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Die einen sagen, Joschka Fischer sei ein verantwortungsbewusster Rebell, die anderen sehen in ihm den entseelten Machtmenschen. Mathias Geis und Bernd Ulrich brechen diese Klischees auf und zeichnen ein neues, unabhängiges Fischer-Bild. Mit Sympathie und Distanz zugleich verfolgen sie die Stationen seines Lebens und porträtieren einen Menschen und Politiker, der sich vor allem in einem treu geblieben ist: im ständigen Wandel.

Produktbeschreibung
Die einen sagen, Joschka Fischer sei ein verantwortungsbewusster Rebell, die anderen sehen in ihm den entseelten Machtmenschen. Mathias Geis und Bernd Ulrich brechen diese Klischees auf und zeichnen ein neues, unabhängiges Fischer-Bild. Mit Sympathie und Distanz zugleich verfolgen sie die Stationen seines Lebens und porträtieren einen Menschen und Politiker, der sich vor allem in einem treu geblieben ist: im ständigen Wandel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2002

Nichts läuft mehr?
Biographische Annäherungen an das "Gesamtkunstwerk" Joschka Fischer

Matthias Geis/Bernd Ulrich: Der Unvollendete. Das Leben des Joschka Fischer. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 252 Seiten, 24,90 Euro.

Über den späten Helmut Kohl hat Karl Heinz Bohrer einmal geschrieben, sein Körper sei der Körper der Bundesrepublik, in ihm drücke sich die Unfähigkeit einer ganzen Gesellschaft aus, überkommene Glaubensinhalte in Frage zu stellen. Bohrer hat diese Klage seinerzeit mit der Erwartung verknüpft, daß die Erneuerung der Regierung weniger in einem Wechsel der Farbe als in einem der Physiognomie liege. Seine Hoffnungen sind in Joschka Fischer zweifellos erfüllt worden. Man kann in dem grünen Außenminister die politische und physiognomische Aufhebung der Ära Kohl erblicken.

Die innere Dialektik von Kontinuität und Wandel fand ihre äußere Manifestation in Fischers kathartischem langen Lauf zu sich selbst. In ihm hat sich die Bundesrepublik gleichsam vollendet und verdünnisiert; man forscht in den Zügen, wofür dieses faltiger gewordene Gesicht noch steht, wohin die Beine laufen. Bernd Ulrich und Matthias Geis sind diesen Fragen in mehreren Gesprächen mit Fischer nachgegangen. Sie nennen ihr Buch einleitend eine "Annäherung an einen Fremden", was kokett formuliert ist, denn immerhin gehören sie doch seit Jahren zu dem Kreis von Journalisten, mit dem Fischer einen vertrauteren Umgang pflegt. Daß dabei eine Biographie entstanden ist, in der Fischer sich bestimmt angemessener gewürdigt sieht als in früheren Werken über ihn, spricht nicht unbedingt gegen die Autoren.

Die Werke von Michael Schwelien und Christian Schmidt waren in einem schwer verdaulichen Maße von dem Bedürfnis durchtränkt, Fischers politisches Leben als permanente Preisgabe eigener Prinzipien zu deklinieren - ein bekannter Vorwurf, den Fischer durch seinen provozierenden Gestus der moralischen Überlegenheit immer wieder nährt. Dieser Gestus ist ein Pfeiler des Gesamtkunstwerks Joschka Fischer, das Geis und Ulrich für noch unvollendet, aber gleichwohl gelungen erachten und in dessen Konstruktionsweise sie einige kluge, reich bebilderte Einblicke geben.

Die Vita des "ersten und besten Epigonen" der Achtundsechziger verkörpert für die Autoren die Aussöhnung der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit sich selbst. Selten ist das so klargeworden wie in den ersten Wochen des Jahres 2001, als der Außenminister wegen seiner Frankfurter Vergangenheit angegriffen wurde. Für einen Moment stand seine Karriere auf dem Spiel, doch nicht sein Ansehen. Hätte er zurücktreten müssen, hätten die Achtundsechziger ihr letztes Gefecht verloren. Fischer hat das Gefecht, auch dank öffentlicher Unterstützung, ausgestanden. Die Autoren liefern über die Frankfurter Jahre keine neuen Erkenntnisse. Sie geben Interpretationen, die teils seltsam klingen (Fischers Problem sei nicht seine schon früh eingestandene "Lust am Schlagen" mit ihren sadistischen Momenten gewesen, sondern deren Aufblähen zum Konzept der Massenmilitanz), teils Aufschluß geben, über den tatsächlichen Nährwert jener Jahre für den heutigen Außenminister. So sind die Anlagen des "Überwältigungspolitikers Fischer", seine eigentümliche Verbindung von physischer Präsenz und intellektuellem Dominanzgebaren in den Auseinandersetzungen des Sponti-Milieus entwickelt worden.

Ausführungen des Bundesaußenministers lassen unschwer die Fähigkeit des geschulten Marxisten erkennen, was getan werden muß, als historische Notwendigkeit erscheinen zu lassen. Fischer hat diese Fähigkeit mit dem Großthema seiner Generation, mit Auschwitz verknüpft und wurde der erste Außenpolitiker, für den die deutsche Vergangenheit kein Defensivthema ist. Er hat aus dieser Melange zu verschiedenen Zeiten recht unterschiedliche politische Konsequenzen abgeleitet. Zwingend klang das allemal, ob es den Widerstand gegen die deutsche Einheit begründete, den er später als einen Fehler eingestand, oder die Beteiligung am Krieg im Kosovo, die zur gänzlichen Unterordnung seiner Partei führte.

Die Autoren lassen keinen Zweifel, auf wessen Seite sie im ewigen Kampf zwischen Fischer und den Grünen standen. Doch nun, wo dieser Kampf entschieden ist, stellen sie mit Erschrecken fest, daß es in der Partei nichts mehr gibt, was über Fischer hinausweist. Auch die Außenpolitik befinde sich in einer "Orientierungskrise". Doch mit den domestizierten Grünen und den zivilisierten Deutschen seien die beiden Grundspannungen des Fischerschen Lebens erfolgreich beseitigt.

Das alles klingt wie ein melancholischer Epilog auf ein erfülltes Politikerleben. Da aber Geis und Ulrich ihr letztes Kapitel noch nicht geschrieben sehen wollen, fordern sie von den Grünen, noch einmal über den mühsam erreichten Realismus hinauszugelangen; auch Fischer müsse sich "Neues einfallen lassen". Leider sagen sie nicht, sagte ihnen auch Fischer nicht, wohin denn die Grünen gelangen sollen und worin das Neue bestehen könnte. Ihre Diagnose endet, wo sich die Geschichte einer bundesrepublikanischen Nachkriegskarriere vollendet.

DIETER RULFF

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2002

Der Überwältiger
Joschka Fischers Biographie lebt vom permanenten Wandel
MATTHIAS GEIS, BERND ULRICH: Der Unvollendete. Das Leben des Joschka Fischer, Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 256 Seiten, 24, 90 Euro.
Es kommt nicht häufig vor, dass ein Buch einen Nachrichtenwert vorweisen kann. In der Biographie von Matthias Geis und Bernd Ulrich über Joschka Fischer findet sich so ein Kleinod: Im Herbst des Jahres 2001 drohte die rot-grüne Koalition wegen des Militäreinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan zu zerbrechen. Damals, so berichten die beiden Autoren, habe sich Bundeskanzler Gerhard Schröder für den Fall der Fälle auf eine Koalition mit der FDP eingerichtet – mit dem Vorsitzenden Guido Westerwelle jedoch vereinbart, dass Joschka Fischer Außenminister bleiben solle. Am Ende kam es nicht so weit. Und doch sagt dieses Gedankenspiel viel aus über das Phänomen Joschka Fischer. In nur drei Jahren hat er in seinem Ministeramt internationales Ansehen und nationale Popularität erworben, die ihn offenbar über die Parteigrenzen erhoben – eine Art präsidialer Außenminister.
Seine denkbare Berufung in ein rot-gelbes Kabinett wäre der Höhepunkt einer ungewöhnlichen Karriere gewesen. Deren Entwicklungslinien zeichnet dieses Buch mit analytischer Klarheit nach. Die Autoren, beide Journalisten und seit vielen Jahren im engen Kontakt mit Fischer, versuchen erst gar nicht zu verstecken, dass sie von der Person des Außenministers fasziniert sind. Sie beugen sich damit dem, den sie selbst als „Überwältigungspolitiker” identifiziert haben.
Dessen hervorstechendste Eigenschaft ist es, sich bis zur Erschöpfung auch des geneigten Zuhörers für Ansichten zu verkämpfen, die er – manchmal mit Verspätung, manchmal in völliger Abkehr von bisherigen Positionen – als richtig erkannt hat.
Andererseits verweisen Geis und Ulrich auch auf die Widersprüche in der Biographie Fischers. Es ist gerade diese Spannung zwischen einer fast liebevollen und gleichzeitig schonungslosen Behandlung, aus der die besondere Qualität dieses gelungenen Buches entsteht. Die Autoren lassen nicht unerwähnt, dass Fischer im Streit um seine Sponti-Vergangenheit einem Rücktritt nur entgehen konnte, weil er selbst die Grenzen der Enthüllungen mitbestimmte. In seinem politischen Leben spreche vieles dafür, „dass Fischer seine Überzeugungen jeweils so dreht, wie es zum Machterwerb und -erhalt passt”. Das deutlichste Beispiel ist seine Haltung zum Militär, die sich vom Totalverweigerer über den Befürworter der Intervention mit UN-Mandat in Bosnien, den Mitbefehlshaber der Intervention im Kosovo ohne UN-Mandat bis zum uneingeschränkt solidarischen Bündnispartner in Afghanistan wandelte. Hier entfernen sich die Autoren von der Darstellung, die Fischer gern präsentiert: Das Massaker von Srebrenica 1995 habe ihn vom Pazifisten zum Interventionisten werden lassen, sagt Fischer heute, damals „konnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen”.
Geis und Ulrich schreiben, Fischer habe Srebrenica zum Wendeerlebnis gemacht. Da schwingt Misstrauen mit, weil die Autoren neben der persönlichen Betroffenheit auch politisches Kalkül erkennen: „Er hatte begriffen, dass die Chance auf eine Machtbeteiligung von der Entscheidung in dieser für die Grünen heikelsten aller Fragen abhing.”
Die Geschichte und ich
„Der Außenminister”, so heißt es an einer anderen Stelle, „interessiert sich nur für zwei Dinge wirklich, für die Geschichte und für sich selbst.” Diese Eigenschaft hat vieles im politischen Leben Fischers geprägt: vor allem das ausgesprochen funktionale Verhältnis zu den Grünen, deren Themen er sich nach Ansicht der Autoren nur zu eigen machte, wenn es für sein Fortkommen nötig war. Fischer dürfte der einzige Politiker sein, der stolz darauf ist, auf Parteitagen oft verloren zu haben. Er hat aber auch Siege davongetragen – und zwar nicht selten dann, wenn er der Partei besonders viel abverlangte, wenn er zum Beispiel in Sachen Krieg und Frieden binnen kürzester Zeit ein Umdenken einforderte, für das er Jahre gebraucht hatte. Geis und Ulrich weisen nach, dass Fischer in solchen Momenten bisweilen in dramatischer Sprache die Hölle prophezeite, wo doch noch nicht einmal der Teufel zu sehen war.
Ist Joschka Fischer also ein egomaner, rücksichtsloser Opportunist? Diese Frage stellt sich der Leser fast unweigerlich. Die Autoren antworten tendenziell eher mit Nein: Ein paar Prinzipien gibt es nämlich doch im Leben des Joschka Fischer. Zum Beispiel das unzweifelhafte Bekenntnis zur deutschen Geschichte, das zumal für die Bedeutung eines deutschen Außenministers nicht unwichtig ist. Oder der Wille, lieber in Kompromissen zu gestalten, als in absoluter Rechthaberei zu sterben. Das hebt ihn ab von manchen seiner Kollegen, bei denen eben diese Wandelbarkeit zum einzigen Prinzip verkommen ist. NICO FRIED
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Eine Herausforderung für jeden Biografen
Rechtzeitig zur bevorstehenden Bundestagswahl erscheint die Biografie des Mannes, der eine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Karriere hinter sich hat: vom Schulabbrecher, Steinewerfer und Revoluzzer zum Außenminister, Vizekanzler und beliebtesten Politiker des Landes. Er liefere die ideale Projektionsfläche für die "Aussöhnung der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit sich selbst", so die Autoren. Ein Mensch, um den sich einerseits Legenden ranken, der sich aber immer auch Versuchen der Demontage ausgesetzt sah, ein Mann, der immer der "Chefinterpret seiner selbst" war. Matthias Geis (Die Zeit) und Bernd Ulrich (Tagesspiegel) haben einen eklatanten Widerspruch erkannt - zwischen der beispiellosen Medienpräsenz Fischers und dem wenigen, was wir wirklich über den Politiker wissen, der sich vor allem durch seine Widersprüche und wechselnden Überzeugungen auszeichnet.
Das System Fischer
Die Autoren wollen "ein unabhängiges und neugieriges Fischer-Bild". Spätestens hier merkt man, dass auch sie ihn zur Ikone der Zeitgeschichte erhoben haben. Dennoch begegnen beide Fischer mit deutlicher Distanz und nennen die Probleme beim Namen: Instrumentalisierung der Grünen, das Befürworten militärischer Konfliktlösungen und andere Brüche, die politische Freunde als Verrat empfanden. Geis und Ulrich geben keine einfachen Antworten und beteiligen sich nicht an einer Polarisierung oder Stigmatisierung. Vielmehr lässt das differenzierte Bild neue Fragen zu, mit deren Beantwortung wir dem "wahren" Joschka Fischer vielleicht noch am nächsten kommen. Beeindruckend sind die zum Teil bislang unveröffentlichten Fotografien, die ein Panorama von Fischers Metamorphosen bilden. Sie sind vielleicht aussagekräftiger als so mancher Satz, der über ihn geschrieben wurde.
(Henrik Flor, literaturtest.de)
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Absolut empfehlenswert! Die Autoren und Journalisten Bernd Ulrich und Matthias Geis sind, so Rezensent Patrik Schwarz, der Beweis für ihre eigene These: Politik und Erfolg des häufig als Opportunisten bezeichneten Joschka Fischer ließen sich nur aus der ihm eigenen körperlichen Präsens heraus verstehen, sie nennen ihn einen "Überwältigungspolitiker", in dessen Nähe es schwer sei eine eigene Weltsicht zu behaupten. Hier liegt der Schwachpunkt des Buches, die "offene Kritik bleibt seltsam matt", meint der doch gleichzeitig vom tiefen Einblick in Fischers Persönlichkeit stark beeindruckte Rezensent, dem bei der verantwortungsbewussten, "faszinierendsten" Lektüre über Fischer ein Licht aufgegangen zu sein scheint. Zentrale These des Buches ist, dass die Person Fischers nicht mit seinen Ideen gleichzusetzen ist, sondern sich in einem psychologisch begründeten besonderen Verhältnis von Macht und Selbsterfahrung finden lässt, so Schwarz weiter. Das Muster seiner Machtausübung werde sichtbar und Joschka Fischer selbst zum "ehrlichen" und ehrbaren Opportunisten erklärt.

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