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Die slawisch-deutschen Beziehungen haben über Jahrhunderte hinweg einen wesentlichen Bestandteil europäischen Zusammenlebens ausgemacht. In der Epoche des Nationalsozialismus, ganz besonders aber während des Zweiten Weltkrieges, haben diese Beziehungen eine katastrophale Gestalt angenommen. Bedingt vor allem durch Houston Stewart Chamberlains "Rassebegriff", erfuhren die slawischen Völker, ihre Sprachen und Kulturen eine extreme Abwertung. Die wissenschaftlichen und ideologischen Hintergründe dieser äußerst negativen Entwicklung werden nun erstmals anhand von weitgehend unbekanntem…mehr

Produktbeschreibung
Die slawisch-deutschen Beziehungen haben über Jahrhunderte hinweg einen wesentlichen Bestandteil europäischen Zusammenlebens ausgemacht. In der Epoche des Nationalsozialismus, ganz besonders aber während des Zweiten Weltkrieges, haben diese Beziehungen eine katastrophale Gestalt angenommen. Bedingt vor allem durch Houston Stewart Chamberlains "Rassebegriff", erfuhren die slawischen Völker, ihre Sprachen und Kulturen eine extreme Abwertung. Die wissenschaftlichen und ideologischen Hintergründe dieser äußerst negativen Entwicklung werden nun erstmals anhand von weitgehend unbekanntem Archivmaterial und zeitgenössischen Veröffentlichungen dargestellt. Erfasst wurden dabei auch Verordnungen, Sprachregelungen und Pläne zur Umsiedlung und Ausrottung slawischer Völker. Ein wichtiges Buch für alle, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus befassen. Kurztext Der bekannte Slawist Helmut Schaller schildert hier erstmals anhand umfangreichen Quellenmaterials die wissenschaftlichen und ideologischen Hintergründe der Beziehungen des nationalsozialistischen Deutschland zu den slawischen Völkern.
Autorenporträt
Helmut SCHALLER, Dr. phil., geb. 1940 in Bayreuth, Universitätsprofessor für Slawische Philologie und Balkanphilologie an der Universität Marburg. Verfasser zahlreicher Publikationen, u.a. Mitglied der Internationalen Komission für Slawistik.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2003

Horchposten in das slawische Milieu
Helmut Schallers Studie über das Dritte Reich und den Ostraum
Die Beteiligung namhafter Wissenschaftler an der nationalsozialistischen Ostforschung bildet seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der Zeitgeschichtsforschung. Da angesehene Historiker in den Verdacht gerieten, „Vordenker der Vernichtung” gewesen zu sein, sorgen derartige Forschungen immer wieder für Aufregung. Eine Darstellung des Anteils der Slawisten fehlte bisher. Der Marburger Ordinarius Helmut Schaller legt jetzt eine Studie vor, die dieses Defizit ausgleichen soll. Leider beschränkt er sich nicht auf seine Disziplin, sondern behandelt parallel dazu die Ministerien, Verwaltungseinrichtungen und Behörden, die im polykratisch organisierten NS-Reich für den Osten zuständig waren. Diese Informationen sind zwar nützlich, aber weder neu noch vollständig, und ihre Mitteilung wäre nur dann sinnvoll, wenn sie in eine Gesamtgeschichte aller Ostinstitutionen und - initiativen eingebettet worden wäre. Doch für eine derartige Darstellung ist es noch zu früh.
Schaller geht in seinem sprunghaft angelegten Buch allzu selektiv vor, wenn er etwa Houston Stewart Chamberlain und Rosenberg als einzige Vertreter der NS-Rassentheorie vorstellt, aber Hans F.K. Günther nicht erwähnt, oder wenn er Stadt und Gau Bayreuth (bis 1942 Bayerische Ostmark) ein ausführliches Kapitel widmet. Zwar sollte diese Region nach Hitlers Bekundung „ein Bollwerk gegen die Slawengefahr” darstellen, konnte mit der Präsenz der Familie Wagner- Chamberlain aufwarten und mit dem 1935 verstorbenen Gauleiter und Reichsleiter des NS-Lehrerbundes Hans Schemm einen prominenten Hoheitsträger vorweisen. Doch es hieße die Bedeutung von Berlin, Königsberg, Breslau, Leipzig, München, Wien, Prag und Posen für die Auseinandersetzung mit dem Osten zu unterschätzen, wollte man Bayreuth eine Vorreiterrolle einräumen.
Schaller verdient besondere Aufmerksamkeit, wenn er sich mit der Rolle der Slawistik befasst. Im Gefolge Goethes, Herders und der Brüder Grimm war sie bereits in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts akademisch etabliert. Das Fach, dem die Lehrerbildung fehlte, blieb jedoch randständig und wurde nur an einigen Universitäten vertreten, konnte aber mit Max Vasmer, Reinhold Trautmann, Karl Heinrich Meyer, Gerhard Gesemann, Eugen Rippl, Ferdinand Liewehr, Edmund Schneeweis, Alois Schmaus und anderen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutende Gelehrte in seinen Reihen zählen. Die Ausdifferenzierung in Russistik, Ukrainistik, Weißrussistik, Polonistik, Polabistik, Bohemistik, Sorabistik, Bulgaristik, Serbokroatistik und Slowenistik geht nicht zuletzt auf deutschsprachige Gelehrte zurück und ist Ausdruck einer weltweiten Vorreiterstellung.
Für die Zeit des „Dritten Reichs” kann Schaller nachweisen, dass es trotz massiver Politisierungsversuche keine einheitliche Orientierung gab: Während Bulgaren, Slowaken und Kroaten als Bündnispartner bevorzugt behandelt wurden, kamen Tschechen, Polen, Russen und Serben nur bis zum Kriegsausbruch in den Genuss eines bestenfalls neutralen Interesses. Spätestens ab 1941 wurden sie der Vernichtung preisgegeben. Ihre Universitäten und Forschungsstätten wurden geschlossen, ihre Bibliotheken, Museen und Kirchen ausgeraubt, ihre Kulturdenkmäler zerstört.
Der Wille zum Mitmachen
Dagegen konnten die mehrheitlich gemäßigt gesonnenen Slawisten nichts unternehmen. Sie mussten sogar Forschungsgegenstände wie die deutschen Ortsnamen slawischen Ursprungs oder die Erforschung und Sicherung der Kultur der slawischsprachigen Minderheiten der Sorben (Wenden) und Kaschuben (Pomoranen, Pommeranen) aufgeben.
Als sich der sorbische Dachverband Domowina 1937 weigerte, sich als „Bund wendischsprachiger Deutscher” registrieren zu lassen, wurde er verboten und mit ihm der Gebrauch des Sorbischen. Den Kaschuben im Weichselraum wurde die Nähe zu den Polen bestritten; sie wurden zwar als deutsche Volksgenossen behandelt, aber dennoch als halbe „Polacken” mit Misstrauen beäugt.
Auffällig ist das Interesse an der Ukraine. Obschon dieses Gebiet ab 1941 landwirtschaftlich ausgebeutet, die Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert und die Juden ermordet wurden, ließ sich das in Berlin ansässige „Ukrainische Wissenschaftliche Institut” die Reform des Ukrainischen in Wortschatz und Schrift (lateinisch statt kyrillisch) angelegen sein, selbst als die nationalukrainischen Bestrebungen zum Erliegen gekommen waren, die man in der Anfangsphase des Kriegs gegen die Sowjetunion gefördert hatte.
Langfristig sollte die Beschäftigung mit der Ukraine der Sicherung des deutschen Einflusses dienen. Ähnliche Zwecke verfolgten die Deutschen Wissenschaftlichen Institute in Belgrad, Bratislava, Odessa, Sofia und Zagreb, die in den Jahren 1940-44 errichtet wurden und mit deren Erwähnung der Verfasser seine Studie abschließt. Der Frage nach der Zusammenarbeit der deutschen Slawisten mit dem NS weicht Schaller wie schon vor ihm Wilhelm Zeil aus. Um hier zur Klarheit zu gelangen, wären gründliche prosopographische und institutionengeschichtliche Untersuchungen nötig. Schaller beschränkt sich darauf, Verlautbarungen aus dem Rosenberg-Ministerium und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes auszuwerten, die an Eindeutigkeit nicht zu überbieten sind.
Auch auf professoraler Ebene bestand ein unverkennbarer Wille zum Mitmachen, wie jüngere Arbeiten einer von Monika Glettler und Alena Míšková geleiteten deutsch-tschechischen Forschergruppe belegen. Klaas-Hinrich Ehlers referiert in dem daraus hervorgegangen Sammelband ein im März 1939 dem Dozentenbund in Prag vorgelegtes Memorandum Gesemanns. Dieser war zwar kein Nazi und hatte sich mehrfach Pressionen deutscher Nationalisten ausgesetzt gesehen. Dennoch wollte er nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die so genannte Resttschechei die Bedeutung der Deutschen Universität Prag dadurch steigern, dass er sie zu einem „Horchposten” in das slawische Milieu hinein umgestaltete. Ihr erwachse dadurch die Aufgabe der „Kontrolle der geistigen und kulturpolitischen Bewegungen der Südostvölker. Die Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen werden, dienen unmittelbar der deutschen Politik im Südostraume”.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
HELMUT SCHALLER: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002. 320 Seiten, 34,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Absicht Helmut Schallers, sich mit der bis heute vernachlässigten Rolle der Slawisten im Nationalsozialismus zu befassen, sei eine gute gewesen, so Frank-Rutger Hausmann, die Umsetzung allerdings ließe zu wünschen übrig. Wo sich der Autor mit der zur damaligen Zeit noch nicht sehr weit verbreiteten Slawistik befasse, mit deren uneinheitlicher Orientierung und den Auswertungen ihrer Forschung, sei das Buch durchaus interessant. Leider beschränke sich der Autor nicht auf dieses Gebiet, sondern behandele zudem noch die Institutionen, die in der ein oder anderen Weise mit Ost- oder Südosteuropa zu tun hatte, wobei dies "weder neu noch vollständig" sei, wie der Rezensent bedauert. Zudem gehe er teilweise "in seinem sprunghaft angelegten Buch allzu selektiv vor". Die größte Verfehlung des Autors sei allerdings, dass er der Frage nach der Kooperation der deutschen Slawisten mit den Nazis aus dem Wege gehe. Zu derartigen Aspekten seien dann doch eher andere Arbeiten zu konsultieren, so der Rezensent.

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