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Produktdetails
  • Transfer Europa
  • Verlag: Folio, Wien
  • Originaltitel: Andeo u ofsajdu
  • Seitenzahl: 212
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 376g
  • ISBN-13: 9783852561431
  • ISBN-10: 3852561434
  • Artikelnr.: 25703272
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2001

Wie man Wunder ködert
Schaudern, lachen: Zoran Ferics Erzählband "Engel im Abseits"

Die Mutter hatte ihm immer wieder die Geschichte vom Dogenpalast erzählen müssen: "Einmal vor langer Zeit besah sich der Dogenpalast, diese imposante Schönheit, im klaren Wasser der Lagune und fragte das Meer: ,Liebes Meer, wer ist der Schönste auf dieser Welt?' Das Meer wurde ruhig, es glättete seine Wellen und antwortete: ,Du, Herrlichkeit, bist schön und in Spitzen gekleidet, aber schöner noch als du ist die Kirche des heiligen Donat in Zadar.' Da boten die Venezianer riesige Galeeren und ein ungeheures Heer auf und eroberten im Jahre 1202 in einer blutigen Schlacht, die zwei Monate und zweiundzwanzig Tage dauerte und von der uns zahlreiche Dokumente in lateinischer Sprache erhalten sind, die Stadt Zadar. ,Wie du siehst, mein Kind', sagte sie, ,weiß man oft nicht, wo das Märchen endet und wo die Geschichte beginnt.'"

Zoran Feric, erwachsen geworden, mag nicht mehr mit dem Märchen einsetzen. Er schreibt so, daß man nicht weiß, wo das Historische endet und das Märchen beginnt. Was er erzählt, ist immer zunächst Alltag. Geschichten, die sich teils aus der Kindheit herschreiben, auch Erzählungen der Alten, aber immer Geschichten, die in der Gegenwart ansetzen oder in sie münden. Sie wollen ihr nicht märchenhaft entfliehen, sie kennen vielmehr auch die gnadenloseste aller historischen Zeitrechnungen: vor dem Krieg, nach dem Krieg, im soundsovielten Jahr des Krieges. Das kann auch einmal der Zweite Weltkrieg sein; aber ist der überhaupt noch mehr als eine Zeitrechnung? "Der Krieg", dieser ewig eine Krieg, ist für den Kroaten Feric dieser auch uns zunächst liegende Krieg: der Krieg in Jugoslawien und für Jugoslawien und gegen Jugoslawien. Aber Namen nennt Zoran Feric nicht; jener Staat, dessen Auflösung durch den Westen mit tödlicher Sicherheit zum Krieg führen mußte, kommt bei ihm allein in der Nennung der "alten Machthaber" vor oder, genauer: in Gestalt eines einzelnen ihrer alten Anhänger.

In einer der ungetrübt lustigsten Erzählungen muß er wie ein Peppone, der durch die Macht des historischen Schicksals unter die Knute eines unendlich minderen Don Camillo geraten ist, zur Strafe für die frühere Anhängerschaft regelmäßig an einem Kiosk "Die Stimme des Konzils" besorgen - und von dort vor aller Augen zum neuen Schuldirektor tragen. Diesen wiederum bringt es in Schwierigkeiten, als auf der Lehrertoilette mit einem Mal Klopapier auftaucht, ohne daß es vom neuen Ministerium gestellt worden wäre: Ist das nicht gemeine Provokation, mit der irgendwelche "Kräfte" demonstrieren wollen, "daß die Regierung die Bildung stiefmütterlich behandelt und dem Schulwesen nicht genug Papier gibt"? Dieses Papier, wie ein Mysterium flattert es in die Gegenwart der braven neuen Welt und entfaltet sich darin zu einem Teppich der verschiedensten Charaktere, bis es schließlich auf einer alte Fahnenstange an der Rückfront der Schule zum eingerollten Banner des nichts als Gegenwärtigen wird. Mit seiner weißen Farbe scheint es davor zu kapitulieren, mit dem Gebrauch aber, dem es zubestimmt ist, mißt es diese Gegenwart am rechten, nicht am nationalen Maß: daran, wie sie Bedürfnisse befriedigt.

Und an ihnen hängt immer die Lust. Auch sie vermag der Krieg zu bedienen, nicht nur als Lustigkeit, wenn die neuen Verhältnisse so schmählich das Alte nicht etwa durchbrechen, sondern nur schlecht wiederholen; sondern auch auf so einfache Art, daß Fische aufs schönste den Hunger stillen, die man mit Ködern aus Menschenfleisch gefangen hat. Daran ist zu solchen Zeiten kein Mangel, einer der Freunde hat nur ein paar Meter zu gehen und kommt wohlversorgt mit Ködern zurück. Der Fisch schmeckt am Lagerfeuer, auf einer Insel im selben Fluß, aus dem er geangelt wurde, da sind die Freunde, da ist Schnaps, da sind zwar außerdem noch ein paar Fremde, aber einer der Freunde kennt sie, und schon ist vergessen, womit man zu dem Fisch gekommen ist. Doch es genügen Zoran Feric in diesem schönen Augenblick nur wenige Einzelheiten, an deren Wirklichkeit man lieber nicht glauben wollte, und er hat den Bürger- und Nationenkrieg mit demselben Grauen gezeichnet, für das Ambrose Bierce bei Chickamauga die zerstückelten Leiber einer geschlagenen Armee durchs Unterholz kriechen ließ.

Es geht durchaus lustig zu in diesen Erzählungen, und Feric schämt sich für keine Schnödigkeit, die dazu beiträgt. Mit Recht. Jahrhundertelang hat sich Literatur das Lachen nur unter Berufung auf Horaz' ödes "ridentem dicere verum" gestatten wollen, und in der Moderne mußte einem schließlich das Lachen, um gestattet zu sein, postwendend im Halse steckenbleiben. Der Schauder aber ist bei Feric nicht aus schlechtem Gewissen und zum Ausgleich allenthalben gegenwärtig; dafür arbeitet sein Sarkasmus zu gerne in Fleisch - bis hin zum Kotelett auf dem Grill, von dem mit großer Zuverlässigkeit erwähnt wird, daß es blutig war. Der tödliche Autounfall mitten im Krieg, das Sterben an Krankheiten, die Not bis zum Selbstmord, all das ist nicht Gegengewicht zum Lachen, und es läßt sich auch umgekehrt nicht durch Lachen rechtfertigen und lindern. Doch im Lach- und Schauderhaften der alltäglichen Wunderlichkeiten sucht Feric nach dem seltenen "Wunder".

Einem Jungen stirbt die Mutter, er kommt auf Besuch zum Vater in eine fremde Stadt, und der organisiert ihm sogleich nach Ladenschluß im Kaufhaus eine erste, gekaufte Liebesnacht. Wie peinlich läßt sich das an - und doch schließt die Erzählung zu Recht mit den Worten: "Als er endlich fertig war, war ihm klar, daß ein Wunder immer dort eintritt, wo wir es am wenigsten erwarten. Davon galt es Zeugnis abzulegen." Das gelingt hier beiläufig. In den drei folgenden Erzählungen, unter dem Titel "Symmetrie eines Wunders", gelingt es allzu erwartungsgemäß, und störend unterläuft ihm denn auch die Sentimentalität der Absicht. So, wenn das legendäre Motiv einer venezianischen Brandmarke, mit der man Galeerensträflinge zeichnete, eine forma amorfa, am Schluß bloß der Einfall eines alternden Maestro war, in dem er sich die Frage "Was ist Geschichte?" mit der Gestalt "menschlichen Auswurfs" beantwortet hatte; die ist immer eine faule Losung.

Zumeist aber trägt Feric mit großer Sicherheit und unermüdlich wie ein Sammler von Werbebildchen für ein nie komplettes Album die absurd-normalen Teile von Wirklichkeit zusammen, um sie zu ergänzen, sie heterogen, wie sie sind, nebeneinanderzustellen, und wenn der eine bereits vergessen ist, ihn durch einen anderen wieder herbeizurufen, so daß sich tatsächlich dort, wo man es am wenigsten für möglich hielt, das Wunder begibt und in der Erzählung all dies unmerklich in ein wirkliches, ernsthaftes Märchen übergeht.

ESKE BOCKELMANN

Zoran Feric: "Engel im Abseits". Neun Erzählungen. Aus dem Kroatischen übersetzt von Klaus Detlev. Folio Verlag, Wien 2000. 212 S., geb., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Erzählungen des kroatischen Schriftstellers seien lustig, behauptet Eske Bockelmann, ohne ihre Tragik zu verlieren. Von einer Lustigkeit, sinniert die Rezensentin weiter, die nicht von einer Moral im Zaum gehalten wird, die, wie Bockelmann meint, das Lachen nur gestattet, wenn es einem im Halse stecken bleibt. Mit anderen Worten: Zoran Feric ist ein sarkastischer Erzähler, der gerne "in Fleisch" arbeitet und von allerlei wundersamen Dingen zu berichten weiß, die sich vor, nach und im Krieg zugetragen haben sollen: womit vor allem der Krieg in Jugoslawien gemeint ist. Es seien Geschichten aus dem Alltag, schreibt Bockelmann, in denen der Autor stets das Wunder suche und trotz aller Abscheulichkeiten auf wundersame Weise eben auch fände, so dass der Leser nie so genau wisse, wo das Historische ende und das Märchenhafte beginne. Nur ab und an unterlaufe die Erwartung des Wunders die Erzählstrategie des Autors, sagt Bockelmann, die ihrer Bewunderung für den kroatischen Erzähler ansonsten ungebrochen Ausdruck verleiht.

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