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Eine Theorie des Schlüsselromans als ästhetisch und moralisch fragwürdige Gattung sowie ein Sittengemälde des Feuilletons der Gegenwart.Der Schlüsselroman ist eine zwielichtige Gattung. Hinter seinen scheinbar fiktiven Figuren lassen sich reale Personen erkennen, die mit suggestiven Strategien bloßgestellt werden. Der Verfasser eines Schlüsselromans nutzt den Roman als Waffe in persönlichen und politischen Konflikten. Dieses Potential hat dem Schlüsselroman den Ruf ästhetischer wie moralischer Minderwertigkeit eingehandelt; die Vorwürfe lauten: Boulevard, Meinungsjournalismus oder…mehr

Produktbeschreibung
Eine Theorie des Schlüsselromans als ästhetisch und moralisch fragwürdige Gattung sowie ein Sittengemälde des Feuilletons der Gegenwart.Der Schlüsselroman ist eine zwielichtige Gattung. Hinter seinen scheinbar fiktiven Figuren lassen sich reale Personen erkennen, die mit suggestiven Strategien bloßgestellt werden. Der Verfasser eines Schlüsselromans nutzt den Roman als Waffe in persönlichen und politischen Konflikten. Dieses Potential hat dem Schlüsselroman den Ruf ästhetischer wie moralischer Minderwertigkeit eingehandelt; die Vorwürfe lauten: Boulevard, Meinungsjournalismus oder pseudokünstlerische Indiskretion. Wo ein Konzept so heftige Irritationen auslöst, liegt es nahe, nach den Gründen für diese Irritationen zu fragen. Anhand zahlreicher Beispiele von Schlüsselromanereignissen seit den 1960er Jahren untersucht Johannes Franzen fiktions- und gattungstheoretische Probleme und widmet sich den ethischen Fragen, die die Verarbeitung realer Menschen in literarischen Texten aufwerfen. Es werden bekannte Skandale - Thomas Bernhards »Holzfällen«, Martin Walsers »Tod eines Kritikers« oder Maxim Billers »Esra« - einer erzählerischen Analyse unterzogen, aber auch Fälle aus der Peripherie des Literarischen wie Klaus Rainer Röhls »Die Genossin« und Helmut Karaseks »Das Magazin«.
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Autorenporträt
Johannes Franzen, geb. 1984, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur der Universität Bonn. Seine Promotion entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs 'Faktuales und fiktionales Erzählen'. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Probleme der Fiktionstheorie und die Konfliktgeschichte der deutsch- und englischsprachigen Literatur.Veröffentlichungen u.a.: Ein Recht auf Rücksichtslosigkeit. Die moralischen Lizenzen der Fiktionalität, in: Non-Fiktion (2017); »Mehr Bild als Roman«. Fiktionalität, Faktualität und das Problem der Bewertung, in: Der Deutschunterricht (2016).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2018

Die heimliche Lust der Leser
Medium für die Medien: Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen analysiert die so anrüchige wie faszinierende Gattung Schlüsselroman

Geahnt haben wir es ja längst. Aber wenn man sich durch dieses Massiv aus bestens aufgearbeitetem Material gegraben hat, dann führt kein Weg mehr an der Einsicht vorbei: Der Schlüsselroman, diese ob ihrer vermeintlichen Kolportagenähe von der Literaturkritik nach Kräften denunzierte Gattung, welche der Germanist Johannes Franzen hier auch allenfalls maßvoll rehabilitiert, ist selbst die ewig verführerische, ewig hinterlistige, ewig junge Geliebte des Feuilletons. Der evaluative Widerspruch, der dabei deutlich wird, wurzelt tief in der Doppelseelenbrust der Kulturberichterstattung, die sich seit den sechziger Jahren nicht mehr nur als bewahrend hochkulturell, sondern auch als intellektuell subversiv und unterhaltend frech versteht: "Einerseits wird über die entsprechenden Ergebnisse ausgiebig berichtet, andererseits werden die Texte ästhetisch und ethisch abgewertet und die entstehenden Skandale als Zeichen eines kulturellen Niedergangs gedeutet."

Vielleicht darf man noch weiter gehen als der (wie es sich für eine Qualifikationsschrift gehört) mit Bedacht abwägende Franzen und annehmen, dass das Feuilleton als Relais zwischen intellektuell informierter Öffentlichkeit und literarischem Betrieb gar das vornehmlich intendierte Publikum dieser indiskreten Gattung darstellt. Eines haben Schlüsselromane, die nicht nur für, sondern häufig auch von Feuilletonisten geschrieben werden, jedenfalls durchaus verdient: ernst genommen zu werden in literaturtheoretischer Hinsicht. Da es nur wenige explizit literaturwissenschaftliche Studien zur verschlüsselten Literatur gibt, zielt der Autor auf ein möglichst umfassendes Gesamtbild.

Das beinhaltet nicht nur Detailanalysen zu Wertungen, Opfer-Topoi und Verteidigungsstrategien, die an einer Vielzahl von Beispielfällen von Klaus Rainer Röhls "Die Genossin" über Hellmuth Karaseks "Das Magazin", Martin Walsers "Tod eines Kritikers" bis zu Maxim Billers "Esra" durchgeführt werden (Martin Walser, der Rekordhalter, ist übrigens mit gleich vier Schlüsselromanen präsent), sondern auch so Grundsätzliches wie eine Gattungsdefinition. Demnach handele es sich um einen Schlüsselroman, wenn ein Text (zu allermeist in Prosaform) mit Absicht verschlüsselt wurde und den Lesern etwa durch die Namengebung Hinweise zur Dechiffrierung mitgeliefert werden. Voyeurismus gilt übrigens nicht als Gattungsmerkmal, dafür aber das wortreiche Bestreiten der Intention. Thomas Manns poetologische Spitze "Bilse und ich" liefert hierfür die Blaupause.

Eine Prosa wie die Thomas Manns, die zwar Charakterzüge realer Personen verarbeitet, aber in der Entschlüsselung kaum aufgeht, wäre bei Franzen freilich ausgeschlossen. Sie lässt sich jedoch nicht immer trennscharf abgrenzen von Schlüsselromanen, die sich, so lernen wir, hauptsächlich auf zwei Untergattungen verteilen: "satirisch-öffentlich" oder "autobiographisch-privat". Zum letzteren Bereich gehören die meisten der vor Gericht ausgetragenen Streitfälle. Die juristische Debatte über eine Begrenzung der literarischen Freiheit durch das Persönlichkeitsrecht ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Buches. Auch im Hinblick auf die ethische Anschlussfrage, ob der Mensch eine Art Copyright auf das eigene Leben, Lieben oder Scheitern hat, hält sich der Autor bedeckt.

Dass Franzen dafür zu sehr auf die eher schlichte Grunddichotomie von Fiktionalität und Faktualität abhebt - der Schlüsselroman als Grenzverletzung beim Fiktionspakt -, darf an dieser Stelle wohl eingewendet werden. Eine Straffung hätte dem Buch gutgetan. Spannend aber ist in der Tat, wie sehr das Feld im Falle dieser Gattung von einer Hermeneutik des Verdachts bestimmt wird. Schon die vage Vermutung einer Verschlüsselung hat einen starken Einfluss auf die Rezeption, wie der Autor am Beispiel von Martina Zöllners Debütroman "Bleibtreu" nachweist: Kaum war die These der Verarbeitung einer Affäre mit (wieder!) Martin Walser in der Welt, war eine objektive Rezeption kaum mehr möglich. Generell, so kann Franzen zeigen, werden die hehren Kategorien der Literaturkritik im Falle dieser Gattung schnell über Bord geworfen. In frappierender Komplexitätsreduktion konzentrieren sich die Kritiken oft auf den vermeintlichen Skandal, wobei die Kritiker als moralische Instanz urteilen, oft gar im Namen der "Opfer" zu sprechen vorgeben, dies aber zu verbergen versuchen hinter dem reflexhaften Attestieren ästhetischer Minderwertigkeit des jeweiligen Schlüsselromans. Dass es platte Schlüsselromane (Röhl, Karasek, Thomas Steinfelds "Der Sturm") gibt, steht nicht zur Debatte, aber das Verdikt treffe auch ambitionierte, hoch selbstreflexive Romane etwa von Norbert Gstrein ("Das Handwerk des Tötens") oder eben Walser.

Hinter der leicht snobistischen Abwehr jedes "biographistischen" Interesses als "Fehllektüre" vermutet Franzen eine Melange aus nostalgischer Rückbesinnung auf die klassische Narratologie im Sinne Käte Hamburgers, Eberhard Lämmerts und Wolfgang Isers, die stets auf den autonomen Status von Fiktionen abgehoben hatte (alle Realien werden neu konfiguriert), sowie einer lockeren Anlehnung an die Diskurstheorie (der Autor ist "tot", auch in der Literatur sprechen nur Diskurse). Demgegenüber scheint Franzen zumindest Sympathien für eine mit Wilhelm Diltheys "Erlebnis"-Begriff philosophisch geadelte, partiell journalismusaffine Wirklichkeitsnähe der Literatur zu haben, die vor gut einem Jahrzehnt rund um die Werke von Maxim Biller bis Rainald Goetz zur Formulierung einer Poetologie des radikalen Realismus und der Rücksichtslosigkeit geführt hat.

In welch vermintes Gelände man mit einer solchen Position vorstößt, zeigen nicht nur jene Bereiche, die "unter einem besonderen Schutz vor Fremdnarrativierung" stehen, beispielsweise Holocaust-Erinnerungen (der Fall "Wilkomirski") oder postkolonialer Minderheitenschutz, sondern auch schon die Debatten um die jeweilige "Autorisierung" der Autoren: Hatte Saul Bellow beispielsweise das Recht, in dem leicht zu dechiffrierenden Schlüsselroman "Ravelstein" postum die Homosexualität des befreundeten Philosophen Allan Bloom bekanntzumachen? Solche Fragen haben mit der Verschlüsselung, die zugleich als Schutzfunktion und Marketinginstrument fungieren kann, allerdings nur indirekt zu tun, denn dieselbe moralische Skepsis schlägt auch Autoren entgegen, die gleich mit offenem Visier Autobiographisches verhandeln wie Max Frisch in "Montauk". Man könnte auf die Idee kommen, dass Frischs Tochter Ursula Priess mehr als drei Jahrzehnte später auf die einzig angemessene Art reagiert hat, nämlich mit einem ebensolchen Lebensroman, der um den selbst zum Topos gewordenen kalten Blick des alles verarbeitenden Schriftsteller-Vaters kreist.

Dieser Schlagabtausch weist einen Weg, auf den auch das Buch Franzens zwar nicht unbedingt konzeptuell, aber doch in seiner Anlage zuläuft: Will man Schlüsselromane als künstlerisch eigenständige, nämlich stärker als üblich kontextabhängige Erzählform ansehen, dann tun sich erhabenere Vertreter der Gattung nicht nur durch die üblichen stilistischen Qualitätskriterien hervor, sondern auch dadurch, dass ein über den einzelnen Roman hinausweisendes intertextuelles Spiel beginnt. Geradezu idealtypisch zeigt sich das an den aufeinander bezogenen Schlüsselromanen von Wolfgang Hilbig ("Das Provisorium") und Natascha Wodin ("Nachtgeschwister"): Die so ihren Beziehungsstreit schonungslos verarbeitenden Autoren haben damit gewissermaßen doch partnerschaftlich eine verrufene Form in große Kunst verwandelt.

OLIVER JUNGEN

Johannes Franzen: "Indiskrete Fiktionen". Theorie und Praxis des Schlüsselromans 1960 bis 2015.

Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 456 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Oliver Jungen ist dem Literaturwissenschaftler Johannes Franzen dankbar dafür, mit dem Schlüsselroman eine so anrüchige wie faszinierende Gattung analysiert zu haben. Mit Bedacht abwägend, so Jungen, zeichnet der Autor ein umfassendes Gesamtbild, bietet eine Gattungsdefinition, Detailanalysen zu Wertungen, Opfer-Topoi und Verteidigung der Gattung sowie eine Vielzahl von Beispielen von Biller bis Walser. Über juristische Fragen lässt sich der Autor laut Jungen allerdings nicht aus, dafür aber etwas zu sehr über die Dichotomie von Fiktionalität und Faktualität, wie er findet. Wie sehr der bloße Verdacht die Rezeption im Fall des Schlüsselromans beeinflusst, erklärt Franzen dem Rezensenten auch.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Johannes Franzen will mehr, als der hitzigen Debatte um Wert und Unwert des Schlüsselromans die Temperatur zu messen« (Hannes Schwenger, Tagesspiegel, 15.07.2018) »dieses Massiv aus bestens aufgearbeitetem Material« (Oliver Jungen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2018) »Franzen (leuchtet) in seiner Dissertationsschrift das Konfliktpotential von Schlüsselromanen in seiner produktiven Qualität für die Literaturwissenschaft und die Literatur selbst aus.« (A. Florian Pahlke, Journal of Literary Theory, Vol 12, No. 1 (2018)) »Das ist nicht nur informativ, sondern streckenweise sogar hochspannend.« (Florian Keisinger, Fixpoetry, 04.11.2018) »eine äußerst anregende und gut lesbare Studie.« (Fabienne Steeger, Weimarer Beiträge 1/2019, 65. Jg.) »Die Stärke der Studie liegt in der Systematisierung des bisherigen Forschungsstandes und in der Anbindung an die neueren Konzepte der Erzählforschung.« (Gertrud Maria Rösch, Arbitrium 40/2, 2022)