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Vom Vollmond getrieben, irrt Giuseppe Marano, der "Werwolf", durch die Gassen und die silbrig-glänzenden Olivenhaine Cefalùs und schreit sich seine Erbschuld von der Seele. Angeführt vom selbst ernannten Übermenschen Aleister Crowley, Magier und Schriftsteller, der sein Leben als Gesamtkunstwerk inszeniert, lässt sich eine Schar extravaganter Fremder nieder, um die Abtei von Thélème zu gründen: Hier frönt man gnostischen Messen, esoterischen Riten und feiert heidnische Hochzeitsnächte. Der gelangweilte Baron Cìcio, ein Bewunderer des schwülstigen Poeten und Fiume-Eroberers D'Annunzio und…mehr

Produktbeschreibung
Vom Vollmond getrieben, irrt Giuseppe Marano, der "Werwolf", durch die Gassen und die silbrig-glänzenden Olivenhaine Cefalùs und schreit sich seine Erbschuld von der Seele. Angeführt vom selbst ernannten Übermenschen Aleister Crowley, Magier und Schriftsteller, der sein Leben als Gesamtkunstwerk inszeniert, lässt sich eine Schar extravaganter Fremder nieder, um die Abtei von Thélème zu gründen: Hier frönt man gnostischen Messen, esoterischen Riten und feiert heidnische Hochzeitsnächte. Der gelangweilte Baron Cìcio, ein Bewunderer des schwülstigen Poeten und Fiume-Eroberers D'Annunzio und Faschist, sieht eine Gelegenheit, seine erotischen Phantasien umzusetzen. Der Lehrer Petro, Sohn des "Werwolfs", sühnt den sozialen Aufstieg seiner Familie durch die Teilnahme an sozialistischen Aufruhren und muss - wie seine jüdischen Vorfahren - ins Exil gehen, nach Algerien. Vincenzo Consolo - nach Leonardo Sciascia die moralische Instanz Italiens gegen die Ausbeutung des Südens - zielt in seinem chorisch angelegten, poetischen Roman über den in unsicheren Zeiten aufkommenden Irrationalismus und Personenkult auf unsere Tage ab und legt mit dem Leitmotiv der Melancholie die menschlichen Abgründe frei.
Autorenporträt
Vincenzo Consolo wurde am 18. Februar 1933 im sizilianischen Sant'Agata di Militello in der Nähe von Messina geboren. Seit 1969 bis zu seinem Tod lebte und arbeitete er hauptsächlich in Mailand. Mit dreißig Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman "La ferita dell'aprile" (1963; dt. "Die Wunde im April", 1990), mit dem er nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland bekannt wurde. Er war ein großer Stilist und Moralist und verband "höchste literarische Qualität mit brisanten politischen Aussagen". Vincenzo Consolo verstarb 2012.

Maria E. Brunner, geboren in Pflersch (Südtirol), lehrte sieben Jahre in Sizilien und Kalabrien. Dozentin für italienische Sprache und Literatur an der Universität Stuttgart; seit 2000 Professorin für deutsche Literatur an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Übersetzungen aus dem Italienischen (u. a. Vincenzo Consolo, Bei Nacht von Haus zu Haus, Retablo, beide bei Folio). Zahlreiche wissenschaftliche und literarische Publikationen, zuletzt bei Folio.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2004

Anklage-Gesang
Vincenzo Consolos Roman „Bei Nacht, von Haus zu Haus”
Italien ist anders geworden. An die Stelle des seit Dante besungenen „Lächelns der Überzeugung” ist ein allgegenwärtiges, seltsames Grinsen getreten. Berlusconis infantile Faxen, sein verbales Delirieren vor laufenden Fernsehkameras sind vorsätzliche Missachtungen der Regeln des politischen Stils und gesellschaftlichen Takts. „Das System Berlusconi”, schrieb unlängst der Schriftsteller Karl Markus Gauß, stellt den „Selbstmord der bürgerlichen Gesellschaft Italiens” dar.
Einer, der es in der großen Blase des Lärms, faulen Zaubers und der brünstigen Sprachverwirrung nicht länger aushält und seine Heimat verlässt, bringt es in Vincenzo Consolos Roman „Bei Nacht, von Haus zu Haus” auf den Punkt: „Nun herrschte die Dummheit, die Gewalt, die Verwilderung aller Umgangsformen, es mangelte an Respekt, es fehlte jede Art von Erbarmen.” Erbarmen? Ein Wort, das wir kaum noch kennen, wie die auf eine altlateinische Tugend zurückgehende „pietà” des italienischen Originals. Freilich handelt es sich um einen historischen Roman, doch ist er als bestechende Parabel auf die Gegenwart entworfen.
Schauplatz ist das Fischerdorf Cefalù an der Nordostküste Siziliens zu Beginn der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, kurz vor dem Machtantritt des Faschismus. Noch vor den Schwarzhemden feiert der Vortrupp eines anderen „Neuen Zeitalters” groteske Urstände: Aleister Crowley, ein verhinderter englischer Dichter und berüchtigter Okkultist, der sich zum bizarren „Großen wilden Tier” der Apokalypse aufbläst – seine Schriften sind heute wieder Bestseller auf dem Esoterik-Markt –, hält mit seinen Jüngern und Mätressen Einzug in Cefalù. In einer verlassenen Villa gründet er die „Abtei von Thelema”, nach dem Vorbild der verkehrten Welt von Rabelais’ „Gargantua und Pantagruel”.
Aus dieser Quelle hatte Crowley auch die Maxime seines neuen Evangeliums geschöpft: Fay ce que voudras, „Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz.” Wie mit einem Heiligenschein umgibt die Devise auf einem Selbstporträt den frisch gelifteten Glatzkopf, aus dem anstelle von Teufelshörnchen ein klitzekleiner Penis sprießt. Mit großem Brimborium, Zimbeln und den unerlässlichen Requisiten mediterranen Mummenschanzes wie geilen Ziegenböcken und flockigen Satyrn, feiern Crowley und seine Thelematen nahe bei Cefalùs Dom aus normannischer Zeit ihre seltsamen Orgien und Schwarzen Messen.
Der Einbruch des Deliriums in eine nahezu archaische Gesellschaft wird aus der Perspektive des Schicksals einer Familie namens Marano geschildert: Nachkommen von Marranen, sogenannter „Judenchristen”, die nach 1492, im Zuge der Vertreibung der Juden aus Spanien, zwangsgetauft wurden. Eine traurige Last liegt auf den Gemütern auch der späteren Generationen: Mondsüchtig irrt der Vater des Nachts durch die Straßen und schreit sich die Seele aus dem Leib. Seine beiden Töchter haben sich aus der Welt verabschiedet und sind buchstäblich sprachlos geworden, die eine versinkt in religiöser Inbrunst, die andere verfällt dem Wahnsinn. Petro Marano, der belesene Sohn des vermeintlichen „Werwolfs”, sympathisiert mit den Sozialisten und kommt mit der Polizei und faschistischen Schlägerbanden in Konflikt. Wie seinen Vorfahren bleibt auch ihm am Ende nur das Exil.
Trotz herzhafter Kolportagen – auf die Futuristen, auf schwülstige Gabriele D’Annunzio-Kulte – ist das in Italien mit dem Premio Strega und dem Premio Grinzane Cavour ausgezeichnete Buch keine leichte Kost. Der 1933 auf Sizilien geborene Autor, der in Deutschland mit den Romanen „Die Wunde im April” und „Das Lächeln des unbekannten Matrosen” bekannt wurde, verweigert sich radikal der Romanform und jedem konventionellen Sprachgebrauch. Wie Pasolini, der den in der Gegenwartsliteratur so verbreiteten, vermeintlich „lebendigen” Sprachgebrauch schlichtweg für korrumpiert erklärte, orchestriert Consolo unter Einbeziehung regionaler Idiome ganze Chöre unterschiedlicher Sprechweisen und Stimmlagen: Er erfindet die desavouierte, abgenutzte und missbrauchte Sprache wieder neu, bezeichnet die Dinge wie bei ihrem ersten Anblick, so in den vielen Beschreibungen von Artefakten, Bildern und Bauwerken, die eine versunkene sizilianische Welt wiederaufleben lassen. Sein polyphoner Gesang, der durchgängig die Grenzen zum Lyrischen streift, hält Zwiesprache mit dem gesamten Kosmos der Literatur, ähnlich wie sein Held der rüden Sprache der Politik die „Sprache von Dante, Leopardi” entgegenhält. Die Übersetzerin hat das Beste gegeben, was im prosaischeren und unmelodischeren Deutsch zuwege zu bringen war.
Für Pietro Marano wird der Gang ins Exil zur Initiation ins Schreiben: Bei seiner Ankunft in Tunesien ließ er das Buch eines Anarchisten, mit dem er zuvor noch gestritten hatte, ins Meer plumpsen: „Er dachte an sein Schreibheft. Zuerst musste er die Ruhe wiederfinden, die Worte, den Tonfall, das Gleichmaß der Sätze, musste den Knoten in seinem Innern lösen, dann würde er endlich erzählen können” – von einem bis dahin namenlosen Schmerz. Als eine wunderbare Zumutung an den Leser ist das Buch – authentische Literatur – auch eine schöne Erinnerung daran, was Italien, seine Sprache und seine Poesie, einmal waren.
VOLKER BREIDECKER
VINCENZO CONSOLO: Bei Nacht, von Haus zu Haus. Roman. Aus dem Italienischen von Maria E. Brunner. Folio Verlag, Wien 2003. 169 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Franz Haas kann sein Erstaunen nicht verhehlen, dass der Roman des italienischen Autors Vincenzo Consolo erst nach elf Jahren in einer deutschen Übersetzung erscheint. Zunächst rühmt er die "brillante" Übersetzung von Maria Brunner und ihr sehr informatives Nachwort, mit dem sie den deutschen Lesern Hilfestellung bei der Durchdringung der vielen "literarischen Anspielungen" gibt, die dieser vielschichtige Roman enthält. Das Buch spielt in einer kleinen sizilianischen Stadt in den 1920er Jahren, in der ein verrückter englischer Sektenguru auftaucht, während gleichzeitig der Faschismus in der Gegend Einzug hält, fasst der Rezensent zusammen. Die Übersetzerin weise darauf hin, dass der Roman ebenso als Parabel der 1990er Jahre in Italien gelesen werden kann, meint Haas. Er entwickelt aber nicht nur ein "metaphorisches Gesellschaftsbild", sondern ist durch seine vielen literarischen Verweise auch ein "Echotext", der sich beispielsweise mit Carlo Emilio Gaddas "Die Erkenntnis des Schmerzes" auseinandersetzt, weiß der Rezensent. Er zeigt sich sehr angetan von der "virtuos vielstimmigen Technik", mit der Consolo seine Geschichte entwickelt, und lobt besonders, dass er bei aller "politischen Deutlichkeit" nicht der Versuchung anheim fällt, eine gar zu einfache "antifaschistische Botschaft" an seine Leser zu bringen.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr