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Der Kampf um politische Meinungen wird in Deutschland oft mit historischen Argumenten geführt. Geschichtsbilder beeinflussen unser Denken und Handeln. Aber wer besitzt eigentlich die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte? Wie erlangt und benutzt er sie? Darüber muss öffentlich diskutiert werden. Der renommierte, auf die Geschichte des Widerstands spezialisierte Zeithistoriker Peter Steinbach untersucht emotionalisierende öffentliche Debatten der letzten Jahrzehnte. Politische Reden konnten zum Ereignis werden oder Karrieren beenden. Gedenken wurde inszeniert. Ausstellungen, Museen und…mehr

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Produktbeschreibung
Der Kampf um politische Meinungen wird in Deutschland oft mit historischen Argumenten geführt. Geschichtsbilder beeinflussen unser Denken und Handeln. Aber wer besitzt eigentlich die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte? Wie erlangt und benutzt er sie? Darüber muss öffentlich diskutiert werden. Der renommierte, auf die Geschichte des Widerstands spezialisierte Zeithistoriker Peter Steinbach untersucht emotionalisierende öffentliche Debatten der letzten Jahrzehnte. Politische Reden konnten zum Ereignis werden oder Karrieren beenden. Gedenken wurde inszeniert. Ausstellungen, Museen und Filme boten Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen in der Presse. Der Streit bedurfte der Medien, er beeinflusste unser Weltbild und Weltverständnis. Geschichte wurde dabei schließlich selbst zum Politikum. Dieser brillante Essay stellt klar: Wer sich von berufsmäßigen Geschichtsdeutern nicht manipulieren lassen will, muss auf der Hut sein. Aufklärung tut not.
Autorenporträt
Peter Steinbach, geb. 1948 in Lage/Lippe, leitet die zentrale Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2012

Hofhistoriker
Peter Steinbachs Warnung

Seit Mitte der achtziger Jahre leitet Peter Steinbach die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand". Parallel dazu hatte er Lehrstühle inne in Passau, Berlin und Karlsruhe, von wo aus er samt Stelle nach Mannheim ausgewichen ist. Vom Typ her wollte er es anfänglich allen recht machen, musste aber bald erkennen, dass es die Bendlerblock-Funktion mit sich brachte, als Prügelknabe für Zeitzeugen und Politiker herhalten zu müssen. Für einen autobiographischen Rückblick ist es ihm offensichtlich zu früh. So befasst sich der 64 Jahre alte Zeithistoriker allgemein mit Fragen, wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren, wie "Regierungs- oder Hofhistoriker" sich Vorurteilen, Stimmungen und Erwartungen der Politiker anpassen. Als "Sinn-Lieferanten" und "Begriffe-Besetzer" dienten sie jenen, "die historische Kontroversen nutzen, um Macht zu erringen oder sie zu behaupten". Doch Ross und Reiter nennt er nur selten.

Das an sich spannende Thema wird in 25 Abschnitten - als wär's früher ein Vorlesungsmanuskript gewesen - relativ leblos abgehandelt. Steinbachs Held ist Richard von Weizsäcker, in der Rede vom 8. Mai 1985 sieht er den "Versuch, die Vielfalt der Erinnerungen und Deutungen, das Nebeneinander gleichzeitiger Erfahrungen und Erlebnisse zu ordnen und zu klären". Als Schurken treten jene Professorenkollegen auf, die Helmut Kohl im Zusammenhang mit historischen Museen in Bonn und Berlin zur "Stärkung der bundesrepublikanischen Identität" berieten. Nach 1990 wäre es besser gewesen, "die Leistungen der ehemaligen DDR-Bürger bei der Bewältigung ihres Alltags stärker zu würdigen". Laut Steinbach scheitern geschichtspolitische Reflexionen, "wenn sie gleichbedeutend sind mit Anklagen, Ausgrenzungen oder der Anprangerung kollektiven Fehlverhaltens".

RAINER BLASIUS

Peter Steinbach: Geschichte im politischen Kampf. Wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2012. 163 S., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hermann Theissen bespricht zwei Bücher, die sich mit der deutschen Erinnerungskultur befassen: Peter Steinbachs "Geschichte im politischen Kampf" und "Das Menschenmögliche" von Dana Giesecke und Harald Welzer. Steinbach beschäftige sich in seinem Buch mit der Rolle, die Geschichte in der politischen Rhetorik spielt, berichtet der Rezensent. Der Autor komme zu dem Schluss, dass sie in Argumentationen nur selten der Wahrheitsfindung dient und häufiger auf Emotionen und Legitimation zielt. Besonders spannend findet Theissen Steinbachs Kapitel zu den achtziger Jahren und Helmut Kohl: der Autor bezeichne Kohls Geschichtspolitik als "Höhepunkt und Scheitern gouvernementaler Geschichtspolitik", anschaulich gemacht am Versuch der symbolischen Versöhnung auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2012

Politische Rhetorik
und hohle Floskeln
Wie sollen die Deutschen mit ihrer Geschichte umgehen?
Ein Rückblick und ein paar vernünftige Vorschläge
VON HERMANN THEISSEN
In seiner Studie über Geschichtsrhetorik in der Politik zeigt Peter Steinbach, dass historische Bezugnahmen in der politischen Auseinandersetzung nur im Ausnahmefall zur Wahrheitsfindung beitragen. Historische Argumente befeuern vor allem Stimmungen, appellieren an Gefühle und zielen auf moralische Legitimierung politischer Entscheidungen.
  Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand hat die Konjunkturen historisierender Rhetorik in der Politik und politische Interventionen von Historikern material- und kenntnisreich dargestellt. Er hat auf die problematische Produktion von Geschichtsbildern in den Medien verwiesen und Franz Schnabels Aufgabenbestimmung des Historikers als „großer Zerstörer“ unterstützt, der aufgerufen sei, Urteile und Bewertungen immer neu infrage zu stellen.
  Wirklich spannend wird die kleine Schrift aber erst, wenn sie auf die Achtzigerjahre zu sprechen kommt, die Steinbach als Höhepunkt und Scheitern gouvernementaler Geschichtspolitik im Nachkriegsdeutschland beschreibt. 1986 hatte Michael Stürmer, Lieblingshistoriker des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, verkündet, dass die Zukunft nur gewinne, „wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet“.
  Ganz im Sinn dieses Programms hatte Helmut Kohl versucht, die von ihm propagierte „geistig-moralische Wende“ mit geschichtspolitischen Initiativen zu unterfüttern. Dazu gehörten die großen Museums- und Ausstellungspläne, dazu gehörten aber vor allem Bemühungen, Gedenktage politisch zu instrumentalisieren und die Deutung der Vergangenheit zur Regierungsaufgabe zu machen. Als Höhepunkt dieses Projekts sollte vierzig Jahre nach Kriegsende die Formierung der „selbstbewussten Nation“ abgeschlossen und durch eine symbolische „Versöhnung über die Gräber hinweg“ besiegelt werden. Bekanntlich ist dieser auf Relativierung zielende Versuch auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg grandios und vor den Augen der Welt gescheitert.
  Die Tatsache, dass in dem Eifelstädtchen auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt sind, belebte die Diskussion über „Opfer und Täter“ und beförderte die gesellschaftliche Verständigung darüber, dass die gesamte Zeit des Nationalsozialismus „nur unter Bezug auf die langfristig geplante und zielstrebig industriemäßig betriebene Ermordung der Juden Europas bewertet werden konnte“. Die jahrelange Diskussion führte schließlich dazu, dass mittlerweile auch die Deserteure der Wehrmacht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt sind.
  Auch Dana Giesecke und Harald Welzer stellen in ihrem Plädoyer für die „Renovierung der deutschen Erinnerungskultur“ fest, dass „der erinnerungspolitisch größte Skandal der Nachkriegsgeschichte“, nämlich die Ignoranz gegenüber den Leiden der Opfer, heute nicht mehr bestehe. Es habe Jahrzehnte gedauert, aber heute sei die Massenvernichtung zentraler und nicht bezweifelter Bestandteil der deutschen „Erinnerungskultur“, was diese wiederum zum Auslaufmodell gemacht habe.
  Da niemand mehr den nationalsozialistischen Terror leugne, sei das „Pathos der erinnerungskulturellen“ Floskeln, die ihren Höhepunkt in der „gegenstandslos gewordenen Behauptung“ fänden, man müsse „gegen das Vergessen“ ankämpfen, inzwischen „abgestanden“.
  Giesecke und Welzer disqualifizieren die „historisch entkernte Frömmigkeit“ des Gedenkens, wie der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, es nennt, als „Diktatur der Vergangenheit“, die Lernprozesse eher behindere als befördere. Ihr setzen sie die Forderung nach konsequenter Historisierung des Nationalsozialismus entgegen, was auch impliziert, dass der Holocaust nicht mehr als „erratisches Geschichtsereignis“, als ein mit nichts vergleichbarer Ausdruck des „absoluten Bösen“ enthistorisiert werden solle. Stattdessen müsse er „als eine soziale Möglichkeit“ gesehen werden, „die unter spezifischen Bedingungen von einer Gesellschaft gewählt wurde“. Doch komme man, so die Autoren, mit der zur Liturgie ausgedünnten Formel der pathetisch aufgeladenen Erinnerung schon deshalb nicht mehr weiter, weil sie jungen Leuten nicht mehr viel sagt.
  Das ist kein Geschichtsrevisionismus, ist es schon deshalb nicht, weil Giesecke und Welzer die Auseinandersetzung mit Revisionsversuchen und den langen Kampf um die Anerkennung der Opfer zum Bestandteil ihres Erinnerungsprogramms machen. In ihrem Vorschlag werden der Nationalsozialismus und dessen kommunikative Bearbeitung zu Lernfeldern für die Auseinandersetzung mit einer tödlich radikalisierten Ausgrenzungsgesellschaft. Eine solche Umjustierung der Erinnerung würde nicht mehr das monumentale Grauen der Vernichtungslager ins Zentrum der Auseinandersetzung setzen, „sondern das unspektakuläre, alltäglichere Bild einer Gesellschaft, die zunehmend verbrecherisch wird oder, genauer gesagt, normativ umcodiert, was als erwünscht und verwerflich, gut und schlecht, ordnungsgemäß oder kriminell gilt“.
  Für die Gedenkstätten folgert aus all dem, dass sie eine neue Vorstellung ihrer Besucher entwickeln müssen: Nicht mehr als passive Rezipienten, die ergriffen sein sollen, sondern als mehr oder weniger aufgeklärte Zeitgenossen müssen sie gesehen werden, die ihre Vorstellungsbilder und ihr Vorwissen überprüfen und modifizieren wollen. Der geforderte Perspektivenwechsel bedeutet auch, dass die Beteiligung an der nationalsozialistischen Gewalt nicht allein als moralisch empörendes Verhalten simplifiziert werden darf, sondern gezeigt werden muss, dass sich die Täter, Helfer, Zuschauer und Wegschauer in Übereinstimmung mit dem normativen System der NS-Gesellschaft wussten.
  Mit Blick auf die Zukunft und im Sinne von Prävention, wäre es somit ungemein wichtig, Biografien und Lebensumstände von Menschen zu präsentieren, die sich ihr sittliches Unterscheidungsvermögen erhalten konnten, ihre Handlungsspielräume erkannten und gegen das System und seinen Terror nutzten.
  Diese Erkenntnis führt unmittelbar zu dem Vorschlag, in den Giesecke und Welzer ihre Kritik der Erinnerungskultur münden lassen. Die Soziologin und der Sozialpsychologe, die gemeinsam auch das Projekt „FUTURZWEI – Stiftung Zukunftsfähigkeit“ betreiben, wollen „Geschichte als Potenzial“ erfahrbar machen und fordern deshalb „Ein Haus der menschlichen Möglichkeiten“. Ein Haus, das der Besucher nach dem Vorbild der „Science Centers“ als Lern- und Erfahrungsort bei der Suche nach den Voraussetzungen und Bedingungen menschlichen Handelns nutzen kann, ein Ort, an dem das „Wahrnehmen, Ausmessen und Nutzen von Handlungsspielräumen“ sichtbar und „die sozialen Mechanismen und Bedingungen, die zu Irrtümern, Fehlentwicklungen und Katastrophen führen“ erkennbar werden.
  Was damit genau gemeint sein soll, bleibt in den Ausführungen der Autoren noch sehr unbestimmt. Nimmt man aber die Forderung nach dem „Nie wieder!“ ernst, dann ist hier ein Weg zur Renovierung der Erinnerungskultur vorgezeichnet, den es sich zu gehen lohnen könnte – nicht nur in Anbetracht der ja auch im Alltagsbewusstsein weit entwickelten Historisierung des Nationalsozialismus, sondern auch im Hinblick auf die weiterhin bestehenden Gefahren gesellschaftlicher Ausgrenzungen.
  
Dana Giesecke, Harald Welzer : Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur. Edition Körber Stiftung, Hamburg, 2012. 187 Seiten, 15 Euro.
  
Peter Steinbach: Geschichte im politischen Kampf. Wie historische Argumente die öffentliche Meinung manipulieren. Dietz Verlag, 2012. 163 Seiten, 16,90 Euro.
  
Hermann Theißen ist Redakteur für Zeitgeschichte und Zeitkritik beim Deutschlandfunk.
Westdeutsche Geschichtspolitik
erlebte unter Kanzler Kohl in den
80er-Jahren ihren Höhepunkt
Historisch entkernte Frömmigkeit
des Gedenkens: Sie erklärt nichts
und sagt jungen Leuten nichts
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