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Zu Besuch bei der gegenwärtigen französischen Literatur: junge Stimmen, neue Texte. Eine repräsentative Anthologie deutscher Erstübersetzungen.Eine Frau engagiert eine Mörderin für den letzten Liebesdienst an ihrem Mann, eine Studentin bemüht sich um die Aufenthaltsgenehmigung in einem liberalen Land, ein Mann wird von seiner Geliebten verlassen und findet eine tote Giraffe im Garten, ein Sohn gesteht den Eltern seine geheime Leidenschaft.Lebensan- und -einsichten junger französischer Autoren in einer Vielzahl von Themen und Tonlagen, die ein Panorama gegenwärtigen Schreibens in Frankreich…mehr

Produktbeschreibung
Zu Besuch bei der gegenwärtigen französischen Literatur: junge Stimmen, neue Texte. Eine repräsentative Anthologie deutscher Erstübersetzungen.Eine Frau engagiert eine Mörderin für den letzten Liebesdienst an ihrem Mann, eine Studentin bemüht sich um die Aufenthaltsgenehmigung in einem liberalen Land, ein Mann wird von seiner Geliebten verlassen und findet eine tote Giraffe im Garten, ein Sohn gesteht den Eltern seine geheime Leidenschaft.Lebensan- und -einsichten junger französischer Autoren in einer Vielzahl von Themen und Tonlagen, die ein Panorama gegenwärtigen Schreibens in Frankreich ergeben: witzig und düster, existentialistisch und surreal, selbstverliebt und formorientiert, zärtlich und abstrakt.Mit Texten von Eliette Abécassis, Olivier Adam, Philippe Adam, Y.B., Arno Bertina, aZel luKa, Philippe Besson, Bessora, Arnaud Cathrine, Virginie Despentes, Anna Gavalda, Thomas Gunzig, Lola Lafon, Sébastien Lapaque, Claire Legendre, Valérie Mréjen, Martin Page, Tanguy Viel.
Autorenporträt
Annette Wassermann, geboren 1972, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Neuere Geschichte und Französische Philologie. Seit 2000 arbeitet sie im Verlag Klaus Wagenbach.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.08.2005

Die Tücken des Fleischhandels
„Tour de France”: Annette Wassermanns Anthologie zur jungen französischen Literatur
Hat die französische Gegenwartsliteratur das Ich-Sagen schon wieder verlernt? Das große, runde, subjektivitätsgesättigte Ding der „Ego-Fiction”, um das sich bei den heute Vierzigjährigen so oft alles drehte, kommt bei den Jüngeren kaum mehr vor. Zumindest im Panorama, das sich aus den achtzehn in dem Band „Tour de France” versammelten Autoren ergibt. Der Älteste ist achtunddreißig, die Jüngste sechsundzwanzig. Und fast alle erzählen oder plaudern sie wieder munter, anscheinend problemlos, im Zeitfluss des Ereignishergangs.
Ein Schuss Surrealität hart am Absurden, ein Funke unprätentiöser, möglichst alltäglich wirkender Stilverliebtheit und ein reichliches Maß an unterkühltem Existentialismus sind die dominierenden Züge dieser Auswahl. Das Formexperiment ist verschwunden, Politik und sonstige Allerweltsthemen werden beiläufig in Nebensätze verstaut, Befindlichkeitsrückstände wie Liebe, Entfremdung, Einsamkeit ins Säurebad des Sarkasmus getaucht, oft nach dem syntaxverkürzenden Rezept des Thrillers, der französischen „série noire”.
Ein Land, das sich gerade anschickt, zum Herbstauftakt der „rentrée littéraire” wieder vierhundert Romantitel und mehrere Dutzend Neulingsautoren auf den Weg in eine unwahrscheinliche Zukunft zu schicken, ist in seinen nervösen Trendwirbeln besonders schwer zu überschauen. Innovative Gruppenbildung hat es seit Tel Quel nicht mehr gegeben, mit dem Bestsellerphänomen Michel Houellebecq und seinem für Ende August angekündigten neuen Roman ist auch für Frankreich das Zeitalter der Weltvermarktungsstrategien angebrochen. Die Exportkonjunktur der Epigonen Houellebecqs stockt jedoch schon wieder. Das Gros der französischen Gegenwartsliteratur ist eine Sache für Insider und Liebhaber. Der vorliegende Band hat dafür ein paar Spuren gelegt.
Die smarten und harten Libertinagen Anna Gavaldas und Virginie Despentes’ sind deutschen Lesern schon bekannt. Diesmal stehen minderjährige Mädchen im Mittelpunkt. Kurioser ist indessen, was sich bei Martin Page im Imbisslokal zwischen Snacktisch, Musikbox und Damentoilette abspielt. Der Mann im schwarzen Anzug, der gerade die halb gerauchte Zigarette im Eigelb zerdrückt, und die unter Porzellanglöckchenbimmeln ins Lokal tretende junge Frau haben etwas vor, das nicht ganz einfach ist, aber mit einem sauberen Schuss aus der 45er-Pistole enden wird, als Schlusspunkt eines in Scheitern und Apotheose aufgehenden Eheschicksals.
Problemzonengymnastik
So souverän, so stilbewusst, so diskret wie im Mattglanz dieser „série noire” werden die Liebschaftsprobleme in den anderen Texten nicht erledigt. Beim Belgier Thomas Gunzig muss die tote Giraffe, die eines Morgens bei Bob im Garten liegt, umständlich mit der Handkreissäge zerlegt und in einem Matsch aus Blut, Schlamm und Schweiß in Müllsäcken entsorgt werden, was die zaghaft gerade in die Wohnung zurückkehrende Cathy erst recht in die Flucht treibt. Maastricht und die europäischen Rahmenvereinbarungen über den Fleischhandel von exotischen Tieren können ganze Lebensbeziehungen aus der Bahn werfen.
In anderen Beispielen kommt das Scheitern privater. Bei Claire Legendre endet die in ihrer Bedingungslosigkeit monströs gewordene Leidenschaft einer jungen Frau - „ihr Mangel an Verstellungskunst wirkte auf die Menschen in ihrer Umgebung obszön” - etwas banal mit einem Stoß ins Wasser. Erstaunlich ist, wie viele dieser Geschichten auf schräge, realistische, sarkastische, manchmal pathetische Weise sich um Liebes- und Lebensbeziehungen drehen. „Tschetschenien ist furchtbar”, „Nein, ich bin Atheistin … aber jüdisch”, „Ich faste” - fährt es allenfalls bei Lola Lafon („Problemzonengymnastik zur Fastenzeit”) durchs Kartoffelgratinessen, bei dem die Hauptsorge aber auch wieder darin besteht, das Kleid nicht aufs Neue mit Essig zu bekleckern. Der unter Kürzel schreibende Algerier Y. B. knüpft dagegen mit „Allah Superstar” an jene konvulsive innere Monologform an, deren Mitteilungszwang im Rap ihr musikalisches Vorbild hat. Die Vorstadtjugend will Big Brother spielen mit Gott und stolpert dabei über die Religion.
Fast all diesen Texten ist eines gemeinsam: der Verzicht auf die Mittel des metaphorisch, symbolisch, parabolisch Bedeutsamen. Wort und Welt, Bild und Sache, Ausdruck und Empfindungsrealität kleben aneinander wie die Flügel eines Schmetterlings, der nicht fliegen will. Narrativ ist da alles gehupft wie gesprungen. Dieses Gestaltungsprinzip ist nicht neu, die Dreißigjährigen haben es von den Fünfzigjährigen übernommen. Ein Mann, der an einem nebligen Wintermorgen in der Gare Montparnasse aus dem Zug steigt und nach dreißig Jahren Armeedienst im ehemaligen Kolonial-Afrika auf einer Seinebrücke wortlos eine alte Rechnung begleicht, die das Leben schon längst vergessen hat, wirkt dagegen beinah antiquiert. Dabei ist auch der Autor dieses Texts, Sébastien Lapaque, erst vierunddreißig. „Arianes Profil”, so der Titel, bezieht sich auf die stilisierte Linie eines Frauenprofils, die der Mann seit dreißig Jahren immer neu auf Papierfetzen zeichnet. Solche Profillinien epochenübergreifender Bedeutsamkeit kommen bei diesen jungen Autoren sonst kaum mehr vor. Lapaque, Literaturkritiker beim „Figaro” und unlängst auch Autor einer Bernanos-Biographie, ist eine Gegenstimme im Kreis der hier präsentierten Erzählgeneration, deren liebste Zeitform ein vergegenwärtigtes Imperfekt ist.
JOSEPH HANIMANN
ANNETTE WASSERMANN (Hrsg.): Tour de France. Junge französische Literatur. Wagenbach Verlag, Berlin 2005. 189 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem Rezensenten Joseph Hanimann fällt es nicht schwer, einen Trend aus den 18 Prosatexten der jungen französischen Autorengeneration zwischen 26 und 38 herauszulesen. Ein ganzes Genre der Ich- Bespiegelungsprosa sei wie ausgestorben und einem "unterkühltem Existentialismus" gewichen. Zwar handelten viele der Geschichten anthropologisch konstant von Liebesdingen und anderen "Befindlichkeitsrückständen", dies aber in einer distanzierten und zumeist "sarkastischen" Schreibweise. Und aus der Schreibweise wiederum sei nicht nur das "Formexperiment verschwunden", stellt der Rezensent ernüchtert fest, auch künstlerische Mittel wie Metapher und Symbol. Auch formal wirke die Prosa der jungen Autoren so unterkühlt wie in den französischen Thrillern der "serie noire". Als Ausnahmen von dieser Tendenz macht Hanimann den im Rapstil geschriebenen Text "Allah Superstar" eines jungen Algeriers aus und die Geschichte eines heimkehrenden Kolonial-Soldaten von Sebastien Lapaque. Die dort mitschwingende gesellschaftliche und politische Dimension gehöre gleichfalls zu den beinahe ausgestorbenen Phänomenen in der jungen französischen Literatur dieser Anthologie. Allenfalls im Nebensatz, so Hanimann, werde solcherlei "beiläufig verstaut".

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