mitteilen, dass ihm an diesem Gericht das Putenschnitzel am wichtigsten sei und dass als Beilage die Nudeln vollkommen ausreichend wären" - fast könnte man auf die Idee kommen, hier würde nach der Heinz-Strunk-Maxime "Fleisch ist mein Gemüse" verfahren. Die äußere Handlung und das von Herrn Blanc Gedachte und Empfundene bilden eine erzählerische Schnittmenge, in der Drastik und Slapstick keinen Platz haben. Die aufs Funktionieren abgestellte Existenz ist darauf angewiesen, dass sie sich von Bitterkeit, die angesichts des Erduldeten begreiflich wäre, nicht unterkriegen lässt: ",Wäre ich doch ein anderer geworden', dachte er vor sich hin, aber diesen Gedanken verdrängte er gleich wieder. Es war zu spät. Er würde nie mehr gutaussehend werden. Auch ein älterer, gutaussehender Herr würde er nicht werden. Er war ein Stück Fleisch, eine träge, fleischige Masse." Der disziplinierte Ton, der dem Stehvermögen dieses Helden adäquat ist, verhilft auf die Dauer zu der beinahe tröstlichen Erkenntnis, dass auch das verpasste Leben seine Würde hat und man auch im Auskosten von Nuancen so etwas wie Erfüllung finden kann.

In dieser absoluten Reserve gewinnt Herr Blanc schließlich würdige Kontur: In Krakau, wohin er seiner verlorenen Liebe viel zu spät nachreist, gibt er seine Vorbehalte gegen alles Nichtschweizerische bereitwillig auf; in der Alterswohnung entwickelt er in der Auseinandersetzung mit einer Pflegekraft und einem Bürokraten doch noch Vitalität - ein erstaunlicher Held, ein erstaunlicher Roman.

Roman Graf: "Herr Blanc". Roman. Limmat Verlag, Zürich 2009. 220 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2009

Harte Schnitte
Auf unauffällige Weise besonders: Roman Grafs Roman „Herr Blanc”
Die Armut in der Schweiz bis zum Zweiten Weltkrieg, die Übersichtlichkeit ihrer bewohnbaren Landschaften, eine schnell in Enge übergehende Nähe der menschlichen Beziehungen, die gern mit Einigelung beantwortet wird – all das bestimmt bis heute die Lebenseinstellung eines beträchtlichen Teils der eidgenössischen Bevölkerung. Alles muss „realistisch”, d.h. vorsichtig angegangen werden. Der erreichte Wohlstand ist jung. Außerdem: Keiner soll auffallen. Gut zusammengefasst ist diese Haltung noch immer in dem Satz, der sich im Rahmen der „Fichenaffäre” in die Akte der ansonsten wenig bemerkten SP-Nationalrätin Menga Danuser schlich, einem der vielen bis 1991 bespitzelten Subjekte: „trinkt abends gern ein Bier."
Diesen Hintergrund muss man wohl vor Augen haben, um „Herr Blanc”, den ersten Roman des 1979 in Winterthur geborenen Roman Graf, nicht schnell in die Region des Skurrilen abzuschieben. Grafs kleinkariert-schrulliger, nicht unsympathischer Held Anton Blanc wirkt dem Soziotop des nebelverhangenen Mittellands zwischen Bodensee und Fribourg wie entsprungen.
Dabei hatte Blanc eine Chance, dem Hang zur Perfektionierung des Faden zu entgehen, eine einzige, die er ergriffen, aber nicht festgehalten hat: Heike, eine deutsche Studentin aus besserverdienendem Haus, deren freche Augen und gut ausgeschnittenen Kleider ihn dazu brachten, mit ihr im Garten eines Colleges in Cambridge zu schlafen. Dorthin hatte den jungen Blanc ein Konto geführt, das sein verstorbener oder nur verschwundener Vater bei Antons Geburt anlegen ließ. Es sollte Anton ein Aufbaustudium finanzieren, das dem Vater nie möglich war. Anton hatte gar keine Lust auf die Realisierung dieses Traums vom verschobenen, besseren Leben, doch seine Mutter, Verkäuferin, Näherin, Putzfrau, setzte sich durch und es geschah. Aber während Heike in England blieb, ist Anton der Sicherheit wegen heim.
Das rächt sich. Anton denkt an Heike, bis zu seinem Tod. Zuerst jedoch wird er von Graf mittels Krisensachzwang in die Gegenwart gestellt. Blanc ist etwa Mitte 40, als man ihn per Brief entlässt: „Man hatte betont, dass er ein zuverlässiger Mitarbeiter sei, dass aber die Größe seiner Abteilung aus strategischen Gründen leider angepasst werden müsse und dass dafür in einem anderen, vielversprechenderen Wirkungsfeld der Firma neue Stellen entstehen würden, die seinen Qualifikationen aber leider nicht entsprächen und eine interne Lösung nicht ermöglichten.”
Ein schön formulierter Auftakt. Was nun? Auf einmal fällt Anton Heike ein. Bis er realisiert, dass alles mehr als 20 Jahre her ist. Zweimal wöchentlich hat er bei seiner Mutter gegessen und irgendwelche beruflichen Pflichten erfüllt, sonst war nichts. Aber weil 20 Jahre lang sind, wie Blanc findet, passiert auch in den verbleibenden, mindestens 45 wenig. Graf gibt ihm zwar Ersatz: Vreni. Sie besitzt ein Haus, was Antons Traum war, aber Heike hat sich schöner bewegt. Was über Blancs Lebensvorsicht, die man auch Lebensangst nennen kann, zum klassischen Doublebind führt.
Bei der Schilderung der gleichförmig gespaltenen Gedanken seines Helden, zeigt sich Graf als Meister der Monotonie, aber und zu gibt es auch Überraschungen. Mitten im Buch erfährt Blanc von Heikes Tod. Ein Brief einer entfernten Verwandten erzählt, sie sei in Krakau begraben und habe Blanc einen Ring hinterlassen. Heike, die als Malerin keinen Erfolg hatte, hat an Blanc gedacht.
Die ineinander verwobene Geschichte zweier sich verfehlender Leben, das hat man schon gelesen, doch auf unauffällige Weise besonders, ist die Art, in der Graf seine Geschichte präsentiert. Es handelt sich um „die Strategie der auszulassenden Entwicklungsschritte, die Blanc bei seiner Reise ans Grab der toten Heike in Krakau als städtebauliches Merkmal auffällt. Erzähltechnisch meint das: das Wichtige wird immer wieder übertölpelt, nicht erzählt. Graf würzt seine Methode mit harten Schnitten: Nachdem Blanc am Ende der Krakau-Reise zu Vreni zurückkehrt, obwohl er ans Bleiben in Polen dachte, beginnt das nächste Kapitel mit einem etwa 90-jährigen Blanc, in der Alterswohnung, lange nach Vrenis Tod:
Auf diese Weise treibt Graf Blancs Leben in Schüben doch voran, was dem Roman ab und zu etwas erstaunlich Spritziges gibt. Andererseits ist die Einförmigkeit in Blancs Denken kaum zu überbieten, was dem Text nicht immer gut tut: dann und wann wird er von seinem Thema affiziert. Etwas störend wirkt auch, dass Blancs Entwicklungssprünge historisch nicht allzu genau aufeinander abgestimmt sind. Als Charakterdarsteller hingegen, gelingt Graf noch am Ende ein qualitativer Sprung. Das wunderbare letzte Kapitel zeigt auf einmal einen neuen, ganz unfuturistisch renitenten, selbstironisch lockeren Blanc. Dem 90-jährigen Greis ist vieles egal, weil ohnehin alles zu spät kommt. Es waren die Möglichkeiten, die Blanc eingeengt haben. Erst jetzt fühlt er die Narrenfreiheit jedes Menschen, die ihm vielleicht schon anfangs mehr gebracht hätte.HANS-PETER KUNISCH
ROMAN GRAF: Herr Blanc. Roman. Limmat Verlag, Zürich 2009. 240 S., 22,80 Euro.
Die Erzählstrategie: Das Wichtige wird immer wieder übertölpelt, nicht erzählt.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Peter Kunisch ist recht angetan von diesem Debütroman aus der Schweiz. Dass er das kleine Buch seines schrulligen Helden wegen und seiner relativen Ereignislosigkeit nicht gleich als skurril abgetan hat, hat Kunisch nicht bereut. Nach der Begegnung mit einer Dame namens Heike passiert dem Helden 20 Jahre lang nichts. Und dann passiert 45 Jahre noch einmal beinahe nichts. Die der Lebensangst des Helden enstpringenden Monotonie allerdings findet Kunisch vom Autor Roman Graf meisterlich gestaltet, durch Auslassungen und harte Schnitte etwa. Wenn der Text auf die Art etwas "erstaunlich Spritziges" erhält, ist Kunisch angenehm überrascht. Und geht mit den historischen Ungenauigkeiten, die Graf dabei unterlaufen, großzügig um.

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