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»Ich bin das, was man gemeinhin einen Barbaren nennt.«_Jeder kennt sie, aber nicht jeder liest sie. Busch, Rilke, George, Weinheber, Benn, Rühmkorf, Enzensberger, Hartung, Gernhard, Grünberg. Sie gelten als die Blüte deutscher Dichtkunst, ihre Werke finden sich in allen neueren deutschen Gedichtsammlungen des 20. Jahrhunderts, und in Oberseminaren kaut man auf ihren geistigen Erzeugnissen herum wie auf zähem Leder. Aber: Wie gut sind sie wirklich? Was haben sie außer ihren zehn in jeder Anthologie vertretenen Glanzstücken noch geschrieben? Und: Halten diese auch dem Blick des praktischen…mehr

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Produktbeschreibung
»Ich bin das, was man gemeinhin einen Barbaren nennt.«_Jeder kennt sie, aber nicht jeder liest sie. Busch, Rilke, George, Weinheber, Benn, Rühmkorf, Enzensberger, Hartung, Gernhard, Grünberg. Sie gelten als die Blüte deutscher Dichtkunst, ihre Werke finden sich in allen neueren deutschen Gedichtsammlungen des 20. Jahrhunderts, und in Oberseminaren kaut man auf ihren geistigen Erzeugnissen herum wie auf zähem Leder. Aber: Wie gut sind sie wirklich? Was haben sie außer ihren zehn in jeder Anthologie vertretenen Glanzstücken noch geschrieben? Und: Halten diese auch dem Blick des praktischen Kenners stand?_Steffen Jacobs ist selbst zur Zunft der Gedichtmetze gehörig und weiß um die Schwierigkeiten des Metiers aus jahrzehntelanger Praxis. Er unterzieht je einen Lyriker pro vergangenem Jahrzehnt einem unbarmherzigen Test. Seine Untersuchungen entbehren weder der Hinterlist noch gelegentlicher Boshaftigkeit. Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich und oft ziemlich originell.
Autorenporträt
Steffen Jacobs, geboren 1968 in Düsseldorf, ist als Lyriker laut FAZ »eine der interssantesten Figuren in der neuen Schule der Versmacherei« (zuletzt: »Angebot freundlicher Übernahme, 2002«). Als Essayist (zuletzt: »Lyrische Visite oder das nächste Gedicht, bitte, 2002«)schreibt er laut Die Welt Texte »wie aus Lichtenbergs Feder«. Außerdem übersetzte er Romane u.a. von Neil Jordan und Philip Larkin aus dem Englischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2007

Noch 'n Gedicht
Hochtourig und ohne Bremse: Der Lyrik-TÜV von Steffen Jacobs

So ein Gedicht-TÜV ist an sich eine gute Sache. Was aber, wenn der TÜV-Beamte Stefan Georges Lyrik damit erklärt, der Dichter sei von seiner Mutter zu wenig auf den Mund geküsst worden? Durchgefallen!

"Die Beurteilung zeitgenössischer Lyrik begeht fast durchweg den Fehler, nur auf das jeweilige Land und auf die letzten zwanzig oder dreißig Jahre zu achten", schrieb Hugo Friedrich 1956 im Vorwort zu seinem Klassiker "Die Struktur der modernen Lyrik". Zumindest einen dieser zwei Fehler macht Steffen Jacobs, Lyriker und Herausgeber von Anthologien, in seinem soeben erschienenen "Lyrik-TÜV" nicht, wählt er doch aus dem vergangenen Jahrhundert pro Jahrzehnt einen Gedichtband eines deutschsprachigen Autors aus. Seine Analysen haben allerdings wenig mit denen Friedrichs gemeinsam, die man heute immer noch zu Rate ziehen kann.

Der "Lyrik-TÜV" entspringt eher einem Evaluationsdenken, wie es heute in fast allen gesellschaftlichen Bereichen, von der Hochschule bis zum Kindergarten, grassiert. Die ausgewählten Gedichte, so ist im Vorwort zu lesen, werden daraufhin untersucht, inwiefern sie dem "Zahn der Zeit" getrotzt haben, ob sie noch gelesen oder besser vergessen werden sollten. Gedichtbände seien von Zersetzung bedroht, die Bedeutung vieler großer Dichter rühre eher vom isolierten, wiederholten Abdruck einzelner Gedichte in Anthologien her, weniger von der Qualität der Gedichte. Dichterruhm, so erfährt man, hat sich meistens über Plakativität und größtmögliche Übereinstimmung mit dem Zeitgeschmack verfestigt.

Jacobs stellt die Gedichte nun zur Prüfung zurück in ihren Werkkontext. Welche weiteren Kriterien zur Anwendung kommen sollen, bleibt vorerst im Dunkeln. Stattdessen prüft der Sachverständige munter drauflos, nicht ohne vorher die Warnung auszusprechen, man werde auf diesem Parforceritt durch ein Jahrhundert "nicht nur großen Dichtern, auch großen Scharlatanen" begegnen. Mit Wilhelm Buschs "Zu guter Letzt" (1904) beginnend, endet der Band mit Durs Grünbeins "Falten und Fallen" (1994). Dazwischen stehen Kapitel zu "Der Stern des Bundes" (1914) von Stefan George, "Die Sonette an Orpheus" (1923) von Rainer Maria Rilke, "Adel und Untergang" (1934) von Josef Weinheber, zu Gottfried Benns "Statischen Gedichten" (1948), Peter Rühmkorfs "Irdisches Vergnügen in g" (1959), Hans Magnus Enzensbergers "blindenschrift" (1965), Harald Hartungs "Das gewöhnliche Licht" (1976) und Robert Gernhardts "Körper in Cafés" (1987).

Durch das von Jacobs angelegte Raster, das einen Band pro Jahrzehnt vorsieht, fallen allerdings Lyriker aus der Kartei heraus, die zu einer repräsentativen Einschätzung der Lyrik des zwanzigsten Jahrhunderts zwingend gehörten. Es fehlen Autoren wie Bertolt Brecht, Paul Celan, Ernst Jandl oder Rolf Dieter Brinkmann. Kein Kapitel ist überdies einer Lyrikerin gewidmet, als wäre von Else Lasker-Schüler, Mascha Kaléko, Unica Zürn, Friederike Mayröcker oder Ingeborg Bachmann kein einziges Gedicht mehr von Bedeutung. Das macht stutzig, besonders angesichts der von Jacobs erkorenen Dichter. Dass sich die Geprüften dann auch noch zu einem guten Teil als Scharlatane entpuppen sollen, steigert das Misstrauen.

Den Irrwitz offenbaren aber erst die Prüfkriterien. Biographische Details und psychoanalytische Platituden müssen herhalten, um den Zusammenhang zwischen frühkindlichen, selbstredend traumatischen Erfahrungen der Lyriker und dem Ton ihrer Gedichte herzustellen. Stefan Georges Mutter Eva mit ihrem "breiten, schmalen, fest zusammengepressten Mund", die den Sohn niemals geküsst habe, ist schuld daran, "dass George sein Leben lang größte Schwierigkeiten hatte, in einen gleichberechtigten Gefühlsaustausch mit anderen zu treten". Georges Poetologie und sein Kreis werden salopp zu einer Ausgeburt des Narzissmus erklärt, ohne Würdigung der Georgeschen Sprachkunst und ohne auf dessen Übertragungen von Shakespeare bis Baudelaire auch nur hinzuweisen. Jacobs' Spekulation, es habe an "Georges Schule der Unterwürfigkeit und Hörigkeit" gelegen, dass Stauffenbergs Attentat auf Hitler missglückte, trifft nicht nur den Dichter, sondern auch den Erschossenen.

Allerorten wittert der Prüfer vom Lyrik-TÜV neben Pathologien auch sprachliches Unvermögen. Beckmesserisch wirft er etwa Rilke die Verwendung des Reimes "verwettern - klettern" vor: "Weil sich's halt reimen muss, wird aus der verwitterten Fassade flugs eine ,verwetterte', und glauben Sie bitte nicht, ,verwettert' sei ein üblicher Ausdruck der damaligen Zeit. Eben habe ich auf meiner binären Schreibmaschine eine sogenannte Volltextsuche in einem Sammelwerk namens ,Die digitale Bibliothek der deutschen Lyrik' in Gang gesetzt, das immerhin 35 000 Gedichte aus fünf Jahrhunderten enthält. Zu dem Suchwort ,verwettert' fanden sich Fundstellen: keine. Ich wettere darauf, dass besagtes Wörtchen eine Spezialität Rilkes ist." Ein Griff zum Grimmschen Wörterbuch, das ja inzwischen ebenfalls online verfügbar ist, hätte hier schon weitergeholfen: Unter "verwettern" findet sich dort: "Seit dem 16. jh. als ableitung von wetter: dem wetter ausgesetzt sein."

Diese halbherzige Recherche verrät nicht nur eine gewisse Voreingenommenheit, sondern auch das Hausbackene dieses TÜVs, das schöpferische und stilisierende Bewegungen der poetischen Sprache nicht anerkennt und demzufolge - dies immerhin konsequent - einem Pfannkuchengedicht von Wilhelm Busch den Vorzug etwa vor den "Sonetten an Orpheus" gibt. Die Ergebnisse solcher Prüfungen sind vorhersehbar.

Hinter der Hemdsärmeligkeit, mit der Jacobs sein Geschmacksurteil zur Schau stellt, schimmern Ressentiments durch, die selbst seine Apologien in ein zweifelhaftes Licht rücken. Man hat manches über die Vorlieben dieses TÜV-Beauftragten erfahren, dazu etwas über die psychische Disponiertheit und sexuellen Vorlieben einiger bedeutender Dichter (was man gar nicht hat wissen wollen), aber kaum etwas darüber, was Gedichte zu gelungenen, ihre Zeit überdauernden Kunstwerken macht.

BEATE TRÖGER

Steffen Jacobs: "Der Lyrik-TÜV". Ein Jahrhundert deutscher Dichtung wird geprüft. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 349 S., geb., 28,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2007

Gerettete Hälse
Steffen Jacobs zitiert deutsche Dichter in seinem „Lyrik-TÜV”
Nachdem der 1968 geborene Steffen Jacobs eine Weile lang als „Lyrik-Doktor” der Zeitschrift Neue Rundschau gewirkt hat, hat die „Andere Bibliothek” ihm nun einen Platz als „Lyrik-TÜV” eingeräumt. Der Titel ist Programm: Im „Lyrik-TÜV” geht es durchaus bodenständig zu. Anders als der fürs Auto zuständige technische Überwacher allerdings legt Jacobs seine Bewertungskriterien nicht offen. Verstecken kann er sie allerdings auch nicht: Reim und festes Metrum sind für ihn Grundbestandteil eines guten Gedichts. Es soll sich „zwischen luftigem Scherz und dem Ernst der Vernunft” bewegen, schön und anschaulich sein, harmonisch, nicht pathetisch, überhaupt: lieber keine Experimente! Der Lyrik-TÜV schätzt es zudem, wenn der Dichter eine sympathische Persönlichkeit vorzuweisen hat und sich nicht allzu gut kleidet. Ach ja, und er sollte möglichst kein Nazi sein.
Von Bodenständigkeit zeugt schon die Auswahl der zehn Dichter, die Jacobs überprüft, um herauszufinden, welcher dem „Zahn der Zeit am nachhaltigsten getrotzt” habe: „Obwohl ja wenige Dinge nachhaltiger von der Zeit bedroht sind als gerade ein Zahn. Fragen Sie meinen Dentisten.” Jacobs lässt zwar keine Pointe, dafür aber einen Großteil der Dichtung des zwanzigsten Jahrhunderts aus. Frauen kommen gar nicht vor. Ihn interessieren lediglich Busch, Rilke, George, Weinheber, Benn, Enzensberger, Rühmkorf, Gernhardt, Hartung und Grünbein. Statt bodenständig könnte man diese Auswahl auch bieder nennen.
Als schulterklopfender Ratgeber dieser Dichter (sind doch auch nur Menschen) zieht Jacobs, selbst Autor einiger Gedichtbände, durch ihre Werke und Leben. Ihm unterläuft dabei manch sachlicher, auch manch grammatikalischer Fehler. Stimmige Bilder fordert er bloß von anderen. Flapsig spricht er von Nelly Sachs und den „rauchenden Gaskammern ihrer Gedichte”, denen er Peter Rühmkorfs Bereitschaft zu „zynischer Sensibilität” vorzieht: „Mit unseren geretteten Hälsen, / immer noch nicht gelyncht, / ziehn wir von Babel nach Belsen, / krank und karbolgetüncht.”
Beinahe unerträglich wird Jacobs‘ anfangs bloß nassforscher, schließlich krass überheblicher Gestus, wenn er von seinem Besuch bei dem Germanisten Ernst Osterkamp berichtet. Er scheint den Besuch vor allem gemacht zu haben, um sich über Osterkamps adrettes Äußeres mokieren zu können. Denn Jacobs beurteilt lieber die Autoren als ihre Werke. Seitenweise reitet er auf der „Aufmerksamkeitssucht” Robert Gernhardts herum. Wobei er lobt, dass dieser Dichter „bewährte Mittel treffsicher” einsetze. Schon im nächsten Kapitel allerdings kritisiert er eben diese Virtuosität bei Durs Grünbein, „bei dem sich Lyrikfreunde alter Schule scheinbar bedenkenlos unterhaken können. Das unsichere Neue wird hier mit Reminiszenzen an das gesicherte Alte umkreist.” Selbst, wenn es so sein sollte: genau das war es, was Jacobs zuvor 300 Seiten lang gelobt hat.
Ja, sie laufen noch die Oldtimer, sie laufen und laufen, und glaubt man dem „Prüfer”, dann laufen die Gedichte von Harald Hartung und Hans Magnus Enzensbergers sogar noch etwas besser und runder als diejenigen von Stefan George und Rainer Maria Rilke. Als Grünbeins Gedichte sowieso. Doch charakterisiert Jacobs seinen eigenen Stil, wenn er Grünbeins Gedichte kritisiert: „Bildungshuberei, sprachliche Überorchestrierung, intellektualistische Dünnbrettbohrerei”. Warum er die zehn Lyriker überhaupt „auf den Prüfstand” stellt? Am Kanon eines schwachbrüstigen Bildungsbürgertums rüttelt Jacobs bestimmt nicht. Doch versteht man nach der Lektüre, warum Dichter so häufig einen Hass auf Kritiker haben. TOBIAS LEHMKUHL
STEFFEN JACOBS: Der Lyrik-TÜV. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 356 Seiten, 28,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zunächst kam Rezensent Martin Krumbholz die Idee, deutsche Poesie des 20. Jahrhunderts anhand harter Kriterien einem "TÜV" zu unterziehen, etwas "technoid" vor. Doch Steffen Jacobs "Test" ausgewählter Werke deutscher Dichter, darunter Benn, Enzensberger, Rühmkorf und Rilke, hat den Rezensenten voll und ganz überzeugt. Zum einen findet er den "beherzt-pragmatischen" Zugriff des Autors insofern konsequent, als dieser seine Qualitätskriterien offenlegt: Es geht ihm um eine Bewertung des in der Lyrik enthaltenen "Lebensstoffes" im Gegensatz zur rein kunstvollen Oberfläche. Die Plakette verweigert Steffen Jacobs am Ende aber keinem der Dichter, und bis auf eine kleine Spitze gegen Durs Grünbein hat er vor allem Gutes über die Autoren zu sagen. Dem Rezensenten haben besonders die treffenden und ironischen Kommentare des Autors gut unterhalten. Steffen Jacobs gehe "mit pädagogischem Eros zu Werke, in der Art eines geschickten Lehrers, der eine nur halbwegs willige Klasse mit erheblichem dramaturgischen Raffinement bei Laune hält", lobt er anerkennend.

© Perlentaucher Medien GmbH