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In Lichtenbergs Sudelbüchern erfolgt die Beobachtung des Kleinen in der Natur und beim Menschen durch Wissensformen, die an der Schnittstelle von Rhetorik und Naturlehre entstehen.In seinen Sudelbüchern notierte Georg Christoph Lichtenberg 35 Jahre lang allerlei Einfälle, Ideenassoziationen, Gedankenexperimente und Versuchsanordnungen. Diese legendären Notizhefte bilden jedoch kein literarisches bzw. epistemisches Ganzes. Sie sind vielmehr ein Sammelsurium von Texten, in dem die »zwei Kulturen« aufeinandertreffen: die rhetorisch-poetische und die naturwissenschaftliche. Das Aufzeichnen besitzt…mehr

Produktbeschreibung
In Lichtenbergs Sudelbüchern erfolgt die Beobachtung des Kleinen in der Natur und beim Menschen durch Wissensformen, die an der Schnittstelle von Rhetorik und Naturlehre entstehen.In seinen Sudelbüchern notierte Georg Christoph Lichtenberg 35 Jahre lang allerlei Einfälle, Ideenassoziationen, Gedankenexperimente und Versuchsanordnungen. Diese legendären Notizhefte bilden jedoch kein literarisches bzw. epistemisches Ganzes. Sie sind vielmehr ein Sammelsurium von Texten, in dem die »zwei Kulturen« aufeinandertreffen: die rhetorisch-poetische und die naturwissenschaftliche. Das Aufzeichnen besitzt dabei eine doppelte zeitliche Signatur, denn diese kleinen Textformen haben nicht nur eine mnemonisch-aufbewahrende Funktion; sie erweisen sich auch als Winke für künftiges Wissen. In ihrer Monographie geht Elisabetta Mengaldo dem für die Sudelbücher zentralen Zusammenhang von Rhetorik als traditioneller Kulturtechnik und Formen der Wissensanordnung an der Schwelle zwischen taxonomischen Modellen und modernen Beobachtungs- und Experimentalpraktiken nach. Dabei kommt dem »Kleinen« sowohl als Forschungsobjekt als auch als hybrider kurzer Prosaform eine geradezu emblematische wissensgenerierende Funktion zu.
Autorenporträt
Elisabetta Mengaldo, geb. 1977, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Padua. Forschungsschwerpunkte: Rhetorik und Poetik philosophischer Texte (Marx, Nietzsche, Adorno); Editionsphilologie und Textgenetik; Lyrik des 20. Jahrhunderts; Kurzprosa im Diskurs der Naturwissenschaften um 1800. Veröffentlichungen u. a.: Marx konkret (Mithg., 2020); Wolfgang Koeppen: Jugend. Digitale textgenetische Edition (Mithg., 2016); Der Dichter und sein Schatten. Emphatische Intertextualität in der modernen Lyrik (Mithg., 2014).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hans-Jörg Rheinberger wird ganz wehmütig angesichts von Elisabetta Mengaldos Untersuchung der Formen des "kleinen Wissens" anhand von Lichtenbergs "Sudelbüchern". Dergleichen fantasiebegabte Wissensanreicherung scheint ihm rar geworden. Umso schöner findet er, dass Mengaldo, akademisch tönend zwar, doch anregend, Lichtenbergs Verschränkungen von Naturwissenschaft, Anthropologie und Rhetorik nachgeht. Die Bedingungen der Wissenserzeugung und Lichtenbergs Wissensordnungen und ihre Effekte im Kontext der Aufklärung werden dem Rezensenten dabei offenbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2021

Mit Ideen muss man experimentieren
Elisabetta Mengaldo widmet sich der Verschränkung von Naturwissenschaft und Rhetorik bei Lichtenberg

Man kann nicht eben behaupten, dass die Lichtenberg-Forschung einen ungepflügten Acker darstelle. Und doch weiß sie immer wieder mit ungehobenen Schätzen zu überraschen. Während wir noch immer auf Rüdiger Campes Buch über "Lichtenbergs Schreibszene" warten, hat Elisabetta Mengaldo jetzt eine bemerkenswerte Arbeit über die Verschränkung von Naturwissenschaft und Rhetorik in den nachgelassenen Heften dieses Göttinger Experimentalphysikers und Universalgelehrten vorgelegt. Das Buch, durchaus im akademischen Duktus geschrieben, gibt einen exemplarischen Einblick in die Gedankenwerkstatt Georg Christoph Lichtenbergs, der seine Einfälle über 30 Jahre lang in Notizheften festhielt, die er selbst als Sudelbücher bezeichnete.

Das Buch kreist, wie es sein Untertitel sagt, um die "kleinen Formen des Wissens" in den drei Diskursfeldern, in denen sich Lichtenberg bewegte und die sich in seinen Notizkladden auf eigentümliche Weise verschränken: das naturwissenschaftliche, das anthropologische und das poetologisch-rhetorische. Lichtenberg war ein begnadeter Experimentator, ein scharfer Beobachter sowie ein Sprachgenie und Gedankenjongleur zugleich. Mengaldo beginnt mit einer Exposition dessen, was Lichtenberg einmal mit einer seiner immer wieder frappierenden, nur scheinbar paradoxen Formulierungen als "reichhaltige Kürtze" bezeichnete.

Im Zentrum stehen dabei Lichtenbergs Notate, Marginalien und Kommentare zu Johann Christian Polycarp Erxlebens (1744-1777) "Anfangsgründen der Naturlehre", die sein Kollege an der Universität Göttingen als Vorlage zu seinen Vorlesungen verwendete und die Lichtenberg nach dem frühen Tod Erxlebens von der dritten bis zur sechsten Auflage weiter betreute und erweiterte. Das gibt nicht nur einen Einblick in Lichtenbergs Zettelwirtschaft, wobei sich Einträge in die Sudelbücher, Annotate und Zusätze in den verschiedenen Auflagen des Lehrbuchs und Überarbeitungen seiner Vorlesungsmanuskripte gegenseitig immer wieder ausbalancierten. Es gibt auch einen Eindruck von der Lehr- und Versuchstätigkeit des Physikers, der mit seinen elektrostatischen Experimenten seinerzeit weithin Aufmerksamkeit erregte.

Es zeigt sich hier besonders sinnfällig, dass die kleinen Schreibformen, denen Lichtenbergs besondere Pflege galt, nicht nur einem poetologischen Impetus entspringen - dem Lichtenberg seinen Nachruhm als genialer Aphoristiker verdankt -, sondern wesentlich auch mit seiner Experimentiertätigkeit als Physiker zusammenhängen. "Reichhhaltige Kürze" ist in jeden gelungenen Versuch eingeschrieben und nicht nur eine Voraussetzung der Beweglichkeit naturwissenschaftlichen Wissens, sondern auch das Charakteristikum der eigentümlichen Verbindung von Abstraktion und Konkretion, das alles Experimentieren auszeichnet und das Lichtenberg auch in seinen Vorlesungen praktizierte.

Der Mittelteil des Buches, zugleich sein Kernstück und - vielleicht nicht zufällig - sein kondensiertestes Stück, beschäftigt sich mit den Bedingungen und der Kunst des Erfindens, dem Erzeugen neuen Wissens, diesem Zentrum allen wissenschaftlichen Forschens und zugleich dem Motor des Lichtenberg'schen Schreibens. Hier gelingt es Mengaldo, die Wissensordnungen des Naturforschers und des Literaten Lichtenberg im Ausgang der Aufklärung schlüssig und konzis anhand ausgewählter Formen - Listen, Register, Tabellen - aufeinander zu beziehen.

Der Schriftsteller als Experimentator: Auch der Umgang mit dem Wort, dieser Kleinstform des Poetischen, kann und muss gemessen werden an seinem Innovationspotential. "Man muss mit Ideen experimentieren", heißt es im Sudelbuch K. Dabei kommt alles auf das rechte Verhältnis von Topik und Kontingenz, auf Engführung und Öffnung, auf Wiederholung und Differenz an. Lichtenberg ist sich der konstitutiven Rolle, der Nichtreduzierbarkeit des Zufalls bewusst. Wie keiner vor ihm hat er die Dialektik von Kontingenz und Regelhaftigkeit im wissenschaftlichen Arbeiten auf den Punkt gebracht. Dem Sudelbuch L hat er anvertraut: "Es scheint, als wenn allen Entdeckungen eine Art von Zufall zum Grunde läge. Selbst denen, die man durch Anstrengung gemacht zu haben glaubt. Das bereits Erfundene in die beste Ordnung zu bringen, allein die Haupt-Erfindungs-Sprünge scheinen so wenig das Werk der Willkür zu sein als die Bewegung des Herzens." Und er fügte an: "Hieher gehört was ich an einem andern Ort gesagt habe, daß man nämlich nicht sagen sollte: ich denke, sondern es denkt so wie man sagt: es blitzt."

An diesen Sätzen wird die Verschränkung von Naturereignissen, menschlicher Tätigkeit und sprachlicher Eigenart besonders deutlich, der Mengaldo in ihren Verästelungen folgt. Und wer dächte hier nicht an Heinrich von Kleists "Über die Verfertigung der Gedanken beim Reden": "Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unserer, welcher weiß." Man kann aber Situationen schaffen, in denen einem die Gedanken unterlaufen.

Den Schlussteil ihres Buchs widmet Elisabetta Mengaldo den Migrationsbewegungen sowohl intertextueller Natur als auch den semantischen Verschiebungen, denen die Lichtenbergschen Textverfahren Vorschub leisten. Besonders augenfällig wird Ersteres an Lichtenbergs Fragmenten zu dem Göttinger Faktotum Jonas Kunkel, Letzteres an seinen Überlegungen zu der von Lavoisier ausgelösten Umwälzung in der zeitgenössischen Chemie und den gleichzeitigen politischen Ereignissen in Frankreich. Das Buch endet ebenso abrupt, wie es dieser Abschnitt tut.

Bei diesem insgesamt meisterlich inszenierten Gang durch die Sudelbücher Lichtenbergs überkommt einen am Ende die Wehmut: Welcher akademisch tätige Mensch fände heute noch die Zeit für ein solches jahrzehntelanges spielerisches Exerzitium seiner Phantasie? Da müssen selbst die Zettelkästen eines Hans Blumenberg und eines Niklas Luhmann verblassen.

HANS-JÖRG RHEINBERGER

Elisabetta Mengaldo:

"Zwischen Naturlehre und Rhetorik". Kleine Formen des Wissens in Lichtenbergs Sudelbüchern.

Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 260 S., Abb., geb.,

34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Bei diesem insgesamt meisterlich inszenierten Gang durch die Sudelbücher Lichtenbergs überkommt einen am Ende die Wehmut.« (Hans-Jörg Rheinberger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.07.2021) »ausgesprochen lesenswerte und bestens informierte Studie« (Claas Morgenroth, Germanistik, Bd. 63, 2022)