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Ende der 1990er Jahre entdeckt Billy Hutter bei einer Haushaltsauflösung in Ludwigshafen den Nachlass von Karlheinz N., der kurz zuvor mit Mitte sechzig auf ungeklärte Weise im Rhein ertrank. Die Wohnung ist bis unter die Decke mit Gegenständen und unendlich vielen Papierstapeln vollgestellt, wobei alles mit größter Sorgfalt geordnet scheint. Und statt alles leer zu räumen, an Möbeln und Gegenständen das, was zu Geld zu machen ist, zu verwerten, und den Rest der Müllverbrennungsanlage zu übereignen, beginnt Hutter, sich mit dem Nachlass dieses Menschen zu beschäftigen.
Denn Karlheinz, Sohn
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Produktbeschreibung
Ende der 1990er Jahre entdeckt Billy Hutter bei einer Haushaltsauflösung in Ludwigshafen den Nachlass von Karlheinz N., der kurz zuvor mit Mitte sechzig auf ungeklärte Weise im Rhein ertrank. Die Wohnung ist bis unter die Decke mit Gegenständen und unendlich vielen Papierstapeln vollgestellt, wobei alles mit größter Sorgfalt geordnet scheint. Und statt alles leer zu räumen, an Möbeln und Gegenständen das, was zu Geld zu machen ist, zu verwerten, und den Rest der Müllverbrennungsanlage zu übereignen, beginnt Hutter, sich mit dem Nachlass dieses Menschen zu beschäftigen.

Denn Karlheinz, Sohn eines Chemikers bei der BASF, hat sein Leben akribisch dokumentiert: seine Schulzeit, die Bombardierung seiner Heimatstadt, seine Studienfachwahl nach dem Abitur. Die sonntäglichen Ausflüge mit den Eltern in die Pfalz, zu deren Zweck man eigens ein Auto kaufte. Jede Anschaffung, vom Hosenknopf
bis zur Hotelrechnung, wird aufgelistet, auch die gelegentlichen Besuche bei Prostituierten. Aus Kinderzeichnungen, Schulaufsätzen und unzähligen Tagebüchern lassen sich die prototypischen Zutaten eines Spießerlebens ablesen, das - bei aller Besonderheit - exemplarisch die westdeutsche Nachkriegszeit und die Jahre des Wirtschaftswunders und der 1960er und 1970er Jahre dokumentiert.

Und wie immer, wenn man sich mit der Geschichte jener Jahre auseinandersetzt, wird neben Banalem und unfreiwillig Komischem auch das Grauen sichtbar. Und so führt Hutters Zeitreise nicht nur in den nahen Pfälzer Wald oder in die Alpen, sondern bis nach Ravensbrück und nach Auschwitz.
Autorenporträt
Billy Hutter wurde 1958 in Ludwigshafen/ Rhein geboren. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Haushaltsauflösungen und der Restauration alter Möbel. Daneben arbeitet er an Performanceprojekten und als Autor. In Ludwigshafen ist er Mitbetreiber eines sehr seltsamen, privaten Heimatmuseums. Karlheinz ist sein erster Roman. In diesem Text rekonstruiert er aus den Resten eines Nachlasses(Gegenstände, Fotografien,Dokumente, private Aufzeichnungen) das Leben eines Unbekannten.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieser Roman, den der Künstler Billy Hutter zum Abschluss seines großen Kunstprojektes vorgelegt hat, hat Rezensent Oliver Jungen ausgesprochen gut gefallen. Der Künstler, der sein Geld mit Wohnungsentrümpelungen verdient, rekonstruiert hier anhand von Wohnungsfundstücken und Notaten das Leben des unscheinbaren Selbstmörders "Karlheinz", der bergeweise Sauerkraut im Schrank hortete und dessen Sexualleben sich auf gelegentliche Prostituiertenbesuche und die Lektüre von Pornoheften beschränkte, informiert der Kritiker. Großartig auch, wie Hutter mit viel Wärme das Leben in der gemeinsamen Heimatstadt Mannheim schildert, die industriekulturelle Prägung der deutschen Gesellschaft im 20. Jahrhundert porträtiert und die Ära Kohl noch einmal aufleben lässt, findet der Rezensent, der diese lakonisch erzählten, zugleich subjektiv gefärbte "Otto-Normal-Analyse" nur unbedingt empfehlen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2015

In den Rhein gegangen
Ein deutsches Leben: Billy Hutters treffende Otto-Normal-Analyse "Karlheinz"

Nur Prominente leben in der Gewissheit, dass ihre Spuren nicht einfach verwehen. Wir anderen können uns allenfalls mit der Totalüberwachung trösten. Aber Google, Facebook oder die NSA sind bekanntlich das Gegenteil eines freundlichen Biographen, der unser Leben aus all den gehorteten Zeugnissen, Briefen, Mails und Akten verständnisvoll rekonstruiert. Vielleicht ist die eine oder andere Kartonbeschriftung sogar heimlich für diesen Privathistoriker gedacht, der nach Lage der Dinge nie auftauchen wird. All der Beifang unserer Suche nach dem Glück wird einfach übrig bleiben: wenn nicht von Nachfahren bei Ebay verramscht, der Entsorgung zugeführt vom Entrümpler.

Doch wie wäre es, wenn dieser Entrümpler plötzlich zögerte? Wenn er all die Tagebücher und Fotoalben nicht zur Müllverbrennungsanlage brächte, sondern ein "Archiv" einrichtete und sich einen Reim auf uns machte? Das ist unwahrscheinlich, aber geschehen: Der Künstler Billy Hutter, der von Haushaltsauflösungen und Möbelaufbereitung lebt, hat sich vor Jahren den zur Makulatur vorgesehenen Nachlass eines im Rhein ertrunkenen Mannes aus Ludwigshafen geschnappt und seither so sorgfältig wie amüsant ein beschädigtes Leben restauriert. Und weil ein Leben nicht gelöst von der Gesellschaft stattfindet, selbst wenn es sich um einen so eigensinnigen Kauz wie Karlheinz handelt (allein bergeweise Sauerkraut im Schrank), ist das Buch, das dieses große Kunstprojekt abschließt, ein Tauchgang in die bundesrepublikanische Geschichte geworden.

Freitauchen am Seil ließe sich auch das stilistische Vorgehen des Autors nennen, der sich in der Haupterzählung vom fast lakonisch nüchternen Stil der Notate seines unscheinbaren - und ebendeshalb so universellen - Helden inspiriert zeigt, aber daneben gerne warmherzig über das eigene Leben, über Stile und Moden sowie über die gemeinsame, oft als Industrievorort von Mannheim diskreditierte Heimatstadt plaudert. Wie sonst vielleicht nur noch Wolfsburg bietet sich das um die Badische Anilin- und Sodafabrik herum gewachsene Ludwigshafen an, um die eigenwillige industriekulturelle Prägung der deutschen Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert nachzuzeichnen. Natürlich spart Hutter nicht das vorübergehende Aufgehen der BASF in der I.G. Farben aus; prompt lassen sich Linien bis nach Auschwitz ziehen. Und schließlich wuchs in Ludwigshafen auch noch, "von mir im weiteren Verlauf als der große, später auch als der dicke Nachbarsjunge bezeichnet", der mit Karlheinz nahezu gleichaltrige Helmut Kohl auf.

Karlheinz kommt vom Weg ab. Lange eifert er dem Vater nach, einem Chemiker bei der BASF, gibt die Promotion jedoch nach einem psychischen Zusammenbruch auf. Stattdessen häufen sich kleine Betrügereien. Der Protagonist ist kein Held, sein Liebesleben beschränkt sich auf gelegentliche Prostituiertenbesuche und das Betrachten der in einer Tüte vom Fleischer-Fachverband aufbewahrten Pornohefte. Er überlebt die eigenen Eltern, bleibt allein in der Wohnung, hält es eines Tages nicht mehr aus. Indem er das Material sprechen lässt, gelingt es Hutter, die triste Biographie so aufzubereiten, dass sie Anschlüsse bietet für nahezu alle Leser, die bis zum Ende der Ära Kohl aufgewachsen sind: sei es die Opel-Leidenschaft der Familie Naksch, sei es die einst beliebte Kurzwellen-Bestrahlung bei allen Wehwehchen.

Der Erzähler gibt vor, Karlheinz endlich von den eigenen Schultern abladen zu wollen. Und er bemäntelt nicht, dass es an der Objektivität in diesem Falle hapern muss: "Dinge, die reden, sagen natürlich nicht immer die Wahrheit." Noch weitere Gründe gibt es für die Genrebezeichnung "Roman", darunter den Erzählbogen: Am Ende wird der rumorende Geist des mutmaßlichen Selbstmörders den Limbus - das "Archiv" beziehungsweise Museumszimmer - verlassen ("die Entrümpelung einer Entrümpelung"), eine riskante, aber geglückte Befreiung einer Seele, die schon auf dem Weg in die Hölle des Vergessenwerdens war.

OLIVER JUNGEN

Billy Hutter: "Karlheinz". Roman.

Metrolit Verlag, Berlin 2015. 224 S., geb., 25,- [Euro].

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"Ein außergewöhnliches Buch. [ ... ] Das Destillat einer Generation." Spiegel Online
"Bei einer seiner Entrümpelungen stieß [ Billy Hutter ] Anfang der 1990er Jahre auf den Nachlass von Karlheinz Naksch; ein unübersichtliches Sammelsurium aus Notizen, Postkarten, Fotografien, Dokumenten. Im Grunde nichts, womit man auf den ersten Blick etwas anfangen könnte. Hutter hat daraus etwas nahezu Unglaubliches gemacht: den Roman [...] einer Epoche, das Porträt einer Stadt." ZEIT online
"Der eine wird zum Kanzler, der andere wird zu Karlheinz" ARD MoMa
"Ein wunderbares Buch" Berliner Zeitung
"Hutters Buch fasst sie brillant, jene Atmosphäre des permanent Unfertigen, in der hinter der Fassade immer auch die Auflösung droht." Rheinpfalz am Sonntag
"Karlheinz ist die Psychoanalyse eines Nachlasses." KulturSpiegel
"Ein lesenswertes Buch über das Wesen des Entrümpelns im Allgemeinen und Karlheinz im Speziellen." Süddeutsche Zeitung
"So sorgfältig wie amüsant [...] Eine riskante, aber geglückteBefreiung einer Seele, die schon aus dem Weg in die Hölle des Vergessenwerdens war." Frankfurter Allgemeine Zeitung