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Die beiden Philologen, von denen dieses Buch handelt, waren Germanisten im umfassenden Sinn des Wortes. Den ideologischen Ansprüchen, denen ihr Fach in der Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt war, begegneten sie auf sehr verschiedene Weise: Gustav Neckel (1878-1940) erblickte in ihnen eine Chance für die Reputation seines Faches; dennoch 'disziplinierte' ihn das Reichserziehungsministerium durch Verweis und Zwangsversetzung. Hermann Schneider (1886-1961) hingegen fand zu keinem Zeitpunkt Gefallen an der nationalsozialistischen Hochschulpolitik. Ganz entziehen konnte er sich der…mehr

Produktbeschreibung
Die beiden Philologen, von denen dieses Buch handelt, waren Germanisten im umfassenden Sinn des Wortes. Den ideologischen Ansprüchen, denen ihr Fach in der Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt war, begegneten sie auf sehr verschiedene Weise: Gustav Neckel (1878-1940) erblickte in ihnen eine Chance für die Reputation seines Faches; dennoch 'disziplinierte' ihn das Reichserziehungsministerium durch Verweis und Zwangsversetzung. Hermann Schneider (1886-1961) hingegen fand zu keinem Zeitpunkt Gefallen an der nationalsozialistischen Hochschulpolitik. Ganz entziehen konnte er sich der Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten aber nicht, und ein offener Konflikt mit dem Regime blieb aus.Dieser scheinbar widersprüchliche Befund zeigt einmal mehr, daß das Verhalten der Hochschullehrer im 'Dritten Reich' mit einer schematischen Unterscheidung von Parteigängern und Oppositionellen nicht angemessen charakterisiert werden kann. Dagegen bietet sich in der Fallstudie die Möglichkeit, wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge in einem überschaubaren Ausschnitt en détail zu rekonstruieren. Dabei werden eben jene Nuancen sichtbar, die dem systematisierenden Blick auf die großen Linien notwendigerweise entgehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2005

Kein Anlass, sich zu äußern
Germanistik und Politik: Zwei Gelehrte im „Dritten Reich”
Das Erscheinen des dreibändigen „Internationalen Germanistenlexikons 1800-1950” im Dezember 2003 hat zu einer verstärkten Beschäftigung mit der „Vergangenheit” prominenter Wissenschaftler im „Dritten Reich” geführt. Zwei jüngere Fallstudien sind ebenfalls eine Reaktion auf dieses Nachschlagwerk und gelten höchst angesehenen Gelehrten, dem Tübinger Germanisten Hermann Schneider (1886-1961) und seinem Berliner Kollegen Gustav Neckel (1878-1940). Beide waren zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung längst als Ordinarien etabliert, was sie jedoch nicht davon entband, sich den ideologischen Ansprüchen der neuen Machthaber zu stellen, zumal die jetzt plötzlich ins Zentrum gerückten Disziplinen Altgermanistik und Nordistik zu ihren engeren Forschungs- und Lehrgebieten gehörten.
Während Schneider dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstand, erblickte Neckel in der Aufwertung seines Fachs eine Chance und zollte den ideologischen Forderungen der Zeit Tribut. Paradoxerweise wurde er jedoch vom Reichserziehungsministerium diszipliniert und für zwei Jahre von Berlin nach Göttingen zwangsversetzt (1935-37), wohingegen Schneider unbehelligt blieb und sogar als Gastprofessor nach Bukarest entsandt wurde (1943-44), wo er gleichzeitig stellvertretender Leiter des „Deutschen Wissenschaftlichen Instituts” wurde.
Diese Sachverhalte waren schon lange bekannt, strittig war allein ihre Bewertung. Sie fiel im Falle Schneiders gelegentlich moralisierend aus, da er als erster nach Kriegsende gewählter Rektor der Universität Tübingen maßgeblich an der Entnazifizierung seiner Kollegen beteiligt war. Die beiden Frankfurter Nordisten Klaus von See und Julia Zernack haben daher die akademischen Viten von Schneider und Neckel in der NS-Zeit minutiös anhand der überlieferten Akten, Publikationen und privaten Briefzeugnisse rekonstruiert, um den Grad an Ambivalenz auszuloten, der das Verhalten beider Gelehrter kennzeichnet.
Beide „Fälle” erweisen sich als exemplarisch. Neckel wurde, nicht ganz ohne eigenes Verschulden, das Opfer einer Intrige seines Assistenten Bernhard Kummer. Dieser schwärzte ihn, sei es aus Karrierismus, sei es aus ideologischer Verblendung, wegen angeblicher sexueller Verfehlungen und eines Plagiats seines Fachgenossen Gustaf Kossinna an; auch habe er bei einer Prüfung von dem „großen deutschen Dichter Heinrich Heine” gesprochen. Diese Anschuldigungen wogen damals schwer und wurden mit der angedeuteten Strafversetzung geahndet.
Schneiders Kritiker, die sich erst nach Kriegsende zu Wort meldeten, beriefen sich auf seine Teilnahme am „ Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften”, seine Tätigkeit in Bukarest, die Förderung des Habilitanden Joseph Otto Plassmann, der dem Ahnenerbe e.V. der SS angehörte, sowie seine über das Jahr 1945 hinaus andauernde Verehrung für den völkischen Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer. Das ist, gemessen an dem, was Fachgenossen sonst in diesen Jahren schrieben, verkündeten oder taten, recht wenig und reicht allenfalls, um eine partielle Anpassungsbereitschaft an das NS-Regime zu unterstellen.
Aber darum geht es eigentlich nicht. Wer, wie Schneider, in den letzten Kriegsjahren in einem vom Auswärtigen Amt, dem Reichserziehungs- und dem Propagandaministerium verwalteten Kulturinstitut wirkte, trug, ob er wollte oder nicht, zur Legitimation des NS-Regimes bei. Dieses bediente sich gerade bei Auslandseinsätzen gern loyaler Beamter, von denen es wusste, dass sie der NS-Ideologie reserviert gegenüberstanden, aber aus Patriotismus nichts gegen ihr Land unternehmen würden, um so den Anschein der Liberalität zu erwecken.
Neckel starb 1940 in einer privaten Nervenklinik überraschend an einer Lungenentzündung, Schneider konnte seine akademische Karriere nach 1945 fortsetzen. Vermutlich sah er wie die meisten Professoren seiner Generation keinen Anlass, sich über seine Zeit im „Dritten Reich” zu äußern. Das ist dann auch der einzige Vorwurf, dem man ihm diesbezüglich machen kann. Die vorliegende Studie bringt zwar keine wirklich neuen Tatsachen, präzisiert jedoch in sachlicher Diktion die Schwierigkeiten, denen sich nonkonformistische Universitätslehrer im „Dritten Reich” ausgesetzt sahen, wenn sie nicht emigrieren oder privatisieren, sondern in ihren öffentlichen Funktionen verharren wollten.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
KLAUS VON SEE / JULIA ZERNACK: Germanistik und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus. Zwei Fallstudien: Hermann Schneider und Gustav Neckel. Universitätsverlag Winter, Heidelberg, 2004, 211 S., 9 Abb. (Frankfurter Beiträge zur Germanistik, 42), 26,00 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Fälle der beiden Germanisten Hermann Schneider und Gustav Neckel sind der Öffentlichkeit eigentlich bekannt, zumindest seit Erscheinen des Internationalen Germanistenlexikons vor zwei Jahren, hält Frank-Rutger Hausmann fest. Insofern bringen die beiden Fallstudien der Frankfurter Nordisten Klaus von See und Julia Zernack nichts wirklich Neues zum Vorschein, beleuchteten aber auf sehr sachliche Weise die Schwierigkeiten nonkonformer Hochschullehrer, sich den politischen Verhältnissen der NS-Zeit anzupassen beziheungsweise zu entziehen. Akribisch hätten Zernack und von See die Vita, Briefe, Akten, Publikationen der beiden Germanisten rekonstruiert, lobt Hausmann, "um den Grad an Ambivalenz auszuloten", der ihr Verhalten prägte. Seltsamerweise wurde ausgerechnet der nazifreundliche Neckel strafversetzt, während der ideologisch reserviertere Schneider unbehelligt blieb. Das blieb er auch in der Nachkriegszeit, und das Einzige, so Hausmann, was man dem Tübinger Professor Schneider wirklich vorwerfen könnte, wäre, dass er sich über seine Teilhabe am Regime nicht geäußert hat. Ansonsten reichten die recherchierten Fakten nur aus, um ihm höchstens eine "partielle Anpassungsbereitschaft an das NS-Regime" nachzuweisen.

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