Marktplatzangebote
15 Angebote ab € 3,49 €
  • Gebundenes Buch

Seit dem 11. September, dem Tag des Terroranschlags auf das World Trade Center in New York, steht die Auseinandersetzung mit dem Geschehen und seinen tieferen Ursachen auf der Tagesordnung des öffentlichen Diskurses in Deutschland. Zunächst mit ungläubigem Staunen, später mit hellem Zorn, verfolgte Henryk Broder die Äußerungen dieser Debatte, den Stimmungswandel, der mehr und mehr den Amerikanern selbst das Geschehene zur Last legte. Ob auf Stammtischniveau oder in Gestalt politischer und letztlich auch philosophischer Analyse, ob in der Form eines plumpen Antiamerikanismus oder unter dem…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem 11. September, dem Tag des Terroranschlags auf das World Trade Center in New York, steht die Auseinandersetzung mit dem Geschehen und seinen tieferen Ursachen auf der Tagesordnung des öffentlichen Diskurses in Deutschland. Zunächst mit ungläubigem Staunen, später mit hellem Zorn, verfolgte Henryk Broder die Äußerungen dieser Debatte, den Stimmungswandel, der mehr und mehr den Amerikanern selbst das Geschehene zur Last legte. Ob auf Stammtischniveau oder in Gestalt politischer und letztlich auch philosophischer Analyse, ob in der Form eines plumpen Antiamerikanismus oder unter dem Deckmantel einer naiven Friedensbewegtheit, die Debatte entwickelte sich von ihrem Ausgangspunkt der Empörung über die Tat fort zu einer Anklage der USA, ihrer Politik, ihrer Lebensweise, die das eigentliche Geschehen, den terroristischen Angriff auf unschuldige Menschen, ganz aus dem Blick zu verlieren schien. Broders mit vielen Zitaten arbeitender Bericht ist eine Zustandsbeschreibung deuts cher Befindlichkeiten in der Krise, die Reaktion eines genauen und ethisch hoch empfindlichen Beobachters auf die zum Teil grotesken Äußerungen des deutschen Zeitgeistes.
Autorenporträt
Henryk M. Broder, geboren 1946 in Katowice, Polen, ist Journalist beim "Spiegel" und lebt in Berlin und Jerusalem. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2005 erhielt Henryk M. Broder den traditionsreichen Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen und 2007 den Ludwig-Börne-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Der Täter ist immer ein Amerikaner
Henryk M. Broder nimmt die intellektuelle Debatte in Deutschland über den 11. September aufs Korn
Vor genau einem halben Jahr ereignete sich jener schreckliche Terroranschlag, der später unter dem Kürzel „11. September” in zahlreichen Medien und Veranstaltungen zu einer Massenhysterie friedensbewegter Deutscher führte. Das behauptet zumindest der Journalist Henryk M. Broder, ein bekannter Wadlbeißer seiner Zunft. Er hat nachgelesen, was in den Wochen und Monaten danach veröffentlicht oder kommentiert wurde. Sein Verdacht lautet: Ziemlich schnell bildete sich eine Gruppe von Publizisten, Wissenschaftlern und Intellektuellen heraus, die das Ereignis zum Anlass nahmen, ihre unterschiedlichen Verschwörungstheorien neu aufzukochen.
Broder hat hierfür Wortprotokolle, Medienbeiträge und Leserbriefe analysiert und zitiert in seinem Buch genüsslich die Aufgeregtheiten der Vordenker in diesem Land. Heraus gekommen ist dabei erstens eine Art Zitatenschatz für Globalisierungsgegner, USA-Feinde und Dritte-Welt-Retter, und zweitens die sichere Erkenntnis, dass Broder selbst ein Verschwörungstheoretiker ersten Ranges ist.
„Was in den Wochen nach dem 11. September in Deutschland gesagt und geschrieben wurde, waren Passionsspiele der kommentierenden Klasse”, eröffnet Broder den Reigen. Vorbei defilieren bei ihm die Hohepriester und Apostel der ewigen Wahrheiten. Broder teilt sie, wenn man so will, in fünf große Argumentationsfiguren ein. Kapitalismuskritiker wie etwa der Schriftsteller Thomas Hürlimann nehmen den Westen in Sippenhaft: „Die erste Welt, die kapitalistische Welt, hat die Dritte Welt in einer Weise ausgebeutet, dass man sich nicht so sehr wundern sollte, wenn da eines Tages die Leute sagen, wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr, wir haben auch nichts mehr zu verlieren, und anfangen zurückzuschlagen.” Als Aufstand der Armen und Gedemütigten müssten demnach die Ereignisse interpretiert werden.
Der Westen am Pranger
Imperialismuskritiker wie beispielsweise der Schriftsteller Günter Grass stellen den Westen ebenfalls an den Pranger der Schuld. Diese Sichtweise bringt Broder förmlich zur Weißglut. Grass stellt in seinen Augen eine Rangliste der Toten durch Gewalt und Krieg auf: „Ruanda war schlimmer, so bringt Grass die Toten vom World Trade Center in die richtige historische Perspektive,” schreibt Broder. Er zitiert Grass: „Allein schon die Zählweise, wenn es um Tote geht, ist decouvrierend. Ich fange hier in Europa an, Tusla, Srebrenica in Bosnien, in relativ kurzer Zeit von Serben und Kroaten ermordete 250000 grob geschätzte Moslems. Auf der anderen Seite in New York fünf-, sechstausend Tote.” Die Toten in Ruanda und Bosnien würden in den Medien vergessen, so Grass. „Diese Art von Zählweise gehört zum Fehlverhalten, auch zur Arroganz des Westens den Ländern der Dritten Welt gegenüber.”
Nummer drei im Broderschen Gruselkabinett ist der Antiamerikanist, vorgeführt in Person des Friedensforschers Johan Galtung. „Die Amerikaner meinen, sie stünden an der Spitze der Weltordnung, ganz in der Nähe von Gott. Sie sind ein Gott-betrunkenes Volk, ihre Elite macht dementsprechend Außenpolitik.” Zahlreiche Zitate im Buch widmen sich den Amerikanern als den eigentlichen Tätern, die jetzt nur heimgezahlt bekämen, was sie zuvor als Weltpolizist angerichtet hätten. Reinhard Mohr fragt sich daher in seinem sehr gelungenen Nachwort, warum eigentlich der Westen immerzu das Büßerhemd anziehen müsse und was er falsch gemacht habe. Dabei sollten man, so Mohr, eher nachfragen, warum die islamische Welt diese „gottlosen Nihilisten eigentlich hervorgebracht habe.”
Die vierte Gruppe bezeichnet Broder als altlinke Alarmisten, die den menschenverachtenden Ökonomismus auf die Anklagebank zerren. Intellektuelle wie der Grafiker Klaus Staeck oder der PEN-Präsident Johano Strasser, so Broder, „warnen vor einem Weg in die Barbarei durch eine völlige Ökonomisierung der Gesellschaft”. Die These im Zeitraffer: Am Westen soll die Welt genesen, das Modernisierungsprogramm der Neuen Ökonomie zerstört die kulturellen Schleifen rund um den Erdball. Dies kann auf Dauer nicht gut gehen. Terror ist ein Akt der Notwehr gegen die Globalisierung.
Besonders im Visier hat Broder schließlich die Friedensbewegten, denen er jeden Realitätsbezug abspricht. Der Verband deutscher Schriftsteller in Berlin und Brandenburg orakelte beispielsweise: „Dieser Krieg wird nicht auf Afghanistan beschränkt bleiben. Wir fürchten, dass dieser Krieg sich zu einem Flächenbrand entwickelt, zur Bildung eines islamisch-fundamentalistischen Weltlagers und damit in einen Weltkrieg führt.”
Auch jene Meinungsgruppe, die Osama bin Laden vor Gericht zitieren wollte, hat es Broder angetan. Tobias Künzel, Sänger bei der Band „Die Prinzen”, erklärte stellvertretend für viele: „Der Anschlag war ein Verbrechen. Und auf das sollte die zivilisierte Welt zivilisiert reagieren: Die Verantwortlichen ausfindig machen und vor Gericht stellen.” Die Idee: ein Polizeieinsatz vor Ort.
Fazit: Broder hat fleißig die Debattenlage zum 11. September gebündelt. Und er hat daraus einige hanebüchene Schlussfolgerungen gezogen. Aber nirgendwo wird seine eigene Analyse der Ereignisse sichtbar. „Kein Broder, nirgends” möchte man ihm als Anspielung auf den Titel zurückrufen. Aber Zitate statt Analyse sind zu wenig für ein Buch. Im Grunde genommen wirkt das vorliegende Werk wie die Stoffsammlung für einen Essay, den er eigentlich hätte schreiben sollen. Broder zeigt mit dem Finger auf die seiner Meinung nach völlig entlarvten Deutschen und denunziert manchen Urheber einer fragwürdigen Argumentation als Dorftrottel.
So ist dieses Buch dort, wo es analytisch in die Tiefe hätte hineinleuchten müssen, ein dunkler Fleck geblieben. Indes lohnt die Lektüre ob der entlarvenden Logik mancher Intellektueller in diesem Land. Dort herrscht „Krieg, überall”.
PETER FELIXBERGER
HENRYK M. BRODER: Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror. Berlin Verlag, Berlin 2002. 216 Seiten, 18 Euro.
Der Rezensent ist Publizist und Geschäftsführer des Online-Magazins changeX.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Richard Herzinger gibt Broder recht. Er preist die Schärfe - wenn auch nicht unbedingt die Präzision - mit der der Publizist die Äußerungen deutscher Intellektuelle nach dem 11. September vorführt und auseinander nimmt. Nach einer kurzen Phase des Schocks, so der Vorwurf, den Herzinger mit Broder teilt, sei sofort wieder die alte Denkroutine der "kommentierenden Klasse" eingerastet - zum Beispiel bei Peter Sloterdijk, Walter Jens und Günter Grass: Hauptsache Amerika ist selber schuld. Was Broder hier unter Zuhilfenahme zahlreicher Zitate leiste, sei die "Bloßstellung eines intellektuellen Mainstreams", der auch noch die Frechheit habe, den "eigenen Meinungskonformismus wie einen gewagten Tabubruch" aussehen zu lassen. Aber auch Broder wendet nach Herzinger eine alte Denkfigur an, die er in früheren Polemiken entwickelt habe: Nach dem Zweiten Weltkrieg, so beschreibt er sie, hätten die Deutschen alles getan, um aus Tätern Opfern zu machen und sich selbst möglichst in die Position des Opfers zu manövrieren. Ganz falsch findet Herzinger das nicht, aber er findet, dass Broder hier allzu pauschal argumentiert, nicht genug differenziert und so den "Chor der verabscheuten Stimmen immer nur das Gleiche sagen" hört.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Henryk Broders Buch kommentiert auf fulminante Weise die erschreckende Inkompetenz der kommentierenden Klasse in Deutschland, die flagrante Unfähigkeit, sich mit den neuen weltpolitischen Herausforderungen ernsthaft auseinanderzusetzen." (Reinhard Mohr)