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Produktdetails
  • Verlag: Philo / Philo&Philo Fine Arts
  • Seitenzahl: 200
  • Erscheinungstermin: September 2003
  • Deutsch
  • Abmessung: 207mm x 133mm x 23mm
  • Gewicht: 391g
  • ISBN-13: 9783825703400
  • ISBN-10: 3825703401
  • Artikelnr.: 24026059

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2004

Der große Bogen
Salomon Korn analysiert das deutsch-jüdische Verhältnis

Salomon Korn: Die fragile Grundlage. Auf der Suche nach der deutsch-jüdischen "Normalität". Philo Verlagsgesellschaft, Berlin/Wien 2003. 196 Seiten, 22,- [Euro].

In den neunzehn Beiträgen seines neuen Buches, die sich mit der Persönlichkeit von Ignatz Bubis, mit "Architektur und Judentum", mit der "Gegenwart der Vergangenheit", mit "Kultur und Judentum" und mit "Jüdischem Leben in Deutschland" auseinandersetzen, betrachtet der Architekt und Soziologe Salomon Korn die lange und windungsreiche Entwicklung des deutsch-jüdischen Verhältnisses während der zurückliegenden Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag. Sie führt, was die Perspektive ihres Verlaufs angeht, "vom Juden in Deutschland über den deutschen Juden hin zum jüdischen Deutschen". Damit verbunden ist die Hoffnung, auf einem ungemein problembeladenen Terrain unserer Existenz endlich in den Vorzug jener "Normalität" zu gelangen, die so unendlich schwierig ist. Denn sie vermag nun einmal nicht dekretiert zu werden, und sie wird zudem, angesichts der nicht endenden Vergangenheit unserer Geschichte verständlich, noch lange auf sich warten lassen.

"Ich weiß aus meiner Kenntnis der Geschichte und aus dem Anspruch an mich selbst", stellt der Autor nachdenklich fest, "daß, nach allem, was geschehen ist, es gar nicht möglich ist, innerhalb von zwei oder drei Generationen zur ,Normalität' zu gelangen. Dazu bedarf es wahrlich des größeren historischen Bogens. Und der überspannt mindestens 100 Jahre, wenn nicht mehr. Unter vier Generationen läßt sich ein solcher Zustand gar nicht erreichen. Das mag im Leben eines Menschen lange sein, in der Geschichte eines Volkes ist es kurz." Mit anderen Worten: Das 20. Jahrhundert haben wir zwar inzwischen verlassen, die Konsequenzen dieses Säkulums der Extreme und Exzesse aber haben wir mitgenommen.

Diese Tatsache hat im vorliegenden Zusammenhang mit der ausnahmehaften Wucht der "braunen Revolution" (David Schoenbaum) des Jahres 1933 zu tun, "in der sich der Rechtsstaat in einen Unrechts- und Verbrechensstaat verwandelte, in ein Instrument zur Zerstörung genau der rechtlichen und ethischen Normen und Fundamente, um deren Erhaltung und Verteidigung es dem Staat . . . eigentlich gehen sollte". In der nationalsozialistischen Judenvernichtung - "ein Begriff", so Salomon Korn, "den ich übrigens den Worten Shoah oder Holocaust vorziehe" - fand dieser verhängnisvolle Wandel seine singuläre Aufgipfelung, die bis heute, wenn das überhaupt jemals möglich sein sollte, der Erklärung harrt. Denn der Mord an den europäischen Juden repräsentiert mehr als einen "Zivilisationsbruch", der er ohne Zweifel war. Vielmehr sind seine Ursachen nicht zuletzt auch "im vermeintlich zivilisatorischen Fortschritt, in der Aufklärung selbst angelegt. . . Das Wachsen wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Zeit der Aufklärung und danach ging keineswegs immer mit der Zunahme gesellschaftlicher Humanisierung einher." Gewiß, Korn würdigt die Bemühungen und Erträge objektivierender Geschichtsschreibung, die zur Deutung des Jahrhundertverbrechens so viel beigetragen hat, und verweist doch zugleich auf die nach wie vor tiefe "Kluft zwischen offizieller und inoffizieller Erinnerungskultur", die ihm in Deutschland so groß zu sein scheint wie in keinem anderen westeuropäischen Land.

Die Aufgaben, die sich daraus ergeben, werden noch viel Mühe und Anstrengung erfordern - in einem Zeitalter zumal, "in dem Computer, Biotechnik und Nanotechnik in den Vordergrund treten, hat man leicht das Gefühl, die Vergangenheit spiele eine immer geringere Rolle und trete in den Hintergrund. Zukunft ist das Schlagwort - welch großer Irrtum!" Ohne Zweifel, prognostiziert der Verfasser, werden sich die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 "mit der Zeit historisieren". Und sein abgewogenes Urteil über die damit verbundenen Konsequenzen faßt er folgendermaßen zusammen: "Ich sehe diese Tendenz mit ihren Vorzügen und ihren Nachteilen. Die überlebenden Opfer und deren Nachkommen sehen dies mit Sorge. Andererseits liegt die Chance in der Historisierung darin, daß man mit der Enkelgeneration unvoreingenommener und mit weniger Berührungsängsten als mit der ersten und zweiten Generation sprechen und diskutieren kann. Ich sehe das als einen Vorteil im allgemeinen Nachteil der Historisierung."

Normalisieren, ohne zu vergessen, und erinnern, um zu versöhnen, lautet der in allen Beiträgen des Autors ein um das andere Mal, direkt oder indirekt, umschriebene Auftrag, der nicht zuletzt "die Entfremdung der Deutschen von sich selbst" als Folge einer "beispiellosen kulturellen und zivilisatorischen Selbstamputation" zumindest lindern könnte. Wenn die existierenden Differenzen im deutsch-jüdischen Verhältnis, argumentiert der Autor, aus welchen Gründen auch immer nicht mehr länger übergangen oder verdrängt, sondern erkannt und respektiert werden, gewinnen sie jene "Würde des Unterschieds", welche "die fragile Grundlage" der "deutsch-jüdischen ,Normalität'" festigen könnte. Sachlich und reflektiert in einem, unterzieht sich Korn, dem alles Schrille fremd ist, dieser zentralen, ja existentiellen Aufgabe; und es ist die aufrichtige Nüchternheit des Verfassers, die dazu beitragen kann, den erforderlichen Ausgleich des nach wie vor in so vielem Disparaten zu fördern.

KLAUS HILDEBRAND

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der mit "sab" zeichnende Rezensent ist voll des Lobes angesichts dieser Sammlung von Aufsätzen und Reden Solomon Korns, der die Entwicklung des deutsch-jüdischen Verhältnisses in all seiner Fragilität seit nunmehr 20 Jahren beobachtet und kritisch kommentiert. Bei seiner Beschäftigung mit den verschiedensten Aspekten dieses Verhältnisses in Literatur, Architektur, Soziologie zeichne er sich durch "aktuellen Bezug" und "glaubwürdige Rhetorik" aus und leiste somit tatsächlich einen bedeutsamen Beitrag zur Normalisierung dieses Verhältnisses.

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