Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,00 €
  • Gebundenes Buch

Eine rabenschwarze Entdeckung aus Norwegen: Nachts, eine alte Frau schaut schlaflos aus dem Fenster in ein Café gegenüber, in dem sich neben dem Kellner noch drei späte Gäste befinden, ein Pärchen und ein dicker alter Mann. Niemand spricht, Zigaretten werden angezündet, die Gedanken der fünf Personen mäandern sich einsam auf einen Punkt zu, "an dem wir glauben, es nicht mehr auszuhalten, keine Woche, keinen Tag, keine Stunde, keine Minute, keine Sekunde länger, aber wir sagen uns, Nur noch eine Sekunde, eine Minute, eine Stunde, einen Tag, eine Woche, dann ist Schluss." Tor Ulven gilt…mehr

Produktbeschreibung
Eine rabenschwarze Entdeckung aus Norwegen: Nachts, eine alte Frau schaut schlaflos aus dem Fenster in ein Café gegenüber, in dem sich neben dem Kellner noch drei späte Gäste befinden, ein Pärchen und ein dicker alter Mann. Niemand spricht, Zigaretten werden angezündet, die Gedanken der fünf Personen mäandern sich einsam auf einen Punkt zu, "an dem wir glauben, es nicht mehr auszuhalten, keine Woche, keinen Tag, keine Stunde, keine Minute, keine Sekunde länger, aber wir sagen uns, Nur noch eine Sekunde, eine Minute, eine Stunde, einen Tag, eine Woche, dann ist Schluss."
Tor Ulven gilt inzwischen als einer der bedeutendsten Dichter in der norwegischen Nachkriegsliteratur. In den 80er und frühen 90er Jahren, mitten in der Zeit der New Economy und der boomenden Pop-Literatur, schrieb er seine finsteren Bücher, die mit manchmal beißendem Sarkasmus von Vergeblichkeit und Lebensunlust künden. Seine Erzähler sitzen im Dunklen und protokollieren ihre Schlaflosigkeit, sie geben sich ihrenÄngsten hin oder verschwinden in ihren Erinnerungen. In Ulvens letztem zu Lebzeiten veröffentlichten Prosaband "Dunkelheit am Ende des Tunnels" ist das Leben bereits so unerreichbar fern, ist das erzählende Ich schon so getrennt von der Welt, dass es den Anschluss an das Leben der anderen draußen nur mehr über komisch-verzweifelte Gedankenanstrengungen zu erreichen versucht. Es sind Endspiele, und in der Tat tritt die Welt von Samuel Beckett, seine Lakonie, sein Witz, seine zunehmende Reduktion, auch in Tor Ulvens Werken zutage.
Wir treten beim Lesen in eine Welt ein, die uns gefangennimmt durch ihre klaustrophobe Konzentration und ihre zwingenden kleinen Gedankenspiele und die uns erschreckt mit ihren Abgründen, ihrer Verzweiflung und Aussichtslosigkeit. Eine literarische Entdeckung ersten Ranges!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2012

Zuckende Uhrzeiger
Schreiben, wie Joy Division spielt: Tor Ulvens Geschichten

Über diesen manischen, düsteren, lebensmüden Tor Ulven, der 1953 in Oslo geboren wurde, ist nicht viel zu berichten, außer dass er Kranführer gelernt hat - das ist ja fast exzentrisch. 1977 debütierte er mit Gedichten, sein einziger Roman orientierte sich am Nouveau Roman. Und sonst? Ulven hat seine Wohnung in einem Osloer Vorort jahrelang nicht verlassen, 1995 nahm er sich das Leben.

Sein Porträt im Buch erinnert von Ferne an Michel Houellebecq, auch so ein lebensunfroher Mann, aber Ulven war nicht so erfolgreich. Kein Wunder. Er schreibt keine Abrechnungen mit dem modernen Menschen, soziale Phänomene sind ihm egal. Die Titelgeschichte - ein junger Mann sitzt mit einer ihm fremden jungen Frau in einem Zugabteil - behandelt zwar eine Sexualität, die eher rituell erscheint, auch hier gibt es keine Annäherung der Seelen, sondern nur der Körper (und auch nur in der Phantasie). Aber das erscheint nicht als allgemein soziales Problem wie bei Houellebecq. Ulvens Texte scheinen sich nur auf das jeweilige einzelne Ich zu beziehen. Das ist das eine. Hinzu kommt sein vollkommen kompromissloser Stil. Er macht keine Zugeständnisse an den üblichen Geschmack, seine Geschichten sind nicht im hergebrachten Sinne lesbar, so wenig, wie er sein Leben und das Leben an sich als lebbar empfand.

Der dänische Lyriker Søren Ulrik Thomsen hat gesagt: "Für einen Dichter ist nur das Unbeschreibliche wert, beschrieben zu werden, aber es ist eben auch das Einzige, das nicht beschrieben werden kann - nur gedichtet!" Was kann man sprachlich fixieren, was einem im Grunde nur durchs Hirn weht? In der Geschichte "Das Meer" schreibt Ulven, es sei möglich, mit offenen Augen und Ohren sich an Dinge zu erinnern, die man gesehen und gehört hat, während man gleichzeitig das Zimmer sieht, in dem man sitzt, und das Geräusch von Flugzeugen hört..

Was die einen abstößt, zieht die andern an. Die Radikalität, mit der Ulven die Möglichkeiten der Sprache, der Phantasien, der Albträume ausreizt, begeisterte viele norwegische Schriftsteller. Wenn sie nicht so echt erschiene, könnte man fast sagen, die Depression, die seine Geschichten beherrscht, werde zelebriert. Aber dieser Autor steckt wirklich in einem Tunnel, und nicht einmal an dessen Ende erwartet ihn Licht, sondern die gleiche Finsternis, die auch im Tunnel herrscht. Ulven schreibt, wie Joy Division spielt. Er philosophiert über das Zusammenhanglose und Paradoxe des Daseins. Tod und Vergänglichkeit sind allgegenwärtig, die Zeit rinnt gnadenlos, und ein Uhrzeiger zuckt wie ein Spastiker. Der Autor dieser Geschichten ist nur noch Geist. Und auch der sehnt sich nach dem Nicht-Sein, nach einem "Koma ohne Erwachen", wie es einer "Tanne im Wald" eigen ist.

Es gibt hier kleine Sarkasmen, aber keine Ironie, und doch ist man gebannt, das ist wohl die Anziehungskraft des Abgrunds. Morbid im Sinne von dekadent oder unmoralisch sind Ulvens Geschichten nicht, sondern ein ständiger Balanceakt auf der Grenzlinie zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen dem geschlossenen Raum und dem Draußen.

PETER URBAN-HALLE

Tor Ulven: "Dunkelheit am Ende des Tunnels". Geschichten.

Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel. Droschl Verlag, Graz 2012. 136 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Samuel Moser begrüßt Bernhard Strobels Übersetzung dieses Bands mit Geschichten von Tor Ulven, der 1995 Suizid beging und zu den wichtigsten Schriftstellern Norwegens zählt. Die jetzt auf deutsch vorliegenden Texte des Autors handeln für ihn von der "Dunkelheit am Ende des Tunnels": von einer alles auslöschenden Dunkelheit. In immer neuen Formulierungen versucht Moser das Finstere, Dunkle, Ausweglose, Niederdrückende, Klaustrophobische der Texte einzufangen. Er hebt hervor, dass es in den Texten weder biografische noch analytische Ansätze gibt und dass keine der Figuren Herkunft und Zukunft haben. Dass das Werk zum "Kultbuch" für Suizidgefährdete werden könnte, befürchtet der Rezensent gleichwohl nicht, gibt es darin doch auch keine Bilder eines unerreichbaren Glücks oder eine "stimmige Verzweiflungstat".

© Perlentaucher Medien GmbH