Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 2,92 €
  • Gebundenes Buch

Als Bettina von Arnim Hölderlin einmal im Turm besuchte, soll dieser gesagt haben: "Die Gesetze des Geistes sind metrisch." Eva Corinos Gedichte setzen dem Lamento einer lustlosen Generation rhythmische Hymnen entgegen, denn "Geist gehe nur aus der Begeisterung hervor - nur allein dem füge sich der Rhythmus, in dem der Geist lebendig werde...", setzt Hölderlin fort. Eva Corino folgt dabei den Lebensstadien ihrer Generation und der Frage nach den wesentlichen Erfahrungen, die ein Mensch macht, um in einem emphatischen Sinn "erwachsen" zu sein. Initiationen nannte man das bei den Naturvölkern.…mehr

Produktbeschreibung
Als Bettina von Arnim Hölderlin einmal im Turm besuchte, soll dieser gesagt haben: "Die Gesetze des Geistes sind metrisch." Eva Corinos Gedichte setzen dem Lamento einer lustlosen Generation rhythmische Hymnen entgegen, denn "Geist gehe nur aus der Begeisterung hervor - nur allein dem füge sich der Rhythmus, in dem der Geist lebendig werde...", setzt Hölderlin fort. Eva Corino folgt dabei den Lebensstadien ihrer Generation und der Frage nach den wesentlichen Erfahrungen, die ein Mensch macht, um in einem emphatischen Sinn "erwachsen" zu sein. Initiationen nannte man das bei den Naturvölkern. Sie bezeichneten den Eintritt in entscheidende Lebensstadien, die Aufnahme der Jugendlichen in der Gesellschaft der Erwachsenen wurde dabei mit bestimmten Ritualen gefeiert: Mutproben, Beschneidung, Zahnverstümmelung oder das Anbringen von Schmucknarben markierten die Prüfungen, die man bestehen musste. Eva Corino sucht nach den rituellen Resten in unserer Kultur, nach Erfahrungen, die sich in de n Geist einschreiben und eine Generation prägen. "Keine Zeit für Tragödien" lässt die Entwicklung hin zu einem scharfen, der Ironie verwandten Ton erkennen, die Gedichte kommen im neuen Berlin an, in einer Spaßgeneration, die sich in Ironie erschöpft. Dagegen setzt Eva Corino den Pathos des unverstellten Blicks. Plötzlich ist da wieder eine Stimme, die ein Metrum für das geistige Überleben gefunden hat. Es meldet sich eine Generation, die sich nicht der sprachlosen Geschwätzigkeit fügt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2001

Lyrischer Durchlauferhitzer
Stillos flott: Eva Corino frühstückt bei Möwenpick

Ich ist die Hauptperson. Ich kommt in fast jedem Gedicht vor. Ich erzählt, reflektiert und räsoniert. Ich offeriert die Geschichte einer noch jungen Frau von der Kindheit ("da ich ein Kind war") bis zum Aufbruch in "Wege, die ich noch gehen muß". Dazwischen liegen poetisierte Erinnerungen an die Eltern, an die Lebens- und Bildungserfahrungen während des Studiums in Tübingen und Paris, an Liebesglück und Liebesleid, an Reisen nach Sizilien und Besuche in deutschen Städten, schließlich an Theater- und Event-Erlebnisse im Berlin der jüngsten Jahrtausendwende. Dort arbeitet Eva Corino zur Zeit als Theaterkritikerin der "Berliner Zeitung".

Die Gedichte vermitteln dem Leser die Bekanntschaft mit einer wohlerzogenen, gebildeten jungen Dame von heute. Sie ist nachdenklich, vielseitig interessiert, kritisch und selbstkritisch, sprachgewandt. Sie bewegt sich agil zwischen gesellschaftlichen Zwängen und subjektiven Selbstverwirklichungsträumen, zwischen populärwissenschaftlichen Einsichten und persönlichen Empfindungen, zwischen pointierter, gelegentlich polemischer Kritik und hinreichendem sozialen Mitgefühl. Man erfährt etwa (unter Angabe der entsprechenden Website), daß George W. Bush aus wahltaktischen Erwägungen schon mal "pro Tag zwei Todesurteile unterschreibt" und wie die Henkersmahlzeiten der Todeskandidaten aussehen; man wird in Moabits Milieu aus Selbstmördern, Kleinkriminellen, Drogensüchtigen und Arbeitslosen eingeführt; man bedauert gebührend die vielbeschäftigten Journalisten, deren "Gehirn ein Durchlauferhitzer für zwölf Themen pro Tag" ist; und man kann amüsiert nachlesen, wie kleine sonnenverbrannte Frechdachse die deutschen Urlauber im Ausland grinsend mit dem Hitlergruß empfangen - die Seufzer-Pointe "Deutschsein ist schwer" ist ja hoffentlich nur ironisch gemeint.

Das alles kann, ohne Frage, auch Platz haben im Gedicht. Aber täte es nicht eine Glosse, eine Sozialreportage, ein Feuilleton, ein politisches Statement in vielen Fällen auch? Die Klage beispielsweise über den Verlust der Briefkultur im Zeitalter der Herrschaft der Textverarbeitung ("kein Brief ist mit der Hand / geschrieben leider / fehlt das Gleichnis / einer Schrift / Duft und Anmut des Papiers") ist auf angenehme Weise konservativ und wohlbegründet, aber doch - wie vieles in diesem Band - allzu wohlfeil und korrekt. Nur hin und wieder erlaubt sich Eva Corino ein paar kleinere Frechheiten. So, wenn "der poetische Erguß ein Kondom / auf der Bettkante gelassen" genannt wird, oder wenn es, noch dazu halbwegs gereimt, heißt: "du gähnst ein Gott gelangweilt / nach einmaligem Fick / du gönnst es dir das große / Frühstück bei Möwenpick".

"Aber, aber!" möchte man mahnen, und zwar nicht nur wegen des immerhin originellen Reims oder wegen der mehr oder weniger freiwilligen Komik dieser Verse; mehr noch des Wörtchens "es" wegen. Es ist hier nicht nur unnötig; es ist zugleich auch ein häßliches Zugeständnis an eine Syntax für vermeintliche Analphabeten, das in der gegenwärtigen journalistischen Praxis mächtig ins Kraut schießt. ("Da haben wir sie: die Kurse von der Frankfurter Börse.") Als wäre es dem Leser oder Hörer heute nicht mehr zumutbar, den vollständigen Inhalt eines ganzen deutschen Satzes ohne zusätzliche Nachhilfe zu verstehen! Dieser flotten Stillosigkeit begegnet man in Eva Corinos Gedichten gleich mehrfach: "wie ich sie hasse / diese voreilige Gemütlichkeit", heißt es beispielsweise in einem Wohnküchen-Gedicht. Der Haß-Affekt gegen die Küchen-Gemütlichkeit selbst mag ja nachvollziehbar sein. Aber seine Formulierung widerspricht ihm und hebt ihn geradezu dadurch auf, daß sie ihn widerstandslos und voreilig konsumierbar macht.

Ich hat noch viel zu tun.

WULF SEGEBRECHT

Eva Corino: "Keine Zeit für Tragödien". Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2001. 144 S., geb., 24 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"ebl" findet Gefallen an dieser Gedichtsammlung der Berliner Theaterkritikerin, deren Gedichte die Kunst der Andeutung und ein "gepflegtes Parlando" üben. Corino, Jahrgang 1972, gehört einer Generation an, die an Erfahrungsmangel leide, so "ebl". Bei ihr heißt das: "Mangel an Mangel", wird die Autorin in der Kritik zitiert. Solcherlei Selbsterkenntnis macht sie "ebl" sympathisch, da sie aus einem Zahnarztbesuch keinen Weltschmerz fabriziere, sondern eben ein hübsches Gedicht: "'Lebm is Smerz / sag ich geschwollen / zur Dame in Weiss / und lache / mit schiefer Backe'", zitiert der Rezensent. Alle Gedichte zusammen rundeten sich zu einer lyrischen Biografie, die - bislang - von Uni, Liebe und Reisen geprägt gewesen sei. Mitunter schleiche sich ein sarkastischer Ton ein, der "ebl" die Romantikerin verrät.

© Perlentaucher Medien GmbH