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Produktdetails
  • Anzahl: 1 CD+DVD
  • Erscheinungstermin: 31. Januar 2001
  • Hersteller: Hannibal,
  • EAN: 9783854451631
  • Artikelnr.: 24224315
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Lyrik im Wert von zehntausend Dollar
Michael Schumachers materialreiche Ginsberg-Biografie erschöpft ihr Thema und auch den Leser
Am besten war Allen Ginsberg, wenn er richtig peinlich sein konnte. Dann riss er sich mitten in einer Diskussion über zum Beispiel „Lyrik gestern – heute – morgen” sämtliche Kleider vom Leib, ommte ein bisschen und forderte alle anderen auf, es ihm gleichzutun, sich ebenfalls auszuziehen und ihre „haarigen nackten Körper” zu exhibitionieren, denn „wir sind nicht unsere rußige Haut, wir sind nicht unsere Furcht kahle staubige Bewegung, innen drin sind wir alle goldene Sonnenblumen . . .”
Der Gärtner aus Menschenliebe war ein chagallscher Clown, ein heiliger Narr und nebenbei, wie die Amerikaner gern behaupten, „der berühmteste Dichter der Welt”. So weltberühmt wird man nicht mit zarten Ghaselen oder gedrechselten Palindromen, da muss man schon hinaus auf die Plätze und in die Straßen, muss Politik machen und den Leuten lästig fallen. In den Sechzigern, wo doch die Literatur erstarb vor lauter Aktion, füllten Jewgenij Jewtuschenko und Anne Sexton und Allen Ginsberg mühelos ganze Stadien. Das Wort war Fleisch geworden und sollte wohnen mitten unter uns.
Ginsberg predigte diese evangelikale Botschaft mit Ganzkörper-Einsatz. Ein Foto in seinem Bildband Reality Sandwiches zeigt ihn 1963 neptunisch, zottelhaarig, nackt, statt des üblichen Dreizacks ein Bambusrohr in der Rechten. Unterwegs ist er und Mythos, der Dichter, hier zufällig dem Meer vor Japan entstiegen, nachdem er zuvor, wie die Legende weiß, ausgiebig meditiert hat in Indien und demnächst aufbrechen wird zu einem Poetik-Festival in Kanada.
Gewalt fand er statt Liebe
Das Fleisch und das Wort: „Eines Sommerabends”, berichtet das Beat-Evangelium nach Michael Schumacher, „als die Dämmerung über New York hereinbrach, lag er auf dem Bett, sein Geist in einer Art postorgasmischer Leere – er hatte Blake gelesen und dabei müßig vor sich hin masturbiert. ” Und Ginsberg hörte, wie Blake zu ihm sprach „durch die Ewigkeit”, ihn firmte für die Gegenwart. Dieser Allen nämlich war der geliebte Sohn, an dem Blake sein Wohlgefallen haben sollte. Der Sohn willfahrte gern; viele werden auserwählt, aber nur die wenigsten persönlich gerufen.
Aus Newark in New Jersey kam Allen Ginsberg, der Vater unterrichtete an der Schule und schrieb in den Freistunden Gedichte, die Mutter war Kommunistin und blieb es auch. Dann wurde Naomi verrückt. Sie glaubte sich verdrahtet und Opfer von Außerirdischen und des CIA. Früh fasste den Sohn der Horror vor der wahnsinnigen Mutter, vor der ganzen lauten Welt, am meisten wahrscheinlich vor seiner Sexualität. Es zog ihn hinein in die zugigen Straßen des Eilands Manhattan, ein ungerichtetes poetisches Gefühl im Leib und Sehnsucht nach Liebe, irgendeiner, in der Seele.
Gewalt fand er statt Liebe, Blut und wenig Poesie: „I saw the best minds of may generation destroyed by madness, starving hysterical naked . . .”, wird er später sein Lebensgedicht Howl beginnen, und T. S. Eliot hätte ihn beneiden müssen und um beides, das Gedicht wie das Leben. Ginsberg himmelte Jack Kerouac an und den Outlaw Neal Cassady, meldete sich mit William Burroughs zur Handelsmarine, machte den Hehler für Herbert Huncke und führte Interviews für den kommenden Report des Trieb-Verhaltensforscher Alfred Kinsey. Fast wäre er auch noch Augenzeuge geworden, wie einer der Beatniks Lucien Carr, seinen Begleiter erstach und die Leiche dann in den Hudson rollte.
Dieser Ritualmord 1944 begründete die Beat-Literatur. Ginsberg zeichnete alles getreulich auf und bewegte die Worte und Taten in seinem Herzen. Cassady verschwand im Westen und landete im Gefängnis. Burroughs versank früh in seinen verschiedenen Rauschzuständen, aus denen er nur gelegentlich erwachte, um beispielsweise seine Frau Jane Vollmer zu erschießen. Kerouac schrieb Buch um ungedrucktes Buch, trank wie ein heiliger Trinker und wurde der gleiche Judenhasser wie sein Vater schon.
Nur Ginsberg, der allzeit gefährdete Ginsberg, blieb nüchtern. Er ging so gut wie unversehrt aus diesen Kämpfen der Jugend hervor, aber er war immer dabei: „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört, hungrig hysterisch nackt . . .” Nachdem er ein paar Monate in der Psychiatrie zugebracht hatte, arbeitete er in der Marktforschung. Nebenbei und mit der Leidenschaft des wahren Freundes suchte er Verleger für die Bücher seiner peers, verschaffte ihnen Interviews und Termine für Lesungen. Die meiste, die wirkungsvollste Reklame machte er für sich selber. Ihm gelang die Entgrenzung des Gedichts zur stenografierten Chronik: alles ist gleich wichtig, alles gleichzeitig, alles Ginsberg.
Doch muss er sein Leben lang unter Angst gelitten haben, und sein Leben lang blieb er ein Patient, der dieser nackten Angst in Eigentherapie Herr werden wollte. In vielen Verkleidungen und vielen Religionen, in Wahn und Traum und unendlich vielen Gedichten versuchte er, dieser Angst zu entrinnen. Sie blieb ihm, blieb ihm treu.
In Cuba, in der Tschechoslowakei, in Indien, überall provozierte er mit seinem Exhibitionismus, und vielleicht war es diese unbedingte Peinlichkeit, die ihm über das Schlimmste hinweghalf. „Mir kommt der Gedanke, dass ich Amerika bin”: das ist kein plumper Größenwahn, sondern dichterische Freiheit. Walt Whitman, den er beerben wollte, sang noch für Amerika, zeigte aber auch schon diese pantheistische Leidenschaft für sein Land, mit dem sich Ginsberg am liebsten (vielleicht sogar sodomitisch) vereinigte.
Als Zuschauer auf dem Parteikonvent der Demokraten 1968 in Chicago befiel ihn die Panik, weil Polizei und Nationalgarde ihn einkesselte, aber Ginsberg dachte an Indien, sagte sich buddhistischen Nonsens vor und kam einigermaßen heil davon. Ende 1974 wurde er in der Nähe seiner Wohnung von zwei Jugendlichen überfallen. Hier half ihm das ganze Ommen nichts mehr: „Halts Maul, sonst bringen wir dich um”, sagten die Burschen, mussten aber mit ein bisschen Bargeld und Ginsbergs Armbanduhr abziehen. Materialnah, wie nur Amerikaner sein können, verzeichnet Schumacher, dass die Räuber „die Umhängetasche mit Lyrik im Wert von 10 000 Dollar” liegen ließen. Ginsberg schrieb schnell ein Gedicht über den Überfall und verkaufte es für fünfhundert Dollar an die New York Times.
So wird man berühmt, aber normal wollte Ginsberg auch noch sein. Im Benehmen mit seinem Analytiker sah er sich nach Frauen um und verzehrte sich doch masochistisch nach Männern. Am sichersten fühlte er sich offenbar bei Neal Cassady, wenn er auch wie ein Hund litt, wenn er durch die Wand hören musste, wie Neal seine Frau die ganze Nacht bearbeitete, „während ich dalag, eifersüchtig, herzkrank & zitternd heulte, allein inmitten der Liebesgeräusche”.
Der Clown und die Tränen
Derlei erwünschte und weniger willkommene Details erfährt man in dieser monumentalen Biografie, die „kritisch” sein will, aber alle Lebensregungen ihres Gegenstandes auf den Knieen des Herzens weitergibt. Schumacher durfte die noch unveröffentlichten Tagebücher Ginsbergs auswerten, und zum Dank erspart er dem Leser keine Wäscherechnung und (was oft das gleiche ist:) kein Gedicht. Der Clown und die Tränen: „Ich schreibe am besten, wenn ich weine. ” Am meisten wohl rührte ihn das eigene Leben, das er noch einmal vor dem Wahnsinn gerettet hatte, vor der Mutter, vor den Freunden, vor der Apokalypse, die er unermüdlich beschwor. Das Gedicht als Waffe – aggressiv, direkt, immer gleich blankgezogen: Sex und der Stuhlgang, ferne Länder und die Bedrohung im eigenen Land durch die Atomkraft.
Gegenwärtig wird das Leben der amerikanischen Bohème verfilmt; Courtney Love soll als Joan Vollmer nochmal den finalen Tell-Schuss erhalten. Sotheby’s durfte Ginsbergs Nachlass versteigern. Die beat generation ist im Museum angekommen. Diese übergründliche Biografie ergänzt sie mit dem Charme einer vollgerammelten Vitrine.
„Ich möchte im Ruf des brillantesten Menschen Amerikas stehen” beginnt Allen Ginsberg seine Ego Confession, dann wendet er sich wieder ab vom großen Amerika und dem noch größeren Ich zu: „Das Gedicht ist der nackte Gedanke, ungeschminkt und peinlich. ” Hungrig, hysterisch, nackt. Naomi gab ihn nicht wieder her.
WILLI WINKLER
MICHAEL SCHUMACHER: Allen Ginsberg 1926–1997. Eine kritische Biografie. Aus dem Englischen von Bernhard Schmid. Hannibal, St. Andrä-Wördern 1999. 624 Seiten, 84 Mark.
The Wild Bunch, auf der Chicago Democratic Convention, 1968: Terry Southern, Allen Ginsberg, Jean Genet, William Burroughs im Einsatz. Abgelichtet von Michael Cooper (The London Sixties, Schirmer/Mosel, München 1999, 78 Mark).
Foto: Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ulrich Rüdenauer bespricht diesen Band zusammen mit der bei Hanser erschienen Ausgabe der "Gedichte" von Ginsberg.
1) Schumacher: "