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Norman Mailer nannte William S. Burroughs einmal den "einzigen wirklich genialen amerikanischen Schreiber". In der Handlung dieses Buches - die im Dschungel von Madagaskar spielt - finden sich viele Elemente, die man auch aus den bekannteren, größeren Werken von Burroughs kennt: Drogen, Paranoia, Lemuren. Doch in "Ghost of Chance" geht es darüber hinaus um Fragen der Ökologie und der Umweltzerstörung und dieser Blickwinkel macht die Story umso einzigartiger.

Produktbeschreibung
Norman Mailer nannte William S. Burroughs einmal den "einzigen wirklich genialen amerikanischen Schreiber". In der Handlung dieses Buches - die im Dschungel von Madagaskar spielt - finden sich viele Elemente, die man auch aus den bekannteren, größeren Werken von Burroughs kennt: Drogen, Paranoia, Lemuren. Doch in "Ghost of Chance" geht es darüber hinaus um Fragen der Ökologie und der Umweltzerstörung und dieser Blickwinkel macht die Story umso einzigartiger.
Autorenporträt
William S. Burroughs (1914-97) studierte englische Literatur, Ethnologie, Archäologie und Medizin in Harvard und Wien. Arbeitete in den USA zeitweise als Privatdetektiv, Kammerjäger, Farmer und Reporter, und verfiel dem Rauschgift. Reisen nach Europa und Südamerika, lange Aufenthalte in Tanger. 1974 zieht er nach New York, 1982 nach Lawrence, Kansas. Für sein Gesamtwerk wurde Burroughs 1975 mit dem 'Literature Award des National Institute of Arts and Letters' geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2003

Die ganze Affenbande brüllt
Überflüssige Hassesmüh: Ein Spätwerk von William Burroughs

William Burroughs ist ein Klassiker des hellsichtigen Drogenwahnsinns. 1944 wurde er heroinsüchtig ("Well, I was just bored"); 1956 gelang es ihm, sich von der Sucht zu befreien ("Ich hatte alle interessanten Effekte, die ich brauchte, und ich wünsche mir keine Wiederholung dieser extrem unangenehmen körperlichen Auswirkungen"). Er schrieb nun eine Reihe erstaunlicher, zu Recht legendärer Werke, darunter den trockenen autobiographischen Bericht "Junkie" (1953) und, unter Verwendung der mit Brion Gysin entwickelten Cut-up-Methode, die Phantasmagorien "Naked Lunch" (1959), "Soft Machine" (1961) und "Nova Express" (1964).

Ob der Titel "Naked Lunch" wirklich von Kerouac vorgeschlagen wurde (er "bedeutet genau das, was die Worte sagen: NAKED Lunch: ein regungsloser Augenblick, in dem jeder sieht, was auf dem Ende jeder Gabel steckt") oder ob er auf einem Verleser des im Manuskript blätternden Allen Ginsberg beruht, der statt "naked lust" (Burroughs hatte immer eine Vorliebe für die mehr oder weniger ironisch mitgeschleifte altmodische Phrase) "naked lunch" entzifferte - das wird man nie genau wissen, und diese Ungewißheit markiert ziemlich präzise Burroughs' genialen Umgang mit dem Zufall und dem Abfall der Sprache.

Seine Meisterwerke destillieren aus der Junk-Erfahrung mit stellenweise hoher sprachlicher Virtuosität starke Metaphern für das, was man ansonsten den Spätkapitalismus und den Überwachungsstaat nennt. Diese analytischen Bilder kleben in einer zügellosen Kolportage, wo sarkastisch alle Requisiten des Kriminalromans und der Science-fiction zitiert und mit Burroughs' privater Paranoia gekreuzt werden: "Junk ist das ideale Produkt ... die unüberbietbare Ware. Werbung überflüssig. Der Kunde wird durch eine Kloake kriechen und betteln, daß er's kaufen darf ... Der Junkverkäufer verkauft nicht sein Produkt an den Konsumenten, er verkauft den Konsumenten an das Produkt."

Burroughs' obsessive szenische Umkreisungen von "Kontrolle", "Krankheit", "Begehren" oder "Bedürfnis" (need) beeindrucken immer noch nachhaltig: "Weitermachen im Halbschlaf ... Letzte Nacht bin ich aufgewacht, jemand drückte meine Hand. Es war meine andere Hand ... Schlaf beim Lesen ein, und die Wörter bekommen eine chiffrierte Bedeutung ... Besessen von Codes ... Ein Mann zieht sich eine Serie von Krankheiten zu, die eine Codebotschaft ergeben ..." Das kann alles so halluzinatorisch-unheimlich und so grotesk komisch sein, daß diese frühen Texte und auch noch teilweise einige spätere durchaus mit den nur unappetitlichen und geschmäcklerischen Zügen von Burroughs' privaten Obsessionen fertig werden, etwa den zwanghaft wiederkehrenden Bildern eines homosexuellen Sadismus, den Phantasien von strangulierten Knaben - von Hunderten gleichzeitig strangulierten schönen Knaben.

Ein deutscher Kleinverlag nun hat einen späten Text von Burroughs, der 1991, sechs Jahre vor seinem Tod, als Privatdruck erschienen war, in Übersetzung herausgebracht; eine Geschichte - nennen wir es so - von Captain Mission, einem einer Chronik des 18. Jahrhunderts entliehenen Piraten, im Dschungel von Madagaskar. Der Titel "Ghost of a Chance" ist von komplexer Mehrdeutigkeit - umgangssprachlich heißt diese Redewendung: eine winzige, eine letzte Chance. Es spielt aber auch die Wörtlichkeit des Gespenstischen und des Zufälligen herein: Gespenst einer Möglichkeit, Phantom eines Zufalls. Und es steckt darin als Anspielung eine seltsame Verbeugung vor den Lemuren Madagaskars, die so etwas wie der eigentliche Gegenstand dieses Buches sind: vor den "Gespensteraffen", den von Mission geliebten und beschützten Tieren, deren drohende Ausrottung - hier dreihundert Jahre zurückprojiziert - zur Metapher für die Abscheulichkeit der Menschheit wird.

Doch dieses Werk ist nur ein schwacher Schatten von Burroughs' klassischen Texte der Subversion. Der Verlag hat es fertiggebracht, den englischen Titel des Buches beizubehalten, ihn aber in verhunzter Form in und auf das Buch zu setzen - "Ghost of Chance" ist ganz unidiomatisch. Rätselhaft, daß das niemandem aufgefallen ist. Die Übersetzung des Textes ist häufig auch entsprechend unbeholfen - besonders peinlich angesichts der ebenfalls bereits klassischen Übersetzungen von Burroughs-Texten durch Carl Weissner, die hier ganz andere Maßstäbe gesetzt haben.

Das tut allerdings, man muß es sagen, wenig zur Sache bei einem in sich so unbedeutenden Buch, das kaum ein fernes Echo von der provozierenden Kraft des früheren Burroughs besitzt. Das senile Murren und Räuspern, das Auskramen alter Zwangsvorstellungen, das giftige, das dumme, das banale Geschwätz, die hysterische Sektenpredigt - all dies ist, als Mittel der Literatur, oft großartig eingesetzt worden (auch von Burroughs, etwa in "The Last Words of Dutch Schultz"). Hier jedoch erscheint es nicht als Strategie, als literarische Form, sondern als kunstlose, bare Albernheit. Nur in ganz wenigen Passagen flackert noch einmal von ferne Beunruhigung auf: Burroughs' Phantasie stellt zwischen der exotischen Tierwelt und einer Fülle genüßlich zelebrierter realer und fiktiver Seuchen eine sodomitische Verbindung her, die im Zeitalter von Aids und Sars irritierend genug klingt. Ansonsten: "So wie marokkanische Magier ihre Exkremente essen, um sich von anderen Menschen zu unterscheiden, besaß Christus Macht durch die alte Verderbnis eines anderen Blutes."

Der Verlag hätte diesen Text einfach neben einige andere - verdienstvolle - Publikationen zur Beat-Literatur stellen können. Aber das Buch endet mit einem Aufruf zu Spenden an den World Wildlife Fund. Burroughs selbst hat sich offenbar als alter Mann der Unterstützung eines Projekts zur Rettung der Lemuren verschrieben. Inwieweit sich hier ein genuin "politisches" Engagement von gewissen ästhetischen Präferenzen für Madagaskar, Piratenkostüme und "Gespenster" trennen läßt, wird schwer zu entscheiden sein. Burroughs war immer ein kalter Poseur, aber diese Kälte war einst durch Sentimentalität nicht bestechlich. Als Heroin-Nihilist, als der Mann, der 1951 seiner Frau bei einer tragisch (oder absichtlich?) mißlungenen "Wilhelm Tell"-Nummer nicht das Martiniglas vom Kopf schoß, sondern ihr die Kugel in den Schädel jagte, als Experte für Logiken der Perversion war er eindrucksvoll; man mußte ihn fürchten.

Daß diese Edition den Versuch unternimmt, ihn als Wohltäter der Lemuren zu zeichnen, und der guten Sache - dem Schutz des Regenwaldes - mit den lustlos mechanischen Nihilismen eines altgewordenen Autors dienen will, ist irgendwie rührend. Der Autor haßt die Menschheit, die Menschheit zerstört den Regenwald, der Regenwald wird dem Autor seine Misanthropie danken: so etwa? Wer das Unternehmen initiiert hat, ist offenbar nicht auf den Gedanken gekommen, daß dieses banale Buch Ökologie als reine Paranoia erscheinen läßt. Nichts gegen Paranoia, aber einen Begründungszusammenhang für vernünftige oder erbarmungsvolle Aktionen gibt sie nicht ab. Nicht einmal einen Anlaß.

JOACHIM KALKA.

William S. Burroughs: "Ghost of Chance". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Gillig-Degrave. Hannibal Verlag, Höfen 2003. 150 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "brandaktuelles, wundersam komponiertes Alterswerk" und "glühendes Plädoyer für die Formenvielfalt der Natur" würdigt ein begeisterter Florian Vetsch diesen "elaborierten", von Manfred Gillig-Degrave "kunstvoll übersetzten" "Öko-Roman" von William S. Burroughs. Vetsch liest die um 1700 spielende Geschichte um den Piraten Captain Mission, der auf Madagaskar eine freie Kolonie gründet, die von seinem Gegenspieler, dem Regenwald-Roder und Lemuren-Feind Bradley Martin, vernichtet wird, als radikale Religions- und Zivilisationskritik. Madagaskar versteht er dabei als Chiffre für das "verlorene beziehungsweise in seinen letzten Beständen bedrohte Paradies". Beeindruckt haben ihn insbesondere Burroughs' "trickreich mit Synchronien arbeitende Prosa", die "Subtexte", "reflexiven Blöcke" und "grotesken Durchläufe". Er hebt hervor, dass Burroughs neben der ökologischen auch eine "hellsichtig wahrgenommene" politische Dimension freilegt. Für Burroughs-Anfänger geeignet, dürfte "Ghost of Chance" nach Vetschs Einschätzung auch Burroughs-Kenner bereichern. Darüber hinaus legt er den Roman "allen Freunde" der bedrohten Regenwälder und einzigartigen Lebensformen Madagaskars als einen "literarischen Hochgenuss" ans Herz.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr