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Lavaters gesellschaftliche Kontakte und seine enorme Kommunikationsfreude kamen ihm sowohl in seinem Sammler- als auch Forscherstreben sehr entgegen. Sein Haus in Zürich hat im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts so viele tausend Gäste, Freunde und Fremde, Gelehrte und Honoratioren, Künstler und Prominente aus ganz Europa beherbergt unter ihnen Goethe, Hölderlin und Fichte, Zar Paul I und Erzherzöge des Hauses Habsburg , daß die erhaltenen und nach wie vor in Familienbesitz befindlichen sechs originalen Fremdenbücher Lavaters eine unschätzbare kulturhistorische Quelle ersten Ranges…mehr

Produktbeschreibung
Lavaters gesellschaftliche Kontakte und seine enorme Kommunikationsfreude kamen ihm sowohl in seinem Sammler- als auch Forscherstreben sehr entgegen.
Sein Haus in Zürich hat im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts so viele tausend Gäste, Freunde und Fremde, Gelehrte und Honoratioren, Künstler und Prominente aus ganz Europa beherbergt unter ihnen Goethe, Hölderlin und Fichte, Zar Paul I und Erzherzöge des Hauses Habsburg , daß die erhaltenen und nach wie vor in Familienbesitz befindlichen sechs originalen Fremdenbücher Lavaters eine unschätzbare kulturhistorische Quelle ersten Ranges darstellen. Erstmals werden sie hier vollständig als Faksimile vorgelegt, verbunden mit einem Band "Fremdenkärtchen" und einer Neuauflage des lange vergriffenen Kommentarbandes zu Lavaters Fremdenbüchern aus der Feder von Professor Dr. Rudolf Pestalozzi in Zürich. / Vielen, aber nicht allen seinen Gästen hatte Lavater mit der Bitte um Eintragung eines Grußes, Gedichts, Zitats, Mottos oder Sinnspruchs seine Gästebücher vorgelegt. Für die Jahre 1784 bis 1800 sind auf insgesamt ca. 900 Seiten in sechs Bänden mehrere tausend Einträge zusammengekommen.
Autorenporträt
Johann C. Lavater, 15.11.1741 Zürich - 2.1.1801 ebd. Der Sohn eines Arztes studierte 1756-62 Theologie am Züricher Collegium Carolinum, unternahm 1763-64 eine einjährige Bildungsreise durch Deutschland und beschäftigte sich nach seiner Rückkehr mit kleineren literarischen Arbeiten, bis er 1769 zum Diakon an der Waisenhauskirche gewählt wurde. Nur von einigen Reisen (Rheinreise 1774, Göttingen und Bremen 1786, Kopenhagen 1793) und der Deportation durch frz. Behörden nach Basel (1799) abgesehen, blieb Zürich Mittelpunkt seines Lebens (1775 Pfarrherr, 1778 Diakon und 1786 Pfarrer an der Hauptkirche St. Peter). Anfänglich begrüßte er die Französische Revolution, kritisierte aber die weitere Entwicklung. Er wandte sich gegen die 1797 einsetzende Invasion durch frz. Truppen und gegen die der Schweiz aufgezwungene Verfassung von 1798. Bei der Eroberung Zürichs 1799 erhielt er eine Schussverletzung, an der er nach 15 qualvollen Monaten starb. L. hinterließ ein weitgespanntes theologisches

, erbauliches, politisch-publizistisches und literarisches Werk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2001

Engel der Komplexitätsreduktion
Bei Gefahr des Gesichtsverlusts: Einträge in Lavaters Gästebücher

Ulrich Bräker schrieb 1780 eine gedankenvolle Abhandlung über den "Großen Lavater". Die Ehrfurcht, die aus der Titelwahl spricht, war offenkundig tief empfunden. Gerade vierzig Jahre alt, zählte der Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater zu den Berühmtheiten seiner Zeit. Beliebt, bewundert, gefeiert waren seine "Physiognomischen Fragmente", ein vierbändiger Katalog, der die Leser in der Fertigkeit unterwies, durch die äußere Erscheinung eines Menschen auf dessen Inneres zu schließen. Die Physiognomik verstand sich als Zeichenkunde. Wer sie beherrschte, sollte wahrnehmen und deuten können, "was nicht unmittelbar in die Sinne fällt".

Was Lavater anbot, war ein Regelwerk zur Systematisierung der Menschenkenntnis. Um den enormen Zuspruch zu würdigen, der ihm zuteil wurde, muß man den Feinsinn beachten, mit dem er die Bedürfnisse seiner Zeitgenossen herausspürte, und das Geschick, das dieses Public-Relations-Talent bei der Verbreitung seiner Ideen walten ließ. Bereitwillig trat Lavater als Mann des Fortschritts auf, der sich von der natürlichen Gleichheit, von der Bildbarkeit und Perfektibilität des Menschen überzeugt zeigte. Andererseits griff er auf, was dem forcierten Intellektualismus der Aufklärer entgangen war. So stand er bald als Retter der Empfindsamkeit da, als Bewahrer von Poesie, Herzenswärme und Religiosität. Lavater wurde zum Sprecher und, wie ein Verehrer ihn nannte, zum "Idol" einer Generation, die sich vom Modernisierungsschub des Projekts Aufklärung überfordert fühlte.

Selten ist, was man "Reduktion von Komplexität" genannt hat, so vollendet umgesetzt worden wie in Lavaters universalpragmatischer Gesichtslesekunst. Wer den Ideenkosmos des späten achtzehnten Jahrhunderts ermessen will, dem bieten Lavaters Schriften ein prall gefülltes mentalitätsgeschichtliches Archiv. Interessant sind aber nicht nur Inhalt und Einsatz seiner Lehre, interessant ist auch die Art, wie er sie unter die Leute brachte und europaweit zirkulieren ließ.

Ein eindrucksvolles Dokument des "unsichtbaren Bundes", der ihn umgab, sind die von Lavater - mit kurzzeitigen Unterbrechungen - von 1784 an bis kurz vor seinem Tod am 2. Januar 1801 geführten Fremdenbücher. Ihre erstmalige Veröffentlichung in liebevoll gestalteten Faksimile-Bänden läßt erkennen, wie weit sein Wirkungskreis gespannt war. Kaum ein namhafter Zeitgenosse, der sich hier nicht hätte eintragen wollen und den Lavater nicht seinerseits durch eine knappe, meist in Hexametern gehaltene Kurzcharakteristik erfaßt hätte. "Wehe dem, der nicht besser ist, da er dich verläßt!" deklamiert ein Fan im Überschwang des Augenblicks. Lavater, tief gerührt von so viel Anbetungsfreude, gibt dankbar den Patriarchen: "Sie umengelten mich."

Lavater war ein begabter Wortschöpfer, er war sentimental und scheint davon überzeugt gewesen zu sein, im Namen eines höheren Auftrags zu handeln. Folgerichtig konnte er auch ungnädig sein, und nie wird man erfahren, wie jene die Stunde erlebten, da er den Stab über sie brach: "schwächlich und bängelnd", "unkennbar", "reizlos". Solche Urteilsfreude und eine ausgeprägte Neigung zur Schwarzweißmalerei machten ihn den schärfsten seiner Gegner ähnlich, denen - wie den Berliner Aufklärern Gedike und Biester - nichts Besseres einfiel, als Gerüchte über seine angebliche Konversion zu streuen. Für die empirischen, zuweilen ethnologisch anmutenden Züge von Lavaters Menschenkunde fehlte ihnen ebenso der Sinn wie denjenigen, die mit klopfendem Herzen nach Zürich wallfahrten und sich im Pfarrhaus von St. Peter die Klinke in die Hand gaben.

Er wolle ihn küssen, jubelt der unvergleichliche Bräker in seiner Lavater-Eloge, mit ihm leben und sterben. "Oft möcht ich bey deinen Füßen sitzen, wie Maria bey Jesu Füßen, und Lehren von deinen Lippen hören. Aber dann komme ich auch auf Stellen, wo ich murmle, zwüschen den Zähnen murmle: Lavater, du bist ein Joggle, meinertreu ein Joggle."

RALF KONERSMANN

Johann Caspar Lavater: "Fremdenbücher". 8 Bände: 6 Fremdenbücher, 1 Band Besucherkärtchen, 1 Kommentarband von Rudolf Pestalozzi. Faksimile-Ausgabe, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2000. 1200 S., geb., 348,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lavater war aufgrund seiner "Physiognomischen Fragmente" und der Lehre von der Gesichtslesekunst ein Guru seiner Zeit und, wie Ralf Konersmann bemerkt, zugleich ein Public-Relation-Talent, das sich ständig mit Bewunderern umgab. Kein Berühmter seiner Zeit, der nicht bei ihm eingekehrt wäre, behauptet der Rezensent, und durch eine der typischen Kurzcharakteristiken Lavaters erfasst worden sei. Dabei konnte Lavater, wie Konersmann anhand der Fremdenbücher und Besucherkärtchen feststellt, durchaus harsch über seine Besucher urteilen. Und wurde ihm ordentlich geschmeichelt, dann schrieb er: "Sie umengelten mich". Die Fremdenbücher liegen erstmals veröffentlicht vor, so Konersmann, das Faksimile sei liebevoll gemacht und eine anregende Lektüre. Eine gewisse Bissigkeit und Neigung zur Schwarzmalerei hätten Lavater durchaus den "Schärfsten seiner Gegner" ähnlich sehen lassen.

© Perlentaucher Medien GmbH