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Minutiös forscht Dornuf dem zumeist subkutanen Einfluß nach, den Rezzori auf die herausragenden Soziologen Adorno, Schelsky, N. Sombart und Gehlen hatte. Viele von Rezzoris Werken haben das klassenspezifische Schichtengefüge der alten Bundesrepublik zum Thema. Ihm lauschte er bemerkenswerte Einsichten ab, die sich die Fachsoziologen prompt zu eigen machten. Ein ebenso gelehrtes wie amüsantes Capriccio.

Produktbeschreibung
Minutiös forscht Dornuf dem zumeist subkutanen Einfluß nach, den Rezzori auf die herausragenden Soziologen Adorno, Schelsky, N. Sombart und Gehlen hatte. Viele von Rezzoris Werken haben das klassenspezifische Schichtengefüge der alten Bundesrepublik zum Thema. Ihm lauschte er bemerkenswerte Einsichten ab, die sich die Fachsoziologen prompt zu eigen machten. Ein ebenso gelehrtes wie amüsantes Capriccio.
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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In seinem Essay "Der Kampf ums Dabeisein" erinnert Stefan Dornuf an den hierzulande wenig rezipierten Gregor von Rezzori, berichtet Volker Breidecker. Rezzori sei nach wie vor relevant, argumentiert Dornuf, weil er ein faszinierendes Bindeglied zwischen den Positionen Theodor W. Adornos und Arnold Gehlens bereitstelle, die sich beide durch "großbürgerliche Antibürgerlichkeit" auszeichneten, ihre Diskussion über gemeinsame Prämissen in Adelsfragen aber nie in der Öffentlichkeit führten, so der Rezensent. Rezzoris Beschreibungen von Schickeria und Prominenz, die er als "Crème de la merde" bezeichnete und scharf vom authentischen Adel unterschied, könnten diesen heimlichen gemeinsamen Boden beleuchten, so die These Dornufs, erklärt Breidecker.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2015

Adel
verpflichtet
Stefan Dornuf über Gregor von
Rezzori und die Soziologen
Cineasten werden sich an den schnauzbärtigen Zirkusdirektor Diogène in Louis Malles Kultfilm „Viva Maria“ (1965) erinnern: In seiner Manege legen die von Brigitte Bardot und Jeanne Moreau verkörperten beiden „Marien“ vor einer Horde schießwütiger Mexikaner den wohl ersten öffentlichen Striptease der Weltgeschichte hin. In der Rolle des Zirkusdirektors war der im Weltkriegsjahr 1914 am äußersten Rand der Donaumonarchie geborene Schriftsteller, Schauspieler und Bonvivant Gregor von Rezzori seinen Ursprüngen nahe, sagte er doch über die Dreharbeiten: „Ich kann mich hinbegeben, wohin ich will, Czernowitz holt mich ein.“ Und mit der Heimatstadt auch der bukolische Spott und das schallende Lachen. Sogar in Mexiko.
  Populär wurde Rezzori als Vertreter einer heiteren Melancholie mit Geschichten aus dem märchenhaften Land Maghrebinien, darin sich der altösterreichische Kleinadlige und staatenlose Autor in das Völkergemisch seiner bukowinischen Heimat zurückträumte. Den sardonischen Witz und die Leichtigkeit des Stils, mit der seine Romane sich selbst schwierigen Themen der Zeitgeschichte annehmen, haben ihm die Präzeptoren des hiesigen Literaturbetriebs nie verziehen. Mangels gebührender Schwere und zugehörigen Ingrimms blieb sein Œuvre, das sich in den angelsächsischen und romanischen Ländern großen Zuspruchs erfreut, im Abseits.
  Rezzori hielt der Nachkriegsgesellschaft der BRD den Narrenspiegel vor: In den goldenen Tagen des Radios präsentierte er in Fortsetzungen einen „Idiotenführer durch die Deutsche Gesellschaft“, den der Verleger Rowohlt dann in Einzelausgaben druckte. In absteigender Folge hatte sich Rezzori den Hochadel, den Adel, die Schickeria und die Prominenz vorgeknöpft. Über Letztere, die ihm als eine Art „Crème de la merde“ erschien, kam die satirische Folge nicht hinaus, obgleich zwei weitere Bücher geplant waren – über „Die Intelligenzia“ und über „Halbstarke“.
  Dass dieser Mann, der sich „auf verlorenem Posten“ sah, dennoch Spuren in der deutschen Nachkriegssoziologie hinterlassen hat, davon ist der Publizist Stefan Dornuf überzeugt. Der Essay, in dem er seine Indizien ausbreitet, bringt über das verkannte oder verleugnete Medium Rezzori zwei Antipoden rivalisierender Schulen der Nachkriegssoziologie in eine gewisse Nähe zueinander: Theodor W. Adorno, den Gesellschaftskritiker, und Arnold Gehlen, den erzkonservativen Anthropologen.
  Dornuf belässt es nicht bei dem schon häufig kolportierten Liebäugeln beider Scholaren mit Damen von Adel: Adorno war mit Nachkommen des Wiener Ringstraßenadels verschwägert, Gehlen hatte eine Freiin von Wolf geehelich und verheiratete seine Tochter zur Baronin von Lieven. Der springende Punkt ist aber kein bloßer „Adels-Tick“. Mit Rezzori teilte Adorno die Utopie des entrückten Orts, genannt Tschernopol oder Amorbach. Und in dem damals in der SZ erschienenen Essay „Wien, nach Ostern 1967“ spricht Adorno aus, was manche Intellektuelle „zu den Aristokraten zieht“: die Tatsache, „dass sie keine Bürger sind“ und dass ihre Gesellschaftlichkeit nicht dem „Bann des Tauschprinzips“ unterliegt. Adornos großbürgerliche Antibürgerlichkeit resultiert freilich aus der Erfahrung der Kapitulation seiner Klasse vor der nationalsozialistischen Barbarei und ihrem Verrat gegenüber allen Werten von Humanität und Gesittung, die dem Bildungsbürger einst heilig waren.
  Dass die Position des einstigen Nazi-Mitläufers Arnold Gehlen so weit davon nicht entfernt war, macht die Sache spannend: Gehlens Klage über eine neureiche Wirtschaftswunder-„Aristokratie“, die sich allein über Lebensstandard und Einkommen definiere, trifft den historisch „ersten Fall einer Aristokratie ohne Risiko“, der es „entsprechend an Autorität, nämlich an moralischer Autorität“ fehle. Ein Fall von „angemaßter Herrschaft“, wie Dornuf sekundiert, oder sagen wir – Rezzoris Schickeria und Prominenz lassen grüßen – von Macht und Einfluss auf Pump. „Von allen Wörtern der deutschen Sprache, die eine Möglichkeit des Menschen nennen“, so hatte Rezzori geschrieben, „ist dies sicherlich das schönste: Adel.“ Es ist nicht länger der „zoologische“ Begriff des Adels, sondern jener des Renaissance-Humanismus, wie in Baldessare di Castigliones Traktat vom „Cortegiano“. Daran knüpfte Adorno mit dem Lob der Altwiener „désinvolture“ an, für die das Italienische auch das unübersetzbare Wort „sprezzatura“ kennt, und die im Stadium ihres Untergangs noch von Hofmannsthals Kriegsheimkehrer Hans Karl Bühl in der Komödie „Der Schwierige“ verkörpert wurde.
  Ein Streitgespräch zwischen Adorno und Gehlen ist noch immer auf Youtube zu hören: Da geht es ans Eingemachte, das gemeinsame, wenn auch aus unterschiedlichen Erfahrungen geschöpfte Bewusstsein der Katastrophe. Nur, sich vor Publikum darüber aussprechen, das wollte Gehlen nicht: Mit dem „Gefühl, dass wir uns in tiefen Prämissen einig sind“, wollte er den öffentlichen Teil der Aussprache rasch zu Ende bringen. Als edle Streiter dürften die beiden ihr Gespräch „privatim“ fortgesetzt haben. Stilfragen verpflichten.
VOLKER BREIDECKER
  
Stefan Dornuf: Der Kampf ums Dabeisein. Gregor von Rezzori und die deutsche Nachkriegssoziologie. Karolinger Verlag, Wien 2014. 72 S., 12,90 Euro.
Was zieht die Intellektuellen zum
Adel? Dass sie keine Bürger sind
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