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Produktdetails
  • Verlag: Wasmuth & Zohlen
  • 2000.
  • Seitenzahl: 535
  • Deutsch
  • Abmessung: 275mm
  • Gewicht: 2544g
  • ISBN-13: 9783803001924
  • ISBN-10: 3803001927
  • Artikelnr.: 08321174
Autorenporträt
Henri Focillon (1881 - 1943), französischer Kunsthistoriker, war Direktor des Musée des Beaux-Arts in Lyon. Er lehrte u.a. an der Ecole des Beaux-Arts, an der Sorbonne und am Collège de France. Nach seiner Emigration in die USA fand er in Yale zahlreiche Schüler, darunter auch Geoge Kubler. Am bedeutendsten sind seine Schriften zur mittelalterlichen Kunst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2000

Der Papst baut herrlich in der Welt
Endlich richtet sich die Architekturgeschichte wohnlich in der Vergangenheit ein: Gottfried Kerscher rekonstruiert spätmittelalterliche Paläste

Das Buch des in München lebenden und in Frankfurt lehrenden Autors entstand aus seiner 1994 an der TU Berlin eingereichten Habilitationsschrift; es umfaßt 536 Seiten im Format von 22 × 27 cm mit zweispaltigem Text und 450 Abbildungen. Bereits diese Angaben lassen erahnen, daß hier ein Baustein der Forschung vorgelegt wurde, der schon äußerlich an seinen Hauptgegenstand, die gewaltige steinerne Hinterlassenschaft des Papsttums in Avignon, erinnert. Es geht um die Entstehung der Palastbaukunst als der Architekturform, die den Zwecken Repräsentation und Zeremionell Ausdruck verleiht. Den entscheidenden Anstoß zu ihrer Entwicklung gab nach Kerscher der Palast der Päpste in Avignon.

An seiner Baugeschichte läßt sich der allmähliche Übergang der am Papsthof ausgebildeten Funktionen in die Entstehung und Gestaltung ihrer architektonischen Äquivalente verfolgen. Das exilierte Papsttum löste sich von seinen römischen Grundlagen und orientierte sich in dieser Phase der Herausbildung eines neuen Selbstverständnisses hinsichtlich der Hofhaltung und ihrer architektonischen Strukturierung am Königreich Mallorca, dessen Ausläufer Montpellier und Perpignan damals geographisch nahe an Avignon heranreichten. Über den Kardinallegaten Aegidius Albornoz wurde der neue Baugedanke auf die päpstlichen Residenzen in Spoleto, Bologna, Viterbo, Ancona und Montefiascone übertragen, womit - so Kerscher - der Palastbau nach neuzeitlichem Verständnis in Italien begründet wurde. Nach dem Exil löste der Vatikan den Lateran als Sitz des Papstes in Rom ab.

Im Zuge dieser Entwicklung wurden die typischen architektonischen Repräsentationsformen wie Zeremonialtreppe, Loggia, Blendarkaden oder auch bestimmte Raumdispositionen kanonisiert. Der Autor geht nicht nur darauf in detailreicher Gelehrsamkeit ein (die darin gipfelt, daß auf Seite 65 überhaupt nur Anmerkungen stehen), sondern er untersucht und rekonstruiert selbstverständlich auch die jeweilige zeitgenössische funktionale und dekorative Ausstattung von den "königlichen Abtritten" bis zu den Fresken. Angesichts der vielen neuen Erkenntnisse kann man, unabhängig von jeder künftigen kritischen Befassung mit den Einzelheiten, jetzt schon feststellen, daß diese Arbeit in vielen Punkten für die Forschung über Avignon gewissermaßen der Schlußstein ist. Ergänzt wird der eigentliche Text nicht nur durch die fast dreißigseitige Bibliographie und drei Register, sondern noch durch acht Anhänge, die schwer erreichbare wichtige Quellen erschließen.

Am Anfang legt Kerscher ausführlich seinen methodischen Ansatz dar. Architekturinterpretation ohne die Heranziehung der gleichzeitigen Schriftquellen, denen sich die ästhetischen Ziele entnehmen lassen, ist schon lange nicht mehr denkbar. Daß diese Kombination jedoch zu problematischen Ergebnissen führt, wenn sie ausschließlich unter den formalen Aspekt gestellt wird, haben prominente Arbeiten wie die von Sauer ("Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters", 1924) oder Warnke ("Bau und Überbau", 1976) gezeigt. Kerscher will daher in seinen Vergleichen nicht formale Abhängigkeiten, sondern strukturelle Gemeinsamkeiten ins Zentrum stellen. Dazu beruft er sich einmal auf die Architekturikonologie wie sie 1942 expressis verbis von Krautheimer begründet und von Bandmann in der deutschen Wissenschaft eingebürgert wurde.

Zu dieser Basis kommen jedoch weitere methodische Ansätze, die sich insgesamt unter den Gesichtspunkt der Interrelation zwischen der architektonischen Form und ihrer historisch-sozialen Nutzung stellen lassen. Unübertroffen ist bis heute "Die höfische Gesellschaft" von Norbert Elias (1969). Kerscher beruft sich auch auf die Habitus-Theorie von Pierre Bourdieu, die Erwin Panofsky weiterdachte. In Verbindung mit Anklängen an Foucault und andere ergibt sich damit eine Aktualisierung und Verbreiterung des ikonologischen Ansatzes.

Damit wäre jedoch noch nichts bezeichnet, das bei einem wissenschaftlichen Werk mit diesem Anspruch als Besonderheit hervorgehoben werden müßte. Im Buch selbst ist es nicht ausgesprochen, aber im Umgang des Autors mit den Räumen und Motiven der Paläste immer spürbar, daß hier die Deutung auf eine neue Ebene gehoben ist. Die Architekturinterpretation hat sich in letzter Zeit von der a priori starken Bindung an das gegenständliche Vorhandensein ihrer Objekte gelöst und ist zu einer Sehweise vorgestoßen, die in einer Art Transzendierung des Materiellen das Immaterielle, das Fiktionale beziehungsweise das Gewollte von Architekturen in den Blick nehmen kann. Auch hier muß Bandmann als Wegbereiter genannt werden, der zum Beispiel die liturgischen Nutzungsgewohnheiten als Bedingung der architektonischen Form und damit als Basis ihrer Lesbarkeit herausstellte.

In Weiterführung dieses Ansatzes hat von Naredi-Rainer in seinem glänzenden Buch über die mittelalterlichen Rekonstruktionen des jüdischen Tempels gleichsam über etwas grundsätzlich nie Gelungenes geschrieben ("Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer", 1994). Bei Kerscher kommt nun noch etwas anderes dazu: Er konnte bei der Arbeit nicht nur seine Ausbildung als Denkmalpfleger nutzen, sondern ihm kam auch seine Vertrautheit mit der virtuellen Welt des Computerwesens zur Hilfe. Seine Rekonstruktionen sind von der Genauigkeit und Selbstverständlichkeit der dreidimensionalen Vorstellung getragen, wie sie die rechnergestützte bildliche Wiederherstellung verlorener Bauten prägt. Den Zusammenhang belegt Kerschers kürzlich erschienenes Buch "Kopfräume" (F.A.Z. vom 3. November), in dem diese Herangehensweise an einer historischen Anthologie "virtueller", das heißt durch ihre historisch-soziale Nutzung definierter Räume, demonstriert wird. Die Immanenz dieses Gedankens macht die eigentliche Qualität des großen Werks über Avignon und die Palastbaukunst aus.

Die Architekturgeschichte hat die Epoche der menschenleeren Photographien ihrer Gebäude verlassen und den Anschluß an das Computer-Zeitalter vollzogen, in dem über die Rekonstruktion der einstigen Verhaltensweisen und Kommunikationsformen wieder der menschliche Blick in den Räumen zu seinem Recht kommt. Nebenbei erweist sich damit, daß Kunstgeschichte längst etwas anderes ist, als der Laie meint. Zugleich legt das Fach eine angesichts der vielfältigen Beeinflussungs- oder gar Unterwanderungsversuche zuletzt durch Marxismus und Feminismus doch überraschende Überlebenskraft an den Tag. Voraussetzung dafür scheint freilich zu sein, daß sich Kunstgeschichte immer in aller Klarheit als Zentrum ihres wissenschaftlichen Aktionsbereichs versteht, dem benachbarte Ansätze als Hilfen dienen können, nicht umgekehrt.

Das Nachwort zu dem gewaltigen Opus deutet nur an, welche psychische Investition eine solche jahrzehntelange Beschäftigung mit einem Thema dieser Dimension fordert. In der latenten Gereiztheit des Autors bei seinen Auseinandersetzungen mit Bernhard Schimmelpfennig, der als Historiker das päpstliche Zeremonienwesen erschloß, mag davon etwas spürbar sein. Zum Schluß drängt sich daher der Gedanke auf: Wenn derartige Habilitationsschriften lediglich zum Status eines Privatdozenten führen, der realiter das ökonomische Nichts bedeutet mit vagen Zukunftschancen, die im Kulturbereich noch dadurch eingeschränkt werden, daß Stellen dort meist nach Geschlecht vergeben werden, wobei Männer das falsche haben, dann fällt die Prophezeiung leicht, daß die nächste Generation solche heroisch-altriustischen Leistungen ganz einfach nicht mehr erbringen wird - gleichgültig, was Kultusminister und Wissenschaftsfunktionäre zum Thema Habilitation auch immer beschließen werden.

JOHANN KONRAD EBERLEIN

Gottfried Kerscher: "Architektur als Repräsentation". Spätmitteralterliche Palastbaukunst zwischen Pracht und zeremoniellen Voraussetzungen. Avignon - Mallorca - Kirchenstaat. Wasmuth-Verlag, Tübingen 2000. 536 S., 450 Farb- u. S/W-Abb., geb., 258,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Studie gehört zu den letzten ihrer Art, meint Johann Konrad Eberlein. Derart "heroisch-altruistische Leistungen" werde eine zukünftige Kulturpolitik schon zu erledigen wissen. Und in der Tat scheint diese Habilitationsschrift einfach zu gut zu sein für diese Welt. Eberlein staunt gleichermaßen über den umfangreichen Anhang des Buches wie über die "detailreiche Gelehrsamkeit", die ihn sogar zu der Vermutung hinreißt, dass Kerschers Arbeit in vielen Bereichen für die Forschung über Avignon "gewissermaßen der Schlussstein ist". Die eigentliche Qualität des Buchs aber erkennt der Rezensent in der rechnergestützten dreidimensionalen Vorstellungswelt, die der Autor entfaltet. Mit ihr gelinge der Anschluss der Architekturgeschichte an das Computer-Zeitalter.

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