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Der Roman setzt mit einem Paukenschlag ein: dem Mord an einer jungen blonden Frau, begangen von zwei Abiturienten, die sich ihr Opfer nach dem Zufallsprinzip ausgesucht haben. Ein klassischer acte gratuit", ein absurder Akt der Revolte, ganz in der Tradition von Dostojewskis Verbrechen und Strafe oder André Gides Verliesen des Vatikans. Und wie bei den Vorbildern steht nicht das Verbrechen im Zentrum, sondern die Auswirkungen auf die Täter. Bei beiden stellen sich, zunächst unmerklich, Störungen ein, Desinteresse, Aggressionsausbrüche, Albträume. War der Zufall, durch den sie sich vor…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman setzt mit einem Paukenschlag ein: dem Mord an einer jungen blonden Frau, begangen von zwei Abiturienten, die sich ihr Opfer nach dem Zufallsprinzip ausgesucht haben. Ein klassischer acte gratuit", ein absurder Akt der Revolte, ganz in der Tradition von Dostojewskis Verbrechen und Strafe oder André Gides Verliesen des Vatikans. Und wie bei den Vorbildern steht nicht das Verbrechen im Zentrum, sondern die Auswirkungen auf die Täter. Bei beiden stellen sich, zunächst unmerklich, Störungen ein, Desinteresse, Aggressionsausbrüche, Albträume. War der Zufall, durch den sie sich vor Entdeckung geschützt glaubten, doch nicht so zufällig? Hatte das blonde Opfer nicht große Ähnlichkeit mit der verehrten, aber unerreichbaren Philosophielehrerin? Und liegt in ihrer Familiengeschichte nicht ein Muster vor, dem sie unbewusst folgten? Pierres Großvater Elie, ein galizischer Jude, hat seit Jahren das Schweigen gewählt und Damiens Großvater René arbeitete für Vichy in der Kollaboration. Vererben sich verdrängte und verschwiegene historische Verbrechen weiter?
Autorenporträt
Leslie Kaplan, geboren 1943 in New York City, ist eine französische Schriftstellerin, die aus einer jüdischen Familie polnischer Herkunft stammt. Sie wuchs in Paris auf, wo sie heute lebt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Thomas Laux findet, dass Leslie Kaplan mit ihrem neuen Roman, dem ersten seit einer längeren Zeit - gescheitert ist - und zwar gleich in doppelter Hinsicht: "dramaturgisch" ebenso wie "strukturell". Sie schaffe es nämlich nicht, die zwei wesentlichen Elemente ihres Romans zusammenzuführen: den von zwei jungen Männern begangenen Mord und deren Interesse an der Schuld ihrer Großväter im Zweiten Weltkrieg. Der Verdacht, den sie streut - dass unaufgearbeitete Verbrechen sich an die nächste oder übernächste Generation weitervererben - wird im Buch kaum unterfüttert. Der "Hauch sartrescher litterature engagee" verpufft nach Meinung des Rezensenten und führe den Leser nirgendwo hin: "Kaplan desavouiert den gesamten aufklärerischen Aspekt ihres Romans."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2006

Falscher Komplex
Leslie Kaplan beschreibt das perfekte, sinnlose Verbrechen

"Fever" ist ein sehr französisches Buch, ein Gedankenexperiment, das davon handelt, wie zwei begabte Gymnasiasten ein Gedankenspiel in die Tat umsetzen. Die knapp siebzehnjährigen Damien und Pierre sind von ihrer schönen und klugen Philosophielehrerin berauscht, die dafür berühmt ist, ihre Klassen heil durchs Abitur zu bringen - eine auch von den Eltern hochgeschätzte Lehrkraft, ist das Abitur in Frankreich doch die Wasserscheide für alle künftigen Karrieren. Die Schüler von Madame Martin studieren und diskutieren nicht nur bis tief in die Nacht, sie verbringen auch ihre gemeinsamen Ferien mit hitzigen Debatten. In der Bretagne kam ihnen die kühne Idee für einen perfekten Mord, eine freie Tat ohne Beweggrund, die sich ganz dem Zufall überläßt.

Der Roman von Leslie Kaplan beginnt in den Momenten nach der gelungenen Ausführung ihres Plans. Damien und Pierre haben eine junge Frau in ihrer Wohnung überrascht, niedergeschlagen und erwürgt. Am nächsten Tag fordert Damien die Philosophielehrerin zu einem Streitgespräch über den Unterschied von Mann und Frau heraus, und der Leser beginnt zu ahnen, daß die Untat nicht ganz so frei war, wie die jungen Männer einander versichern. Der Mord hat Damien mit einer Gewalt vertraut gemacht, die jedes überlegene Argument im Kern zu ersticken vermag, besonders wenn es von einer Repräsentantin des traditionell subalternen Geschlechts geäußert wird.

Mit den langsamen Drehungen eines forensischen Würgegriffs erschüttert der Roman die Illusion einer freien Tat. Zoë, eine angehende Schauspielerin, die über eine Zeitungsmeldung auf den Mord gestoßen ist, beginnt sich Gedanken zu machen. Sie wohnt im selben Viertel wie Damien und Pierre, wird im Café gewahr, daß die Gymnasiasten in der Jukebox bevorzugt den Titel "Fever" von Alice Snow spielen, einer Sängerin, deren Ähnlichkeit mit der Ermordeten Zoe aufgefallen ist. Als sie zudem aufschnappt, daß Alice Snow der umschwärmten Philosophielehrerin gleicht, ist die Zündschnur gelegt, die der Zufallstheorie den Garaus macht. Zoëe, griechisch für das Leben, verzichtet darauf, ihre Beobachtungen bis zum bitteren Ende zu verfolgen, doch die Erzählerin gibt uns genug Material an die Hand, um Zoës Verdacht zu verifizieren. Was ein perfekt sinnloser Mord sein sollte, war in Wahrheit ein archaischer Akt im ewigen Geschlechterkrieg und eine hilflose Ersatzhandlung adoleszenter Verliebtheit, die ihre unverstandenen Gefühle für eine Autoritätsperson durch die Untat brachial kanalisierte.

Doch der fatale Ödipuskomplex ist nicht das ganze Geheimnis, das Leslie Kaplan ihrem Gedankenexperiment unterlegt. Beide Gymnasiasten stammen aus intakten Familien, sie gehören zur Erfolgsschicht des heutigen Frankreichs. Beide hängen an ihren Großvätern. Doch während Pierres jüdischer Großvater Èlie über der Deportation seiner Frau für immer verstummt ist, entdeckt Damien in seinem Großvater René eine Täterfigur. Seine bohrenden Fragen nach dessen Tätigkeit unter dem Vichy-Regime führen zu einer Äußerung, die den abgebrühten Enkel aus der Bahn wirft. René erklärt, daß eine Tat kein Verbrechen sei, wenn es für sie keinen persönlichen Grund gebe, weil sie einem Befehl folge. In dieser Ausflucht erkennt Damien sein philosophisches Paradox vom Zufall und zugleich, daß seine Mordbegründung die Lebenslüge des Großvaters blind wiederholt. Statt eines Befehls hat er einfach dem Zufall die Verantwortung zugeschoben. In perfekter Parallelität entdeckt auch Pierre, daß er von seinem stummen Großvater ferngesteuert wurde. Der schweige, erklärt die Großmutter, um nicht beständig den einen Satz zu wiederholen: "Tötet sie, vernichtet sie." In der Meinung, die absurde Freiheit der Existenz zu beweisen, hat Pierre schlicht dem Rachewunsch seiner Ahnen gehorcht und sich zum Werkzeug wahlloser Vergeltung gemacht.

Als die jungen Täter ihre Naivität zu durchschauen beginnen, setzen sie ihre ganze Energie in die Recherche von Vichy-Schreibtischtätern. Hellsichtig gemacht durch die eigene Schuld, kommen sie der dämonischen Macht wohlfeiler Sprachlregelungen und papierener Anordnungen auf die Spur. Nietzsches Bonmot vom Sprechen als Tanz über den Dingen erhält einen ebenso schillernden Sinn wie Adolf Eichmanns Phrasen vom "Schicksalskampf des deutschen Volkes" und "Schlachten, die zukünftige Generationen nicht mehr schlagen müssen".

Bei Hannah Arendt lesen sie vom Ekel, der Eichmann angesichts der physischen Konsequenzen seiner Überzeugungen überkam, einem Ekel, den er durch einen hohlen Pflichtdiskurs bis zum Moment seiner Hinrichtung im Zaum hielt. Auch die Schüler droht der Mord um den Verstand zu bringen. Wenn sie nicht von ihrem Opfer träumen, dann glauben sie die Frau auf der Straße zu sehen, nicht zufällig auch in einem Dessous-Geschäft. Pierre und Damien rettet ihre Komplizenschaft. Über die alles andere als grund- und folgenlose Tat können sie miteinander sprechen.

"Fever" handelt nicht nur vom fehlgeleiteten Enthusiasmus der Jugend und von generationsübergreifenden Hypotheken, es erzählt auch von fieberhafter Trauerarbeit und dem Umgang mit dem eigenen Schuldigwerden. Damien und Pierre sind in dem Alter, in dem viele Soldaten waren, die zwei Weltkriege lang zu Instrumenten hehrer Ideologien wurden. Trotz guter Ausbildung und liebender Eltern werden sie mit den existentiellen Fragen alleingelassen, besonders von der so verführerisch auftretenden Philosophie. Erst die faustische Tat setzt einen Reifeprozeß in Gang, der die jungen Männer von Autoritäten emanzipiert. Französisch ist Kaplans Roman auch, weil er die Psychoanalyse über das thetische Reich der Philosophie setzt: Die Wirklichkeit ist immer anders, als wir sie uns denken. Ihr kommen die Protagonisten nicht durch logische Sequenzen, sondern erst durch einen existentiellen Selbstversuch auf die Spur und haben die Schule der Worte für die Schule des Lebens damit für immer verlassen.

INGEBORG HARMS

Leslie Kaplan: "Fever". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Sonja Finck. Berlin Verlag, Berlin 2006. 207 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Das Interessante an diesem kraftvollen Buch ist, wie es die große und kleine Geschichte vermengt, das Alltägliche und das Außergewöhnliche - das Verbrechen -, und uns ein konkretes, modernes, jederzeit mögliches Beispiel der ,Banalität des Bösen zeigt."(Elle)