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Produktdetails
  • Verlag: Molden
  • Seitenzahl: 455
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 774g
  • ISBN-13: 9783854850472
  • ISBN-10: 3854850476
  • Artikelnr.: 24828005
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2000

Geschickter Umgang mit der Sense
Josef Klaus: Ein unkritisches Porträt des österreichischen Regierungschefs von 1964 bis 1970

Beatrice Weinmann: Josef Klaus. Ein großer Österreicher. Mit einem Vorwort von Gerd Bacher. Molden Verlag, Wien 2000. 455 Seiten, 57 Mark.

Im April 1966 geschah für österreichische Verhältnisse etwas Außergewöhnliches, fast schon Revolutionäres: Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) beendete die seit 1945 bestehende große Koalition mit der SPÖ und bildete eine Alleinregierung (in Österreich heißt das furchtbare Wort dafür "monocolore" Regierung). Das war möglich geworden durch den Sieg bei den Nationalratswahlen vom 6. März, als die ÖVP mit 85 von 165 Mandaten die absolute Mehrheit gewonnen hatte. Der alte und neue Kanzler - und offensichtliche Hoffnungsträger für weitere Erfolge - hieß Josef Klaus.

Klaus war jung für einen Kanzler und hatte dennoch eine erfolgreiche politische Karriere hinter sich, die ihm nicht in die Wiege gelegt worden war: 1910 wurde er in einem Dorf in Kärnten geboren. Der Vater war Bäckermeister, geriet bereits 1914 in russische Gefangenschaft, kehrte 1920 heim und starb zwei Jahre später. Die Mutter übernahm die Erziehung. Sie war, wie die Autorin uns verrät, durch "tiefes Gottvertrauen und die beispielhaft gelebte Frömmigkeit, gepaart mit Einsatzfreude und Beharrlichkeit", geprägt. "Gläubig erzogen, gläubig geblieben" - so wurde der Politiker Klaus später in der Wiener "Kronen Zeitung" treffend charakterisiert.

Politisch engagierte sich Klaus früh. Während seines Jurastudiums in Wien war er Vorsitzender der dortigen katholischen Studentenvertretung. Nach dem Krieg baute er sich eine Anwaltskanzlei auf und wurde 1949 mit 39 Jahren Landeshauptmann - das entspricht in Deutschland dem Ministerpräsidenten - des Bundeslandes Salzburg. Das blieb er bis 1961, als Bundeskanzler Alfons Gorbach ihn zum Finanzminister ernannte. Er trat 1963 zurück, weil er mit seinen Budgetsanierungsideen nicht durchdrang.

An ihm führte dennoch in der ÖVP kein Weg mehr vorbei. Noch 1963 wurde er als Nachfolger von Gorbach Vorsitzender der ÖVP, 1964 dann Bundeskanzler. 1970 verlor er die Nationalratswahlen und lebt seither im Ruhestand.

Wenn jemand 90 wird und Landes- und Bundesvorsitzender der ÖVP, Mitglied des Parlaments, Landeshauptmann, Finanzminister und Bundeskanzler gewesen ist, fällt selten ein kritisches Wort, wird mehr gelobt als getadelt. Das ist nicht verwunderlich. Aber muß es gleich so dick kommen wie in dieser Festschrift, wo der Jubilar der Autorin auch noch im Geleitwort eine "sehr kompetente und einfühlsame Hand" bestätigt? Einige Kostproben: Der Tagesplan von Finanzminister "Dr. Josef Klaus" - das "Dr. Josef Klaus" mit jeweiliger Funktion kommt x-mal vor - erinnert "unweigerlich an Kaiser Franz Josephs Arbeitsteilung". Fünf Kinder lassen "trotz erschwerter Bedingungen und ein vom Katholizismus geprägtes gemeinsames Wertesystem das Ehepaar unerschütterlich zusammenstehen". Der Landesvater präsentiert sich "hemdsärmelig locker" und geht "geschickt mit der Sense um, schließlich hat er das Mähen in der Jugend gelernt". Dabei negiert die Autorin auch noch souverän einen Großteil der Literatur und stützt sich weitgehend auf Zeitungsberichte und Erzählungen des Ruheständlers, die vollkommen unkritisch übernommen werden. Selbst dessen Ratschlag, beim geringsten Verdacht auf Krebs "sofort einer Behandlung zuzustimmen", wird von der Autorin so weitergereicht. Das ist schade. Klaus hätte sich etwas Besseres verdient. Im Vorwort von Gerd Bacher erfährt man fast mehr über ihn als im gesamten Buch.

Klaus ist nämlich einer der interessantesten Kanzler im Nachkriegsösterreich gewesen. Er war in vielfacher Hinsicht der erste Reformer der Zweiten Republik: Er wagte 1966 die Alleinregierung - gegen Widerstände in den eigenen Reihen und öffentlich geäußerte Befürchtungen von Generalstreik, bürgerkriegsähnlichen Zuständen et cetera. Er war für eine saubere Budgetpolitik ohne Wahlgeschenke, er reformierte den maroden österreichischen Rundfunk (ORF). Er forcierte die Verhandlungen mit der EWG, die 1967 an einem Problem scheiterten, das letztlich auch unter seiner Kanzlerschaft gelöst wurde: Südtirol. Als dort 1967 der Terror überhandnahm, blockierte Rom mit seinem Veto in Brüssel Österreichs EWG-Verhandlungen.

Klaus lehnte den Terror vehement ab, schickte Bundesheer-Einheiten an die Grenze, um den Übertritt von Terroristen zu verhindern, und wollte den Ausgleich mit Italien. Der gelang 1969 mit dem "Paket" für Südtirol - gegen den erbitterten Widerstand von Kreiskys SPÖ. Für einen erfolgreichen EWG-Abschluß war es da allerdings zu spät. Erst 20 Jahre später wurde das Thema von Wien wieder ernsthaft aufgegriffen. Klaus wurde damals - und auch heute noch - als "Verräter" und "Antisemit" diffamiert. Er habe es offensichtlich bis heute nicht überwunden, 1970 die Wahlen gegen den Juden Kreisky verloren zu haben, wie ein Vertrauter Kreiskys und selbsternannter Südtiroler Freiheitskämpfer noch 1999 in diffamierender Absicht schrieb und dabei ein von Klaus mit unterzeichnetes antisemitisches Pamphlet aus Wiener Studentenzeiten hervorkramte. Darüber hätte man in dem Buch gern etwas erfahren, genauso wie etwas über die Übernahme der Parteiführung 1963 und der Kanzlerschaft 1964. Mit gelebter christlicher Nächstenliebe hatte das nicht viel zu tun, auch wenn sich Klaus nach eigener Aussage nie um ein politisches Amt beworben hat, sondern immer nur "gerufen" wurde. Nichts davon in diesem Buch.

In vielen Punkten stand Klaus über seiner eigenen Partei. Bei der Wahl seiner Mitarbeiter war für ihn deren Fähigkeit ausschlaggebend, nicht die Parteifarbe. Leute wie Alois Mock wurden Regierungsmitglieder, Thomas Klestil - heute Bundespräsident - wurde sein Sekretär. Klaus war und blieb zeit seines Lebens Purist und paßte in vielerlei Hinsicht nicht in die Wiener Szene. Viele der Reformansätze von Klaus kamen zu früh und wurden von den Wählern nicht entsprechend honoriert; gegen Ende der Legislaturperiode kamen Probleme in der ÖVP hinzu. Die SPÖ unter Kreisky war im Wahlkampf wahrlich nicht zimperlich, während die ÖVP-Wahlkampagne farblos und stereotyp wirkte. Und so ging die Wahl 1970 verloren.

Daß Klaus damals zu früh resignierte, dürfte unbestritten sein. Für viele war und blieb diese Entscheidung unverständlich. Nicht umsonst hat es später immer wieder Erklärungsversuche, auch und gerade von Klaus selbst, gegeben. Seine Erklärung "Als Demokraten respektieren wir das Wahlergebnis", die Partei mit den meisten Stimmen solle den Kanzler stellen - mit gerade mal 171 000 Stimmen mehr für die SPÖ -, keine Koalition, auch keine kleine, genügte vielen Parteifreunden nicht. Manche nannten die Entscheidung von Klaus Fahnenflucht. Das hat auch etwas damit zu tun, daß damals der Niedergang der ÖVP und der Aufstieg der SPÖ unter Kreisky begannen. Es sollte 30 Jahre dauern, bis die ÖVP wieder den Bundeskanzler stellte - in einer kleinen Koalition, in der der Partner FPÖ bei den Wahlen mehr Stimmen als die ÖVP gewonnen hatte.

ROLF STEININGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn jemand neunzig wird, räumt Rezensent Rolf Steiniger verständnisvoll ein, und außerdem Landes- und Bundesvorsitzender der ÖVP, Finanzminister und österreichischer Bundeskanzler war, werde im Allgemeinen eher gelobt als getadelt. "Aber muss es gleich "so dick kommen" wie hier? Und nicht nur die allgemeine Lobhudelei, gestützt hauptsächlich auf "Zeitungsberichte und Erzählungen des Ruheständlers" haben den Rezensenten ziemlich geärgert. "Souverän" ignoriere die Autorin auch noch einen Großteil der Literatur. So erfahre man über den Politiker fast mehr aus dem Vorwort von EX ORF-Intendant Gerd Bacher. Und da, findet Steiniger, habe Josef Klaus nun wirklich Besseres verdient.

© Perlentaucher Medien GmbH