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Sommer 1990: Mendocino heißt die einsame nordkalifornische Küstenregion, wo die Aussteiger, Schamanen und Paranoiker siedeln. Obwohl seit Wochen kein Regen gefallen ist, hält sich dichter Nebel über den steilen Kliffs und in den Märchenwäldern der Redwoods. In dieser Einöde taucht der Exmatrose Van Ness auf, der einen Platz sucht, um seinem ziellosen Dasein ein Ende zu setzen. Doch ein Drogenfarmer fischt den Lebensmüden aus der See und schlägt ihm einen Deal vor: Van Ness räumt seine Frau aus dem Weg; als Lohn winken 10000 Dollar und der elektrische Stuhl. Aber der «schon Tote» durchkreuzt…mehr

Produktbeschreibung
Sommer 1990: Mendocino heißt die einsame nordkalifornische Küstenregion, wo die Aussteiger, Schamanen und Paranoiker siedeln. Obwohl seit Wochen kein Regen gefallen ist, hält sich dichter Nebel über den steilen Kliffs und in den Märchenwäldern der Redwoods. In dieser Einöde taucht der Exmatrose Van Ness auf, der einen Platz sucht, um seinem ziellosen Dasein ein Ende zu setzen. Doch ein Drogenfarmer fischt den Lebensmüden aus der See und schlägt ihm einen Deal vor: Van Ness räumt seine Frau aus dem Weg; als Lohn winken 10000 Dollar und der elektrische Stuhl. Aber der «schon Tote» durchkreuzt diesen Plan.
«Schon tot ist ein Buch von Feuer und Schwefel, so leuchtend und kühn, wie man es aus Amerika vielleicht einmal im Jahr zu bekommen hofft.» (FAZ)
«Johnson, der schwarze Romantiker unter Amerikas Apokalyptikern, hat einen wilden, anmaßenden Roman geschrieben. Ein Buch wie ein Fluch: So unabweisbar wie das Jüngste Gericht.» (kulturSpiegel)
«Eine Prosa von erstaunlicher Kraft und Schönheit. Wir erkennen und finden hier eine neue Stimme.» (Philip Roth)
Autorenporträt
Johnson, DenisDenis Johnson, 1949 in München als Sohn eines amerikanischen Offiziers geboren, galt nach neun Romanen und der legendären Story-Sammlung «Jesus' Sohn» als einer der wichtigsten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Für sein Vietnamkriegsepos «Ein gerader Rauch» wurde ihm der National Book Award verliehen, die Novelle «Train Dreams» stand - wie auch «Ein gerader Rauch» - auf der Shortlist des Pulitzer-Preises. 2017 erhielt er posthum für sein Gesamtwerk den Library of Congress Prize for American Fiction. Er lebte zuletzt in Idaho, USA, und starb im Mai 2017.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2001

Als wär’s zum Heulen
Denis Johnsons kalifornischer Schauerroman „Schon tot”
„Wir haben in den letzten Jahren eine echte Blüte der US-Literatur erlebt”, sagte Philip Roth kürzlich in einem Interview. Er nannte John Updike, Toni Morrison und bei uns weniger Bekannte, darunter Denis Johnson: „ein junger Mann, der verdammt gut schreibt”.
Der junge Mann wurde 1949 als Sohn eines amerikanischen Besatzungsoffiziers in München geboren, verbrachte die Kindheit in Tokio und auf den Philippinen, lebt in den USA und kann mit den besten Referenzen aufwarten. Sie schreiten so ziemlich den ganzen Kulturkreis ab: Der Roman „Schon tot” besitze das Musikalisch-Grandiose einer Oper, stehe im Rang der Gemälde von Bosch oder Breughel, lasse den Geist Baudelaires aufleben und so weiter. Der Wunsch, die üblichen Übertreibungen zu überbieten, kommt aus reinem Herzen, von der Konsternation über das maßlose Ansinnen des Autors, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, Gewalttäter, Gottsucher, Alkoholiker, Dealer, Exzentriker, Geisterseher und schlichte Gemüter zu einem gespenstischen Reigen zu animieren und sie in vielen Zungen, umgangssprachlich ebenso wie poetisch reden zu lassen. Die Verblüffung hält auch beim Lesen des dicken Wälzers an. Selten, dass man Seiten überschlägt.
Der Tanz, zu dem Denis Johnson aufspielt, findet auf engem Raum vor großartiger, wortreich ausgemalter Landschaftskulisse statt, im Mendocino County, einem zwischen Meer und Mammutbaumwäldern gelegenen Küstenstreifen nördlich von San Francisco, und er dauert kurze Zeit, ein paar Monate in den Jahren 1990 und 1991. Weiter weg läuft derweil der Golfkrieg.
Ein gutes Dutzend Figuren, damit kommt Johnson aus, Einheimische und solche, die es nach Mendocino verschlug, bevölkern die Gegend, allesamt ruhelose Leute. Sie rasen über den Highway, werden von manischen Angstschüben und Wahnideen heimgesucht, adaptieren den „Zarathustra” für sich, verkünden New Age oder andere religiöse Botschaften, wollen sich umbringen oder vergeben Mordaufträge, koksen, kiffen, trinken, ficken. Ein paar machen ihre Jobs, die Sehnsüchte sind bescheidener. Doch am Ende quittiert auch der das Durcheinander erstaunt beobachtende Polizist Navarro den Dienst. Er will da raus und weg. Der Landstrich, in dem sie dem Leben oder Gott, Geld, Liebe, vor allem einander nachjagen, heißt die verlorene Küste. Die sich dort aufhalten, sind ziemlich verlorene, auf jeden Fall verirrte Seelen – fast schon tot.
Carl Van Ness war es wirklich. In letzter Minute rettet Nelson Fairschild den Selbstmörder Van Ness vor dem Ertrinken, dingt ihn darauf zum Mörder von Winona, Nelsons Frau, was Van Ness auf die Idee bringt, Nelsons Vater und Bruder zu ermorden, und nachdem auch Nelson zu Tode gehetzt wurde – da beglich ein anderer eine alte Rechnung –, die reiche Witwe Winona zu ehelichen. Denn Van Ness ist wieder auferstanden als der Böse, der von sich sagt, „ich bin das, was passiert”, davon überzeugt, Nietzsches Übermensch übertrumpft zu haben. Nelson Fairschild, Marihuanapflanzer, Dealer, Trinker, Träumer hingegen narrt sich selbst, denn erst als es zu spät ist, begreift er, dass er die Frau, die er tot sehen wollte, liebt. Van Ness, Nelson Fairschild und Officer Navarro kann man als Hauptfiguren des Romans erkennen, wenngleich auch die sogenannten Nebenfiguren, jede ein ausgeprägter Charakter, wichtige Rollen einnehmen.
Der Untertitel der Originalausgabe heißt „A Californian Gothic”, ein kalifornischer Schauerroman. Johnson bemächtigt sich des aus der Mode gekommenen romantischen Musters. Er erzählt eine Gespenstergeschichte, in der Kriminalgeschehen und übernatürliche Erscheinungen sich wie selbstständig verbinden und die Wege seiner Figuren sich schicksalhaft kreuzen. Wobei er nicht immer Wert auf logische Verknüpfungen legt; mancher verschwindet einfach aus der Erzählung, auch Nelson Fairschilds Tod wird nicht aufgeklärt. Wozu auch? Er stirbt dramatisch, mit letzter Kraft, am Ende mit seinem Blut, schreibt er Briefe an Winona, die sie nicht erreichen.
Das klingt, als wär’s zum Heulen. Tatsächlich zeigt sich der Autor seinen Leuten gegenüber verständig und mitleidig, aber er nimmt sie auch auf den Arm. Die Gangster, die Nelson Fairschild verfolgen, sind komische Typen, desgleichen der zum rechten Glauben konvertierte frühere Fixer, und ob die Heilsversprechen der New-Age-Predigerin Yvonne funktionieren, ist nicht verbürgt. Denis Johnson zieht seinen Haufen verirrter Existenzen nicht zur Rechenschaft. Er führt Leute vor, die, wie Nelsons Bruder Bill sagt, irgendetwas suchen, „das sie zur Ruhe kommen lässt”.
AGNES HÜFNER
DENIS JOHNSON: Schon tot. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Fritz Mergel. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 634 Seiten, 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Sprich dein Gebet, Zypresse
Eine halluzinatorische Reise: Denis Johnsons Roman "Schon tot" / Von Paul Ingendaay

Ein Autohändler bei John Updike, ein Immobilienmakler bei Richard Ford, die hibbeligen Intellektuellen eines Philip Roth oder die geduckten Schweigekünstler Raymond Carvers: Das ist die buntscheckige Mittelklasse, aus der die amerikanische Literatur ihre Helden nimmt. Nichts geschieht in diesen Büchern, so denkt man, was nicht auch hessischen oder nordrhein-westfälischen Lesern geschehen könnte, nur der Schauplatz ist ein anderer. Darin liegt freilich ein Unterschied ums Ganze; denn immer wieder gelingt es den amerikanischen Realisten, die Normalität ihres riesigen Landes ins Ungeglättet-Symbolische zu verzaubern und aufregende, jedenfalls völlig unhessische Geschichten zu erzählen.

Das gilt erst recht für den viel kleineren Trupp der Visionäre, ganz an die Landschaft, die Atmosphäre, an die Besessenheit ihrer Figuren hingegebene Schreiber, die zwischen Wirklichkeit und Wahn keine Wand dulden und ihre Leser auf Höllentrips von der Kraft mythischer Erzählungen mitnehmen. Sicherlich ist Cormac McCarthy mit Büchern wie "Verlorene" oder "Die Abendröte des Westens" ihr herausragender Vertreter. Und den 1949 in München geborenen, in Idaho lebenden Denis Johnson wird man nach seinem jetzt auf deutsch erschienenen Roman "Schon tot" (Already Dead) ebenfalls dazurechnen müssen. Mit seiner Galerie einsamer, gestrandeter Figuren, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Verrücktheit und Weisheit vorantasten, hat der Autor zwar wohl nicht "religiöse Kunst vom Range der Gemälde eines Bosch oder Bruegel" geschaffen, wie der Erzähler Tobias Wolff im Klappentext etwas hochtönend bemerkt. Aber doch einen Roman von außergewöhnlicher Intensität.

Der Untertitel des 1997 erschienenen Originals lautet "A California Gothic". Eine "Schauergeschichte aus Kalifornien" verheißt im englischen Sprachraum weniger billigen Grusel als das Fortspinnen einer lebendigen literarischen Tradition, die von Horace Walpole über Poe bis zu Henry James anthologiereife Werke hervorgebracht hat. Dem Schauder des Übersinnlichen fügt Johnson noch eine handfeste Kriminalstory hinzu, die aus Hollywoods "Schwarzer Serie" stammen könnte.

Nelson Fairchild jr., Porsche-Fahrer, Marihuana-Pflanzer und Müßiggänger im kalifornischen Norden, fischt nachts einen Mann aus dem Teich, der sich das Leben nehmen will. Dieser Carl Van Ness hat nichts dagegen, seine bereits weggeworfene Existenz in Fairchilds Dienst zu stellen: Er erklärt sich bereit, dessen Frau zu ermorden, die von Fairchild senior zur Erbin riesiger Waldbestände eingesetzt wurde, und notfalls für seine Tat zu sterben, damit der Ehemann hinter seinem makellosen Alibi unentdeckt bleiben kann. Doch der Plan geht nicht auf, und Schritt um Schritt erkennt man, wie er sich gegen den Drahtzieher wendet. Denn der schattenhafte Van Ness paktiert mit der Frau, die er am Ende heiraten wird, ermordet Fairchilds Vater und Bruder Billy und macht den Auftraggeber seinerseits zum Gejagten.

Bei den Krimiautoren der dreißiger und vierziger Jahre wäre diese Geschichte auf 180 Seiten abgehandelt. In "Schon tot" sind es über sechshundert. Johnson hat keinen Krimi geschrieben, sondern eine lange, halluzinatorische Reise in die nordkalifornische Finsternis, bei der das Verbrechen wie nebenbei mitläuft: Jeden Augenblick kann es hereinstürzen und scheint doch nur der leise Schlußakkord eines unendlich viel rätselhafteren Lebens zu sein, als Haß, Dummheit oder Geldgier zu erklären vermöchten. Denn alle Figuren, man kann es kaum anders sagen, suchen ihr Seelenheil, und ihre Münder quillen davon über.

Da wir in Kalifornien sind, braucht es dazu nicht immer die Bibel; ein Strauß von alternativen Heilsangeboten samt deren Schamanen steht zur Verfügung, Séancen und Seelenwanderung, New-Age-Philosophie und tibetanischer Buddhismus, zu schweigen von Räucherstäbchen und Bio-Nahrung.

Für europäische Leser ist es nicht ohne Komik, wenn sich Leute, bevor sie die Pistole laden, Zitate aus dem "Zarathustra" oder Hesses "Demian" unter die Nase halten. Im Mendocino County dagegen, dem Grenzland der großen Expansion, sind Althippies und verzottelte Mystiker ebenso zu Hause wie Waffenfetischismus und selbstgezogene Drogen. Gläubigkeit als solche ist bei Johnson allerdings eine ernste Angelegenheit. Sein Buch ist mit Fäden christlicher Metaphorik durchwirkt, und während landläufige Gegenwartsliteratur die Abwesenheit Gottes stillschweigend voraussetzt, sieht Johnsons Roman selbst im glimmenden Licht der Porno-Läden die "Fenster von Kathedralen", spricht von Zypressen, "die aussehen, als würden sie knien und beten", und erkennt in den Zügen Nelson Fairchilds gar "das Gesicht des nackten Sünders". Das alles hat weder mit Frömmelei noch Dogmatismus zu tun. Es macht den Abstand der Figuren zu einem gelungenen Leben nur schmerzlicher und gibt ihnen eine Dignität, die ihnen schon im nächsten Augenblick abhanden kommen kann wie ein Plastikfeuerzeug.

Worum geht es in moderner Literatur, wenn nicht um die fortdauernde Präzisierung des Unglücklichseins?

Denis Johnson hat mehrere Jahre als Lehrer in einem staatlichen Gefängnis in Arizona gearbeitet, darf also als geprüfter Kenner gesellschaftlicher Randzonen gelten. Nichts Kokettes oder sozialtherapeutisch Bemühtes haftet seinem beeindruckenden Erzählband "Jesus' Sohn" an, der 1995 bei Suhrkamp nur als Taschenbuch erschien und folglich unbeachtet blieb. Darin bevölkern Arbeitslose, Junkies und Drifter locker verbundene Episoden, die "das große Elend eines Menschenlebens auf dieser Erde" in surreale, wie aus dem Rahmen gestürzte Bilder fassen.

Dieses Personal einer kränkelnden Welt, das geradezu teilnahmsvoll in den Blick genommen wird, beherrscht auch den Roman "Schon tot": Barmädchen, Hippiefrauen, Tramper und Ortlose, deren weltlicher Besitz in einen Reisesack paßt. Nur daß die kleine Form zum epischen Panorama wächst und sich die grandios geschilderte Pazifikküste zwischen Gualala Point und Mendocino in eine Seelenlandschaft voller gewundener Kurven, dampfender Nebel und sturzbachartiger Regenfälle verwandelt, in der die Figuren wie kurz vor der Apokalypse herumtappen. Selbst in ruhigen Momenten lockt die Szenerie Gedanken hervor, die nach einer Elegie auf den eigenen Tod klingen: "Hier, an den sanfter geneigten Hängen, konnten sich auch große Bäume halten - ein paar uralte Redwoods sogar, an die siebzig Meter hoch und gut zehn Meter im Umfang, die schon an dieser Stelle standen, als Julius Caesar geboren wurde. Mir war, als befände ich mich unter einem Gewölbe urwüchsiger Monumente, errichtet von einem ausgestorbenen Volk. Niemand betet sie mehr an; allein geben sie sich ihren endlosen Meditationen hin, sterben unbemerkt, betten sich krachend zur Ruhe. Dann das Verrotten und Verwesen, bis zuletzt nur noch ein Zeichen bleibt, nicht Erde, sondern ein stiller rotbrauner Laib."

Bettina Abarbanell und Fritz Mergel haben Johnsons Ton, der zwischen schneller Umgangssprache und getragenen Prosa-Arien changiert, meisterhaft ins Deutsche übersetzt. Wie glücklich ihre Funde sind, zeigt erst der Blick ins Original.

Ganz bei sich sind die Übersetzer in den Schilderungen scheinbarer Randfiguren, die mit zunehmender Dauer den Atemrhythmus des Romans bestimmen. Zwei gedungene Killer sind dem zeitweiligen Ich-Erzähler Nelson Fairchild auf der Spur, rücken näher, verpassen ihr Opfer mehrmals und finden es schließlich: ein Spuk auf Highways und Rastplätzen, aber ebenso eine burleske Pantomime. Oder der einsame Rachefeldzug von Fairchilds Partner Clarence, der mit einem morbiden Grillfeuer an den Mauern eines buddhistischen Klosters endet: Soviel gelassene Komik mitten im schaurigen Geschehen traut man kaum einem anderen Autor zu.

Johnson stellt die Gewalt nicht aus, sondern choreographiert sie im Sinne seines Themas. Im bewußtlos abgespulten Leben ist man "schon tot", während die Suche nach Erkenntnis, wie auch die raffinierte Schachtelung des Romans beweist, über das biologische Ende hinausführen kann. Wie sehr Johnson dabei mit dem Glauben an Seelenwanderung und überhaupt mit dem Okkultismus der Westküste sympathisiert, mag offenbleiben; man muß ja auch nicht an die griechischen Götter glauben, um Homer zu lesen.

Eine traditionelle Auflösung des Kriminalfalls, der im Spätsommer 1990 spielt, liefert der Roman nicht. Officer Navarro, ein streunender Provinzpolizist, findet über ein Jahr nach den Ereignissen, die fünf Menschen und einen Hund das Leben kosten, einen Stapel Papier mit Fairchilds Tagebuch: Monologe eines reuigen Skeptikers, die auf den letzten Zeilen mit Blut geschrieben sind. Ein paar Wörter davon lassen sich entziffern, der Rest aber ist unleserlich. Navarro hütet seinen Schatz und quittiert den Dienst. Die Euphorie zwischen Haben und Nichthaben könnte durchaus die des Lesers sein.

In einer Nachbemerkung trägt Johnson seine Dankesschuld ab, darunter an das New-Age-Brevier "A Course in Miracles", für das der Autor sogar eine Bestelladresse angibt. Manches aus diesem Buch, sagt Johnson, kehre in verzerrter Form in den Romandialogen wieder, und das scheint nun leider der Wahrheit zu entsprechen. Besonders Yvonne, ein hochattraktives Medium, das im Ruf steht, eine Hexe zu sein, mutet uns insgesamt zuviel seminarreife Mystik zu.

Auch die wortreichen Briefe, mit denen der leicht derangierte Einsiedler Billy Fairchild die örtliche Polizei vor den Gefahren der Radarüberwachung warnt, hat der Autor entschieden zu großzügig in den Text gesetzt. Man liest dann ein bißchen darüber hinweg, dreht die Lautstärke herunter wie beim Küchenradio. Verrutschte Proportionen in einem ansonsten packenden Buch.

Die entscheidende Vorlage für die Handlung des Romans, wie Johnson gleichfalls offenlegt, entstammt dem Gedicht "Poème noire" von Bill Knott. Die deutsche Ausgabe druckt die schmucklose Ballade, die den Kriminalplot um eine ausgelöschte Familie auf zwei Seiten heruntererzählt, im Anhang ab. Es handelt sich dabei um das Äquivalent einer Drehbuchskizze, die mit dem fertigen Roman ein paar Bausteine der Handlung teilt, weiter nichts. In keinem Fall hat Johnsons (genehmigte) kreative Aneignung die harsche Tirade verdient, die eine für ihre Mittelmäßigkeit berüchtigte Kritikerin der "New York Times" auf den Autor losließ.

Denis Johnson mag seinen Roman nicht von allen Schlacken befreit und die Aufnahmebereitschaft des Lesers, zumal des europäischen, für nordkalifornische Esoterik ein wenig überschätzt haben. Doch "Schon tot" ist ein Buch von Feuer und Schwefel, so leuchtend und kühn, wie man es aus Amerika vielleicht einmal im Jahr zu bekommen hofft.

Denis Johnson: "Schon tot". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell und Fritz Mergel. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000. 633 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der Rezensent Peter Körte empfiehlt dieses Buch wärmstens und befindet sich damit in der Gesellschaft von Autoren wie Don DeLillo, Phillip Roth und Raymond Carver, die `Blurbs` - das sind die lobenden kleinen Zitate auf den Buchumschlägen - für Denis Johnsons Roman lieferten, wie Körte gleich im ersten Absatz betont. "Schon tot" trägt im Original den Untertitel "A California Gothic" und dieses "Noir"-Atmosphäre trifft die Stimmung dieses Romans, den Körte wie folgt beschreibt: "halluzinativ wie ein Drogentrip, voller Metaphysik und Mord, ein gefährlicher Strom, der Treibgut der Hippiekultur mit sich reißt". Der Aufbau der Erzählung sei ein ganz eigener, fragmentiert und mit einem "assoziativen Rhythmus". Da merkt man, meint Körte, dass Johnson früher Lyrik geschrieben hat. In seiner enthusiastischen Kritik hebt Körte besonders die Fähigkeit des Erzählers hervor, die Plot-Stränge zufällig wirken zu lassen und zu zerlegen, und doch gleichzeitig "die Kontrolle in diesem zentrifugalen Universum" zu behalten.

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Johnson, der schwarze Romantiker unter Amerikas Apokalyptikern, hat einen wilden, anmaßenden Roman geschrieben. Ein Buch wie ein Fluch: So unabweisbar wie das Jüngste Gericht. Kultur Spiegel