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Band 16 der "Quellen zur deutschen Gewerkschaftsgeschichte" dokumentiert den gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch des Deutschen Gewerkschaftsbundes in den ersten beiden Perioden der Amtszeit des DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter. Die Dokumentenauswahl zeigt exemplarisch das resolute Eintreten für eine Ausweitung des Sozialstaates und für die Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung. Daneben stehen die Reform der Organisationsentwicklung und der gewerkschaftlichen Programmatik sowie die neue Deutschland- und Ostpolitik der Gewerkschaften. Die Erwartung des DGB, die gewerkschaftlichen…mehr

Produktbeschreibung
Band 16 der "Quellen zur deutschen Gewerkschaftsgeschichte" dokumentiert den gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch des Deutschen Gewerkschaftsbundes in den ersten beiden Perioden der Amtszeit des DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter. Die Dokumentenauswahl zeigt exemplarisch das resolute Eintreten für eine Ausweitung des Sozialstaates und für die Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung. Daneben stehen die Reform der Organisationsentwicklung und der gewerkschaftlichen Programmatik sowie die neue Deutschland- und Ostpolitik der Gewerkschaften. Die Erwartung des DGB, die gewerkschaftlichen Reformvorstellungen in gesetzliche Bestimmungen überführen zu können, wurde dadurch geprägt, dass die SPD in der Regierungsverantwortung nun die Leitlinien in der Arbeits- und Sozialpolitik bestimmen konnte.
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Autorenporträt
Klaus Mertsching, geb. 1948, studierte Geschichte, Politische Wissenschaft und Germanistik in Hannover und leitet seit 1988 das DGB-Archiv, zunächst in Düsseldorf, ab 1995 im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Dokumentation gewerkschaftlicher Routine birgt kein Lesevergnügen für den Rezensenten. Zum Glück hat der von Klaus Mertsching "sorfältig" edierte Band mit 119 Dokumenten aus dem DGB-Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung aus den Jahren 1969-1975 noch anderes zu bieten. Laut Rolf Steininger trumpft der Band auf, wenn er die ganze Bandbreite gewerkschaftlicher Reflexion zeigt, die dem Rezensenten zum Teil recht aktuell in den Ohren klingt. Dass der Band damit allerdings auch die Geschichte der sozial-liberalen Koalition abbildet, wie Mertsching sich das vorstellt, möchte Steininger doch bezweifeln.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2014

Als Kluncker die Republik lahmlegte
Einblicke in das Innenleben des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1969 bis 1975

Anfang September 1969 traten 23 000 Mitarbeiter der Hoesch AG in Dortmund in einen wilden Streik. Fritz Berg, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, äußerte sich dazu: "Die hätten doch ruhig schießen sollen, einen totschießen; dann herrscht wenigstens Ordnung." Zwei Monate später lud Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) nach Bildung der sozial-liberalen Regierung zur "Konzertierten Aktion" ein. Der Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war sich einig, "dass man wegen Berg nicht der Sitzung fernbleiben und über die ganze Angelegenheit hinweggehen solle". Man nahm teil.

Erfunden hatte Schiller die "Konzertierte Aktion" 1967: Vertreter aus Ministerien, Bundesbank, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sollten Lösungen für die Überwindung der ersten Nachkriegsrezession finden. Der DGB hoffte dabei, neben Lohnorientierungsdaten auch Probleme der Investitions-, Preis- und Strukturpolitik diskutieren zu können und zu verbindlichen Absprachen mit den Unternehmern zu kommen. Die verfolgten jedoch grundsätzlich andere Interessen, nämlich die Eingrenzung gewerkschaftlicher Lohnforderungen. Die Teilnahme des DGB war denn auch in den eigenen Reihen umstritten; manche Einzelgewerkschaft befürchtete schon das Ende der Tarifautonomie.

Bis 1975 nahm der DGB noch 20 Mal an Sitzungen der "Konzertierten Aktion" teil, die seit 1972 wegen fehlender Entscheidungskompetenz, unterschiedlicher Interessen und der inflationären Ausweitung des Teilnehmerkreises mehr und mehr an Bedeutung verlor: Waren anfangs nur 34 Personen aus neun Organisationen dabei, so erhöhte sich die Zahl allmählich auf fast 200 (darunter Vertreter der Bauern, Beamten, Handwerker, Einzelhändler, Genossenschaften und Verbraucherverbände).

"Konzertiert" war dabei schon lange nichts mehr. Waren die 1960er Jahre die streikärmste Zeit der Bundesrepublik, so wurde ab 1969 heftig gestreikt: Bis 1975 verdoppelte sich die Zahl der Streikenden, die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage verdreifachte sich. Unvergessen bleibt der Streik von 400 000 Mitgliedern der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr unter ihrem schwergewichtigen Vorsitzenden Heinz Kluncker im Februar 1974: kein öffentlicher Nahverkehr, keine Müllabfuhr. Für viele Bundesbürger eine ganz neue Erfahrung. Am Ende gab es elf Prozent mehr Lohn! Die Metaller folgten mit zwölf Prozent - nach drei Wochen Streik! Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) warnte im März 1974 auf einer Kundgebung in Köln unter dem Motto "Marktwirtschaft oder Gewerkschafts-Staat" vor einer Zerstörung von Freiheit und Eigentum, falls den Gewerkschaften noch mehr Macht zufiele. Anfang Mai trat Bundeskanzler Willy Brandt zurück. Sein Nachfolger Helmut Schmidt machte klar, dass nur noch Reformen durchgeführt würden, die "kein Geld kosten".

Bis dahin konnten die Gewerkschaften für den engeren sozialpolitischen Bereich eine erfolgreiche Bilanz ziehen - ganz im Sinne der "423 Versprechen, Ankündigungen und Anregungen" der Regierung und der kolportierten Äußerung von Kanzleramtsminister Horst Ehmke: "Jeden Tag eine Reform". Beim "großen" Thema Mitbestimmung war das nicht so. In der Regierungserklärung im Oktober 1969 hatte Brandt noch eine entsprechende Reform angekündigt. In seiner Stellungnahme betonte der DGB, er werde die neue Bundesregierung daran messen, "inwieweit sie ihre Pläne in die Tat umsetzen wird". Der erste Entwurf eines Mitbestimmungsgesetzes lag Anfang 1974 vor - und wurde glatt abgelehnt. Der letzte Satz des entsprechenden Briefes vom 28. Februar 1974 des DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter an Brandt lautete: "Es geht, wie ich meine, um die Glaubwürdigkeit gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Politik." Im März 1976 verabschiedete der Bundestag einen Kompromiss, der die Handschrift der FDP trug. Die meisten Gewerkschafter betrachteten ihn als "die größte Niederlage gewerkschaftlicher Programmatik" seit der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952. Schon vorher hatte der DGB die Mitarbeit in der "Konzertierten Aktion" aufgekündigt.

Klaus Mertsching legt 119 sorgfältig edierte Dokumente aus dem DGB-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn vor. Zentraler Bestandteil sind die Wiedergaben der Äußerungen von Vorstandsmitgliedern des monatlich tagenden Führungsgremiums des DGB. Die zeitliche Einteilung - 1969 bis 1975 - orientiert sich am Bundeskongress, der bis 1978 alle drei Jahre tagte: 1969, 1972, 1975.

In diesen Dokumenten kommt, wie Mertsching zutreffend in seiner Einleitung betont, "eine immense Breite der gewerkschaftlichen Reflexion zum Ausdruck". Dass damit allerdings - so Mertsching weiter - "die Geschichte der sozial-liberalen Koalition auch im Spiegel der gewerkschaftlichen Überlieferung dargestellt werden" könnte, dürfte denn doch bezweifelt werden. Bei Themen zur Innen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik mag das noch angehen, nicht aber bei der Außenpolitik, auch wenn die Gewerkschaften die Ostpolitik nachhaltig unterstützten. Bei dem Thema sollte man zu anderen Dokumentenbänden greifen.

Für die Gewerkschaften hieß Ostpolitik in erster Linie Kontakt zum FDGB der DDR. Dazu zitiert Mertsching in der Einleitung einen Brief von Vetter an den FDGB-Vorsitzenden Herbert Warnke, in dem er die Aufrechterhaltung des Schießbefehls verurteilt, und dessen schroffe Antwort. Leider werden diese Briefe nicht abgedruckt. Die Edition zeigt eine große Bandbreite der Gewerkschaftsarbeit, wobei manche Forderung höchst aktuell klingt, etwa wenn Vetter im September 1972 Brandt gegenüber als oberstes Ziel der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik in Europa die Vollbeschäftigung nennt. Vermittelt werden tiefe Einblicke in das "Innenleben" des DGB. Wenn es um gewerkschaftliche Routinearbeit geht, lässt allerdings das große Lesevergnügen nach.

ROLF STEININGER.

Dieter Dowe/Anja Kruke/Michael Schneider (Herausgeber): Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1969-1975. Bearbeitet von Klaus Mertsching. Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2013. 1033 S., 78,- [Euro].

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