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Warum sich die Linke nicht an der Zerstörung des Individuums durch die moderne Gesellschaft beteiligen darf. Warum wir nicht zulassen dürfen, dass die Demokratie von der verbreiteten Entpolitisierung und Verantwortungslosigkeit ausgehöhlt wird und sich der Einzelne auf Surrogate wie Multikulturalismus political correctness

Produktbeschreibung
Warum sich die Linke nicht an der Zerstörung des Individuums durch die moderne
Gesellschaft beteiligen darf.
Warum wir nicht zulassen dürfen, dass die Demokratie von der verbreiteten Entpolitisierung und Verantwortungslosigkeit ausgehöhlt wird und sich der Einzelne auf Surrogate wie Multikulturalismus political correctness
Autorenporträt
Paolo Flores D'Arcais, geboren 1944 in Cervignano del Friuli, ist Herausgeber der einflußreichsten politischen Zeitschrift Italiens "MicroMega", Autor und Philosoph. Er lebt in Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.1997

Energisches Sollen
Flores d'Arcais liest der Linken die Leviten

Paolo Flores d'Arcais: Die Linke und das Individuum. Ein politisches Pamphlet. Aus dem Italienischen von Roland H. Wiegenstein. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1997. 109 Seiten, 15,80 Mark.

Scipio Africanus weinte, als er nach dem Sieg über Karthago auf den Ruinen der zerstörten Stadt stand. Rom hatte seinen Feind verloren, und Scipio wußte, daß es durch diesen Feind in Form gehalten wurde; er befürchtete die Erschlaffung der inneren Kräfte seines Staates. So fürchtet ein Römer von heute für die Form der Demokratie, nachdem ihr Gegner, das Sowjetimperium, weggefallen ist. Paolo Flores d'Arcais, der in Italien die hochangesehene Zeitschrift "MicroMega" herausgibt, erinnert mit flammenden Worten daran, daß die Demokratie mehr ist als ein formales Arrangement: Sie lebt von der leidenschaftlichen Überzeugung ihrer Bürger.

Er schildert, wie ein von kurzfristigen Wirtschaftsinteressen dominiertes System steuerlos ins nächste Jahrtausend taumelt. Politik findet nicht mehr statt. Die Parteien sind nur auf den Erhalt ihrer selbst, ihre Funktionäre nur auf ihr persönliches Fortkommen aus. Alle Strukturen sind mehr oder weniger korrupt. Demgegenüber mahnt Flores d'Arcais die alte Tugend an, die bei den Römern virtus hieß. Nicht daß er das Wort verwendete, nicht daß er sich ausdrücklich in die antike Tradition einordnete. Aber der Sache nach handelt es sich bei seinem Büchlein um eine demokratische Predigt im antiken Stil.

Das ist nichts Besonderes. Es gibt heute viel Literatur mit diesem Tenor. Flores d'Arcais aber ist ein alter Linker, der sich seine früheren Mitstreiter zur Brust nimmt und ihnen eine neue Zielsetzung gibt. Darin liegt die Bedeutung seines kleinen Buches: Es verhüllt nicht die Tatsache, daß das Bekenntnis zur Demokratie den meisten Linken eine Wende um hundertachtzig Grad abfordert. Flores d'Arcais macht klar, daß die Linke heute eine Aufgabe hat, von der sie sich gestern noch nichts träumen ließ: Sie sei die berufene Hüterin des Rechtsstaats. Groteskerweise würden die Werte der Demokratie noch immer von den Reaktionären, die sie täglich verrieten, beschworen und vor allem von denjenigen hochgehalten, die sie sich persönlich zunutze machten.

Zwar wird auch in der Frankfurter Tradition heute eine patriotische Haltung zur Verfassung gefordert; man blickt dort aber nicht zurück und legt über seine früheren Irrwege keine ehrliche Rechenschaft ab. Nur im Bewußtsein einer Kehrtwende jedoch kann die neue Haltung solide werden; nur als gründliche Revision kann sie eine verläßliche philosophische Grundlage bekommen.

Flores d'Arcais wagt den kritischen Rückblick und kommt zu der Feststellung, daß die Linke die Demokratie nicht bewachen kann, solange sie sich nicht bewußt von ihrer Skepsis gegenüber dem Individualismus, der Legalität und dem Markt verabschiedet. "Links muß heißen: Individuum" heißt eine Überschrift, unter der der sozialistische Kollektivismus verabschiedet wird; "Links sein meint Legalität" eine weitere, unter der die Auffassung revidiert wird, das Auge des Gesetzes sitze im Gesicht der herrschenden Klasse. Flores d'Arcais sagt: Die Legalität ist die Macht der Machtlosen und ihre Wahrung deshalb die Aufgabe der Linken.

Er mahnt auch ein neues, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft an: "Es mag beunruhigend sein, aber die Linke müßte sich heutzutage als Garant der Regel im Kapitalismus verstehen. Oder, genauer: eines von Regeln bestimmten Kapitalismus, bereit, die Vorteile des Konkurrenz-Mechanismus zu begreifen und das Ausufern der Monopole, des Piraten-Kapitalismus, der freundlichen Kumpanei mit politischen Geschäftemachern zu verhindern."

Die praktischen Konsequenzen dieser Haltung bleiben vage. Der Autor geht nicht energisch genug an eine weitere fällige Revision linken Denkens heran: die notwendige Stärkung der Staatsgewalt. Für diese Auseinandersetzung wäre es gut, wenn die vergriffenen Schriften von Alexander Rüstow wieder aufgelegt würden. Denn es gab die jetzige Konstellation schon einmal: Ein von seiner kollektivistischen Schwärmerei kurierter Linker wandte sich in der Weimarer Republik der Marktwirtschaft zu und entwickelte sich zu ihrem Hüter. Zusammen mit Eucken und Röpke bekämpfte Rüstow die konkurrenzverhindernden Monopolbildungen und forderte einen über die Wirtschaft souveränen Staat.

So weit denkt Flores d'Arcais nicht. Zwar streift er kritisch die "Privatisierung des Staates"; er wendet sich diesem Problem aber nicht angemessen zu. Denn darin bleibt er seiner Vergangenheit verhaftet: in der Zurückdrängung der Staatssouveränität durch die Betonung der Bürgerautonomie, der Teilhabe, der Partizipation der Zivilgesellschaft an der politischen Macht. Das ist zwar kein orthodox marxistisches Gedankengut, wohl aber das Konzept, das dieses im Laufe der achtziger Jahre heimlich, still und leise abgelöst hat und Kontinuität vortäuschte, weil es die marxistische Staatsablehnung fortführte. Der Gedanke der Repräsentation wird bei Flores d'Arcais genausowenig ernst genommen wie bei anderen Altlinken: der Gedanke, daß der Staat, "das System", die für seine Durchsetzungskraft nötige Souveränität nur dann besitzt, wenn "die Lebenswelt" ihm gegenüber ihre Autonomie verliert.

Ein weiteres Relikt wird bei Flores d'Arcais weitergeführt: der Materialismus. In dem letzten der vier Aufsätze, die in dem Bändchen zusammengefaßt sind, gibt er sich einem philosophischen Rauschzustand hin, in dem er in heideggerischem Duktus das "Sein" ganz prinzipiell ins Auge faßt, ihm aber das energische "Sollen" gegenüberstellt, dem er sich verschrieben hat. Das Öffnen dieses alten Dualismus könnte ein neuer philosophischer Anfang sein, wenn Flores d'Arcais sich nicht so davor fürchtete, als Idealist in Erscheinung zu treten. Er versucht seine Sollensvorschläge vor dem Anschein zu bewahren, das zu sein, was sie wirklich sind: das, was man in der Aufklärung rationales Naturrecht nannte. Mit dieser Abgrenzung bleibt er seinem Konzept treu, das vor einigen Jahren als "Libertärer Existentialismus" erschien. Die maßgebenden Prinzipien sollen nicht als richtige Vorgaben vorgefunden, sondern in kierkegaardschem Entweder-Oder frei gewählt werden. SIBYLLE TÖNNIES

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Positiv äußert sich Rezensent Rudolf Walther über Paolo Flores d'Arcais' Band mit Essays zur linken Theorie, deren Defizite der italienische Philosoph in den Blick nimmt. Besonders schätzt er die kritische Auseinandersetzung mit der Vernachlässigung des Individuums, die linke Theorien und linke Politik oft aufweisen, sowie mit der Unfähigkeit vieler Linker, den Substanzverlust demokratischer Formen zu erkennen. Zudem hebt er Flores d'Arcais' Plädoyer für eine auf den Schutz des Individuums und seiner Rechte ausgerichtete Demokratie hervor. Dabei betont er dessen Prinzip einer praktischen Politik, "die den politischen Einfluss neutralisiert, der aus der ungleichen Verteilung des Reichtums erwächst" (d'Arcais). Wie dies im politischen Alltag realisierbar ist, wird für ihn allerdings nicht so ganz deutlich. Insgesamt findet Walther vor allem die Kritik an der medial inszenierten Parteienherrschaft sowie das Plädoyer für eine Demokratisierung der bestehenden Demokratien überzeugend.

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